Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 29.10.2007

OVG NRW: aufschiebende wirkung, eingriff in grundrechte, stadt, verwaltungsakt, vollziehung, ermessen, rechtsschutz, klagebefugnis, aufmerksamkeit, abstimmung

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 B 1517/07
Datum:
29.10.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 B 1517/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 20 L 531/07
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der
Antragstellerin,
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die aufschiebende Wirkung ihrer Klage 20 K 1162/07 vor dem Verwaltungsgericht Köln
gegen den Beschluss der Antragsgegnerin vom 28. September 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. April 2007 wiederherzustellen,
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zu Recht abgelehnt. Das - allein vom Senat zu prüfende (§ 146 Abs. 4 Satz 6 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) - Beschwerdevorbringen führt nicht zu einer
anderen Beurteilung.
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Der Antrag ist nicht etwa bereits deshalb abzulehnen, weil eine Klage gegen eine
Straßenumbenennung von vorneherein keine aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1
VwGO entfaltete. Allerdings setzt der Eintritt der aufschiebenden Wirkung voraus, dass
sich der Rechtsbehelf überhaupt gegen einen Verwaltungsakt richtet, denn nur bei
solchen ist die Vollziehbarkeit, die durch das Institut der aufschiebenden Wirkung
beseitigt werden könnte und um deren Wiederherstellung es hier geht, denkbar. Der
Umbenennungsbeschluss ist ein adressatloser sachbezogener Verwaltungsakt in Form
einer Allgemeinverfügung,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Januar 1987
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- 15 A 563/84 -, NJW 1987, 2695,
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sodass die aufschiebende Wirkung der Klage eintreten kann.
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Aus dem Sinn und Zweck des Instituts der aufschiebenden Wirkung eines
Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt ergibt sich als weitere Voraussetzung für
den Eintritt der aufschiebenden Wirkung, dass der Rechtsbehelfsführer geltend machen
kann, dass der Verwaltungsakt ihn in eigenen Rechten verletzt. Denn die aufschiebende
Wirkung soll nur die Schaffung irreparabeler Tatsachen verhindern, die sich aus der
sofortigen Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ergeben können; dadurch
soll die Möglichkeit offen gehalten werden, dass dem Rechtsschutzsuchenden durch die
beantragte Aufhebung des Verwaltungsakts wirksamer Rechtsschutz zuteil wird. Kommt
aber die Gewährung von Rechtsschutz nicht in Betracht, weil der
Rechtsschutzsuchende als Nichtadressat des Verwaltungsakts nicht geltend machen
kann, durch ihn in eigenen Rechten verletzt zu sein, besteht auch für den Eintritt der
aufschiebenden Wirkung kein hinreichender Anlass.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1992 - 7 C 24.92 -, NJW 1993, 1610 (1611); a.a.
OVG des Saarlands, Beschluss vom 18. Dezember 1974 - II W 51/74 -, AS 14, 176 (185
f.).
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Die Klagebefugnis ergibt sich hier nicht daraus, dass durch die Straßenumbenennung
ein Eingriff in Grundrechte, insbesondere in die durch Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes
geschützte allgemeine Handlungsfreiheit, vorläge, denn durch den sachbezogenen
Verwaltungsakt werden keine Ge- oder Verbote ausgesprochen.
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Vgl. VerfGH Berlin, Beschluss vom 13. August 1996
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- VerfGH 29/96 -, JR 1997, 370; OVG NRW, Beschluss vom 21. Oktober 1996 - 23 A
7075/95 -,
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S. 3 des amtlichen Umdrucks; Beschluss vom 15. Januar 1987 - 15 A 563/84 -; NJW
1987, 2695 (2696); OVG Berlin, Beschluss vom 1. Februar 1994 - 1 S 118/93 -, LKV
1994, 298; a.A. OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Oktober 1991 - 4 L 56/91 -,
Juris-Dokumentation, Rn. 28 f.
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Allerdings ergibt sich die Klagebefugnis aus dem einfachen Recht. Maßstab für den
subjektive Rechte begründenden Charakter einer Norm ist, ob sie allein dem
öffentlichen Interesse zu dienen bestimmt ist oder jedenfalls auch dem Schutz
individueller Interessen von in einer qualifizierten und individualisierten Weise
Betroffenen dient, was durch Auslegung zu ermitteln ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1987 - 4 C 56.83 -,
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BVerwGE 78, 40 (41 ff.); Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 8.84 -, DVBl. 1987, 476 f.
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Das Gesetz betraut die Gemeinden mit der in ihr Ermessen gestellten Entscheidung
über die Straßenbenennung (§ 4 Abs. 2 Satz 3 des Straßen- und Wegegesetzes für das
Land Nordrhein-Westfalen - StrWG NRW -). Dies geschieht nur im öffentlichen Interesse
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der ordnungsrechtlich motivierten Identifizierbarkeit und Unterscheidbarkeit der Straße
und der gemeindlichen Selbstdarstellung. Für die Umbenennung einer Straße muss
aber berücksichtigt werden, dass dadurch diejenigen, die als Anlieger in einem
besonderen Näheverhältnis zur Straße stehen (vgl. etwa § 14a StrWG NRW für den
Anliegerbgebrauch) besonders betroffen werden, namentlich im Hinblick auf die
ausgelösten nachteiligen Folgen tatsächlicher (Notwendigkeit der Benachrichtigung
Dritter von der Anschriftenänderung, gegebenenfalls Änderung von Briefköpfen,
Visitenkarten, Stempeln, Schildern) oder rechtlicher Art (vgl. § 7 Nr. 8 des
Personalausweisgesetzes für das Land Nordrhein- Westfalen im Hinblick auf die
Vorlage des Personalausweises, § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Fahrzeug-
Zulassungsverordnung für die Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil I). Insoweit
haben die Anlieger durch die Erstbenennung einer Straße einen Status erlangt, der
durch die Änderung in rechtlich relevanter Weise berührt wird und deshalb die
Gemeinde verpflichtet, die sich aus der Änderung ergebenden nachteiligen Folgen für
die Anlieger in die Ermessensentscheidung einzubeziehen.
So bislang nur für eine vorherige drittschützende Ermessenspraxis OVG NRW,
Beschluss vom 15. Januar 1987 - 15 A 563/84 -, NJW 1987,
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2695 f.; weitergehend BayVGH, Urteil vom 16. Mai 1995 - 8 B 94/2062 -, NVwZ- RR
1996, 344 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Juli 1991 - 1 S 1258/90 -, NVwZ
1992, 196 (197).
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Die so denkbare, aber wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht
eingetretene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage ist auf den Antrag der
Antragstellerin nicht wiederherzustellen. Bei einer Abwägung zwischen dem
Suspensivinteresse der Antragstellerin und dem besonderen öffentlichen
Vollziehungsinteresse überwiegend letzteres.
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Das ergibt sich zum einen daraus, dass die angegriffene Verfügung offensichtlich
rechtmäßig ist, sodass von vornherein ein legitimes Interesse an ihrer zügigen
Durchsetzung besteht. Sie ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin formell
ordnungsgemäß ergangen, namentlich hat die zuständige Bezirksvertretung
entschieden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Zuständigkeitsnorm selbst
drittschützend ist, da wegen des Anspruchs der Antragstellerin als Anliegerin auf
Einbeziehung der durch eine Umbenennung ausgelösten nachteiligen Folgen in die
Ermessensentscheidung sich dieser auch darauf erstreckt, dass das zuständige Organ
die Ermessensentscheidung trifft.
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Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein- Westfalen
(GO NRW) entscheiden die Bezirksvertretungen unter Beachtung der Belange der
gesamten Stadt und im Rahmen der vom Rat erlassenen allgemeinen Richtlinien in
allen Angelegenheiten, deren Bedeutung nicht wesentlich über den Stadtbezirk
hinausgeht. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6.1 der hier maßgeblichen Hauptsatzung der Stadt L.
vom 1. Februar 2005, der gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 GO NRW nähere Einzelheiten
regelte, wies den Bezirksvertretungen die Benennung und Umbenennung unter
anderem von Straßen, Wegen und Plätzen des Bezirks mit im Wesentlichen bezirklicher
Bedeutung in Abstimmung mit dem zentralen Namensarchiv zu. Diese
Zuständigkeitsvoraussetzungen liegen vor. Der D. -E. - Weg ist eine im Stadtbezirk M.
gelegene Straße, die zwischen der Ost-West- Achse der Bundestraße (B. Straße) und
dem parallel dazu verlaufenden Straßenzug L1. Weg/K. Straße verläuft und keine 800 m
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lang ist. Damit hat der D. -E. -Weg nur bezirkliche Bedeutung.
Unerheblich ist, ob, wie die Antragstellerin geltend macht, die Diskussion um die
Umbenennung stadtbezirksübergreifende Bedeutung hat. Die Zuständigkeit der
Bezirksvertretung wird durch die fehlende objektive Bedeutung einer Angelegenheit im
Hinblick auf die Stadt begründet, aber nicht dadurch ausgeschlossen, dass die
Öffentlichkeit einer Entscheidung einer Bezirksvertretung in einer objektiv nicht
stadtbezirksübergreifend bedeutenden Angelegenheit besondere Aufmerksamkeit
schenkt. Denn dies belegt keine sachlich stadtbezirksübergreifende Bedeutung,
sondern kann seine Ursache etwa darin haben, dass die Thematik publizistisch oder
politisch herausgestellt worden ist. Objektiv kommt der Frage, ob eine Nebenstraße von
"D. -E. -Weg" in "Am T. N. " unbenannt wird, keine über den Stadtbezirk reichende
Bedeutung zu.
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Der angefochtene Umbenennungsbeschluss ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil
die Belastung, die die Klägerin durch die Umbenennung erfährt, unverhältnismäßig
wäre. Die Umbenennung liegt im weiten Ermessen der Antragsgegnerin. Mit der
Benennung einer Straße nach Personen will die Stadt, wie sich aus den Richtlinien des
Rates für die Neu- und Umbenennung von Straßen und Plätzen vom 26. August 1999
ergibt, verdiente Personen würdigen. Dabei ist Voraussetzung, dass bei Personen
überregionaler Bedeutung das Geschichtsbild abgeklärt ist (Nr. 3.2.4 der Richtlinien).
Die Stadt will es also vermeiden, wegen eines Straßennamens in eine Diskussion um
das Geschichtsbild von Personen hineingezogen zu werden. Dies ein legitimes
Benennungsinteresse. Mit der hier erfolgten Umbenennung wird angesichts der
öffentlichen Diskussion um D. E. genau dieses Interesse verfolgt.
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Diesem anerkennenswerten Interesse stehen unzumutbare gegenläufige geschützte
Interessen der Antragstellerin nicht entgegen. Soweit sie wegen ihrer historischen
Verbundenheit mit D. E. ein eigenes Interesse an der Namensbeibehaltung haben
sollte, spielt dies keine Rolle, da die Straßenbenennung ausschließlich im öffentlichen
Interesse erfolgt und allein die durch eine Namensumbenennung bewirkten belastenden
Folgen für die Anlieger als rechtlich geschützte Interessen in die
Ermessensentscheidung einzubeziehen sind. Der von der Antragstellerin geltend
gemachte Kostenaufwand ist demgegenüber in die Entscheidung einzustellen und auch
eingestellt worden. Die Entscheidung erweist sich als ermessensfehlerfrei. Solche
Umstellungskosten zählen zu den gelegentlich eintretenden Kosten des allgemeinen
Geschäftsbetriebs. Der frühere I. -T1. - Weg ist 1962 auf Anregung des E1. T2. aus
Anlass des Todes von D. E. in D. -E. -Weg umbenannt worden und trägt somit knapp 45
Jahre diesen Namen. Nach so langer Zeit ist die Kostenbelastung einer
Namensänderung zumutbar.
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Soweit die Antragstellerin eine Kostenbelastung in Höhe von 150.000 Euro geltend
macht, vermag dies die Rechtmäßigkeit des Umbenennungsbeschlusses nicht in Frage
zu stellen. Die Antragsstellerin war und ist gehalten, von der eingeräumten längeren
Anpassungszeit sachgerecht Gebrauch zu machen. Im Sinne sparsamer und
wirtschaftlicher Haushaltsführung muss die Antragstellerin bemüht sein, die
Umstellungsarbeiten - wenn schon nicht vollständig, so doch jedenfalls zum größten
Teil - nach und nach im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes mit dem
vorhandenen Personal zu erledigen. Dies rechtfertigt nicht die Aufwendung von 85.000
Euro zusätzlichen Personalkosten. Auch bei der Neubeschaffung bedruckter
Materialien, die die Antragstellerin mit 70.000,00 Euro ansetzt, erweist sich das
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beabsichtigte Verhalten als nicht sachgerecht. Es ist durchaus zumutbar, in weitem
Umfang vorhandenen Drucksachenbestand - gegebenenfalls nach Korrektur -
aufzubrauchen. An unumgänglichem finanziellem Mehraufwand fallen im Wesentlichen
die Neuanschaffung von Stempeln und gegebenenfalls Schildern an, der bei weitem
nicht die von der Antragstellerin insgesamt geltend gemachte Höhe erreicht. Im Übrigen
muss weiter berücksichtigt werden, dass großen Institution wie hier der Antragstellerin
auch höhere Umstellungskosten zuzumuten sind.
Erweist sich somit, dass subjektive Rechte der Antragstellerin offensichtlich nicht
verletzt sind, bedarf es nur eines geringfügigen besonderen öffentlichen
Vollziehungsinteresses, das über das Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes
hinausgeht, um die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen. Hier trägt
zwar der in der Vollziehungsanordnung genannten erste Grund der Rechts- und
Planungssicherheit nicht, denn diese tritt gerade erst nach Bestandskraft und damit
gegebener allgemeiner Vollziehbarkeit ein, nicht aber durch die Anordnung der
sofortigen Vollziehung. Jedoch trägt das ebenfalls in der Vollziehungsanordnung
genannte zweite Begründungselement, dass die als belastend empfundene öffentliche
Diskussion um die Straßebenennung schnellstmöglich beendet werden soll, denn es
kann davon ausgegangen werden, dass die Öffentlichkeit nach vollzogener
Umbenennung das Interesse an dem Gegenstand verliert.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den
Streitwert beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 des Gerichtkostengesetzes.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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