Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 18.08.2008

OVG NRW: zuwendung, gemeinde, eltern, wirtschaftlichkeit, wahlrecht, ermessensausübung, entlastung, rückforderung, planungsermessen, verwaltungsakt

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 16/08
Datum:
18.08.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 16/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 16 K 1406/06
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Zulassungsverfahrens.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
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Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO. Es ist nicht geeignet, die Annahme des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen,
im Rahmen des § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG NRW spielten Gesichtspunkte des
Verschuldens bei der Frage, ob ein Verstoß gegen eine Zweckbestimmung vorliege,
keine Rolle. Vielmehr ergibt sich schon aus dem Wortlaut der genannten Regelung,
dass die Tatbestandsvoraussetzung für einen Widerruf u.a. dann erfüllt ist, wenn die
Leistung nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird.
Maßgebend ist insoweit allein die objektive Zweckverfehlung,
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vgl. etwa, BayVGH, Urteil vom 13. April 1994 - 22 B 93.1771 -, GewArch 1994, 328 (zu
Art. 44a BayHO); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 49 Rn. 99;
Kopp/Ramsauer, 10. Aufl. 2008, § 49 Rn. 71; für den Fall höherer Gewalt
differenzierend: Schäfer, in: Obermayer, VwVfG 3. Aufl. 1999, § 49 Rn. 84,
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die hier mit der Schließung der mit den Zuwendungsmitteln (teil-)sanierten
Kindertagesstätte zum 31. Juli 2005 und damit vor dem Ablauf der bestandskräftig
festgelegten Zweckbindungsfrist von zwanzig Jahren ersichtlich gegeben und im
Übrigen auch unstreitig ist.
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Soweit in der Begründung des Zulassungsantrags geltend gemacht wird, in Fällen, in
denen der Zuwendungsgeber selbst verantwortlich für die Nichterreichung des
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Leistungszwecks sei, spreche vieles dafür, § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG NRW
restriktiv auszulegen und eine derartige Fallkonstellation bereits aus dem objektiven
Tatbestand auszuscheiden, zumindest aber über die Grundsätze des Wegfalls der
Geschäftsgrundlage zu einem Wegfall der Widerrufsbefugnis gelangen, fehlt es schon
an der substantiierten Darlegung der Verantwortung/des treuwidrigen Verhaltens/des
Verschuldens des Beklagten an der eingetretenen Zweckverfehlung. Der insoweit allein
aufgestellten Behauptung, wegen einer fehlerhaften Kindergartenbedarfsplanung des
Beklagten sei es in der Gemeinde F. zu einem Überangebot von
Kindertagesstättenplätzen gekommen, mangelt es in jeder Hinsicht an konkreter
Substanz. Der Hinweis auf eine faktische Überkapazität im Kindergartenjahr 2003/2004
bei einem Gesamtdeckungsgrad in der Gemeinde F. von 99,6% und einem
Deckungsgrad im Bezirk 1, in dem sich die in Rede stehende Kindertagesstätte
befindet, von 97,6 %, verkennt, dass selbst bei Unterstellung einer solchen
Überkapazität hieraus allein eine fehlerhafte Kindergartenbedarfsplanung (§§ 10 GTK,
80 SGB VIII) nicht abgeleitet werden kann. Die ihrer Natur nach tatsachengestützte,
jedoch letztlich prognostische Einschätzung des zukünftigen Bedarfs an Plätzen in
Kindertageseinrichtungen unterliegt gerade im Rahmen des nach § 10 Abs. 4 Satz 1
GTK lediglich alle zwei Jahre fortzuschreibenden Bedarfsplans u.a. im Hinblick auf die
zukünftige Entwicklung der Zahl der in den Kindertageseinrichtungen zu betreuenden
Kinder beträchtlichen Unsicherheiten und schließt Fehlkalkulationen selbst bei
ordnungsgemäßer Prognose nicht aus. Dass in dem maßgebenden Zeitpunkt der
Planungsentscheidung und unter Berücksichtigung der in diesem Zeitpunkt gegebenen
Tatsachengrundlage die im Rahmen des Planungsermessens erfolgte Abwägung,
vgl. zum Planungsermessen bei der jugendhilferechtlichen Bedarfsplanung nach § 80
SGB VIII: OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2008 - 12 B 799/08 -,
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und die hierbei getroffene Bedarfsprognose den an eine solche Prognose zu stellenden
Anforderungen nicht genügt haben, ist nicht einmal ansatzweise dargelegt oder
ersichtlich.
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Aufgrund dessen ist das Zulassungsvorbringen auch nicht geeignet, die an § 114 VwGO
ausgerichtete verwaltungsgerichtliche Kontrolle der gelenkten Ermessensbetätigung
des Beklagten,
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vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2002 - 8 C 30.01 -, BVerwGE 116, 332 ff., Urteil
vom 16. Juni 1997 - 3 C 22.96 -, BVerwGE 105, 55 ff., OVG NRW, Urteil vom 13. Juni
2002 - 12 A 639/99 -, NVwZ-RR 2003, 803 ff., Beschluss vom 27. Januar 2004 - 4 A
2369/02 -, Juris,
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sowie die Rechtmäßigkeitskontrolle der Rückforderung nach § 49a VwVfG NRW, bei
denen der Gesichtspunkt einer dem Verantwortungsbereich des Beklagten
zuzurechnenden Zweckverfehlung ebenfalls jeweils - zu Recht - unberücksichtigt
geblieben ist, zu erschüttern.
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Soweit die Klägerin darüber hinaus geltend macht, sie könne nicht zur Verantwortung
gezogen werden, soweit die zurückgegangene Belegung auch auf das autonome
Wunsch- und Wahlrecht der Eltern zurückzuführen sein sollte, zwingt dies nicht zu einer
Modifizierung der Interessenverteilung, wie sie bei der Zweckverfehlung vom Gesetz
vorgesehen und nach der von den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit
gelenkten Ermessensausübung umzusetzen ist. Denn es ist weder substantiiert
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vorgetragen oder ersichtlich, dass der Klägerin die fehlende Steuerungsmöglichkeit im
Zeitpunkt der Beantragung der Zuwendung im Februar 2000 unbekannt gewesen ist;
solches ist mit Blick auf die jahrzehntelange Tätigkeit der Klägerin als Trägerin der hier
in Rede stehenden Kindertageseinrichtung auch fernliegend. Ist aber der Klägerin
bereits bei der Beantragung der Zuwendung das Risiko bekannt gewesen, nicht in der
Lage zu sein, die Nachfrage zu Gunsten ihrer Einrichtung zu steuern, weil sich Eltern
auch für eine andere Kindertagesstätte entscheiden konnten, und hat sie gleichwohl -
wie hier - nicht auf die Zuwendung verzichtet, sondern den entsprechenden
Zuwendungsbescheid mit einer langen Zweckbindungsfrist von zwanzig Jahren
bestandskräftig werden lassen, dann kann sie sich im Nachhinein nicht zu ihrer
Entlastung darauf berufen, dass sich das - ihr bekannte und akzeptierte - langfristige
Risiko in der Folgezeit tatsächlich verwirklicht hat. Geht ein Zuwendungsempfänger ein
solches langfristiges Risiko ein, um staatliche Zuwendungen zu erlangen und damit den
Einsatz eigener Finanzmittel oder die Kosten einer Fremdkapitalaufnahme zu ersparen,
sind die Folgen einer Risikoverwirklichung grundsätzlich nicht dem staatlichen
Verantwortungsbereich zuzurechnen.
Dass im Zeitpunkt der Beantragung, der Bewilligung oder bis zum Abruf der
Zuwendungsmittel auf der Grundlage der seinerzeit verfügbaren Erkenntnismittel unter
Berücksichtigung des geltenden Bedarfsplans und des bereits erreichten bzw. in
absehbarer Zeit zu erreichenden Deckungsgrades bei ordnungsgemäßer Prognose nur
von einer auch zukünftig hinreichenden Auslastung ihrer Kindertagesstätte auszugehen
gewesen ist, hat die Klägerin weder dargelegt noch ist dies sonst ersichtlich.
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Dementsprechend weist die Rechtssache auch keine besonderen rechtlichen
Schwierigkeiten i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das Urteil des
Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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