Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 30.08.2010

OVG Berlin-Brandenburg: schutz der ehe, abschiebung, aufenthaltserlaubnis, duldung, aussetzung, einreise, ausreise, ausländer, trennung, asylbewerber

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 11.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 11 S 51.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 2 AufenthG, § 10 Abs 3
AufenthG, § 28 Abs 1 S 1 Nr 1
AufenthG, § 28 Abs 1 S 5
AufenthG, § 30 Abs 1 S 1 Nr 2
AufenthG
Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis ohne vorherige Durchführung
eines Visumsverfahrens
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 30. August 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der 1987 geborene türkische Antragsteller beantragte nach eigenen Angaben im März
2008 in Frankreich Asyl. Nach Zugang eines ablehnenden und zur Ausreise
auffordernden Bescheids Ende Oktober 2009 sei er zunächst illegal in Frankreich
verblieben. Von dort reiste er Ende März 2010 nach Deutschland zu in Berlin lebenden
Verwandten ein und stellte hier kurze Zeit später einen weiteren Asylantrag, aufgrund
dessen ihm eine Aufenthaltsgestattung für Berlin erteilt wurde. Durch Bescheid des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. Mai 2010 wurde sein Asylantrag als
unzulässig abgelehnt und ihm die Abschiebung nach Frankreich angedroht. Ein Antrag
nach § 80 Abs. 5 VwGO blieb erfolglos (Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom
25. Juni 2010 zu VG 36 L 198.10). Das Hauptsacheverfahren VG 36 K 199.10 ist nach
Klagerücknahme am 25. Oktober 2010 ebenfalls abgeschlossen.
Nachdem er zunächst seine Ausreisebereitschaft erklärt hatte, beantragte er am 12. Juli
2010 beim Antragsgegner die Aussetzung der Abschiebung im Hinblick auf einen bereits
für den 4. August 2010 in Neuruppin anberaumten Eheschlie-ßungstermin mit der dort
wohnhaften deutschen Staatsangehörigen. Unter Hinweis auf die für den 9. August 2010
beabsichtigte Abschiebung wurde ihm am 15. Juli 2010 eine Duldung bis zum 6. August
2010 erteilt. Noch am Tage der Eheschließung beantragte er unter Vorlage einer
Eheschließungsbescheinigung mit Schriftsatz vom 4. August 2010 beim Antragsgegner
die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und Duldung für die Dauer des Verfahrens.
Nachdem ihm für den Fall nicht freiwilliger Ausreise die Festnahme und Abschiebung in
Aussicht gestellt worden war, erhob der Antragsteller am 6. August 2010 Klage auf
Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise Aussetzung der
Abschiebung (VG 24 K 293.10). Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung zur Erteilung bzw. Verlängerung der Aussetzung der
Abschiebung lehnte das Verwaltungsgericht Berlin durch Beschluss vom 30. August
2010 im Wesentlichen mit der Begründung ab, es spreche nach den Umständen alles
dafür, dass die Eheschließung ausschließlich der Erlangung eines hiesigen
Aufenthaltsrechts diene.
II.
Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts am 30. August 2010 rechtzeitig
erhobene und begründete Beschwerde des Antragsstellers hat auf der Grundlage des
nach § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO maßgeblichen Beschwerdevorbringens keinen
Erfolg. Berechtigte Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung aufzuzeigen, ist dem
Antragssteller nicht gelungen.
Er macht im Wesentlichen geltend, wegen der Eheschließung mit der deutschen
Staatsangehörigen R. stehe ihm nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m § 39 Nr. 5
AufenthV eine Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte zu, ohne dass er auf eine vorherige
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AufenthV eine Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte zu, ohne dass er auf eine vorherige
Ausreise und Einholung eines Visums verwiesen werden dürfe. Zur Sicherung dieses
Anspruchs könne er bis zur Entscheidung des Antragsgegners über seinen Antrag vom
4. August 2010 seine Duldung wegen des Abschiebungshindernisses der sich aus Art. 6
Abs. 1 GG ergebenden rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung (§ 60a Abs. 2
AufenthG) verlangen. Diese Annahme ist unzutreffend.
Allerdings spricht entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf das
detaillierte und - u.a. durch seine eidesstattliche Versicherung sowie diverse Fotos -
glaubhaft gemachte Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren, wonach er
seine Ehefrau bereits im Sommer 2008 in Frankreich kennengelernt, mit ihr dort auch
nochmals im Sommer 2009 zusammengetroffen sei, anschließend den Kontakt über das
Internet und Webcam gehalten habe, dieses Verhältnis unmittelbar nach seiner Einreise
nach Deutschland aufgenommen worden sei, schließlich zum Verlöbnis Mitte April 2010
und zur Eheschließung Anfang August sowie regelmäßigem Beisammensein seitdem
geführt habe, einiges dafür, dass die Eheleute tatsächlich eine eheliche
Lebensgemeinschaft begründen wollen und eine solche, wenn auch in begrenztem
Umfang, aufgrund regelmäßigen Zusammentreffens und Verbringung von Wochenenden
in Berlin bzw. an ihrem Wohnort in Rheinsberg auch bereits existiert.
Die deshalb im Grundsatz gebotene Sachaufklärung insoweit ist aber vorliegend deshalb
entbehrlich, weil der Antragsteller auch bei Vorliegen ernsthafter Eheführungsabsichten
keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AufenthG ohne vorherige Durchführung eines Visumsverfahrens hat:
Dabei kann offen bleiben, ob er sich - wie gemäß § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m § 30 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 und Satz 3 AufenthG erforderlich - zumindest auf einfache Art in deutscher
Sprache verständigen kann, was er zwar behauptet, allerdings nicht glaubhaft gemacht
oder gar nachgewiesen hat.
Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nämlich
voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Ein solches
hatte der Antragsteller bei Einreise ins Bundesgebiet unstreitig nicht. Entgegen seiner
Annahme war dies nicht deshalb entbehrlich, weil er hier einen Asylantrag gestellt hat.
Denn auch Ausländer, die als Asylbewerber ohne Visum eingereist sind, deren
Asylantrag aber erfolglos geblieben ist - wie vorliegend -, müssen eine asylunabhängige
Aufenthaltserlaubnis einholen, wenn sie nicht aus anderen Gründen hiervon befreit sind
oder die Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise einholen dürfen (BVerwG, Urteile vom 3.
Juni 1997 - 1 C 18/96 und 1 C 1/97 -, NVwZ 1998, 187 ff.). Hinzu kommt vorliegend, dass
der Antragsteller aus Frankreich eingereist war, wo er sich zuvor zu Asylzwecken aufhielt.
Demzufolge reiste er als dortiger Asylbewerber aus einem „sicheren“ Drittland ein und
hätte auch deshalb eines Visums für die Einreise nach Deutschland bedurft.
Zwar kann nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von der Nachholung des Visumsverfahrens
abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind
(1.) oder dies aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist (2.).
Beide Alternativen liegen jedoch schon tatbestandlich nicht vor.
1. Entgegen seiner Annahme kann der Antragsteller das Bestehen eines Anspruchs auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet ohne vorherige Durchführung
eines Visumsverfahrens nicht auf § 39 Nr. 5 AufenthV stützen. Voraussetzung hierfür
wäre, dass zum einen seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er
zum anderen währenddessen im Bundesgebiet eine Ehe schließt, die ihm einen
Anspruch auf Aufenthaltserlaubniserteilung verschafft. Bei der dabei vorausgesetzten
Aussetzung der Abschiebung muss es sich allerdings um eine solche handeln, die
unabhängig von der Eheschließung ein Abschiebungshindernis begründete (so zu Recht
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 22. August 2007 und vom
16. Januar 2008 - 2 S 61.07 und 2 S 4.08 -, juris). Anderenfalls würde die Eheschließung
gewissermaßen doppelt berücksichtigt werden, nämlich im Rahmen der Feststellung der
Abschiebungsaussetzung und zusätzlich zur Begründung des Anspruchs auf ein
Aufenthaltsrecht. Damit aber würde die eigenständige rechtliche Bedeutung der
vorangehenden Duldung entfallen. Privilegiert sollen jedoch nur die Ausländer werden,
die sich hier mit Duldung aufhalten und sodann die Ehe schließen, nicht aber diejenigen,
denen eine Duldung nur erteilt wird, um ihnen die zeitlich unmittelbar bevorstehende
Eheschließung zu ermöglichen. So aber liegt der Fall hier. Die anderweitige Auffassung
im vom Antragsteller vorgelegten Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 5. März
2008 zu 11 S 378.08 überzeugt demgegenüber nicht. Ob die Aussetzung der
Abschiebung zudem auch noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung
fortbestehen muss (so der o.g. Beschluss vom 16. Januar 2008, anders allerdings der
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fortbestehen muss (so der o.g. Beschluss vom 16. Januar 2008, anders allerdings der
VGH Baden-Württemberg), was vorliegend nicht der Fall ist, kann deshalb dahin stehen.
2. Dass dem Antragsteller die Nachholung des Visumsverfahrens aufgrund besonderer
Umstände des Einzelfalles unzumutbar wäre, ist nicht ersichtlich.
Aus dem von ihm angeführten Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG ergibt sich kein
Abschiebungshindernis aufgrund höherrangigen Rechts. Hierdurch wird, ohne dass
hieraus unmittelbar ein Aufenthaltsrecht abzuleiten ist, die Ausländerbehörde nur
verpflichtet, diese wertentscheidende Grundsatznorm bei Entscheidungen über ein
Aufenthaltsbegehren im Hinblick auf die ehelichen Bindungen des Ausländers
entsprechend ihrem jeweiligen Gewicht in ihre Erwägungen einzubeziehen. Dem ist hier
bereits durch die Ermöglichung der Eheschließung im Inland Rechnung getragen worden.
Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe nach Art. 6 GG ist es darüber hinaus
grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu
verweisen. Eine vorübergehende Trennung zur Nachholung des Visumsverfahrens ist
auch Eheleuten nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich zumutbar. Dies hat auch
das Bundesverfassungsgericht vielfach bestätigt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4.
Dezember 2007 - 2 BvR 2341/06 -, InfAuslR 2008, 239 f. und juris).
Das Verlangen vorheriger Ausreise zur Durchführung des Visumsverfahrens ist auch
vorliegend nicht als reiner Formalismus anzusehen. Denn die Voraussetzungen eines
Nachzugsanspruchs sollen grundsätzlich vor der Einreise geprüft werden. Dass es
insoweit auch hier weiterer Aufklärung bedarf, wurde bereits dargelegt.
Die insoweit erforderliche Ausreise des Antragstellers nach Frankreich ist vorliegend
auch nicht deshalb unzumutbar, weil er befürchtet, von dort noch vor Entscheidung über
ein Nachzugsvisum in die Türkei abgeschoben zu werden, wo er möglicherweise seinen
Wehrdienst absolvieren müsse. Dass er das aus Gewissensgründen ablehne, sei aber
gerade der Grund für sein Asylbegehren schon in Frankreich gewesen. Damit kann der
Antragsteller vorliegend jedoch nicht gehört werden, denn das betrifft das Asylverfahren,
das er einschließlich der Rechtsschutzsuche in Frankreich zu betreiben hat (§§ 26a und
27a AsylVfG). Die sich aus dem Wehrdienst ergebende zeitliche Trennung als solches ist
auch Ehegatten grundsätzlich zumutbar (Beschluss des Senats vom 6. März 2008 - 11 S
43.07 -, n.v.).
Hat das Begehren des Antragstellers somit schon aus den o.g. Gründen keinen Erfolg,
kann auch offen bleiben, ob diesem das Rechtsschutzbedürfnis mit der Begründung
abgesprochen werden kann, er sei trotz Angabe seiner Wohnanschrift, wo er sich nach
eigenen Angaben auch zeitweise aufhalte, jedoch für den Antragsgegner nicht greifbar
sei, „untergetaucht“ (vgl. dazu Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 6. März
2007 - 3 S 69.06 -, n.v., und BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 – 1 C 24.97 -, DVBl. 1999,
989, 990).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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