Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 28.05.2010

OVG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, veranstaltung, vollziehung, gemeinschaftsrecht, vorrang, internet, vermittler, aussetzung, sammlung, quelle

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 S 86.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 5 S 1 Alt 1 VwGO, §
146 VwGO, § 4 Abs 1 GlüStVtr
BE, § 9 Abs 1 S 2 Nr 3 GlüStVtr
BE, § 9 Abs 2 GlüStVtr BE
Ordnungsrecht: Untersagung der Veranstaltung und Vermittlung
von Sportwetten privater Anbieter; Anordnung der gesetzlich
ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Mai 2010 wird mit Ausnahme der
Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende
Wirkung ihrer Klage VG 3… gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17. Juni 2009
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2009 anzuordnen, wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 12.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners
rechtfertigt eine Änderung des angefochtenen Beschlusses (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO).
Der Antragsgegner untersagte der Antragstellerin mit Bescheid vom 17. Juni 2009 die
Veranstaltung, Vermittlung und Bewerbung von Sportwetten im Land Berlin und drohte
ihr für den Fall der Nichtbefolgung der Untersagungsverfügung ein Zwangsgeld in Höhe
von 25.000 Euro an. Die Untersagung knüpft daran an, dass anlässlich zweier
Betriebsstättenkontrollen am 10. März und 11. Juni 2009 in der Betriebsstätte der
Antragstellerin in der M. in … Berlin ein Wettautomat Ambassador vorgefunden worden
war, über den Sportwetten getätigt werden können. Im Widerspruchsverfahren machte
die Antragstellerin geltend, der Wettautomat sei zu diesem Zeitpunkt nicht in Betrieb
und eine Wettvermittlung aus technischen Gründen nicht möglich gewesen. Der
Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2009 zurückgewiesen. Über
die Klage der Antragstellerin (VG 3…) ist noch nicht entschieden. Im vorliegenden
Verfahren teilte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 14. Januar 2010 mit, dass sie seit
dem 1. September 2009 Sportwetten an einen österreichischen Wettveranstalter
vermittle. Mit Beschluss vom 28. Mai 2010 hat das Verwaltungsgericht die
aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs der Antragstellerin gegen die
Untersagungsverfügung angeordnet. Es hat offen gelassen, ob die
Untersagungsverfügung bereits deshalb rechtswidrig sei, weil die Antragstellerin eigenen
Angaben zufolge im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids mit der Vermittlung von
Sportwetten noch gar nicht begonnen gehabt habe, sondern erst danach am 1.
September 2009. Weiterhin hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf seine ständige
Rechtsprechung zu dem streitgegenständlichen Themenkreis ausgeführt, dass das sog.
staatliche Sportwettenmonopol im Land Berlin nach Überzeugung der Kammer
verfassungswidrig und gemeinschaftsrechtswidrig sei; dementsprechend habe die
Kammer in mehreren gleichgelagerten Hauptsacheverfahren den Klagen stattgegeben.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts kann auf der Grundlage des
Beschwerdevorbringens und vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des
Senats keinen Bestand haben. Der angegriffene Beschluss unterliegt nach der
zutreffenden Einschätzung des Antragsgegners erheblichen Richtigkeitszweifeln, so dass
die Anordnung der (kraft Gesetzes ausgeschlossenen) aufschiebenden Wirkung bei
Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht in Betracht kommt.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehen im Ergebnis keine
durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Untersagungsverfügung. Deren Rechtswidrigkeit ergibt sich entgegen der Auffassung der
Antragstellerin nicht schon daraus, dass sie eigenen Angaben zufolge erst seit dem 1.
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Antragstellerin nicht schon daraus, dass sie eigenen Angaben zufolge erst seit dem 1.
September 2009, mithin nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens, die Vermittlung
von Sportwetten betrieben haben will. Abgesehen davon, dass ggf. der Behauptung der
Antragstellerin, bei den beiden Betriebsstättenkontrollen am 10. März und 11. Juni 2009
sei der vorgefundene Wettautomat nicht in Betrieb und eine Wettvermittlung aus
technischen Gründen nicht möglich gewesen, erst im Hauptsacheverfahren mit den dort
zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten nachgegangen werden kann,
begründet dieser Einwand nach dem Maßstab des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens
bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Richtigkeitszweifel. Denn es spricht
Überwiegendes dafür, dass für den Erfolg der Klage gegen die Untersagungsverfügung,
bei der es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handeln dürfte, die Sach- und
Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Entscheidung maßgeblich
sein dürfte und daher Veränderungen der Sachlage bis zum Schluss der mündlichen
Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu berücksichtigen wären (vgl. BVerwG, Urteile
vom 21. August 2003 - 3 C 15.03 -, juris Rn. 21, und vom 28. Januar 1988 - 3 C 48.85 -,
juris Rn. 15). Auf dieser Grundlage steht es außer Frage, dass die Voraussetzungen der
Untersagungsverfügung im Fall der Antragstellerin jedenfalls ab dem 1. September 2009
(ggf. auch schon bei Erlass des Bescheids) erfüllt waren.
Die Untersagungsverfügung beruht auch auf einer wirksamen Rechtsgrundlage. Die vom
Verwaltungsgericht in ständiger Spruchpraxis angenommenen Zweifel an der
Wirksamkeit der glücksspielrechtlichen Ermächtigungsgrundlage in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
3 GlüStV i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 des Glücksspielstaatsvertrages (- GlüStV -, GVBl. 2007
S. 604) teilt der Senat nicht. Die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages und des
dazu erlassenen Berliner Ausführungsgesetzes zum sog. Sportwettenmonopol (§ 4 Abs.
2 Satz 2, § 10 Abs. 2 GlüStV und § 5 AGGlüStV) lassen gemessen an den nach dem
Sportwetten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 115, 276) zu beurteilenden
Anforderungen keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit
erkennen. Insoweit verweist der Senat auf seine diesbezüglichen eingehenden
Ausführungen in zahlreichen gleichgelagerten Entscheidungen, an denen er auch nach
erneuter Prüfung festhält (vgl. statt vieler Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2009 -
OVG 1 S 11.09 -, juris Rn. 10 ff.). Ebenso wenig vermag der Senat zu erkennen, dass die
streitgegenständlichen gesetzlichen Regelungen des Sportwettenmonopols gegen
Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts verstoßen. Insbesondere
bestehen keine Anhaltspunkte für eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit nach Art.
49 EG, die dazu führen könnte, dass die hier einschlägigen gesetzlichen Vorschriften
unangewendet bleiben dürften. Auch insoweit folgt der Senat seiner bisherigen
Rechtsprechung und verweist auf die entsprechenden Ausführungen in zahlreichen
früheren Beschwerdeverfahren (vgl. nur den vorzitierten Senatsbeschluss vom 21.
Dezember 2009, juris Rn. 19 ff.), die auch im Lichte der neueren Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu diesem Themenkreis Geltung
behalten (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 8. September 2009, Rs. C-42/07 [Liga Portuguesa];
zur niederländischen Rechtslage: Urteile vom 3. Juni 2010, Rs. C-203/08 [Sporting
Exchange Ltd.] und Rs. C-258/08 [Ladbrokes Betting & Gaming Ltd.]; zur schwedischen
Rechtslage: Urteil vom 8. Juli 2010, Rs. C-447/08 und C-448/08 [Sjöberg, Gerdin]; jeweils
bei juris; ferner für die deutsche Rechtslage von Interesse: Schlussanträge des
Generalanwalts Mengozzi vom 4. März 2010 in den Rs. C-316/07 u.a., veröffentlicht im
Internet unter , Zusammenfassung bei juris) .
Schließlich besteht eine Bindung des Senats an die Entscheidungspraxis des
Verwaltungsgerichts, das in zahlreichen gleichgelagerten Hauptsacheverfahren
entsprechende Untersagungsverfügungen wegen angenommener Verfassungs- und
Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Regelung des Sportwettmonopols im
Glücksspielstaatsvertrag aufgehoben hat, entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts auch nach der Rechtsprechung des Berliner
Verfassungsgerichtshofs nicht (vgl. etwa jüngst Verfassungsgerichtshof des Landes
Berlin, Beschluss vom 1. Juni 2010 - VerfGH 15/09 - juris Rn. 42 ff.). In dem vorzitierten
Judikat hat der Verfassungsgerichtshof in Bezug auf eine vergleichbar gelagerte
Entscheidung des beschließenden Senats ausgeführt, dass sich das
Oberverwaltungsgericht nicht in verfassungswidriger Weise über stattgebende Urteile
des Verwaltungsgerichts in parallel gelagerten Verfahren anderer Sportwetten-vermittler
hinweggesetzt habe. Es sei der Argumentation des Verwaltungsgerichts mit tragfähiger
Begründung bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht gefolgt. Im Mittelpunkt
der bundesweit geführten Verfahren gegen die Untersagung der privaten
Sportwettenvermittlung stehe die Frage, ob die Ausgestaltung des staatlichen
Sportwettmonopols auf der Grundlage des Glücksspielstaatsvertrages mit Verfassungs-
und Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Das Verwaltungsgericht habe dies für die
Rechtslage in Berlin aufgrund einer vom jeweiligen konkreten Einzelfall losgelösten
rechtlichen Prüfung verfassungs- und gemeinschaftsrechtlicher Fragen verneint. Auf die
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rechtlichen Prüfung verfassungs- und gemeinschaftsrechtlicher Fragen verneint. Auf die
Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts in den konkreten Verfahren sei
es insoweit nicht angekommen, eine förmliche Beweisaufnahme habe nicht
stattgefunden. Die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen zur tatsächlichen
Ausgestaltung des staatlichen Sportwettenangebots hätten nicht auf den regelmäßig
weiter gehenden Erkenntnismöglichkeiten des Hauptsacheverfahrens, sondern
wesentlich auf allgemeinkundigen Erkenntnissen aus der Beobachtung des öffentlichen
Auftritts und der Werbemaßnahmen des staatlichen Wettveranstalters beruht. Das
Verwaltungsgericht habe mithin für die Beurteilung der verfassungs- und
gemeinschaftsrechtlichen Rechtslage nicht über eine andere oder gar bessere
Erkenntnisgrundlage als das Oberverwaltungsgericht im Ausgangsverfahren verfügt
(a.a.O., Rn. 43 und 45). Diese Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs können auch
für das vorliegende Verfahren Geltung beanspruchen; ihnen ist nichts hinzuzufügen.
Bestehen danach keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen
Bescheids, gebührt der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung Vorrang vor
dem privaten - in erster Linie wirtschaftlichen - Interesse der Antragstellerin an deren
Aussetzung. Im Übrigen ginge bei der dargestellten Sachlage auch eine reine
Folgenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus. Denn eine Anordnung der
aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs hätte zur Folge, dass die nicht zu
beanstandenden Schutzzwecke des Glücksspielstaatsvertrages bis zur endgültigen
Klärung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung vereitelt würden und sich
entgegen der gesetzgeberischen Absicht, das Angebot an Sportwetten zu begrenzen,
private Sportwettangebote entwickeln und in ihren Strukturen verfestigen könnten. Dem
gegenüber steht allein das Erwerbsinteresse der Antragstellerin, das nicht vergleichbar
schutzwürdig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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