Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 07.10.2010

OVG Berlin-Brandenburg: recht auf akteneinsicht, extensive auslegung, unterhaltung, pflege, entstehungsgeschichte, pauschal, gefahr, motiv, quelle, verwaltung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 12 N 97.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 9 Abs 1 InfFrG BE, § 3 Nr 1g
IFG
Informationszugang hinsichtlich bezirklicher Baumkontrollen zur
Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses
Tenor
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das ihm am 21. Oktober
2010 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Oktober 2010 wird
abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Beklagte.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für beide Rechtsstufen auf 5.000 EUR
festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Unter Zugrundelegung des allein maßgeblichen Zulassungsvorbringens bestehen
keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Zugang zu
Informationen, die die von dem Beklagten im Jahr 2009 durchgeführten Baumkontrollen
betreffen, nicht gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1, 2. Fall des Berliner
Informationsfreiheitsgesetzes (IFG Bln) versagt werden kann. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 IFG
Bln besteht das Recht auf Akteneinsicht oder Aktenauskunft nicht, soweit und solange
durch das vorzeitige Bekanntwerden des Akteninhaltes der Erfolg bevorstehender
behördlicher Maßnahmen, insbesondere von Überwachungs- und Aufsichtsmaßnahmen,
ordnungsbehördlichen Anordnungen und Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung,
vereitelt wird (1. Fall), oder ein vorzeitiges Bekanntwerden des Akteninhalts nach der
besonderen Art der Verwaltungstätigkeit mit einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung
unvereinbar ist (2. Fall). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Anders als der Beklagte meint, wird die Vorbereitung und Durchführung von
Amtshaftungsprozessen hier nicht von § 9 Abs. 1 Satz 1, 2. Fall IFG Bln erfasst. Dies
ergibt sich – wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen dargelegt hat – aus dem Wortlaut
und dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift sowie aus ihrer
Entstehungsgeschichte.
Schon der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 IFG Bln, der nur bestimmte hoheitliche
Maßnahmen unter den dort genannten Voraussetzungen schützt, verdeutlicht, dass die
potenzielle Vorbereitung und Durchführung eines Amtshaftungsprozesses durch die
Klägerin nicht zu den von § 9 Abs. 1 Satz 1 IFG Bln erfassten und geschützten
Verwaltungsaufgaben des in Anspruch genommenen Fachbereichs Grünflächen in der
Abteilung Bauwesen des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin gehört. Der
Beklagte könnte – wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen ausgeführt hat - den
begehrten Informationszugang hinsichtlich der Baumkontrollen nur verweigern, wenn
dieses Auskunftsbegehren der ihm obliegenden ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung
entgegenstünde. Diese Aufgabenerfüllung besteht nicht in der Führung von
Amtshaftungsprozessen, sondern in der Unterhaltung und Pflege der Straßenbäume.
Die von dem Beklagten vertretene extensive Auslegung des grundsätzlich restriktiv
auszulegenden Ausschlusstatbestandes widerspricht nicht nur dem Wortlaut der
Regelung, sondern wird auch dem Sinn und Zweck des Berliner
Informationsfreiheitsgesetzes nicht gerecht. Entgegen der Ansicht des Beklagten zielt
das Auskunftsbegehren der Klägerin in Übereinstimmung mit dem in § 1 IFG Bln
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das Auskunftsbegehren der Klägerin in Übereinstimmung mit dem in § 1 IFG Bln
genannten Zweck auf eine Kontrolle der hoheitlichen Aufgaben, die der Beklagte zu
erfüllen hat (vgl. u.a. § 7 Berliner Straßengesetz in Verbindung mit dem Rundschreiben
über den Bau und die Unterhaltung von Straßengrün vom 17. August 2001, ABl. vom 28.
September 2001, S. 4242; § 3 Abs. 4 Satz 1 der Baumschutzverordnung). Es ist nicht
erkennbar, warum es gerade hier dem Zweck des IFG zuwiderlaufen sollte, wenn
behördliches Handeln – die Unterhaltung und Pflege von Straßenbäumen - transparent
gemacht und kontrolliert wird. Dass dies zur Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit
geschieht, nimmt das IFG Bln nicht nur bewusst in Kauf, sondern bezweckt dies
ausdrücklich (§ 1 IFG Bln).
Die Auffassung des Beklagten hätte im Übrigen erhebliche Abgrenzungsprobleme und
dem Zufall geschuldete Ergebnisse zur Folge, weil der Anspruch auf Informationszugang
grundsätzlich unabhängig von einem subjektiven Recht oder einem darzulegenden
Interesse besteht. Hätte die Klägerin im vorliegenden Verfahren Informationszugang
hinsichtlich der im Jahr 2009 durchgeführten Baumkontrollen begehrt, ohne hierfür eine
Begründung anzugeben, so wäre dem Beklagten nicht bekannt geworden, dass sie die
Möglichkeiten einer Amtshaftungsklage prüfen möchte. Ohne Wissen um den –
grundsätzlich unerheblichen - Zweck des Auskunftsbegehrens lässt sich jedoch nicht
verlässlich beurteilen, ob die Informationen später in einem gerichtlichen Verfahren
verwendet werden sollen.
Ferner stützt das Verwaltungsgericht die von ihm vorgenommene Auslegung zutreffend
auch auf die Entstehungsgeschichte des § 9 Abs. 1 IFG Bln sowie den systematischen
Zusammenhang mit dem Ausschlusstatbestand in § 9 Abs. 1 Satz 2 IFG Bln. Dort hat
der Landesgesetzgeber in bewusster Anlehnung an § 3 Nr. 1 g) des
Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes das Recht auf Informationszugang lediglich
während eines laufenden, nicht jedoch im Vorfeld eines Gerichtsverfahrens
eingeschränkt (vgl. Abgeordnetenhaus, Drs. 15/5075, S. 26 f.). Dies wäre – wie
ausgeführt – auch kaum handhabbar gewesen, weil der Antragsteller grundsätzlich keine
Gründe angeben muss, aus denen er Akteneinsicht begehrt. ´Im Übrigen wäre die
Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 2 IFG Bln überflüssig, wenn man mit dem Beklagten davon
ausginge, dass die Vorbereitung und Durchführung eines Amtshaftungsprozesses einen
Ausschlussgrund im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1, 2. Fall IFG Bln darstellt. Nach alledem
handelt es sich in § 9 Abs. 1 Satz 2 IFG Bln um eine abschließende Vorschrift, die
mangels planwidriger Lücke weder im Wege einer Analogie noch durch eine extensive,
mit dem Wortlaut nicht zu vereinbarende Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 1 IFG Bln
unterlaufen werden kann.
Damit erübrigt sich auch der Einwand des Beklagten, wonach ein Anspruch auf
Informationszugang bei drohenden Zivilrechtsstreitigkeiten aus Gründen der
Waffengleichheit zu verneinen sei. Im Übrigen ist dieses Argument hier auch deshalb
nicht überzeugend, weil es in einem Amtshaftungsprozess gerade nicht um
privatrechtliches Handeln der Verwaltung geht, die „wie ein Dritter als Marktteilnehmer
am Privatrechtsverkehr und am Wirtschaftsleben“ teilnimmt, sondern vielmehr um eine
Würdigung hoheitlichen Handelns. Die in Art. 34 Satz 3 GG verfassungsrechtlich
vorgegebene Rechtswegzuweisung zu den ordentlichen Gerichten ist allein historisch
begründet und wird in materiell-rechtlicher Hinsicht zu Recht als nicht (mehr)
gerechtfertigt angesehen (vgl. dazu Wieland, in: Dreier, Grundgesetz, Kommentar, 2.
Aufl., Art 34 Rn. 60; Bonk, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 5. Aufl., Art. 34 Rn. 112
ff.).
2. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO. Die von dem Zulassungsantrag aufgeworfene Frage, ob „im Einzelfall bei
drohenden oder unmittelbaren zivilgerichtlichen Verfahren, bei dem das Land Berlin als
Beklagtenpartei auftreten muss, der bestehende Akteneinsichtsanspruch unter
Heranziehung dieser Norm zeitlich beschränkt werden kann, weil ansonsten die Gefahr
der nicht ordnungsgemäßen Prozessvorbereitung und Prozessführung bestünde“, ist
schon nicht verallgemeinerungsfähig. Ihre Beantwortung hängt – wenn man von der
Formulierung des Zulassungsantrags ausgeht – von dem jeweiligen Umständen des
Einzelfalles ab.
Im Übrigen ist die Frage nicht entscheidungserheblich, weil es hier nicht um eine
Vorbereitung (irgendeines) Zivilrechtsstreites, sondern um eine mögliche
Amtshaftungsklage geht. Unabhängig davon bedarf die Frage keiner Klärung in einem
Berufungsverfahren, weil sich ihre Beantwortung – wie ausgeführt - ohne weiteres aus § 9
IFG Bln ergibt. Die von dem Beklagten favorisierte Auslegungsvariante findet in § 9 Abs.
1 IFG keine Stütze (vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 4. Oktober 2010 – 9 B 1/10 -,
juris Rn. 21).
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3. Die Rechtssache weist schließlich keine besonderen rechtlichen und tatsächlichen
Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Der Senat hält das Ergebnis
nicht für offen, weil das IFG Bln nur die von dem Verwaltungsgericht zutreffend
vorgenommene Auslegung zulässt. Es spricht nichts dafür, dass der Beklagte mit der
von ihm behaupteten Auslegung in einem Berufungsverfahren Erfolg haben könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG. Der Senat hat die erstinstanzliche
Streitwertfestsetzung gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG geändert und auch für das
verwaltungsgerichtliche Verfahren einen Wert in Höhe von 5.000 Euro festgesetzt. Der
Senat geht regelmäßig in Verfahren, in denen ein Kläger Akteneinsicht nach dem
Informationsfreiheitsgesetz des Bundes bzw. nach den Informationsfreiheitsgesetzen der
Länder Brandenburg oder Berlin begehrt, pauschal und typisierend von dem Auffangwert
des § 52 Abs. 2 GKG aus, weil das Recht auf Informationszugang weder ein rechtliches
noch ein berechtigtes Interesse voraussetzt und das Motiv hierfür bzw. der Zweck des
begehrten Informationszuganges unbeachtlich sind. (vgl. z.B. OVG Berlin-Brandenburg,
Beschlüsse vom 4. November 2009 – 12 L 73.09 – und vom 30. Dezember 2010 – OVG
12 L 73.10 -).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung
mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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