Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 24.09.2007

OVG Berlin-Brandenburg: satzung, rückwirkung, rechtsgrundlage, ausnahme, bekanntmachung, erlass, vollstreckung, wechsel, verfahrensökonomie, entlastung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 9 B 60.08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 1 S 1 KAG BB, § 8 Abs
7 S 2 KAG BB, § 12 Abs 1 Nr 2b
KAG BB, § 38 AO, § 155 AO
Heilung ohne ausreichende Satzungsgrundlage erlassener
Abwasserbescheide; Rückwirkung von Abgabensatzungen;
Rückwirkungserfordernis auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe
der ersten Satzung mit formalem Geltungsanspruch
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder)
vom 24. September 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zu einem Abwasseranschlussbeitrag für
den im Jahr 2002 erfolgten Anschluss ihres Grundstücks an die zent-rale öffentliche
Abwasserentsorgungsanlage.
Der von dem Beklagten vertretene Zweckverband beschloss erstmals am 26. Mai 1993
eine Gebühren- und Beitragssatzung (GBS-ES 1993). Die nachfolgende Beitrags- und
Gebührensatzung vom 16. Juli 1997 (BGS-ES 1997) maß sich Geltung ab dem Tag ihrer
Bekanntmachung bei und enthielt eine Tiefenbegrenzungsregelung. Eine
Tiefenbegrenzungsregelung enthielt gleichfalls die Beitrags- und Gebührensatzung vom
11. Dezember 2001 (BGS-ES 2002), die ein In-Kraft-Treten zum 1. Januar 2002
bestimmte. Die am 5. November 2002 beschlossene Beitrags- und Gebührensatzung für
den Zeitraum vom 1. Januar 1996 bis 31. Dezember 2002 (BGS-ES 1996-2002) trat
rückwirkend zum 1. Januar 1996 in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2002 außer
Kraft. Ebenfalls am 5. November 2002 wurde die Beitrags- und Gebührensatzung mit
Wirkung ab dem 1. Januar 2003 (BGS-ES 2003)beschlossen. Diese wurde von der am 17.
August 2004 beschlossenen und am 21./22. August 2004 öffentlich bekannt gemachten
Beitrags- und Gebührensatzung abgelöst, die nach ihrem § 30 zum 1. Juli 2004 in Kraft
trat (BGS-ES 2004). Am 28. Januar 2009 wurde eine neue Beitrags- und
Gebührensatzung mit Wirkung ab dem 1. Februar 2009 beschlossen (BGS-ES 2009).
Der Beklagte zog die Kläger mit Bescheid vom 7. Mai 2003 zu einem
Abwasseranschlussbeitrag in Höhe von 4 181,32 EUR heran. Den dagegen eingelegten
Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2003 zurück.
Die Kläger haben am 27. Oktober 2003 Klage erhoben, mit der sie die Aufhebung des
Bescheides begehrten, soweit darin eine den Betrag von 2 292,58 EUR übersteigende
Beitragsforderung festgesetzt wurde. Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil
vom 24. September 2007 mit der Begründung stattgegeben, dass es dem
angegriffenen Bescheid an einer satzungsmäßigen Ermächtigungsgrundlage fehle.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat durch Beschluss vom 23. April 2008
zugelassene Berufung des Beklagten, zu deren Begründung er u. a. ausführt, dass
zumindest die BGS-ES 2004 eine wirksame Rechtsgrundlage für den Bescheid sei.
Der Beklagte beantragt,
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die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder)
vom 24. September 2007 abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und die von dem Beklagten eingereichten Satzungsunterlagen und
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den
angegriffenen Bescheid des Beklagten zu Recht teilweise aufgehoben. Der Bescheid ist
in dem von den Klägern zur Überprüfung gestellten Umfang rechtswidrig und verletzt sie
in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dem angegriffenen Bescheid fehlt es an einer nach § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG erforderlichen
satzungsrechtlichen Grundlage.
Die Rechtswirksamkeit der BGS-ES 2004 kann dabei ebenso dahingestellt bleiben wie die
der BGS-ES 2009. Beide Satzungen kommen vorliegend als Rechtsgrundlagen nicht in
Betracht, da sie erst nach dem Ergehen des Beitragsbescheides sowie des
Widerspruchsbescheides, die beide aus dem Jahr 2003 stammen, in Kraft getreten sind.
Ein ohne ausreichende Satzungsgrundlage erlassener Abgabenbescheid ist zwar durch
den nachträglichen Erlass einer Satzung grundsätzlich heilbar. Ob eine Heilung nur
eintritt, wenn sich der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Satzung mit dem des Erlasses
des Ausgangsbescheides bzw. zumindest des Widerspruchsbescheides deckt oder eine
zu einem späteren Zeitpunkt wirksam werdende Satzung ausreichen kann, beantwortet
sich nach dem einschlägigen materiellen Recht (BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 - 8 C
87/88 -, juris). Nach der Rechtsprechung des OVG Brandenburg bedarf es für einen
Abgabenbescheid nach dem KAG einer Abgabensatzung, die spätestens für den
Zeitpunkt seines Wirksamwerdens bzw. des Erlasses des Widerspruchsbescheides
Geltung hat. Eine nachträglich erlassene Abgabensatzung genügt diesem Erfordernis
nur, soweit der Satzungsgeber unter Beachtung der verfassungsrechtlichen
Einschränkungen den maßgebenden Bestimmungen eine entsprechende Rückwirkung
beilegt (OVG Brandenburg, Urteil vom 14. März 1996 - 2 A 52/95 -, S. 7 des UA). An
dieser Rechtsprechung hält der Senat mit Blick auf § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG fest. Danach
dürfen [kommunale] Abgaben nur aufgrund einer Satzung erhoben werden. Bereits der
Wortlaut der Bestimmung legt nahe, dass zunächst die Abgabensatzung und erst
danach die darauf gestützten Abgabenbescheide zu erlassen sind. Diese Auslegung wird
durch folgende Überlegung bestätigt: Kommunale Gebühren und Steuern dürfen schon
verfassungsrechtlich nur für solche Zeitabschnitte erhoben werden, in denen die
Gebühren- oder Steuerpflicht bereits durch eine Satzung geregelt gewesen ist. § 2 Abs.
1 Satz 1 KAG hat insoweit klarstellenden Charakter. Weil die Bestimmung indessen
unterschiedslos für alle Kommunalabgaben gilt, muss sie auch in Bezug auf alle
Kommunalabgaben einheitlich ausgelegt werden, so dass die Reihenfolge - erst Satzung,
dann Bescheid - durchgängig einzuhalten ist. Allein diese Reihenfolge wird auch dem
Umstand gerecht, dass die Abgabenpflicht schon mit der Erfüllung des
Abgabentatbestandes entsteht (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b KAG i. V. m. § 38 AO) und
der Abgabenbescheid die bereits entstandene Pflicht nur noch konkretisiert (§ 12 Abs. 1
Nr. 4 Buchstabe b KAG i. V. m. § 155 AO). Von dieser vorgegebenen Reihenfolge kann
zwar in den Fällen abgewichen werden, in denen es verfassungsrechtlich zulässig ist,
eine Satzung rückwirkend zu erlassen. Denn diese (ungeschriebene) Ausnahme
durchbricht die durch § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG vorgegebene Reihenfolge im Grunde nicht.
Zum einen setzt der rückwirkende Satzungserlass regelmäßig voraus, dass es früher
bereits einen - wenn auch fehlgeschlagenen Satzungsgebungsversuch - gegeben hat.
Zum anderen wird die in § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG vorgegebene Reihenfolge von Satzung
und Bescheid formal immer noch dadurch eingehalten, als über die
Rückwirkungsanordnung gerade fingiert wird, dass die Satzung bereits im Zeitpunkt des
Bescheiderlasses in der Welt gewesen ist; diese Fiktion ist auch für alle erkennbar. Die
Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Rechtsklarheit leiden deshalb keinen
Schaden.
Anders wäre es bei einer weiteren Ausnahme dahin, dass Bescheide auch durch den
späteren Erlass nicht rückwirkender Satzungen "geheilt" werden können. Hierin läge eine
Abweichung von § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG, die einen Verlust an Rechtsklarheit mit sich
brächte, weil die Adressaten von Abgabenbescheiden nunmehr auch solche Satzungen
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brächte, weil die Adressaten von Abgabenbescheiden nunmehr auch solche Satzungen
in ihre Prüfung des Bescheides einbeziehen müssten, die ihrem Wortlaut nach für diesen
Bescheid überhaupt nicht gelten. Dafür lässt § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG keinen Raum.
Insoweit trägt auch der Gedanke nicht, dass der Bescheid auf Grund des neuen
Satzungsrechts ggf. ohnehin erneut erlassen werden muss. Immerhin kann es
inzwischen einen Wechsel des Beitragspflichtigen gegeben haben. Außerdem kann der
Gedanke der Verfahrensökonomie den materiellen Regelungsgehalt des § 2 Abs. 1 Satz
1 KAG nicht überwinden.
Die vor dem In-Kraft-Treten des novellierten KAG in der Fassung des Art. 5 des Zweiten
Gesetzes zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben vom 17. Dezember
2003 (Zweites Entlastungsgesetz; GVBl. I S. 294, 296) erlassenen Satzungen sind
einschließlich ihrer unselbständigen Änderungssatzungen unwirksam und stellen
ungeachtet etwaiger satzungsrechtlicher Regelungen zum Außer-Kraft-Treten der
Vorgängersatzungen keine geeignete Rechtsgrundlage für die Erhebung der streitigen
Beiträge dar.
Die Unwirksamkeit der BGS-ES 2003, der BGS-ES 1996-2002, der BGS-ES 2002 sowie
der BGS-ES 1997 folgt daraus, dass sich diese Satzungen keine Rückwirkung auf den
Zeitpunkt der Bekanntmachung der ersten Satzung mit formalem Geltungsanspruch,
hier die GBS-ES 1993, die auf Grund von Ausfertigungfehlern keine Wirksamkeit erlangen
konnte, beimaßen. Eine solche Rückwirkung war nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG in der vor
dem Zweiten Entlastungsgesetz geltenden Fassung notwendig, um die
beitragsrechtliche Einbeziehung bereits zu DDR-Zeiten angeschlossener Grundstücke
(so genannte altangeschlossene Grundstücke) zu gewährleisten und dem Verbot der
Doppelbelastung Rechnung zu tragen (vgl. OVG Brandenburg, Urteil vom 3. Dezember
2003 - 2 A 417/01 -, juris, Rdnr. 33 ff.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht
vorliegen.
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