Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 23.07.2008

OVG Berlin-Brandenburg: öffentlichrechtliche streitigkeit, vergabeverfahren, informationsstelle, unternehmen, auftragsvergabe, sammlung, sonderrecht, daten, gewalt, quelle

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 L 54.08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 40 Abs 1 S 1 VwGO, § 5 Abs 2
KRG
Verwaltungsrechtsweg für Streitigkeiten über die Löschung aus
dem Korruptionsregister
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 18. April 2008 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Mit der bei dem Verwaltungsgericht Berlin erhobenen Klage macht der Kläger einen
Anspruch gegen den Beklagten auf Löschung der Eintragung im Register über
korruptionsauffällige Unternehmen in Berlin (Korruptionsregister) zum Geschäftszeichen
KRG-Nr. ... geltend.
Auf die vom Beklagten erhobene Rüge, der Verwaltungsrechtsweg sei unzulässig, hat
das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. April 2008 entschieden, der
Verwaltungsrechtsweg sei eröffnet. Der Streit um einen Anspruch auf Löschung einer
Eintragung sei eine öffentlichrechtliche Streitigkeit gemäß § 40 Abs. 1 VwGO, denn
angegriffen werde nicht eine vergaberechtliche Entscheidung, sondern die Eintragung
selbst. Das Korruptionsregistergesetz regele Mitteilungs-, Abfrage- und
Auskunftspflichten der Behörden und öffentlichen Auftraggeber sowie die Weitergabe von
Daten und greife damit in das Recht des Betroffenen auf informationelle
Selbstbestimmung ein. Das sei nicht vergleichbar mit dem Unternehmer- und
Lieferantenverzeichnis für Bauaufträge des Landes Berlin (ULV), in das aufgenommen
oder daraus gestrichen zu werden das Ergebnis der Prüfung der Zuverlässigkeit eines
Bewerbers sei, einer Prüfung, die auch jeder private Auftraggeber vornehmen könne.
Mit der gegen den angefochtenen Beschluss erhobenen Beschwerde führt der Beklagte
im Wesentlichen aus: Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Zulässigkeit des
Verwaltungsrechtswegs bejaht, denn die Streitigkeit habe bürgerlichrechtlichen
Charakter. Die durch das Korruptionsregistergesetz eingerichtete zentrale
Informationsstelle handele vor dem Hintergrund des Vergaberechts und der hierbei
erforderlichen Prüfung der Zuverlässigkeit von Bietern und Bewerbern. Diese Prüfung
obliege öffentlichen Auftraggebern, zu denen jedoch nach § 1 S. 3
Korruptionsregistergesetz, § 98 GWB nicht nur Träger öffentlicher Gewalt, sondern auch
Privatrechtssubjekte gehören würden. Die im Korruptionsregistergesetz geregelten
Sachverhalte seien daher Rechtssätzen unterworfen, die grundsätzlich für jedermann
gelten würden und nicht Sonderrecht des Staates seien. Führung und Nutzung des
Korruptionsregisters seien Bestandteile des Vergabeverfahrens, das der
Landesgesetzgeber im Sinne von § 97 Abs. 4 GWB lediglich weiter ausgestaltet habe.
Der Streit um Eintragungen in das Korruptionsregister sei deshalb wegen des engen
Zusammenhangs mit der Vergabeentscheidung eine bürgerlichrechtliche Streitigkeit.
Wenn schon eine Auftragsvergabe privatrechtlich zu qualifizieren sei, müsse dies erst
recht für Handlungen staatlicher Stellen gelten, die sich als eine gegenüber der
Auftragsvergabe wesentlich unverbindlichere Handlungsform darstellen und eine solche
nur vorbereiten würden. Zwar könnten die im Korruptionsregistergesetz geregelten
Informations- und Duldungspflichten möglicherweise in das Recht des
Eintragungsbetroffenen auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, daraus folge
aber nicht, dass das Streitverfahren um Eintragungen in das Korruptionsregister
öffentlichrechtlicher Natur sei. Denn auch fiskalisches Verwaltungshandeln könne
grundrechtsrelevant sein, wodurch sich jedoch an der Eröffnung des Zivilrechtsweges
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grundrechtsrelevant sein, wodurch sich jedoch an der Eröffnung des Zivilrechtsweges
nichts ändere. Überdies könne für Streitigkeiten über die Aufnahme von Daten in das
Korruptionsregister nichts anderes gelten als für Streitsachen, die die Aufnahme eines
Unternehmens in die sog. Weiße Liste (Unternehmer- und Lieferantenverzeichnis für
Bauaufträge des Landes Berlin) beträfen. Für letztere habe auch das Verwaltungsgericht
Berlin die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges verneint (Hinweis auf Beschluss vom
25. Mai 1994 – VG 4 A 206.94 –). Dieser Rechtsgedanke scheine auch dem Beschluss
des 1. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Januar 2008 –
OVG 1 L 80.07, 81.07 – zugrunde zu liegen, wonach der Verwaltungsrechtsweg nur für
die öffentlichrechtlich geprägten Entscheidungen über die Zuweisung von Obdachlosen
gegeben sei; Rechtsstreitigkeiten im Vorfeld einer allgemein-fiskalischen
Auftragsvergabe durch die öffentliche Hand seien hingegen als bürgerlich-rechtlich zu
qualifizieren.
II.
Die Beschwerde ist gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 146 Abs. 1, § 147 Abs. 1 i. V. m.
§ 58 Abs. 1 VwGO zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat
zutreffend gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO den Verwaltungsrechtsweg als gegeben
angesehen.
Ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlichrechtlich ist, richtet sich, wenn – wie hier –
eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des
Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es
regelmäßig darauf an, ob die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der
Über- und Unterordnung stehen und ob sich der Träger hoheitlicher Gewalt der
besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient. Entscheidend ist dabei, ob der
Sachverhalt – die Richtigkeit des Sachvortrags des Klägers unterstellt – Rechtssätzen
unterworfen ist, die für jedermann gelten, oder einem Sonderrecht des Staates oder
sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben, das sich zumindest auf einer Seite nur an
Hoheitsträger wendet (GmS-OGB, Beschluss vom 10. April 1986 – GmS-OGB 1/85 –,
BGHZ 97, 312 [313 f. m.w.N.]; BVerwG, Beschluss vom 30. Mai 2006 – 3 B 78.05 –, NJW
2006, 2568 m.w.N.). Letzteres ist hier der Fall: Die vom Kläger begehrte Löschung der
Eintragung richtet sich nach den Regeln, die der Berliner Landesgesetzgeber im Gesetz
zur Einrichtung und Führung eines Registers über korruptionsauffällige Unternehmen in
Berlin (Korruptionsregistergesetz – KRG –) vom 19. April 2006 (GVBl. S. 358) festgelegt
hat. Das Gesetz begründet ein staatliches Sonderrecht für die bei der Senatsverwaltung
für Stadtentwicklung eingerichtete zentrale Informationsstelle (§ 1 S. 1, § 2 Abs. 1 S. 1
KRG), indem es in §§ 4 bis 6 Rechtspflichten zu Mitteilungen und Abfragen auferlegt, die
nach bürgerlichem Recht nicht bestehen und wegen des einseitig hoheitlichen
Charakters nicht bestehen könnten. Das entspricht dem Zusammenhang, dass die
Eintragung eines Unternehmens oder einer natürlichen Person in das Korruptionsregister
die Schutzbereiche des Art. 12 und Art. 3 Abs. 1 GG sowie des Grundrechts auf
informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) berührt und
dem Korruptionsregister eine berufsregelnde Tendenz innewohnt (vgl.
Abgeordnetenhaus-Drs. 15/4343 vom 25. Oktober 2005, Einzelbegründung zu § 3, Seite
8). Öffentlichrechtlich sind hiernach auch die Festlegungen, welche Daten zu übermitteln
(§ 5 KRG), welche Eintragungen vorzunehmen (§ 3 KRG) und welche Eintragungen zu
löschen (§ 5 Abs. 2 KRG) oder zu tilgen (§ 8 KRG) sind. Der vom Kläger geltend
gemachte Löschungsanspruch ist deshalb nach öffentlichem Recht zu beurteilen.
Soweit der Beklagte einwendet, dass Eintragungen in das Korruptionsregister einen
engen Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge aufweisen, trifft dies für
sich genommen zu: Nach § 1 Satz 2 KRG ist es Ziel des Korruptionsregisters, die
öffentlichen Auftraggeber bei der ihnen obliegenden Prüfung der Zuverlässigkeit von
Bietern, Bewerbern und potentiellen Auftragnehmern zu unterstützen. Dies ändert
jedoch nichts an der öffentlichrechtlichen Natur des hier in Rede stehenden
Löschungsanspruchs. Denn der Löschungsanspruch richtet sich nicht gegen einen
öffentlichen Auftraggeber, sondern gegen die zentrale Informationsstelle bei der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die – den Betroffenen gegenüber hoheitlich
übergeordnet – das Korruptionsregister führt (§ 2 Abs. 1 S. 2 KRG). Der
Landesgesetzgeber hat im Rahmen der ihm verfassungsrechtlich offenstehenden
Gestaltungsfreiheit die Einrichtung und Führung des Korruptionsregisters aus dem
Vergabeverfahren herausgelöst und wie gezeigt öffentlichrechtlich gesondert geregelt.
Die Abtrennung wird zudem in § 2 Abs. 1 S. 3 KRG deutlich, wonach die zentrale
Informationsstelle selbst keine Entscheidungen über Vergabeausschlüsse trifft. Damit
stellt der Gesetzgeber klar, dass er die Sammlung und Bereitstellung jener
Informationen aus dem Vergabeverfahren herausverlagert und gesondert geregelt hat.
Die Entscheidung über das Vorliegen der Vergabevoraussetzungen obliegt den
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Die Entscheidung über das Vorliegen der Vergabevoraussetzungen obliegt den
öffentlichen Auftraggebern und soll ihnen nicht abgenommen werden
(Abgeordnetenhaus-Drs. 15/4343 vom 25. Oktober 2005, Einzelbegründung zu § 2, Seite
7).
Der Einschätzung des Beklagten, der Landesgesetzgeber habe mit dem
Korruptionsregistergesetz das Vergabeverfahren lediglich im Sinne von § 97 Abs. 4 GWB
weiter ausgestaltet, kann der Senat nicht folgen. Nach dieser Vorschrift werden
öffentliche Aufträge an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen
vergeben und dürfen andere oder weitergehende Anforderungen an Auftragnehmer nur
gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist. Ein
solches Gesetz ist das Korruptionsregistergesetz nicht. Es erweitert nicht die
Anforderungen an Auftragnehmer, sondern belässt es bei der Anforderung der
Zuverlässigkeit (vgl. § 1 S. 1 "Sammlung und Bereitstellung von Informationen über die
Unzuverlässigkeit"; § 1 S. 2 "bei der ihnen obliegenden Prüfung der Zuverlässigkeit"; § 3
Abs. 3 "aus Gründen der Unzuverlässigkeit des Unternehmens") und schafft für deren
Prüfung ein verbessertes, wie gezeigt hoheitlich ausgestaltetes Instrumentarium.
Ohne die – übrigens von der Definition des Begriffes "öffentliche Auftraggeber" entgegen
der Auffassung des Beklagten unabhängige – Auferlegung von öffentlichrechtlichen
Pflichten und Rechten und damit hoheitliche Ausgestaltung im Korruptionsregistergesetz
verbliebe der Anspruch auf Löschungen aus einer Liste korruptionsauffälliger
Unternehmen im Rahmen des zivilrechtlich zu beurteilenden Vergabeverfahrens, wie
dies beispielsweise bei der vom Beklagten erwähnten so genannten Weißen Liste der Fall
ist. Denn eine solche Liste wäre eine nur verwaltungsintern geschaffene Vorbereitung für
noch zu treffende – privatrechtliche – Vergabeentscheidungen. Da der Staat bei der
Vergabe öffentlicher Aufträge als Nachfrager am Markt tätig wird und sich in dieser Rolle
nicht grundlegend von anderen Marktteilnehmern unterscheidet, entsteht zwischen dem
öffentlichen Auftraggeber und den Bietern mit der Aufnahme der Vertragsverhandlungen
ein privatrechtliches Rechtsverhältnis und führt ggf. zu einem ebenfalls privatrechtlichen
Kauf-, Werk- oder Dienstvertrag. Das ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung
geklärt (vgl. neuerdings BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2007 – 6 B 10.07 –, NVwZ 2007,
820 [821 Rn. 6 m.w.N.]). Aus der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben bei der Vergabe
öffentlicher Aufträge kann nicht ohne Weiteres der Schluss gezogen werden, dass sich
die öffentliche Hand auch öffentlichrechtlicher Mittel zur Aufgabenerledigung bedient.
Denn die öffentliche Verwaltung kann die ihr anvertrauten öffentlichen Aufgaben, wenn
und soweit keine öffentlichrechtlichen Normen oder Rechtsgrundsätze entgegenstehen,
auch in der Form und mit den Mitteln des Privatrechts erfüllen (BVerwG, a.a.O. Rn. 8
m.w.N.). Bedient sie sich privatrechtlicher Gestaltungsformen, so verbleibt es bei einem
privatrechtlichen Rechtsverhältnis auch dann, wenn öffentlichrechtliche Bindungen wie
namentlich die Gebote der Gleichbehandlung und der Wettbewerbsgleichheit zu
beachten sind (sog. Verwaltungsprivatrecht) oder haushaltsrechtliche Grenzen
eingehalten werden müssen (BVerwG, a.a.O. 822 Rn. 8 bis 11 m.w.N.). Erfolgt in einem
Vergabeverfahren die Entscheidung über die Auswahl zwischen mehreren Bietern
unmittelbar durch den Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages mit einem der Bieter
durch Zuschlag, so verbleibt auch kein Raum für die Anwendung der auf eine
mehrphasige Aufgabenwahrnehmung zugeschnittenen Zwei-Stufen-Theorie (BVerwG,
a.a.O. 823 Rn. 15 m.w.N.). All dies ändert jedoch nichts an der hier für das Vorfeld des
Vergabeverfahrens durch das Korruptionsregistergesetz geschaffenen Rechtslage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine weitere Beschwerde an das
Bundesverwaltungsgericht war nicht zuzulassen, da keiner der in § 17 a Abs. 4 S. 5 GVG
genannten Zulassungsgründe vorliegt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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