Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 17.05.2010

OVG Berlin-Brandenburg: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, neue tatsache, persönliche eignung, erlass, rechtsverordnung, ausschluss, kompetenz, wiederholung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 6.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 6 S 25.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 1 VwGO, § 80 Abs 5
VwGO, § 123 Abs 1 VwGO, §
123 Abs 3 VwGO, Art 12 Abs 1
GG
Erneute Zulassung zum Auswahlverfahren für den Höheren
Auswärtigen Dienst
Leitsatz
Zur Frage, ob ein Bewerber, der den mündlichen Teil des Auswahlverfahrens für den höheren
Auswärtigen Dienst erfolglos durchlaufen hat, erneut zu einem Auswahlverfahren zuzulassen
ist.
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Mai 2010 wird mit Ausnahme der
Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller, der bereits am schriftlichen und mündlichen Teil des
Auswahlverfahrens 2009 für den höheren Auswärtigen Dienst teilgenommen hatte, ohne
für eine Einstellung ausgewählt worden zu sein, begehrt seine Zulassung zum
Auswahlverfahren 2010 für den höheren Auswärtigen Dienst. Auf seinen Antrag hin hat
das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. Mai 2010 der Antragsgegnerin im Wege
der einstweiligen Anordnung aufgegeben, den Antragsteller zum Auswahlverfahren 2010
für die Laufbahn des höheren Auswärtigen Dienstes zuzulassen.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der erstinstanzliche Beschluss war zu ändern
und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Der Antragsteller
hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §
920 Abs. 2 ZPO).
1. Einem etwaigen Anspruch des Antragstellers auf Zulassung zum Auswahlverfahren
2010 für den höheren Auswärtigen Dienst stehen der Bescheid vom 7. Dezember 2009
und der Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2010 entgegen.
Regelungsgegenstand der Bescheide war neben der Mitteilung über die Nichtauswahl
des Antragstellers im Auswahlverfahren 2009 auch die Feststellung, dass eine erneute
Zulassung zu einem Auswahlverfahren nicht erfolgen wird. Dieser Hinweis im
Ausgangsbescheid war aus Sicht eines objektiven Empfängers eindeutig und rechtlich
verbindlich (vgl. zu dieser Frage Beschluss des Senats vom 25. März 2009 – OVG 6 S
52.08). Die Antragsgegnerin weist bereits auf ihrer Internetseite () unter der Rubrik
„Fragen, die von Bewerberinnen und Bewerbern für den höheren Auswärtigen Dienst
häufig zum Auswahlverfahren gestellt werden“ (unter Service/Bürgerservice/Karriere im
Auswärtigen Dienst/Der höhere Dienst – Fragen und Antworten) darauf hin, dass
Bewerber, die am mündlichen Teil des Auswahlverfahrens teilnehmen und hier nicht
erfolgreich sind, nur wieder antreten können, wenn der Auswahlausschuss explizit eine
entsprechende Empfehlung abgibt. Auch in dem an den Antragsteller gerichteten
Einladungsschreiben wird darauf hingewiesen, dass eine Einladung zu diesem Verfahren
grundsätzlich nur einmal erfolge. Der Antragsteller hat die Feststellung in dem Bescheid
vom 7. Dezember 2009 offensichtlich auch als eine Regelung aufgefasst, denn mit
seinem Widerspruch wendet er sich im Wesentlichen gegen den Ausschluss von einem
weiteren Zulassungsverfahren und beantragt seine Zulassung zum Auswahlverfahren
2010. Diesen Antrag hat die Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid abgelehnt und
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2010. Diesen Antrag hat die Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid abgelehnt und
die Entscheidung, den Antragsteller von einem weiteren Auswahlverfahren
auszuschließen, begründet.
Diese Bescheide muss sich der Antragsteller im Rahmen des vorliegenden Verfahrens
auch entgegenhalten lassen. Zwar konnte sich die Antragsgegnerin im erstinstanzlichen
Verfahren, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, nicht auf die in den
Bescheiden enthaltene Feststellung, dass eine Zulassung zu weiteren Auswahlverfahren
nicht möglich ist, berufen. Die Bescheide sind nicht bestandskräftig geworden, obwohl
der Antragsteller bislang noch keine Klage erhoben hat, denn der Widerspruchsbescheid
wurde nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen und kann daher noch mit einer
Klage angefochten werden (§ 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Mit Erhebung des Widerspruchs
gegen den Ausgangsbescheid ist auch gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO die
aufschiebende Wirkung eingetreten, die, wie den Regelungen des § 80 Abs. 5 Satz 2, §
80b Abs. 1 Satz 1 VwGO zu entnehmen ist, nicht mit Erlass des Widerspruchsbescheides
endete. Die Antragsgegnerin hat aber mit Bescheid vom 9. Juni 2010 die sofortige
Vollziehung des Bescheides vom 7. Dezember 2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2010 angeordnet und damit die
aufschiebende Wirkung beseitigt. Einen Antrag auf Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage hat der Antragsteller nicht
gestellt.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 7. Dezember 2009 und
des Widerspruchsbescheides ist im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen, obwohl die
Antragsgegnerin sie erst nach Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung erlassen hat.
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens sind entscheidungserhebliche Tatsachen, auf die
sich der Beschwerdeführer innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist (vgl. § 146 Abs. 4
Satz 1 VwGO) beruft, auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erst nach Erlass der
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eingetreten sind. Dies ergibt sich aus dem Zweck
des Beschwerdeverfahrens. Das Beschwerdeverfahren hat im Rahmen des vorläufigen
Rechtsschutzes die Aufgabe einer zweiten Tatsacheninstanz und dient daher der
Überprüfung der angefochtenen Entscheidung in tatsächlicher und in rechtlicher
Hinsicht. Angesichts dessen sind im Beschwerdeverfahren alle vom Beschwerdeführer
dargelegten Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die für den Erfolg des angestrebten
Rechtsmittels entscheidungserheblich sein können. Dazu gehören auch solche
Umstände, die das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigen konnte, weil sie erst nach
dessen Entscheidung eingetreten sind. Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - der
Beschwerdeführer die neue Tatsache selbst geschaffen hat, um dem angegriffenen
Beschluss des Verwaltungsgerichts den Boden zu entziehen (vgl. u.a. Beschluss des
Senats vom 26. April 2007 - OVG 6 S 2.07 -, mit zahlreichen Nachweisen aus der
Rechtsprechung).
2. Bei dieser Sachlage muss nicht abschließend geprüft werden, ob der Ausschluss des
Antragstellers von einem weiteren Auswahlverfahren rechtmäßig war. Es spricht
allerdings viel dafür, dass das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass
der Ausschluss von im mündlichen Verfahren nicht erfolgreich gewesenen Bewerbern
von weiteren Auswahlverfahren einer gesetzlichen Regelung bedarf oder zumindest auf
der Grundlage eines Gesetzes durch Rechtsverordnung erfolgen muss. Hierbei bedarf
keiner Klärung, ob sich dieses Erfordernis, wie der Antragsteller vorträgt, aus Art. 12 Abs.
1 Satz 2 GG ergibt. Dagegen könnte sprechen, dass das Grundrecht der Freiheit der
Berufswahl und -ausübung bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst durch
Art. 33 Abs. 2 GG überlagert wird und somit kein Anspruch auf Zugang zu derartigen
Berufen besteht, die Stellen vielmehr nach Eignung, Leistung und Befähigung besetzt
werden und Art. 33 Abs. 2 GG dem Bewerber lediglich einen Anspruch darauf einräumt,
dass über seine Bewerbung unter Beachtung der vorgenannten Kriterien
ermessensfehlerfrei entschieden wird. Eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihre
Verwaltungspraxis, in einem mündlichen Auswahlverfahren erfolglose Bewerber in der
Regel nicht erneut zu einem Auswahlverfahren zuzulassen, zumindest durch eine
Rechtsverordnung zu regeln, dürfte sich aber jedenfalls aus § 12 Abs. 1 Satz 2 GAD
ergeben. Hiernach bestimmt das Auswärtige Amt durch Rechtsverordnung die
Einzelheiten der Laufbahn, Ausbildung und Prüfung für die Laufbahnen des mittleren,
gehobenen und höheren Auswärtigen Dienstes. Diese Vorschrift hat die Antragsgegnerin
in nicht zu beanstandender Weise dahingehend ausgelegt, dass sie damit auch
ermächtigt ist, im Rahmen der hierauf gestützten Rechtsverordnung Regelungen
betreffend den Zugang zum Vorbereitungsdienst, mithin das Auswahlverfahren zu
treffen. In § 6 der Verordnung über die Laufbahn, Ausbildung und Prüfung für den
höheren Auswärtigen Dienst (LAP-hADV) finden sich die wesentlichen Regelungen zur
Durchführung des Auswahlverfahrens und zur Zusammensetzung des
Auswahlausschusses. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Bewerber
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Auswahlausschusses. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Bewerber
nach erfolgloser Absolvierung des mündlichen Teils des Auswahlverfahrens erneut zu
einem Auswahlverfahren zuzulassen ist, ist indes nicht geregelt. Hierbei handelt es sich
aber nicht um eine unwesentliche und deshalb keine Regelung erfordernde
Verfahrensfrage. Angesichts des Umstandes, dass im Regelfall ein einmal abgelehnter
Bewerber nicht gehindert ist, sich erneut auf eine Stelle in einem von ihm angestrebten
Beruf im öffentlichen Dienst zu bewerben, bedurfte die hier praktizierte Ausnahme
vielmehr einer ausdrücklichen Regelung.
Inhaltlich begegnet eine Regelung, der zufolge eine wiederholte Teilnahme am
Bewerbungsverfahren grundsätzlich nicht zugelassen wird, wenn der Bewerber im
mündlichen Teil des Auswahlverfahrens gescheitert ist, aber keinen Bedenken. Der
Antragsteller kann einen Anspruch auf eine „zweite Chance“ weder aus Art. 12 Abs. 1
GG noch aus Art. 33 Abs. 2 GG herleiten. Zwar mag die im Prüfungsrecht üblicherweise
eingeräumte Möglichkeit, eine fehlgeschlagene Prüfung zu wiederholen,
verfassungsrechtlich geboten sein, da Prüfungen komplexe Wissenssachgebiete lediglich
stichprobenartig abfragen können und der Schwierigkeitsgrad zwischen verschiedenen
Prüfungsdurchgängen schwanken kann (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 14. März 1989
– 1 BvR 1033/82, 1 BvR 174/84 -, BVerfGE 80, 1 sowie BVerwG, Beschluss vom 18.
November 1985 – 7 B 11.85 -, DÖV 1986, 476). Der mündliche Teil des
Auswahlverfahrens ist aber nicht mit einer derartigen Prüfung vergleichbar. Den von der
Antragsgegnerin vorgelegten Hinweisen zum mündlichen Auswahlverfahren höherer
Auswärtiger Dienst ist zu entnehmen, dass in diesem Teil des Auswahlverfahrens –
anders als in dem schriftlichen Teil, dessen Wiederholung die Antragsgegnerin
unbegrenzt zulässt - nicht Wissen abgefragt wird, sondern die persönliche Eignung und
praktische Befähigung der Bewerber überprüft und festgestellt wird, ob die Bewerber
dem Anforderungsprofil des höheren Auswärtigen Dienstes entsprechen. Es werden
sieben hierfür wesentliche „Schlüsselkompetenzen“ bewertet, nämlich strategische
Kompetenz, intellektuelle Fähigkeit und Einfallsreichtum, Kommunikationsfähigkeit,
soziale Kompetenz, interkulturelle Kompetenz, Souveränität und Motivation (vgl. die
Hinweise zum mündlichen Auswahlverfahren, VV Bd. II Fach 1 Nr. 2 und Fach 2). Es
dürfte auch im Beurteilungsspielraum der Antragsgegnerin liegen, hinsichtlich der
persönlichen Eignung für den höheren Auswärtigen Dienst Anforderungen zu stellen, bei
deren deutlicher Verfehlung eine Übernahme absolut ausgeschlossen ist, da nicht davon
auszugehen ist, dass der abgelehnte Bewerber bei einer Wiederholung des Verfahrens
die Auswahlkriterien erfüllt und sich somit in einer neuen Bewerberkohorte durchsetzt.
Die Gestaltung des mündlichen Auswahlverfahrens stellt sicher, dass eine Beurteilung
der persönlichen Eignung in nur einem Durchgang in der Regel hinlänglich sicher erfolgen
kann. Das Verfahren setzt sich aus den vier Elementen Einzelvorstellung, Plädoyer,
Gruppendiskussion und Gruppenaufgabe zusammen (vgl. VV Bd. II Fach 1 Nr. 3, 4 und
5). Der die Bewerber beurteilende Auswahlausschuss besteht aus sieben Mitgliedern,
außerdem wird das gesamte Verfahren von zwei Psychologen beobachtet, die zusätzlich
ein Einzelgespräch mit den Bewerbern führen und über jeden Bewerber eine
Stellungnahme mit abschließender Empfehlung abgeben (vgl. VV Bd. II Fach 1 Nr. 1).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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