Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.09.2010

OVG NRW (verwaltungsgericht, genehmigung, richtigkeit, zweifel, interesse, umfang, zulassung, gebrauch, bevölkerung, durchführung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 1047/10
Datum:
22.09.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 1047/10
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 26. März 2010 wird
zu¬rückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 60.000 EUR
festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
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Die geltend gemachten Zulassungsgründe, die gemäß 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO nur im
Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines klageabweisenden Urteils im
Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung der
begehrten Genehmigungen, weil mit Blick auf die vom Beklagten angestellte, nicht zu
beanstandende Prognose zu erwarten sei, dass durch den Gebrauch der
Genehmigungen das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst
beeinträchtigt werde. Der Beklagte habe zu Recht darauf abgestellt, die Erteilung der
beantragten Genehmigungen führe zu verminderten Einsatzzahlen, einer geringeren
Auslastung und höheren Kosten. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Beklagte
Krankentransporte in gewissem Umfang auch mit Rettungstransportwagen durchführe.
Bei der zu berücksichtigenden Verminderung des Auslastungsgrads falle zudem
besonders ins Gewicht, dass der öffentliche Krankentransportdienst im F. -S. -Kreis
bereits seit Jahren nicht ausgelastet sei. Ferner sei die Einschätzung des Beklagten
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beanstandungsfrei, dass der Gebrauch der von der Klägerin weiter begehrten
Genehmigung für den Einsatz eines Rettungstransportwagens für Sekundärtransporte
das öffentliche Interesse an der Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes
beeinträchtigen würde.
Die dagegen erhobenen Einwände zeigen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der
angefochtenen Entscheidung nicht auf.
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Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer
Genehmigung nach § 18 RettG NRW zu Recht mit der Begründung verneint, diesem
stehe § 19 Abs. 4 RettG NRW entgegen. Nach § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW ist die
Genehmigung zu versagen, wenn zu erwarten ist, dass durch ihren Gebrauch das
öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst i. S. v. § 6 RettG NRW
beeinträchtigt wird. Der Senat hat in seiner Entscheidung
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- vgl. Urteil vom 10. Juni 2008 13 A 1779/06 -,
8
juris, nachfolgend BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 2008 – 3 B 99.08 -
, juris; Beteiligte waren die Klägerin und der Landrat des S1. -Kreises -
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in Fortführung seiner Rechtsprechung
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- vgl. Urteil vom 7. März 2007 - 13 A 3700/04 -,
11
juris -
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ausgeführt: Die in § 19 Abs. 4 RettG NRW geregelte Funktionsschutzklausel stehe in
Einklang mit Gemeinschafts- sowie Verfassungsrecht. Ihre Anwendbarkeit setze nicht
das Vorliegen eines funktionsfähigen öffentlichen Rettungsdienstes voraus. Eine
Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen Rettungsdienst
sei bei konkret zu erwartenden ernstlichen und schwerwiegenden Nachteilen, also bei
Überschreiten einer "Verträglichkeitsgrenze" anzunehmen. Die Annahme ernstlicher
und schwerwiegender Nachteile sei allerdings nicht schon dann gerechtfertigt, wenn im
öffentlichen Rettungsdienst entsprechend der Verpflichtung des § 6 RettG NRW eine
bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen im
Rettungsdienst und Krankentransport sichergestellt sei und die Zulassung privater
Unternehmer zur weiteren bedarfsgerechten und flächendeckenden Versorgung der
Bevölkerung mit Leistungen des Rettungsdienstes daher nicht erforderlich sei. Die
Entscheidung nach § 19 Abs. 4 RettG NRW sei eine prognostische Entscheidung, bei
der der Genehmigungsbehörde ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer
Prognosespielraum eingeräumt sei. Die eine Genehmigung versagende Entscheidung
sei daher nur darauf zu überprüfen, ob die Behörde den maßgebenden Sachverhalt
vollständig ermittelt, die maßgeblichen Gesichtspunkte erkannt und den möglichen
Verlauf der Entwicklung vertretbar, d.h. nicht offensichtlich fehlerhaft, eingeschätzt habe.
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An diesen Maßstäben hat sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung
orientiert und ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin habe keinen
Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung zur Durchführung von Sekundärtransporten
mit einem Rettungstransportwagen und zum Krankentransport mit drei
Krankentransportwagen für den Rettungsdienstbereich des Beklagten.
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Die Einwendungen der Klägerin, das Verwaltungsgericht sei unzutreffend davon
ausgegangen, die Erteilung der beantragten Genehmigungen führte beim Beklagten zu
verminderten Einsatzzahlen, begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der
Entscheidung. Denn unabhängig davon, ob tatsächlich - wie die Klägerin behauptet -
seit ihrer Antragstellung sechs private Genehmigungen ersatzlos weggefallen sind und
der Beklagte Rettungstransportwagen zur Bedienung des Krankentransportaufkommens
einsetzt, liegt es auf der Hand, dass unter Berücksichtigung der laut dem maßgeblichen
Rettungsdienstbedarfsplan im Rettungsdienstbereich des Beklagten zur Verfügung
stehenden 12 Krankentransportwagen (ein ständig besetzter, 10 zeitabhängig besetzte
sowie ein Reservewagen) die von der Klägerin beantragte Genehmigung für den
Einsatz von drei Krankentransportwagen die Einsatzzahlen dieser 12
Krankentransportwagen erheblich, nämlich um 25 % (bei Hinzurechnung des
Rettungswagens für Sekundärtransporte sogar um 33,33 %), minderte.
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Auch soweit die Klägerin die Richtigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts in
diesem Zusammenhang damit in Frage stellt, die Systemverträglichkeit der beantragten
Genehmigungen ergebe sich auch daraus, dass sich der Beklagte mangels
entsprechender Bedarfsdeckung - in erheblichem Umfang Rettungstransportwagen für
Krankentransporteinsätze bediene, zeigt sie ernstliche Zweifel an der erstinstanzlichen
Entscheidung nicht auf. Der Senat hat – worauf auch das Verwaltungsgericht
hingewiesen hat – in seiner Entscheidung
16
vgl. Urteil vom 16. September 2008
17
18
- 13 A 1557/06 -, nachfolgend BVerwG, Beschluss vom 6. März 2009 3 B
118.08 -, juris -
19
ausgeführt, dass Rettungstransportwagen zum Zwecke des Krankentransports
eingesetzt werden könnten, jedenfalls soweit die Bedürfnisse der Notfallrettung es
zuließen, und dies vor dem Hintergrund des Gebots einer sparsamen und
wirtschaftlichen Haushaltsführung sogar geboten erscheine. Im Übrigen entspricht diese
Praxis des Beklagten den Vorstellungen des Gesetzgebers, der in § 22 Abs. 1 Satz 2
RettG NRW geregelt hat, dass die Genehmigung für die Notfallrettung auch die
Durchführung von Krankentransporten umfasst. In der Gesetzesbegründung
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vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung vom
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6. Februar 1992, LT-Drucks. 11/3181, S. 58 -
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heißt es hierzu, Satz 2 berücksichtige, dass Fahrzeuge, die zur Notfallrettung eingesetzt
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würden, hinsichtlich Ausstattung und Besetzung auch den geringeren Anforderungen
des Krankentransports genügten und daher auch zu diesem Zweck eingesetzt werden
könnten.
Auch die zutreffenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts bezüglich der infolge der
Erteilung der Genehmigungen zu erwartenden geringeren Auslastung des öffentlichen
Krankentransports hat die Klägerin nicht überzeugend in Frage zu stellen vermocht. Die
Klägerin kann nicht mit Erfolg einwenden, die Auffassung des Verwaltungsgerichts der
öffentliche Krankentransportdienst im F. -S. -Kreis sei bereits seit Jahren nicht
vollständig ausgelastet, beruhe auf einem unrichtigen Verständnis des
Auslastungsgrads, das Verwaltungsgericht verkenne, dass sich der Auslastungsgrad
auf Zeiträume pro Tag beziehe, die länger seien, als Krankentransporte tatsächlich
täglich anfielen. Insofern übersieht die Klägerin, dass das Verwaltungsgericht dieses
Argument nur zusätzlich zur Bekräftigung seiner diesbezüglichen Feststellungen
herangezogen hat. Außerdem vermag der Senat mit Blick auf die – laut dem von der
Klägerin nicht in Frage gestellten Rettungsdienstbedarfsplan und ebenfalls dem
Gutachten der G. GmbH – auch in zeitlicher Hinsicht bedarfsgerechte
Fahrzeugvorhaltung im Krankentransportbereich weder ein unrichtiges Verständnis des
Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Frage des Auslastungsgrads, noch angesichts des
seit dem Jahr 2004 verzeichneten Auslastungsgrads im Bereich des Krankentransports
von zumeist unter 50 % (bezogen auf das Jahr 2009 waren es 48 % und lediglich 25 %
im Bereich der Notfallrettung) diesbezüglich eine unrichtige Einschätzung seitens des
Verwaltungsgerichts zu erkennen.
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Der Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, eine
Genehmigungserteilung führe zu höheren Kosten des Rettungsdienstes, bleibt ebenfalls
ohne Erfolg. Mit dem Argument, die zu erwartende Erhöhung der
Rettungsdienstgebühren könne durch die niedrigeren Entgelte der privaten
Unternehmer ausgeglichen werden, kann die Klägerin nicht gehört werden. Denn eine
erhebliche Gebührenerhöhung ergäbe sich zwangsläufig aus den durch die
Genehmigungen an die Klägerin entstehenden Überkapazitäten im
Rettungsdienstbereich des Beklagten. Wegen des Sicherstellungsauftrags nach § 6
RettG NRW, der – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – trotz der
Genehmigungserteilung an die Klägerin griffe,
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vgl. Urteil vom 16. September 2008 - 13 A 1557/06 - a. a. O.,
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wäre der Beklagte nämlich verpflichtet, rettungsdienstliche Vorhaltungen im gleichen
Umfang wie ohne die erteilten Genehmigungen zu leisten. Die Vorhaltekosten könnte er
aber verursacht durch die deutlich geringere Anzahl an Einsatzfahrten der vom
Beklagten vorgehaltenen Fahrzeuge - auf erheblich weniger Gebührenschuldner
umlegen. Diese die Gebührenschuldner treffenden erhöhten Kosten wären dann
letztlich von den öffentlichen Kassen, insbesondere den Krankenversicherungen, oder
wenn sich diese mit Blick auf durch nicht erforderliche (Über-)Kapazitäten verursachte
überhöhte Kosten weigerten, vom Beklagten und damit auch von der Allgemeinheit zu
tragen. Die Alternative, nicht kostendeckende Gebühren zu erheben, käme jedenfalls
nicht in Betracht, nicht nur weil dadurch die Gefahr der nicht sachgemäßen
medizinischen Betreuung im Bereich des Krankentransports erhöht würde,
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vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1999 – 3 C 20.98 -, DVBl 2000, 124
= juris,
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sondern weil der Beklagte auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes für das
Land Nordrhein-Westfalen zudem verpflichtet wäre, kostendeckende Gebühren zu
erheben (vgl. § 6 KAG NRW).
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Die Funktionsschutzklausel des § 19 Abs. 4 RettG NRW verstößt entgegen der
Auffassung der Klägerin nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Die Regelung greift in die
Berufsfreiheit ein; sie ist aber, auch soweit sie den Bereich des Krankentransports
erfasst, gerechtfertigt.
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Vgl. OVG NRW, Urteile vom 10. Juni 2008 – 13 A 1779/06 – und vom 7.
März 2007 – 13 A 3700/04 jeweils a. a. O., m. w. N.; vgl. im Übrigen auch
BVerfG, Urteil vom 8. Juni 2010 – 1 BvR 2011/07, 1 BvR 2959/07 -, juris,
wonach die Einführung des ausschließlich öffentlichen Rettungsdienstes im
Freistaat Sachsen nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt.
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Die Berufung kann auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Die
Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan.
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Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich nicht deshalb, weil das
Bundesverfassungsgericht über die von der Klägerin aufgeworfene Frage der
Verfassungsgemäßheit des § 19 Abs. 4 RettG NRW noch nicht abschließend
entschieden hat. Die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage ist nicht schon
dann zu bejahen, wenn diese noch nicht ober- oder höchstrichterlich entschieden ist.
Nach der Zielsetzung des Zulassungsrechts ist vielmehr Voraussetzung, dass aus
Gründen der Einheit oder Fortentwicklung des Rechts eine ober- oder höchstrichterliche
Entscheidung geboten ist. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt deshalb, wenn sich die als
grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Rechtsfrage auf der Grundlage des
Gesetzeswortlauts nach allgemeinen Auslegungsregeln und auf der Grundlage der
bereits vorliegenden Rechtsprechung – wie hier mit Blick auf die oben zitierte
Rechtsprechung - ohne weiteres beantworten lässt.
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Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 124 Rdnr. 127, 142
f., jeweils m. w. N.
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Die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Fragen hinsichtlich des
Umfangs der Verträglichkeit von privaten Unternehmen im Bereich des
Rettungsdienstes i. S. d. § 19 Abs. 4 RettG NRW und des Umfangs der
Sicherstellungsverpflichtung i. S. d. § 6 RettG NRW sind, wie sich aus den
vorstehenden Ausführungen ergibt, durch die Rechtsprechung des Senats die mit den
Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des
Bundesverfassungsgerichts übereinstimmt, bereits geklärt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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