Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 10.01.2011

OVG NRW (steuer, berechnung der steuer, vergnügungssteuer, satzung, richtlinie, zweifel, steuerfestsetzung, teilnichtigkeit, charakter, nichtigkeit)

Oberverwaltungsgericht NRW, 14 A 2456/10
Datum:
10.01.2011
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 A 2456/10
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 6.754,61 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten
Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht
vorliegen oder bereits nicht hinreichend dargelegt im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4
VwGO sind.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) bestehen aus den in der Antragsbegründung aufgeführten Gründen nicht.
Kein tragender Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des
angegriffenen Urteils ist mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden.
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Die hier erhobene Spielgerätesteuer ist eine den Gemeinden nach § 3 des
Kommunalabgabengesetzes (KAG) zugewiesene örtliche Aufwandsteuer im Sinne des
Art. 105 Abs. 2a des Grundgesetzes (GG). Das in dieser Vorschrift enthaltene Verbot der
Gleichartigkeit der Steuern erstreckt sich nicht auf die herkömmlichen Verbrauch- und
Aufwandsteuern, zu denen die Vergnügungssteuer zählt. Ob die Steuer im Einzelnen
verfassungsgemäß ausgestaltet ist, ist keine Frage der Gesetzgebungskompetenz und
lässt den Typus der Abgabe und damit ihren Charakter als Aufwandsteuer unberührt.
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Vgl. zur kompetenzrechtlichen Einordnung der Spielgerätesteuer im
Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 23. Juni 2010 - 14 A 597/09 -, NRWE Rn.
47 ff.
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Insbesondere kommt es nicht, wie die Klägerin meint, darauf an, ob es sich bei der
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Steuer nur um Bagatellbeträge handelt.
Der hier in Rede stehende Besteuerungsmaßstab ist zulässig. In verfassungsrechtlicher
Hinsicht ist der Satzungsgeber nicht gehalten, die zweckmäßigste, vernünftigste oder
gerechteste Lösung zu wählen. Ihm steht vielmehr ein weiter Gestaltungsspielraum zu,
der erst dann überschritten wird, wenn ein einleuchtender Grund für eine
Ungleichbehandlung fehlt und die Steuererhebung daher willkürlich wäre. Der
verwendete Steuermaßstab muss in einem zumindest lockeren Bezug zu dem letztlich
zu besteuernden Vergnügungsaufwand der Spieler stehen. Das ist bei dem hier in Rede
stehenden Besteuerungsmaßstab der Fall. Er lässt einen hinreichend zuverlässigen
Schluss auf den individuellen wirklichen Vergnügungsaufwand als den
sachgerechtesten Maßstab zu.
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Vgl. dazu im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 23. Juni 2010 - 14 A 597/09 -,
NRWE Rn. 68 ff.
8
Die nach der Vergnügungssteuersatzung vorgenommene Besteuerung der
Geldspielgeräte ist nicht deshalb verfassungsrechtlich bedenklich, weil bei der
Berechnung der Vergnügungssteuer von der Besteuerungsgrundlage die Steuer nicht
abgezogen wird. Hierbei handelt es sich um eine Frage der Berechnung der Steuer. Ein
verfassungsrechtlicher Grundsatz, dass eine Steuer gesondert nur nach dem
Nettobetrag erhoben werden kann, besteht nicht.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Juni 2010 - 14 A 597/09 -, NRWE Rn. 94 ff.
m.w.N.
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Die hier erhobene Steuer ist kalkulierbar. Die Abwälzbarkeit erfordert die Möglichkeit,
dass der Unternehmer die abzuführende Steuer anhand langfristiger Erfahrungs- und
Durchschnittswerte verlässlich kalkulieren kann, um danach die zur Aufrechterhaltung
der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens erforderlichen Maßnahmen treffen zu können.
Nach diesen Grundsätzen steht die Abhängigkeit der Steuer vom zufälligen
Spielerverhalten der Kalkulierbarkeit nicht entgegen. Zufällig ist nämlich nur das
einzelne Spiel, nicht aber das Verhalten des Gerätes dahin, welcher Prozentsatz des
Einsatzes durchschnittlich als Gewinn ausgekehrt wird und damit umgekehrt als
Einspielergebnis in der Kasse verbleibt. Schon die Vorgaben der Spielverordnung zu
Einsatz und Gewinn schließen eine so verstandene Zufälligkeit aus.
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Vgl. im Einzelnen zur Kalkulierbarkeit der Steuer OVG NRW, Urteil vom 23.
Juni 2010 - 14 A 597/09 -, NRWE Rn. 131 ff.
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Ernstliche Zweifel werden nicht mit dem Einwand begründet, dass § 13 Abs. 3 Satz 4
der Vergnügungssteuersatzung vom 29. September 2006 (VStS) mit seiner Regelung
über die Rechtsfolge der Steueranmeldung unwirksam sei und deshalb keine
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Steuerbescheid vorliege. Allerdings trifft die
Auffassung zu, dass die genannte Norm unwirksam ist. Diese regelt, dass die
unbeanstandete Entgegennahme der Steueranmeldung als Steuerfestsetzung gilt.
Diese Regelung widerspricht § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG i.V.m. § 168 Satz 1 der
Abgabenordnung (AO).
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. Dezember 2009 14 A 680/07 -, NRWE Rn.
31.
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Damit werden jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen
Urteils geweckt. Die Nichtigkeit beschränkt sich nämlich auf diese Vorschrift, während
der übrige Satzungsteil weiter gültig ist. Die auf die genannte Norm beschränkte
Teilnichtigkeit führt dazu, dass diese nur entscheidungserheblich ist, wenn eine
Steueranmeldung angefochten wird, der die nichtige Norm unbestimmt und fehlerhaft
die Rechtsqualität einer vorbehaltlosen Steuerfestsetzung beimisst. Demgegenüber ist
die Teilnichtigkeit entscheidungsunerheblich für erlassene Steuerbescheide, mit denen
die Steuer festgesetzt wird, sei es nach erfolgter, sei es nach nicht erfolgter
Steueranmeldung.
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Vgl. im Einzelnen OVG NRW, Beschluss vom 23. September 2010 - 14a A
1400/10 -, NRWE Rn. 4 ff.
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Hier ist allein der ergangene Steuerbescheid angefochten worden. Daher kommt es
auch nicht darauf an, ob die Satzung für als Steuerfestsetzungen geltende
Steueranmeldungen eine Fälligkeitsregelung trifft. Im Übrigen ist dies der Fall, da nach
§ 13 Abs. 3 Satz 2 VStS in solchen Fällen die Steuer bis zum 15. Tage nach Ablauf
eines Kalendervierteljahres zu entrichten ist. Sie ist damit ab diesem Zeitpunkt fällig.
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Ernstliche Zweifel werden nicht begründet, weil die Satzung die Vorlage von
Zählwerkausdrucken vorschreibt. Ob diese Vorschrift wirksam ist, kann hier
dahinstehen, jedenfalls würde die Nichtigkeit nicht zur Gesamtnichtigkeit der Satzung
führen. Die Frage, ob eine Teil- oder Gesamtnichtigkeit der Satzung vorliegt, bemisst
sich unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 139 des Bürgerlichen
Gesetzbuches danach, ob - erstens - die Beschränkung der Nichtigkeit eine mit
höherrangigem Recht vereinbare sinnvolle (Rest-)Regelung des Lebenssachverhalts
belässt und ob zweitens - hinreichend sicher ein entsprechender hypothetischer Wille
des Normgebers angenommen werden kann. Diese Prüfung ist anhand einer
Auslegung der Satzung vorzunehmen.
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Vgl. im Einzelnen OVG NRW, Beschluss vom 23. September 2010 - 14a A
1400/10 -, NRWE Rn. 7 ff.
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Die Prüfung würde hier zur bloßen Teilnichtigkeit der Satzung führen. Die alleinige
Unwirksamkeit der Vorlagevorschrift belässt es bei einer sinnvollen Restregelung des
Verfahrens der Erhebung der Spielgerätesteuer. Dies entspricht auch dem
hypothetischen Willen des Satzungsgebers, wenn ihm höherrangiges Recht die
Statuierung der bemängelten Vorlagepflicht verbieten sollte.
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Es besteht kein Widerspruch zwischen der Regelung, wonach die Steuer einerseits die
näher bestimmte Höhe je angefangenem Kalendermonat beträgt, und andererseits der
Regelung, dass die Steuer nur vierteljährlich anzumelden ist. Damit werden lediglich
unterschiedliche Regelungen getroffen für den Besteuerungszeitraum einerseits, d. h.
den Zeitraum, für den die Steuer aufgrund der Erfüllung des Steuertatbestands kraft
Gesetzes entsteht (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG i.V.m. § 38 AO), und für den
Veranlagungszeitraum andererseits, d. h. den Zeitraum, auf den sich die
Steuerfestsetzung bezieht.
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Es ist unbedenklich, dass im Gegensatz zu Spielgeräteaufstellern Spielbanken keine
Vergnügungssteuer entrichten müssen. Die Fallgruppen des Benutzens von
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Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit einerseits außerhalb von und andererseits in
Spielbanken sind nicht wesentlich gleich, so dass sie wegen des darin liegenden
sachlichen Grundes vergnügungssteuerrechtlich unterschiedlich behandelt werden
dürfen. Das Benutzen solcher Geräte unterliegt nämlich nach dem Aufstellungsort
deutlich unterschiedlichen Anforderungen. Die hier besteuerten Spielgeräte unterliegen
in ihrer technischen Zulassung bestimmten Einschränkungen, die die Gefahr
unangemessen hoher Verluste in kurzer Zeit ausschließen sollen (vgl. § 33e der
Gewerbeordnung GewO -), während die Spielgeräte in einer Spielbank nicht den
Einschränkungen der Gewerbeordnung unterliegen (§ 33h Nr. 1 GewO). Dem Umstand,
dass möglicherweise in Spielbanken Geldspielgeräte aufgestellt sind, die mit denen in
Spielhallen oder an sonstigen Orten aufgestellten Geräten identisch sind, kommt keine
rechtserhebliche Bedeutung zu. Maßgeblich ist, dass das Angebot zum
Spielgerätegewinnspiel jeweils wesentlich unterschiedlichen Regimetypen zuzuordnen
ist, die zur wesentlichen Ungleichheit dieser Fallgruppen führen.
Soweit der Europäische Gerichtshof eine Gleichbehandlung von Spielhallen und
Spielbanken bei der Erhebung der Umsatzsteuer fordert, kann daraus kein
Gleichheitsverstoß abgeleitet werden. Die Auffassung des Europäischen Gerichtshofes
ergibt sich nämlich aus dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität, auf dem das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht. Für die gewerberechtlich mit Rücksicht auf
die von den jeweiligen Vergnügen ausgehenden Gefahren unterschiedlichen
Regimetypen zugeordneten Spielgeräte innerhalb und außerhalb von Spielbanken gibt
es keinen Grundsatz vergnügungssteuerlicher Neutralität.
23
Vgl. dazu im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 23. Juni 2010 - 14 A 597/09 -,
NRWE Rn. 53 ff.
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Die hier erhobene Spielgerätesteuer hat weder den Charakter von Umsatzsteuern noch
ist sie eine umsatzbezogene Steuer auf Dienstleistungen, so dass sie weder gegen Art.
401 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2006/112/EG bzw. die vorhergehende
Regelung des Art. 33 der 6. Umsatzsteuerrichtlinie 77/388/EWG noch gegen Art. 3 Abs.
3 der Verbrauchsteuerrichtlinie 92/12/EWG bzw. heute Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie
2008/118/EG verstößt.
25
Die Spielgerätesteuer hat nicht den Charakter von Umsatzsteuern im Sinne des Art. 401
der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, denn sie erfüllt die erforderlichen Merkmale der
Umsatzsteuer nicht: Sie muss ganz allgemein für alle sich auf Gegenstände und
Dienstleistungen beziehenden Geschäfte gelten, sie muss, unabhängig von der Anzahl
der getätigten Geschäfte, proportional zum Preis dieser Gegenstände und
Dienstleistungen sein, sie muss auf jeder Stufe der Erzeugung und des Vertriebes
erhoben werden, und sie muss sich schließlich auf den Mehrwert der Gegenstände und
Dienstleistungen beziehen, d.h., die bei einem Geschäft fällige Steuer wird unter Abzug
der Steuer berechnet, die bei dem vorhergehenden Geschäft schon entrichtet worden
ist.
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Diese Merkmale liegen fast alle nicht vor: Die Vergnügungssteuer wird nicht allgemein,
sondern nur für Spielgeräte und sonstige Vergnügungen, örtlich unterschiedlich und
nicht flächendeckend im gesamten Bundesgebiet erhoben. Die Vergnügungssteuer wird
ferner nicht auf jeder Stufe der Erzeugung und des Vertriebes erhoben. Besteuert wird
vielmehr nur der Aufwand für die Benutzung durch den jeweiligen Spieler. Zudem
bezieht sich die hier in Rede stehende Steuer nicht auf den Mehrwert der Gegenstände
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und Dienstleistungen. Die Steuer wird nicht nur zufällig, sondern von ihrem Konzept her
nur einmal erhoben. Sie ist strukturell nicht auf einen Vorsteuerabzug angelegt.
Die hier erhobene Spielgerätesteuer ist auch keine nach Art. 3 Abs. 3 der
Verbrauchsteuerrichtlinie unzulässige umsatzbezogene Steuer auf Dienstleistungen.
Die Richtlinie 92/12/EWG ist schon vom Ansatz her nicht einschlägig. Ihr
Regelungsgegenstand ist nämlich die Erhebung von Verbrauchsteuern und anderen
indirekten Steuern, die auf den Verbrauch von Waren erhoben werden (Art. 1 Abs. 1 der
Richtlinie; ähnlich heute Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/118/EG). Es handelt sich
also nicht etwa um eine Richtlinie, die allgemein die Besteuerung von Dienstleistungen
betrifft. Eine Rechtfertigung, Dienstleistungen in die Regelung einzubeziehen, liegt nur
dann vor, wenn sie im Zusammenhang mit - verbrauchsteuerpflichtigen oder nicht
verbrauchsteuerpflichtigen - Waren erbracht werden. Selbst wenn man in diesem
Zusammenhang für die Vergnügungssteuer an das Halten von Spielgeräten anknüpfen
wollte, steht diese Dienstleistung in keinem Zusammenhang mit dem Verbrauch von
Waren.
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Unabhängig davon handelt es sich bei der Vergnügungssteuer in Gestalt der
Spielautomatensteuer aber noch nicht einmal um eine Steuer auf Dienstleistungen.
Steuergegenstand ist keine Dienstleistung, die der Halter der Spielautomaten
gegenüber den Spielern erbringt, sondern der Vergnügungsaufwand des einzelnen
Spielers.
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Vgl. zur Vereinbarkeit der Spielgerätesteuer mit Europarecht im Einzelnen
OVG NRW, Urteil vom 23. Juni 2010 - 14 A 597/09 -, NRWE Rn. 31 ff.
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Da diese Fragen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt sind
oder zweifelsfrei bejaht werden können, bedarf es einer Vorlage an den Europäischen
Gerichtshof nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
nicht. Es besteht daher - auch unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters nach
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) - keine Veranlassung zur Vorlage an
den Europäischen Gerichtshof.
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Der Rechtssache kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2
Nr. 3 VwGO) nicht zu. Die insoweit aufgeworfene Frage nach der europarechtlichen
Zulässigkeit der Vergnügungssteuer ist nicht klärungsbedürftig, da sie geklärt ist, wie
sich aus den obigen Ausführungen ergibt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§
47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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