Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 26.05.2010

OVG Berlin-Brandenburg: autopsie, garantie der menschenwürde, einwilligung, verfügung, ausstellung, bedingung, leiche, einverständnis, besucher, sektion

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 12 N 45.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 124 Abs 2 Nr 3 VwGO
Berufungsfähigkeit von Fragen bezüglich einer Einwilligung in
eine Präparation und "Plastination" von Leichen im Rahmen
einer kostenpflichtigen Ausstellung
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Mai 2010 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht begründet.
1. Unter Zugrundelegung des allein maßgeblichen Zulassungsvorbringens bestehen
keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Es kann offen bleiben, ob die Einwendungen der Klägerin gegen die Abweisung der Klage
als unzulässig durchgreifen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage hilfsweise auch mit
dem selbstständig tragenden Argument als unbegründet angesehen, dass die
Durchführung der von dem Beklagten untersagten „Live“-Präparation einer Einwilligung
des Körperspenders bedarf und dass derartige wirksame Einwilligungen nicht vorliegen.
Dem tritt der Zulassungsantrag nicht mit Erfolg entgegen.
Die Klägerin kann sich auf die von ihr eingereichten Einwilligungserklärungen nicht
berufen, weil aus ihnen nicht eindeutig und klar hervorgeht, dass die Betroffenen mit
einer Vornahme der untersagten Maßnahmen einverstanden waren. Dies ergibt sich aus
einer – zulässigen – Auslegung der maßgeblichen Passagen, bei der u.a. auch der
Empfängerhorizont bzw. der Horizont der Körperspender zu berücksichtigen sind.
Die Verfügung „Körperspende zur Plastination“, die die 1918 geborene weibliche
Körperspenderin am 6. Juli 2006 und der 1932 geborene männliche Körperspender am
26. November 2006 unterzeichnet haben, erwähnt keine „Plastination“ in der
Öffentlichkeit, sodass insoweit keine wirksame Zustimmung vorliegt. Gleiches gilt in
Bezug auf die mit der Verfügung überlassene zweiseitige „Meinungsäußerung zur
Körperspende und Plastination“. Dort erklären sich die Unterzeichner nur damit
einverstanden, dass der bereits „plastinierte Körper“ in der Öffentlichkeit (z.B. in einem
Museum) gezeigt wird“.
Ebenso wenig lassen sich wirksame Einwilligungen der erst später unterzeichneten
„Meinungsumfrage und Verfügung zur Körperspende“ entnehmen, mit der die zuvor
getroffenen Verfügungen aus der Sicht der Klägerin geändert werden konnten.
Soweit die Klägerin meint, der männliche Körperspender habe seine Zustimmung
erklärt, indem er Frage Nr. 33 mit „Ja“ beantwortet habe, ist ihr nicht zu folgen. Die mit
„Öffentlichkeit bei der Autopsie“ überschriebene Frage Nr. 33 soll beantwortet werden,
indem der Adressat ankreuzt, ob er mit einer öffentlichen Autopsie einverstanden ist
(ja/nein) bzw. indem er ankreuzt, dass er keine Angaben macht. Die Autopsie wird dort
zuvor wie folgt definiert: „Bei der Autopsie wird der Körper für Lehr- und
Aufklärungszwecke zum Zweck der Feststellung der Todesursache geöffnet. […]“.
Außerdem enthält der Text am Ende in Klammern und kursiver Schrift die
„Zusatzinformation“: „Weil bei uns die Autopsie nur zu Ausbildungszwecken
durchgeführt wird und der Körper danach für die Plastination verwendet werden soll, ist
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durchgeführt wird und der Körper danach für die Plastination verwendet werden soll, ist
eine Beantwortung kriminalistischer oder versicherungsrechtlicher Fragen bei einer
solchen Autopsie nicht möglich.“ Die sich an Frage Nr. 33 anschließende Frage Nr. 34 ist
mit „Autopsie, Präparation und Plastination in der Öffentlichkeit als Bedingung“
überschrieben. Hier hat der männliche Körperspender angekreuzt, dass er keine
Angaben mache.
Angesichts der genannten Formulierungen lässt sich der durch den männlichen
Körperspender erklärten Einwilligung nicht entnehmen, ob sie sich tatsächlich auch auf
die streitigen „Live“-Präparationen bezieht. Der Leser des Fragebogens kann nicht
eindeutig erkennen, dass er mit der Zustimmung zu einer öffentlichen Autopsie auch
den von der Klägerin in der Öffentlichkeit an seinem Körper durchgeführten
Plastinationspräparationen zustimmt. Dass gerade der hier betroffene Körperspender
dies dennoch erkannt haben könnte, ist weder ersichtlich noch glaubhaft gemacht:
Schon die zu Beginn der Frage Nr. 33 vorgenommene Definition der Autopsie führt den
Leser in die Irre, weil die von der Klägerin mit dem Ziel der „Plastination“
vorgenommene Sektion gerade nicht „für Lehr- und Aufklärungszwecke zum Zweck der
Feststellung der Todesursache“ durchgeführt werden soll. Zwar lässt sich der
Zusatzinformation entnehmen, dass die Klägerin eine Autopsie nur zu
„Ausbildungszwecken“ vornimmt und der „Körper danach für die Plastination verwendet
werden soll“, so dass eine Beantwortung kriminalistischer und versicherungsrechtlicher
Fragen bei einer solchen Autopsie nicht möglich ist. Daraus ergibt sich jedoch nicht mit
der gebotenen Klarheit, dass die Klägerin beabsichtigt, eine Autopsie im Rahmen einer
öffentlichen und kostenpflichtigen Veranstaltung durchzuführen, an der jeder Besucher
der Ausstellung teilnehmen kann. Die Zweifel, die in Bezug auf den Umfang der
Einwilligung bestehen, werden auch nicht durch die Zusatzinformation entkräftet, weil die
Autopsie danach ausdrücklich nur zu „Ausbildungszwecken“ durchgeführt werden soll.
Auch insoweit fehlt es an einer deutlichen und unmissverständlichen Erläuterung. Daran
ändert die Behauptung der Klägerin nichts, dass für die Teilnahme an der „Live“-
Präparation keine zusätzlichen Kosten erhoben worden seien. Eine Teilnahme war nur
möglich, wenn der Besucher den Eintritt für die Ausstellung entrichtet hatte.
Unabhängig davon sind die Maßnahmen, die die Klägerin durchgeführt hat, auch deshalb
nicht von der erteilten Einwilligung gedeckt, weil in Frage Nr. 33 nur von der als Öffnung
des Körpers beschriebenen öffentlichen Autopsie, nicht aber von einer Präparation und
Plastination des Körpers in der Öffentlichkeit die Rede ist. Der von der Klägerin
behauptete weiter gehende Umfang der Einwilligung ist für den Leser der Frage nicht
erkennbar. Eine Öffnung der Leiche zu Ausbildungszwecken suggeriert grundsätzlich
etwas anderes als die „Präparation und Plastination“ vor zahlenden
Ausstellungsbesuchern. Angesichts dessen greift der von der konkreten Formulierung
der Frage Nr. 33 losgelöste Einwand der Klägerin, dass eine Autopsie vor Publikum und
eine Live-Präparation vor Ausstellungsbesuchern vergleichbar seien, nicht durch.
Die weiteren Einwendungen verhelfen dem Zulassungsantrag ebenfalls nicht zum Erfolg.
Entgegen der Auffassung der Klägerin wird der Begriff der Autopsie durch die dem
Fragebogen beigefügten Fotos (u.a. öffentliche Autopsie in London 2002) nicht
konkretisiert. Entscheidend ist, dass die Vorstellungen des Lesers zum Umfang seiner
Einwilligung vorrangig durch den Text zu der Frage Nr. 33, vor allem durch die dort
gegebenen Definitionen und Erläuterungen, geprägt werden. Diese erlauben – wie
ausgeführt - gerade nicht die Annahme, dass der Körper des Spenders vor zahlendem
Publikum präpariert und plastiniert werden soll. Hinsichtlich der „öffentlichen Autopsie in
London“ wird im Text zur Frage Nr. 33 lediglich mitgeteilt, dass sie „trotz großer
Zustimmung des Publikums in Deutschland nicht wiederholt werden durfte“. Welche
konkreten Maßnahmen in welchem konkreten Rahmen in London durchgeführt worden
sind, wird hingegen nicht beschrieben. Dies lässt für den Leser und für den
Unterzeichner der Erklärung nur den Schluss zu, dass es sich auch insoweit um eine
Autopsie im Sinne der in Frage Nr. 33 gegebenen Definition handelt. Vor diesen
Hintergrund sind die Fotografien von der „Autopsie in London 2002“ nicht geeignet, die
dargestellten Unklarheiten zu beseitigen. Dass dort zahlreiche Menschen abgebildet
sind, die die als Autopsie beschriebene Maßnahme beobachten, spricht allenfalls für eine
Durchführung der Maßnahme in der Öffentlichkeit. Angesichts dessen kommt es ferner
nicht darauf an, ob die Argumentation des Verwaltungsgerichts auch auf alternative
Begriffe (Sektion usw.) anwendbar wäre und zu demselben Ergebnis geführt hätte.
Ebenso wenig überzeugt die Auffassung der Klägerin, das Einverständnis ergebe sich
auch daraus, dass die betroffenen Körperspender die Vorgehensweise der Klägerin
gekannt und einer entgeltlichen Ausstellung ihres plastinierten Körpers zugestimmt
hätten. Dies lässt sich den vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen. Das Einverständnis
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hätten. Dies lässt sich den vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen. Das Einverständnis
mit der (entgeltlichen) Ausstellung eines bereits plastinierten Körpers berechtigt nicht
automatisch zur Durchführung von Maßnahmen an einer Leiche oder an Leichenteilen.
Dies bestätigt im Übrigen letztlich auch der nach Erteilung der Verfügung zusätzlich zur
Beantwortung ausgegebene Fragebogen der Klägerin, weil anderenfalls die Frage Nr. 33
nicht hätte gestellt werden müssen. Dass im Fall der Körperspender etwas anders hätte
gelten müssen, ist weder ersichtlich noch glaubhaft gemacht. Dem Verwaltungsgericht
musste sich insoweit auch keine weitere Aufklärung aufdrängen.
Unabhängig davon liegt eine wirksame Einwilligungserklärung des männlichen
Körperspenders auch deshalb nicht vor, weil dem an die Körperspender mit dem
Fragebogen übersandten Begleitschreiben zufolge eine Änderung ihrer ursprünglichen
Verfügung nur dann bewirkt werden soll, wenn der Körperspender in Teil 2 (S. 14 des
Bogens) die dort als Einwilligung bezeichnete Erklärung („Ich bitte, wenn möglich, meine
in diesem Fragebogen in Teil 1 dargelegte Meinung bei der Plastination meines Körpers
zu berücksichtigen“) mit „ja“ beantwortet. Dies hat der männliche Körperspender jedoch
gerade nicht getan, denn er hat die Rubrik „keine Angabe“ angekreuzt.
Nichts anderes gilt im Ergebnis hinsichtlich der Einwilligungserklärung der weiblichen
Körperspenderin, bei der es sich offensichtlich trotz des handschriftlich angegebenen
Geburtsjahrganges „1913“ um die ausweislich der weiteren Dokumente 1918 geborene
Körperspenderin handelt. Sie hat zu der Frage Nr. 33 keine Angaben gemacht und die
mit „Autopsie, Präparation und Plastination in der Öffentlichkeit als Bedingung“
überschriebene Frage Nr. 34 mit „ja“ beantwortet. Auch hier bezieht sich die
Einverständniserklärung ausdrücklich nur auf eine öffentliche Autopsie, wobei – anders
als in Frage Nr. 33 - die Öffentlichkeit zur Bedingung der Zustimmung gemacht wird („Ich
bin mit einer Autopsie nur einverstanden, wenn die interessierte Öffentlichkeit Zutritt
hat. Damit ist gemeint, dass Vertreter der Medien und Laien daran teilnehmen dürfen.“).
Da die Frage Nr. 34 den in Frage Nr. 33 definierten Autopsiebegriff nicht erweitert oder
ändert, kann die Autopsie in der sich an Nr. 33 anschließenden Frage nur in dem bereits
dargelegten Sinne verstanden werden, sodass auf die obigen Ausführungen Bezug
genommen wird. Hinzu kommt, dass die Überschrift zu der Frage Nr. 34 zwischen
Autopsie, Präparation und Plastination unterscheidet, während der Text und vor allem
die Einverständniserklärung nur die Autopsie nennen. Auch insoweit spricht alles dafür,
dass sich die Einwilligung allein auf eine Autopsie und nicht auf eine Präparation und
Plastination des Körpers in der Öffentlichkeit vor zahlendem Publikum bezieht.
Angesichts dessen kann offen bleiben, ob es mit dem Verwaltungsgericht auch auf die
Umstände, die die Abgabe der späteren Erklärung betreffen, auf deren Bezeichnung als
„Meinungsumfrage und Verfügung zur Körperspende“ sowie auf den Umfang und Aufbau
des Fragenkatalogs ankommt, der erst am Ende eine pauschale Einwilligungserklärung
zu den in Teil 1 genannten Fragen enthält, mit der jedoch lediglich die Bitte formuliert
wird, die gegebenen Antworten – wenn möglich – bei der Plastination des Körpers zu
berücksichtigen.
2. Der Zulassungsantrag legt nicht mit Erfolg dar, dass die Rechtssache besondere
rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten aufweist (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) Auf die
Frage, wie weit die Garantie der Menschenwürde reicht, kommt es mangels wirksamer
Einwilligungserklärungen nicht entscheidungserheblich an.
3. Der Rechtssache kommt unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens auch
keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die aufgeworfenen
Fragen, die die Garantie der Menschenwürde betreffen, sind aus den dargelegten
Gründen nicht entscheidungserheblich. Die Frage, welchen Anforderungen eine
Einverständniserklärung genügen muss, damit sie als wirksame Ausübung des
Selbstbestimmungsrechtes anerkannt werden kann, ist einer grundsätzlichen Klärung in
einem Berufungsverfahren nicht zugänglich. Abgesehen davon, dass die Frage - in die
die Klägerin zudem auch Betreuungs- und Patientenverfügungen einbezieht - zu
allgemein formuliert ist, richten sich die Anforderungen an eine Einverständniserklärung
zumindest auch nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Dass die
Erklärung hinreichend klar und eindeutig sein muss, woran es hier fehlt, bedarf ebenfalls
keiner weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren. Im Übrigen begehrt die Klägerin,
soweit sie sich gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts wendet und dessen
Anforderungen für überzogen hält, letztlich eine erneute Überprüfung der Sach- und
Rechtslage, die sie jedoch mit der Grundsatzrüge nicht erreichen kann.
4. Die Ausführungen zur Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) sind hier nicht
entscheidungserheblich, weil sie sich allein auf die von dem Verwaltungsgericht verneinte
Zulässigkeit der Klage beziehen, auf die der Senat nicht abgestellt hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung
mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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