Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.09.2010

OVG NRW (genehmigung, verwaltungsgericht, zweifel, begründung, annahme, zulassung, anwendbarkeit, richtigkeit, versorgung, bevölkerung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 3070/08
Datum:
22.09.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 3070/08
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 29. Oktober 2008 wird zu-
rückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 120.000 EUR
festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
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Die geltend gemachten Zulassungsgründe, die gemäß 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO nur im
Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines klageabweisenden Urteils im
Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung der
begehrten Genehmigung, weil mit Blick auf die vom Beklagten angestellte, nicht zu
beanstandende Prognose zu erwarten sei, dass durch den Gebrauch der Genehmigung
das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst beeinträchtigt
werde. Die Klägerin könne auch nichts daraus herleiten, dass die Hilfsfrist von acht
Minuten nicht wie vorgesehen zu 90 %, sondern nur zu 86 % eingehalten werde. Die
Bereitschaft des Beklagten zur Herstellung eines funktionsfähigen Rettungsdiensts sei
angesichts der bereits teilweise umgesetzten Neustrukturierung der Rettungswachen im
Stadtgebiet E. und seines Bestrebens, die Hilfsfrist durch Maßnahmen wie die
Inbetriebnahme und Errichtung von weiteren Rettungswachen zu optimieren,
offensichtlich gegeben.
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Die dagegen erhobenen Einwände zeigen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der
angefochtenen Entscheidung nicht auf.
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Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer
Genehmigung nach § 18 RettG NRW zu Recht mit der Begründung verneint, diesem
stehe § 19 Abs. 4 RettG NRW entgegen. Nach § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW ist die
Genehmigung zu versagen, wenn zu erwarten ist, dass durch ihren Gebrauch das
öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst i. S. v. § 6 RettG NRW
beeinträchtigt wird. Der Senat hat in seiner Entscheidung
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vgl. Urteil vom 10. Juni 2008 13 A 1779/06 -,
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juris - , nachgehend BVerwG, Beschluss vom
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7. Oktober 2008 – 3 B 99.08 -, juris, -
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in Fortführung seiner Rechtsprechung
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vgl. Urteil vom 7. März 2007 – 13 A 3700/04 -,
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juris, Beteiligte waren die Firma ACCON Köln
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und der Beklagte -
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ausgeführt: Die Anwendbarkeit des § 19 Abs. 4 RettG NRW setze nicht das Vorliegen
eines funktionsfähigen öffentlichen Rettungsdienstes voraus. Eine Beeinträchtigung des
öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen Rettungsdienst sei bei konkret zu
erwartenden ernstlichen und schwerwiegenden Nachteilen, also bei Überschreiten
einer "Verträglichkeitsgrenze" anzunehmen. Die Annahme ernstlicher und
schwerwiegender Nachteile sei allerdings nicht schon dann gerechtfertigt, wenn im
öffentlichen Rettungsdienst entsprechend der Verpflichtung des § 6 RettG NRW eine
bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen im
Rettungsdienst und Krankentransport sichergestellt sei und die Zulassung privater
Unternehmer zur weiteren bedarfsgerechten und flächendeckenden Versorgung der
Bevölkerung mit Leistungen des Rettungsdienstes daher nicht erforderlich sei. Die
Entscheidung nach § 19 Abs. 4 RettG NRW sei eine prognostische Entscheidung, bei
der der Genehmigungsbehörde ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer
Prognosespielraum eingeräumt sei. Die eine Genehmigung versagende Entscheidung
sei daher nur darauf zu überprüfen, ob die Behörde den maßgebenden Sachverhalt
vollständig ermittelt, die maßgeblichen Gesichtspunkte erkannt und den möglichen
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Verlauf der Entwicklung vertretbar, d.h. nicht offensichtlich fehlerhaft, eingeschätzt habe.
An diesen Maßstäben hat sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung
orientiert und ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin habe keinen
Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung zur Notfallrettung und zum Krankentransport
mit jeweils vier Fahrzeugen.
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Die Klägerin kann nicht mit Erfolg einwenden, es bestünden ernstliche Zweifel an der
Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung, weil das Verwaltungsgericht den Vortrag
des Beklagten, die Erteilung der beantragten Genehmigung führte bei der Stadt zu
verminderten Einsatzzahlen einer geringeren Auslastung und zu höheren Kosten, für
das Eingreifen der Funktionsschutzklausel habe ausreichen lassen; schließlich könne
bei einem solchen Verständnis die Funktionsschutzklausel jedem Genehmigungsantrag
entgegengehalten werden. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass es sich bei den vom Beklagten dargelegten Gründen um nach § 19 Abs. 4 Satz 2
und 3 RettG NRW ausdrücklich berücksichtigungsfähige Gesichtspunkte handele und
nicht ersichtlich sei, dass der Beklagte den möglichen Verlauf der Entwicklung
offensichtlich fehlerhaft eingeschätzt habe. Entsprechende Erwägungen waren bereits
worauf das Verwaltungsgericht ebenfalls hingewiesen hat Gegenstand der zitierten
Entscheidung des Senats vom 7. März 2007 13 A 3700/04 -, auf deren
Entscheidungsgründe der Senat Bezug nimmt; in dieser Entscheidung ging es nämlich
um die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Genehmigung für vier
Krankentransportwagen an die Firma B. L. , deren Inhaber und Gründer
personenidentisch mit dem Geschäftsführer der Klägerin ist,
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s. hierzu den Internetauftritt der B. L. unter www.b. -l. .de.
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Die Klägerin hat auch keine ernstlichen Zweifel aufgezeigt, soweit sie meint, das Gericht
habe zu Unrecht angenommen, ein Genehmigungsanspruch sei nicht daraus
herzuleiten, dass die Hilfsfrist nicht eingehalten werde. Denn selbst wenn sich aus der
Nichteinhaltung der Hilfsfrist ergäbe, dass ein funktionsfähiger Rettungsdienst (noch)
nicht vorläge, wäre § 19 Abs. 4 RettG NRW nach der zitierten Rechtsprechung des
Senats gleichwohl anwendbar. Ein Ausnahmefall, in dem keine Bereitschaft des
Trägers besteht, einen funktionsfähigen Rettungsdienst herzustellen, ist mit Blick auf die
Investitionen des Beklagten in die Errichtung und Neustrukturierung von
Rettungswachen ersichtlich nicht gegeben. Ein etwaiges Defizit bei der Hilfsfrist dürfte
zudem durch die im Juli 2010 in Betrieb genommene Rettungswache Nord mit u. a. zwei
Rettungswagen und einem Notarzteinsatzfahrzeug
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- vgl. Feuerwehr E. – Feuer- und Rettungswache Nord, www.U.
.org -
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ausgeräumt oder jedenfalls weiter verringert worden sein.
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Das Verwaltungsgericht hat im Übrigen zutreffend festgestellt, dass sich aus dem
Vorbringen der Klägerin Anhaltspunkte für eine anderslautende, von dem Urteil vom 7.
März 2007 – 13 A 3700/04 – abweichende Entscheidung nicht entnehmen lassen,
sondern es vielmehr auf der Hand liege, dass die schon bei einer Genehmigung für vier
Krankentransportwagen vertretbare Annahme, die Verträglichkeitsgrenze werde
überschritten, erst recht für die von der Klägerin nunmehr angestrebte Genehmigung für
die doppelte Anzahl von Fahrzeugen gelte.
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Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf den Zulassungsgrund nach § 124 Abs.
2 Nr. 2 VwGO berufen. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich nicht daraus, dass der
Senat bis zu seiner Entscheidung vom 7. März 2007 – 13 A 3700/04 – für die Frage des
Eingreifens der Funktionsschutzklausel auf die Einhaltung der Hilfsfrist abgestellt hatte
und dieses Kriterium für die Frage der Anwendbarkeit dieser Klausel nunmehr nicht
mehr für maßgeblich hält. Einer (nochmaligen) Klärung dieser Frage in einem
Berufungsverfahren bedarf es nicht. Der Senat hat in dieser Entscheidung ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass er insoweit nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung
festhalte und die Vorschrift des § 19 Abs. 4 RettG NRW nunmehr dahingehend auslege,
für deren Anwendbarkeit sei nicht vorab zu prüfen, ob überhaupt ein funktionsfähiger
Rettungsdienst vorliege, also ob und in welchem Maße Eintreffzeiten in der
Notfallrettung verfehlt oder eingehalten würden.
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Auch mit der Frage, ob bei Stellung eines Antrags auf Erteilung einer Genehmigung für
den Krankentransport auf den Bereich der Notfallrettung und umgekehrt abgestellt
werden dürfe, hat die Klägerin besondere Schwierigkeiten der Rechtssache nicht
dargetan. In der Entscheidung vom 10. Juni 2008 13 A 1779/06 hat der Senat diese
Frage dahingehend beantwortet, dass bei der Erteilung einer Genehmigung für den
Krankentransportwagen auch Auswirkungen auf den Bereich der Notfallrettung in den
Blick zu nehmen seien und dies umgekehrt ebenfalls gelte, und zur Begründung
ausführt, die Aufgaben des Rettungsdienstes und Krankentransports bildeten nach § 6
Abs. 1 Satz 2 RettGNRW rechtlich eine medizinisch-organisatorische Einheit und
zudem bestünden vielfach faktische Abhängigkeiten (Querfinanzierungen, Nutzung von
Rationalisierungseffekten). Im Falle der Beantragung einer Genehmigung für die
Notfallrettung ergibt sich für die Verträglichkeitsprüfung die Notwendigkeit,
Auswirkungen einer solchen Genehmigung auf den Bereich des Krankentransports zu
berücksichtigen, im Übrigen bereits daraus, dass nach § 22 Abs. 1 Satz 2 RettG NRW
die Genehmigung für die Notfallrettung auch die Durchführung von Krankentransporten
umfasst.
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Die Beantwortung der Frage, wo die Verträglichkeitsgrenze zu ziehen sei, verursacht
ebenfalls keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten, weil auch diese Frage durch
die Rechtsprechung des Senats geklärt ist. Denn wo diese Grenze zu ziehen ist,
beurteilt sich nach der bereits zitierten Entscheidung vom 10. Juni 2008 13 A 1779/06 -
allein nach den Umständen des Einzelfalls, die hier – wie vom Verwaltungsgericht
zutreffend ausgeführt – die Annahme begründen, im Falle der Erteilung der
Genehmigung an die Klägerin seien ernstliche und schwerwiegende
Beeinträchtigungen des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen
Rettungsdienst zu erwarten, die Grenze der Verträglichkeit sei also überschritten.
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Erhebliche rechtliche Schwierigkeiten ergeben sich entgegen der Auffassung nicht im
Hinblick auf den Sicherstellungsauftrag und die Frage, ob und in welchem Maße
(Vorhalte)Kapazitäten abgebaut werden dürften, wenn einem privaten Unternehmer
Genehmigungen erteilt würden. Denn auch diese Frage ist durch die Rechtsprechung
des Senats geklärt. Danach kommt ein Abbau von (Vorhalte-)Kapazitäten in einem
solchen Fall grundsätzlich nicht in Betracht. Der Sicherstellungsauftrag des § 6 RettG
NRW greift nämlich auch dann, wenn sich Private auf dem Markt befinden, die mit
Genehmigungen nach den §§ 18 f. RettG NRW ausgestattet sind.
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Vgl. Urteil vom 16. September 2008 13 A 1557/06 -, juris nachgehend
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BVerwG, Beschluss vom 6. März 2009 – 3 B 118.08 -, juris und Urteil vom
10. Juni 2008 - 13 A 1779/06 -, a. a. O.
Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat
nicht die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung. Die von ihr zur
Begründung dieses Zulassungsgrunds aufgeworfenen, im Wesentlichen gleichlautend
mit den im Rahmen der Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO
gestellten Fragen sind, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, durch die
Rechtsprechung des Senats bereits geklärt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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