Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.04.2009

OVG NRW: aufschiebende wirkung, sozialhilfe, auflage, rechtsschutz, behörde, vollziehung, verwaltungsakt, einfluss, entlastung, zusammenwirken

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 B 384/09
Datum:
21.04.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 B 384/09
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 11 L 1112/08
Tenor:
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie
Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T. aus P. beigeordnet.
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Es wird festgestellt, dass die von der Antragstellerin am 5. September
2008 beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erhobene Klage (11 K
4721/08) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 7. August 2008
aufschiebende Wirkung hat.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge trägt
der Antragsgegner.
Gründe:
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Der Antragstellerin ist für das Beschwerdeverfahren gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114
Satz 1 ZPO ratenfreie Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt T. aus P.
gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO beizuordnen, weil die Antragstellerin nach
ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung
nicht aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden
Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig ist.
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Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die von der Antragstellerin dargelegten
Beschwerdegründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) führen zur Änderung des
angefochtenen Beschlusses.
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Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann der Antragstellerin ein
Rechtsschutzbedürfnis für den von ihr gestellten Antrag zu 1. nicht abgesprochen
werden. Das Rechtsschutzbedürfnis ist im Regelfall zu bejahen und nur bei Vorliegen
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besonderer Umstände zu verneinen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1989 - 9 C 44.87 -, BVerwGE 81, 164 ff.;
Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, Vorb § 40 Rn. 37; Ehlers, in: Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Oktober 2008, Vorb § 40 Rn. 80; Sodan, in: Sodan/
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Ziekow, VwGO, 2. Auflage 2006, § 42 Rn. 335.
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Solche Umstände können darin bestehen, dass der Rechtsbehelf dem
Rechtschutzsuchenden offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile
bringen kann und damit für ihn nutzlos ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2004
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- 3 C 25.03 -, BVerwGE 121, 1 ff.
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Von einer solchen Offensichtlichkeit kann hier indes nicht ausgegangen werden.
Vielmehr ergeben sich tatsächliche und rechtliche Vorteile für die Antragstellerin schon
daraus, dass bei Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage der Bescheid
des Antragsgegners vom 7. August 2008, durch den der Bewilligungsbescheid vom 21.
Dezember 2004 mit Wirkung ab 1. August 2007 aufgehoben wurde, nicht vollzogen
wird, d.h. die Pflegewohngeldzahlungen an die Pflegeeinrichtung fortgesetzt werden.
Dies hat für die Antragstellerin unmittelbar eine finanzielle Entlastung im Verhältnis zum
Heimträger zur Folge, die sich auch auf ihre vertragliche Verpflichtung gegenüber dem
Heimträger auswirkt.
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Ob demgegenüber eine saldierende Alternativbetrachtung Platz greifen kann, in der
darauf abgestellt wird, dass bei Wegfall der Pflegewohngeldzahlungen die Heimkosten
gedeckt wären durch das Zusammenwirken von Leistungen von am Verfahren nicht
beteiligten Leistungsträgern (wie den Beihilfeleistungen des Bundesamtes für zentrale
Dienste und offene Vermögensfragen), auf deren Entscheidungen der Antragsgegner
keinen Einfluss hat, sowie ergänzenden Sozialhilfeleistungen des Antragsgegners in
Verbindung mit einem - möglicherweise - als Zusicherung auszulegenden Vermerk des
Antragsgegners, wonach die Geltendmachung eines höheren Unterhaltsanspruchs
gegen Unterhaltspflichtige wegen einer erweiterten Gewährung ergänzender Sozialhilfe
ausgeschlossen sein soll, begegnet erheblichen Zweifeln, die schon allein eine
Versagung des Rechtsschutzinteresses ausschließen. Gegen eine auf erhöhten
Sozialhilfeleistungen beruhende Alternativbetrachtung spricht darüber hinaus auch der
gesetzgeberische Zweck des Landespflegegesetzes, Sozialhilfe- oder
Kriegsopferfürsorgebedürftigkeit wenigstens abzumildern.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Mai 2003 - 16 A 2789/02 -, NWVBl. 2003, 440 ff.; Urteil
vom 13. Dezember 2007 - 16 A 3391/06 -, NWVBl. 2008, 232 ff.
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Dieser Zweck würde vereitelt, wenn den Betroffenen gerade unter Hinweis auf die bei
Wegfall des Pflegewohngeldes zu gewährenden höheren Sozialhilfeleistungen der auf
die Durchsetzung der Pflegewohngeldzahlungen gerichtete gerichtliche Rechtsschutz
versagt würde.
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Der Antrag analog § 80 Abs. 5 VwGO ist auch begründet. Die von der Antragstellerin am
5. September 2008 beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erhobene Klage (11 K
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4721/08) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 7. August 2008 hat gemäß § 80
Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung, weil diese nicht gemäß des hier allein in
Betracht kommenden § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfallen ist. Danach entfällt die
aufschiebende Wirkung in den Fällen, in denen die sofortige Voll-ziehung im
öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der
Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch ent-schieden hat,
besonders angeordnet wird. Die sofortige Vollziehung des Bescheids des
Antragsgegners vom 7. August 2008 wurde jedoch nicht besonders angeordnet.
Bei - der anzunehmenden - Beachtung der gerichtlich festgestellten aufschiebenden
Wirkung der Klage der Antragstellerin durch den Antragsgegner wird im Ergebnis auch
dem weiteren Antrag zu 2. der Antragstellerin entsprochen, so dass es einer
Entscheidung hierüber nicht bedurfte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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