Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.06.2003

OVG NRW: afghanistan, behandlung im ausland, gefahr, bevölkerung, humanitäre hilfe, öffentliche sicherheit, unhcr, abschiebung, leib, anhörung

Oberverwaltungsgericht NRW, 20 A 4045/00.A
Datum:
05.06.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 A 4045/00.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 2 K 3001/94
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird auch insoweit abgewiesen, wie die Beklagte zur
Feststellung verpflichtet worden ist, dass im Falle des Klägers ein
Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegt.
Der Kläger trägt unter Einbeziehung der erstinstanzlichen
Kostenentscheidung die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe I. Der 1969 in Kabul geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger
pashtunischer Volkszugehörigkeit. Nach eigenen Angaben verließ er Afghanistan am 4.
August 1991 und gelangte am 11. August 1991 in das Bundesgebiet. Am 14. August
1991 stellte er einen Asylantrag, zu dessen Begründung er angab, er habe sich in
Afghanistan nicht politisch betätigt und gehöre keiner Partei an. Bis zum März 1990 sei
er in Kabul als einfacher Soldat bei der Leibwache des Generals Abdul Qadier Haka
gewesen. Im März 1990 habe der General zusammen mit dem Verteidigungsminister
Tanai einen missglückten Putschversuch unternommen. Er selbst sei an dem Putsch
nicht beteiligt gewesen und habe von ihm auch nichts gewusst. Zwei seiner
Leichwächterkameraden seien sofort verhaftet worden, er selbst habe fliehen können.
Das Haus seines Vaters sei von der Militärpolizei durchsucht worden. In Afghanistan
werde er wegen der vermuteten Beteiligung an dem Putsch und wegen seiner Desertion
verfolgt. Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge (Bundesamt) am 23. November 1993 gab der Kläger an, er habe von 1986
bis 1989 Wehrdienst geleistet. Er sei Leibwächter eines Generals der Luftwaffe
gewesen und habe sich nach dem Putschversuch im März 1989 der Verhaftung durch
Flucht entzogen; er habe sich unerlaubt vom Militärdienst entfernt. Über seinen
Schwager habe er Kontakt zu den Mujahedin gehabt und sich bis zur Ausreise in deren
Gebiet versteckt gehalten. Er habe nicht früher ausreisen können, weil er habe warten
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müssen, bis sein Vater die Ausreise organisiert habe. Sein Vater sei unter dem König
Zahir Khan Offizier und gegen die Mullahs eingestellt gewesen. Aus diesem Grund sei
sein Vater nach der Machtübernahme 1992 verhaftet und umgebracht worden. Ihm
drohe das gleiche Schicksal; außerdem habe er in Afghanistan keine
Existenzgrundlage. Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 11. Juli 1994 den
Asylantrag ab (Nr. 1), stellte gleichzeitig fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
Ausländergesetz (AuslG) und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht
vorliegen (Nrn. 2 und 3) und forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung
nach Afghanistan zur Ausreise auf (Nr. 4). Der Bescheid wurde dem Kläger am 26. Juli
1994 zugestellt. Am 3. August 1994 hat der Kläger Klage erhoben und vorgetragen, sein
Verfolgungsschicksal gehe letztlich auf seinen Vater zurück, der bis 1979 General und
Oberkommandierender der Luftwaffe gewesen sei. Bei der Machtübernahme durch die
Kommunisten 1979 sei er suspendiert und unter Hausarrest gestellt worden; das
Eigentum sei eingezogen worden und die Familie sei verarmt. Nach der
Machtübernahme durch die Mujahedin Anfang der 90er-Jahre sei der Vater aus
politischen Gründen ins Gefängnis gebracht und ermordet worden. Auch seine Mutter
sei Repressalien ausgesetzt gewesen; man habe ihr die für eine Behandlung im
Ausland notwendige Ausreisegenehmigung verweigert, sodass sie 1993 an Krebs
gestorben sei. Er selbst sei zu Zeiten, als die Mujahedin an der Macht gewesen seien,
mit drei weiteren Soldaten unmittelbar persönlich dem damals führenden General Akky
zugeordnet gewesen. Er werde wegen des Putsches gesucht. Er werde als Mitarbeiter
des Generals als Kommunist verdächtigt. Wegen seiner Funktion als Leibwächter,
wegen seines seit 1981 in der Bundesrepublik lebenden asylberechtigten und
eingebürgerten Bruders und wegen seiner verfolgten Familie müsse er in Kabul um Leib
und Leben fürchten. Bei seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger
erklärt, er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil ihn die Taliban umbringen
würden. Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit werde er als Kommunist angesehen, im
Übrigen könne er die Interpretation des Islam durch die Taliban in keiner Weise
akzeptieren. Der Kläger hat beantragt, 1. den Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 1994
aufzuheben, 2. die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, 3.
die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass in seinem Falle die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, 4. die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Die Beklagte hat beantragt, die
Klage abzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte durch das angefochtene
Urteil, auf das Bezug genommen wird, unter teilweiser Aufhebung von Nummer 3 des
Bescheides des Bundesamtes verpflichtet festzustellen, dass im Falle des Klägers ein
Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegt. Im Übrigen hat es die
Klage abgewiesen. Gegen die Verpflichtung zur Feststellung eines
Abschiebungshindernisses richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 17. November
2000 zugelassene Berufung des Beteiligten. Der Beteiligte beantragt, das angefochtene
Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt sinngemäß, die
Berufung zurückzuweisen. Er nimmt zur Begründung Bezug auf seine Ausführungen im
Berufungszulassungsverfahren und teilt im Schriftsatz vom 6. Mai 2003 mit, dass er
mittlerweile einen befristeten Aufenthaltstitel erhalten habe. Die Beklagte stellt keinen
Antrag. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes
sowie auf die mit Verfügung vom 9. April 2003 übersandten Erkenntnisse zur Situation
in Afghanistan Bezug genommen. II. Der Senat entscheidet über die Berufung nach
Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a VwGO durch Beschluss. Er hält die Berufung
einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die
Klage hat auch hinsichtlich des - allein den Gegenstand des Berufungsverfahrens
bildenden - Begehrens keinen Erfolg, ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz
1 AuslG festzustellen. Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines
Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer
eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist
dabei, ob die Gefahr von einem Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist oder auf
anderen Ursachen beruht. Entscheidend ist allein, ob für den Ausländer unter
Berücksichtigung auch des im Asylverfahren erfolglos vorgetragenen Sachverhaltes
eine konkrete, individuelle Gefahr für die in der Vorschrift genannten Rechtsgüter
besteht; die Gefahr muss dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit
drohen. Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 1996 - 9 C 116.95 -, Buchholz 402.240 § 53
AuslG 1990 Nr. 3; Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, Buchholz 402.240 § 53
AuslG 1990 Nr. 1. Allerdings erfasst § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nur einzelfallbezogene,
individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Gefahren, denen die Bevölkerung oder
Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei
Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt (§ 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Eine
solchermaßen allgemeine Gefahr unterfällt § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG grundsätzlich
selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar bedroht; bei
einer allgemeinen Gefahr entfaltet § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG eine "Sperrwirkung" des
Inhalts, dass über die Gewährung von Abschiebungsschutz im Wege politischer
Leitentscheidung befunden werden soll. Mit Blick auf Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG
ist der Rückgriff auf § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG jedoch bei einer allgemeinen Gefahr dann
nicht gesperrt, wenn die Situation im Zielstaat der Abschiebung so extrem ist, dass die
Abschiebung den Einzelnen "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder
schwersten Verletzungen ausliefern würde" - vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 1996 - 9
C 116.95 -, a.a.O. -, und gleichwertiger Schutz vor Abschiebung nicht anderweitig durch
eine erfolgte Einzelfallregelung oder durch einen Erlass vermittelt wird - vgl. BVerwG,
Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 2.01 -, NVwZ 2001, 1420 -. Dem Kläger steht
Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht zu, weil keine der dort
erfassten Gefahrenlagen festzustellen ist und eine den Wortlaut der Norm
überschreitende Anwendung, die im Einzelfall aus verfassungsrechtlichen Gründen zu
erwägen ist, wegen Fehlens einer hierfür vorauszusetzenden extremen Gefahrenlage
ausscheidet. Dabei mag zu Letzterem dahinstehen, ob dem Begehren insoweit schon
deswegen der Erfolg zu versagen wäre, weil dem Kläger aufgrund seines "befristeten
Aufenthaltstitels" im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (§ 77 Abs. 1
Satz 1, 2. Halbs. AsylVfG) ein gleichwertiger Schutz vor Abschiebung zusteht, wie ihn §
53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bietet. Es ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass dem Kläger aus
der Zeit seines Aufenthalts in Afghanistan, insbesondere wegen seiner Tätigkeit unter
dem seinerzeitigen kommunistischen Regime bei Rückkehr nach Afghanistan eine
individuelle, gerade in seinen persönlichen Eigenschaften und Verhältnissen angelegte
Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Spezielle, gerade und ausschließlich auf
seine Person bezogene Anknüpfungspunkte für Sanktionen oder Übergriffe hat der
Kläger nicht aufgezeigt. Der Kläger war nicht Mitglied in der kommunistischen Partei
Afghanistans (DVPA) und auch sonst nicht politisch aktiv. Dass er allein wegen seiner
Einbindung in die Leibwache eines am gescheiterten Putsch gegen Najibullah vom 6.
März 1990 (dazu AA Afghanistan vom 14.1.1991) beteiligt gewesenen Generals heute
noch einer Gefährdung ausgesetzt sein könnte, ist auszuschließen. Zunächst spricht
nichts dafür, dass er deswegen heute in den Verdacht einer kommunistischen
Überzeugung, die der Kläger nicht für sich in Anspruch nimmt, geraten könnte. Eine
vermutete Teilnahme am Putsch, der auch von Mujahedin-Führern unterstützt worden
sein soll, spräche sogar eher gegen als für eine regimetreue Einstellung.
Dementsprechend hat sich der Kläger nach dem Putschversuch und den sich daran
anschließenden kriegerischen Auseinandersetzungen des Regimes mit dem
Widerstand fast anderthalb Jahre lang in den von Mujahedin kontrollierten Gebieten
versteckt gehalten und ist dort unbehelligt geblieben. Daher ist auch fernliegend, dass
der Kläger wegen der seinerzeitigen Vorkommnisse oder gar wegen des unerlaubten
Entfernens von der regimetreuen Truppe, die von den - heute maßgeblich an der
Regierung beteiligten - Mujahedin bekämpft wurde, Bedrohungen oder Repressalien
ausgesetzt sein könnte. Davon abgesehen sind selbst Mitglieder und Funktionäre der
kommunistischen Partei von Verfolgungsmaßnahmen nur unter besonderen
Voraussetzungen bedroht (AA Lagebericht Afghanistan vom 2.12.2002 S. 11; Glatzer
vom 26.8.2002; Danesch vom 18.2.2003, vom 9.10.2002 und vom 5.8.2002), von denen
hier keine vorliegt. Besondere familiäre oder sonstige Beziehungen zu dem
seinerzeitigen kommunistischen Regime hatte der Kläger nicht. Ausweislich der
Darstellung im Klageverfahren ist der Vater des Klägers nach der Machtübernahme
durch die Kommunisten vielmehr entlassen worden und hat die Familie "vor den
Auswüchsen der staatlichen Gewalt in Angst und Schrecken" gelebt. Die mitgeteilten
Lebensverhältnisse der Familie unter dem kommunistischen Regime lassen nicht den
mindesten Anhaltspunkt für die Annahme erkennen, der Kläger sei aus Gründen der
Sippenhaft oder gar Blutrache gefährdet. Der Kläger hat insbesondere völlig im Dunkeln
gelassen, inwieweit seine Eltern nach dem Zusammenbruch des kommunistischen
Regimes gerade aus den behaupteten politischen Gründen Übergriffen ausgesetzt
gewesen sein könnten, diese also nicht - wie naheliegend - in den chaotischen
Verhältnissen jener Zeit und dem Fehlen jeglicher organisierter, umfassender und ein
prinzipielles Gewaltmonopol in Anspruch nehmender Herrschaftsgewalt ihre Ursache
gehabt haben. Schließlich sind Umstände, die dafür sprechen könnten, dass sich der
Kläger in seiner Funktion als Leibwächter etwas hätte zuschulden kommen lassen oder
in diesem Zusammenhang gegen ihn gar der Vorwurf von Menschenrechtsverletzungen
erhoben und deshalb Rache geübt werden könnte, weder behauptet noch ersichtlich.
Sonstige Gefahren für die Schutzgüter des § 53 Abs. 6 AuslG, die dem Kläger nach
Rückkehr drohen könnten, sind allgemeiner Art im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG.
Das gilt vor allem für die Gefahr, durch Mangel an Lebensmitteln, Wohnraum sowie
gesundheitlicher und sozialer Infrastruktur oder durch Überfälle bei unzureichendem
polizeilichen Schutz zu Schaden zu kommen. Umstände, die dafür sprechen könnten,
dass der Kläger aus individuellen Gründen in besonderem Maße von der
Mangelsituation oder von Übergriffen betroffen sein würde, sind nicht ersichtlich. Die
Gesamtschau aller nach den Umständen des Einzelfalles einzubeziehenden Gefahren
ergibt auch nicht, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Kabul, von wo er stammt und
das für eine Rückkehr in Betracht zu ziehen ist, einer extremen Gefahr für Leib und
Leben ausgesetzt sein wird, der aus verfassungsrechtlichen Gründen mit der
Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG zu begegnen wäre. Die
Lebensverhältnisse in Kabul vor der militärischen Ausschaltung des Taliban-Regimes
und vor Einsetzen der intensiven internationalen Hilfe zur politischen Stabilisierung
sowie zum wirtschaftlichen und sozialen Aufbau des Landes hat der Senat im Urteil vom
16. August 2001 - 20 A 3011/97.A -, auf das der Kläger mit der Anhörung zur
Entscheidung im Beschlusswege wegen des Standes der Rechtsprechung des Senats
hingewiesen worden ist, wie folgt bewertet: Von einer Hungersnot, der ein Rückkehrer
wie der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Opfer fiele, oder einer sonstigen
konkreten Gefährdung seiner Existenz ist für den Bereich Kabul, der für den Fall einer
Abschiebung allein in den Blick zu nehmen ist, nicht auszugehen. Die Lage in
Afghanistan ist wegen allgemeiner Armut - das Land gehört zu den ärmsten Ländern der
Welt -, des Fehlens von Erwerbsmöglichkeiten und unzureichender
Versorgungseinrichtungen zweifellos auch und gerade für Rückkehrer äußerst
schwierig. Die Bevölkerung lebt weitgehend am oder unter dem Existenzminimum; die
Infrastruktur des Landes ist kriegsbedingt weithin zerstört, landwirtschaftlich nutzbares
Gelände ist großflächig vermint; dazu leiden weite Teile Afghanistans derzeit unter der
schlimmsten Dürre seit Jahrzehnten, die zu Trinkwassermangel, dem Ausbrechen von
Krankheiten, Viehsterben sowie Missernten führt und mit deren vollen Auswirkungen
erst im laufenden Jahr gerechnet wird (vgl. zu alldem AA Lagebericht vom 9.5.2001;
UNHCR von 00.4.2001). Von den Taliban und ihren "Behörden" wird die Versorgung
der Bedürftigen nicht sichergestellt (UNHCR von 00.4.2001; AA an Hess.VGH vom
28.8.1998). Rückhalt bieten in erster Linie die Familien- und Stammesstrukturen, wobei
teilweise auch Unterstützung durch sich im Ausland aufhaltende Angehörige erfolgt
(Danesch an VGH Baden- Württemberg vom 13.3.1998). Ganz maßgeblich für die
Versorgungslage der Bevölkerung ist angesichts der mangelnden Leistungsfähigkeit
des Landes selbst und des fehlenden Engagements der Taliban freilich, dass sich
ausländische und afghanische Hilfsorganisationen namentlich im Machtbereich der
Taliban seit Jahren und intensiv um die Versorgung der Bevölkerung einschließlich
rückkehrender Flüchtlinge kümmern (AA Lageberichte vom 9.5.2001, 3.11.1998 und
16.6.1998; UNHCR von 00.4.2001; Danesch an OVG Koblenz vom 8.9.2000 und an
VGH Baden-Württemberg vom 13.3.1998). Der Einsatz der Hilfsorganisationen wird
zwar durch Konflikte mit den Taliban erschwert, soweit diese versuchen, ihre
Vorstellungen - etwa über die Rolle der Frau in der Öffentlichkeit - auch bei der
Abwicklung der Hilfsleistungen durchzusetzen, doch sind diese Hindernisse
überwindbar. So konnte der zeitweilige Rückzug der Hilfsorganisationen aus Kabul im
Sommer 1998, durch den die Versorgungslage dort massiv verschlechtert worden war
(AA an Hess.VGH vom 28.8.1998), nach einer Übereinkunft mit den Taliban beendet
werden; die Hilfsorganisationen haben ihre Arbeit in Kabul (FR vom 23. Dezember
1998, zitiert nach ai-Afghanistan/ Info/Pressespiegel vom Januar 1999), aber auch in
anderen Teilen des Landes wieder aufgenommen (zum erneuten Tätigwerden der
UN:NZZ vom 16.3.1999 und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz [IKRK]:
Deutsche Welle vom 21.6.1999, zitiert nach ai-Afghanistan/ Info/Pressespiegel Juli
1999). Obwohl Hilfsorganisationen ihre finanzielle Lage als angespannt bezeichnen
(AA an OVG Koblenz vom 16.11.2000) und die Resonanz auf Spendenaufrufe der UN
zur Unterstützung Afghanistans schwach ist (UNHCR von 00.4.2001), können etwa
durch das Welternährungsprogramm (WFP) noch 3,8 Millionen Menschen versorgt
werden, davon mehr als 400.000 in Kabul und Mazar-i-Sharif (International Herald
Tribune vom 20.6.2001). Dass aufgrund der jüngsten Missernte eine zunehmende Zahl
von Afghanen auf internationale Hilfe angewiesen sein wird, wird auch von neben den
UN tätigen Organisationen eingestellt. So erhöht insbesondere das IKRK die Mittel für
die Hilfe zugunsten der afghanischen Bevölkerung wegen der akuten Dürre für das
laufende Jahr von 50 auf 60 Millionen Franken, um damit in den nächsten Monaten
zusätzlich 600.000 weitere Personen zu unterstützen (NZZ vom 7.6.2001). Nach alldem
kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass in ihr Heimatland
zurückkehrende Afghanen dort - im Sinne der oben aufgezeigten Voraussetzungen im
Rahmen der verfassungskonformen Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG - dem
Hungertod ausgeliefert wären. Dass eine solche Gefahr nur durch ausländische Hilfe
abgewandt werden kann, ist jedenfalls solange unerheblich, wie - was für Afghanistan
festzustellen ist - das Land im Blickfeld der Weltöffentlichkeit steht. Die Frage zu
beantworten, ob die notwendige Abhilfe durch einen Verbleib in Deutschland
sachgerechter bewerkstelligt werden kann, gehört zu den bei der Entscheidung nach §
53 Abs. 6 Satz 2, § 54 AuslG einzustellenden Aspekten. Seitdem hat sich die Lage in
Afghanistan, jedenfalls aber in Kabul, trotz fortbestehender beträchtlicher
Schwierigkeiten für die Bevölkerung deutlich verbessert. Die Regierung Karsai begrüßt
die internationale humanitäre Hilfe als Voraussetzung und Unterstützung der von ihr
verfolgten Aufbauziele. Die Einsatzfähigkeit der Hilfsorganisationen ist nicht gefährdet
durch militärische Auseinandersetzungen, terroristische Anschläge oder kriminelle
Übergriffe. Im Gegenteil ist die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch insoweit in
Kabul im Allgemeinen, wenn auch wegen der Stationierung der auswärtigen Truppen
der ISAF, in einer Weise gegeben, die die Annahme extremer Gefahren nach wie vor
nicht rechtfertigt (AA Lagebericht vom 2.12.2002; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom
6.12.2002; European Commission vom September/Oktober 2002 S. 27 f.). Anzeichen
dafür, dass die ISAF in näherer Zukunft abgezogen werden könnte, bevor die erst am
Anfang stehende Aufstellung handlungsfähiger nationaler Sicherheitskräfte und die
Entwicklung wirksamer ziviler Strukturen einen zur Vermeidung des vollständigen
Scheiterns der derzeitigen Stabilisierungsbemühungen erforderlichen Mindeststandard
erreicht haben wird, gibt es nicht. Die finanzielle Ausstattung der Hilfsorganisationen ist,
gemessen am überaus großen Bedarf, knapp, sodass für die von humanitärer Hilfe
abhängigen Teile der Bevölkerung lediglich eine Grundversorgung auf niedrigem
Niveau erbracht wird. Jedoch ist selbst in abgelegenen ländlichen Bereichen ein
Zusammenbruch der Hilfeleistungen mit der Folge einer gravierenden Unterversorgung
und einer verbreiteten Hungersnot ausgeblieben (UNHCR an VG Schleswig vom
15.7.2002; Danesch an VG Schleswig vom 5.8.2002). Dies fällt umso mehr ins Gewicht,
als die Zahl der aus dem Ausland nach Afghanistan zurückkehrenden Flüchtlinge die
Erwartungen und Vorbereitungen vor allem auch des UNHCR, der die Rückkehrer
unterstützend begleitet, bei weitem übertroffen hat. Nach Schätzungen sollen im Jahr
2002 weit mehr als 1,5 Mio. Menschen insbesondere aus Pakistan und Iran nach
Afghanistan zurückgekehrt sein, von denen sich mehrere hunderttausend nach Kabul
begeben haben und dort auf Hilfe angewiesen sind (AA Lagebericht vom 2.12.2002).
Für 2003 wird mit der freiwilligen Rückkehr von weiteren mehreren hunderttausend
Afghanen gerechnet. Von akuter Nahrungsmittelknappheit für die Rückkehrer, die die
vorhandenen Ressourcen der humanitären und sozialen Infrastruktur zusätzlich stark
beanspruchen, wird nicht berichtet; auch das Auftreten von Mangelernährung wird für
Kabul - anders als für einige ländliche Gebiete - nicht bestätigt (AA Lagebericht vom
2.12.2002 und Ad-hoc-Bericht vom 4.6.2002; Glatzer an VG Hamburg vom 22.8.2002).
Eine in größerem Umfang stattfindende Umkehrung der Flüchtlingsbewegungen, die
sich in der Vergangenheit bei krisenhaften Zuspitzungen in Afghanistan mit dem
Auftreten großer Flüchtlingsströme vor allem nach Pakistan und Iran ereignet haben und
die auf ein mit dem Fehlen des für ein Überleben Notwendigsten einhergehendes
breites Scheitern der Rückkehrwilligen schließen lassen könnten, sind nicht bekannt
geworden (AA Lagebericht vom 2.12.2002). Die Unterbringungsmöglichkeiten in Kabul
sind für Rückkehrer wegen der Unbewohnbarkeit vieler Häuser, dem massenhaften
Zuzug von Menschen und der Nachfrage durch die Vielzahl der finanziell bei weiterem
leistungsfähigeren Hilfsorganisationen und deren Mitarbeiter stark eingeschränkt
(Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 6.12.2002; Glatzer an VG Schleswig vom
26.8.2002). Indessen bereitete der UNHCR zur Vermeidung von Obdachlosigkeit mit
existenzgefährdenden Auswirkungen bereits 2002 die Errichtung von Notunterkünften
vor (AA Ad-hoc-Bericht vom 4.6.2002); auch ist nicht berichtet worden, dass der Mangel
an angemessenen Unterkünften in Kabul zu lebensbedrohlichen Zuständen für größere
Teile der Bevölkerung geführt hat. Es ist daher nicht festzustellen, dass wegen des
Fehlens auch nur notdürftigen Wohnraums eine Vielzahl von Menschen in Kabul
schutzlos der Witterung ausgesetzt wäre und deshalb Gefahren für Leib und Leben zu
gewärtigen hätte. Anders lautende obergerichtliche Einschätzungen der aktuellen
Verhältnisse sind nicht bekannt geworden. Sonstige Umstände, die bei einer
Gesamtwürdigung aller Risikomomente für eine zugespitzte - extreme -
Gefährdungslage des Klägers sprechen könnten, sind nicht geltend gemacht und auch
nicht ersichtlich. Gegen die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung hat
der Kläger nichts eingewandt und sind auch keine Bedenken zu erheben. Die
Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen,
weil die Voraussetzungen nach §§ 132 Abs. 2, 137 Abs. 1 VwGO nicht gegeben sind,
§§ 130a Satz 2, 125 Abs. 2 Satz 4 VwGO.