Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 01.06.2010

OVG Berlin-Brandenburg: gewalt, vergabeverfahren, missbrauch, auskunft, verfügung, verdacht, erlass, partg, unterliegen, glaubhaftmachung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 3 S 40.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 3 Abs 1 GG, Art 21 Abs 1
GG, § 5 Abs 1 PartG
Vergabe von Räumlichkeiten an politische Parteien
Leitsatz
Es wird daran festgehalten, dass die von einem Träger öffentlicher Gewalt beschlossene
Änderung seiner Vergabepraxis für Räumlichkeiten an politische Parteien erst für
Vergabeanträge maßgeblich ist, die zeitlich nach der Entscheidung über die Änderung gestellt
werden.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Berlin vom 1. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Das Verwaltungsgericht hat den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung
verpflichtet, der Antragstellerin zur Durchführung ihres Bundesparteitages am 17. Juli
2010 den Sitzungssaal der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von
Berlin im Rathaus Schöneberg zu den für die Vergabe von Räumen üblichen
Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde bleibt ohne
Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang
der Prüfung des Oberverwaltungsgerichts bestimmt, rechtfertigt es nicht, den
angefochtenen Beschluss zu ändern und den Antrag auf Erlass der einstweiligen
Anordnung abzuweisen.
1. Der Antragsgegner macht geltend, für die Überlassung des in Rede stehenden Saales
am 17. Juli 2010 fehle es an dem erforderlichen behördlichen Antrag vor Einleitung des
Eilrechtsschutzverfahrens. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts lasse sich
dem Schreiben der Antragstellerin vom 3. Mai 2010 ein solcher Antrag nicht entnehmen;
hierbei handele es sich nur um ein den eigentlichen Vergabeantrag vorbereitendes
Auskunftsbegehren, um in Erfahrung zu bringen, an welchen Tagen der Saal frei sei.
Dieses Vorbringen überzeugt nicht. Es blendet das Geschehen im zeitlichen Vorfeld des
Eilrechtschutzverfahrens aus und wird der hohen Bedeutung, die das Grundgesetz den
Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes beimisst (vgl. dazu BVerfG,
Beschluss vom 17. November 1994 - 2 BvB 1/93 -, BVerfGE 91, 262, 267 ff.; Klein in
Maunz-Dürig-Herzog, GG, Stand August 2005, Rz. 160 zu Art 21), nicht gerecht.
Die Antragstellerin hatte bereits unter dem 21. April 2010 die Überlassung des
Tagungssaales der Bezirksverordnetenversammlung im Rathaus Schöneberg zur
Durchführung ihres Bundesparteitages für den dafür ursprünglich vorgesehenen Termin
am 5. Juni 2010 beantragt. Der für die Raumvergabe zuständige Mitarbeiter des
Antragsgegners hatte noch am 26. April 2010 ausdrücklich angegeben, der Saal sei
seinen Aufzeichnungen nach am 5. Juni 2010 nicht vergeben, dies jedoch unter den
Vorbehalt einer Nachfrage beim Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung gestellt.
Am 27. April 2010 teilte der Antragsgegner mit, dass der Saal am 5. Juni 2010 nach
Auskunft des Vorstehers der Bezirksverordnetenversammlung bereits anderweitig
vergeben sei. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, die per Telefax am 3. Mai 2010
erfolgte Aufforderung der Antragstellerin, einen Ersatztermin zu benennen, für den in
den Monaten Juni bzw. Juli 2010 sämtliche Sonnabende und notfalls auch die Sonntage in
Betracht kämen, als konkludenten Antrag auf Raumüberlassung an einem dieser Tage
zu verstehen. Dass es sich um ein reines Auskunftsbegehren gehandelt haben soll, wie
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zu verstehen. Dass es sich um ein reines Auskunftsbegehren gehandelt haben soll, wie
der Antragsgegner meint, ist nicht stichhaltig. Abgesehen davon, dass der
Antragsgegner einen solchen Anspruch in Zweifel zieht, ein dahingehendes Begehren
also zumindest unpraktikabel wäre, verkennt er, dass die Durchführung des
Bundesparteitages einer politischen Partei mit einem erheblichen organisatorischen
Aufwand verbunden ist. Angesichts des deutlich zu Tage tretenden Interesses der
Antragstellerin, den Parteitag noch im Juni oder Juli 2010 durchzuführen, konnte ihr
schlechterdings nicht zugemutet werden, die Erteilung einer Auskunft abzuwarten und
gegebenenfalls noch gerichtlich zu erstreiten. Abgesehen davon legt die bereits
angesprochene hohe Bedeutung, die politischen Parteien für die demokratische Ordnung
der Bundesrepublik Deutschland zukommt, es nahe, nicht am Wortlaut der Aufforderung
zu haften, sondern das erkennbare Anliegen der Antragstellerin durch eine diesem
Anliegen günstige Auslegung zu fördern.
2. Das Verwaltungsgericht hat weiter ausgeführt, der Anspruch der Antragstellerin auf
Nutzung des in Rede stehenden Saales folge aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. mit der
Verwaltungspraxis des Antragsgegners und der dadurch eingetretenen Selbstbindung.
Die am 18. Mai 2010 vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg mit sofortiger Wirkung
beschlossene Nutzungs- und Entgeltordnung, nach deren § 2 Abs. 4 Räume an Parteien
nur noch für Veranstaltungen der im Bezirk gebildeten Kreisverbände oder
Bezirksgruppen vergeben werden, stehe dem Anspruch der Antragstellerin nicht
entgegen. Das Bezirksamt habe den Beschluss erst gefasst, nachdem die
Antragstellerin die Nutzung des Saales bereits beantragt habe. Der Beschluss sei in so
engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Antrag der Antragstellerin ergangen, dass
der Anschein entstehe, diese solle absichtlich von der Raumnutzung ausgeschlossen
werden. Ein solches Vorgehen sei mit dem Gebot der Gleichbehandlung und mit dem
Gebot der Chancengleichheit für politische Parteien nicht zu vereinbaren.
Das steht mit der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 3. April 2009 - OVG 3 S
36.09 -, unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 28. März 1969 - VII C 49.67 -,
BVerwGE 31, 368, 370) im Einklang. An dieser Rechtsauffassung (ebenso VGH
Mannheim, Beschluss vom 11. Mai 1995 - 1 S 1283/95 -, NVwZ-RR 1996, 681, 682; OVG
Bautzen, Beschluss vom 12. April 2001 - 3 BS 10/01 -, NVwZ 2002, 615, 616; Ossenbühl,
DVBl 1973, 289, 296; differenzierend und ablehnend für eine im Wege der Satzung
erfolgte Neuregelung des Nutzungszwecks: OVG Weimar, Beschluss vom 16. September
2008 - 2 EO 490/08 -, ThürVBl. 2009, 128, 130; Augsberg in Kersten/Rixen,
Parteiengesetz und europäisches Parteienrecht, 2009, § 5, Rz. 94) ist auch in Anbetracht
des Beschwerdevorbringens festzuhalten.
Der Antragsgegner macht geltend, für den in Rede stehenden Anspruch komme es
allein auf die tatsächlich geübte Verwaltungspraxis an. Der Antragstellerin werde eine
Änderung der bisherigen Vergabepraxis, nicht aber die am 18. Mai 2010 beschlossene
Nutzungs- und Entgeltordnung entgegengehalten. Die Rechtsprechung des Senats
(Beschluss vom 3. April 2009, a.a.O.) und die darin in Bezug genommene
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 28. März 1969, a.a.O.) lasse
sich dogmatisch nicht begründen. Nach allgemeinem Verwaltungsrecht sei für die
Behördenentscheidung die bei Ihrem Erlass bestehende Sach- und Rechtslage
maßgeblich, soweit nicht das materielle Recht anderes bestimme. Der Sache nach gehe
es in den zitierten Entscheidungen um die Abwehr von Missbrauch. Eine etwaig
missbräuchliche Ermessensausübung wäre aber ohnehin rechtswidrig. Der präventiven
Abwehr durch einen Grundsatz der Unbeachtlichkeit von Änderungen der
Verwaltungspraxis während eines Verfahrens bedürfe es hierfür nicht. Abgesehen davon
sei die Nutzungs- und Entgeltordnung vom 18. Mai 2010 nach ihrer
Entstehungsgeschichte und ihrer alle Parteien gleichermaßen treffenden Regelung in § 2
Abs. 4 nicht geeignet, den Anschein fehlender Sachgerechtigkeit zu erwecken. Ferner
wäre ein Gebot, das Vergabeverfahren nach den zum Zeitpunkt einer Antragstellung
geltenden Bedingungen abzuwickeln, nicht mit den Grundsätzen der Selbstbindung der
Verwaltung in Einklang zu bringen.
Diese Einwendungen greifen nicht durch.
a) Dass Änderungen der Vergabepraxis zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Partei die
Überlassung von Räumlichkeiten bereits beantragt hat, unberücksichtigt bleiben, findet
seine Rechtfertigung in dem strikten Gleichbehandlungsgebot, dem die Gemeinden oder
die sonstigen Träger öffentlicher Gewalt nach Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 GG und § 5 Abs.
1 PartG unterliegen, wenn sie ihre Einrichtungen auch politischen Parteien zur Verfügung
stellen (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1989 - 7 B 184/88 -, NJW 1990,
134,135). Hieraus ergibt sich zugleich eine Neutralitätsverpflichtung der Träger
öffentlicher Gewalt im Sinne von § 5 Abs. 1 PartG, die es nicht zulässt, die Vergabe
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öffentlicher Gewalt im Sinne von § 5 Abs. 1 PartG, die es nicht zulässt, die Vergabe
öffentlicher Räumlichkeiten zum Teil des politischen Meinungskampfes zu machen.
Schon um den allein aus der zeitlichen Geschehensabfolge nahegelegten Verdacht einer
Änderung der Vergabepraxis ohne anzuerkennenden allgemeinen Grund und damit
jeglichen „bösen Schein“ einer politisch motivierten Einflussnahme auszuschließen, ist
es geboten, einen bereits gestellten Überlassungsantrag nach den bisher geltenden
Grundsätzen zu bescheiden. Insoweit handelt es sich um eine Sondersituation, die es
rechtfertigt, maßgeblich auf die Rechtslage im Zeitpunkt des Vergabeantrags
abzustellen. Daher geht der Einwand der Beschwerde fehl, auch die Parteien müssten,
„was grundsätzlich jedem Bürger zugemutet wird“, das Risiko einer nach der
Antragstellung eingetretenen Änderung der Sach- oder Rechtslage tragen.
Das weitere Argument, es gehe der Sache nach um die Abwehr von (konkretem)
Missbrauch, der im Falle der Beschlussfassung vom 18. Mai 2010 nicht vorliege,
verkennt das Postulat, bei den Vergabeentscheidungen bereits jeglichen bösen Schein
einer Einflussnahme zu vermeiden. Abgesehen davon dürfte es vielfach ohne nähere,
zeitaufwändige Aufklärung kaum möglich sein, abschließend zu bestimmen, ob die
Änderung der Vergabepraxis auf einem anzuerkennenden allgemeinen Grund oder -
auch - auf Gründen, die an dem Programm und der Zielrichtung der antragstellenden
Partei orientiert sind, beruht. Da Streitigkeiten der vorliegenden Art typischerweise in
gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren ausgetragen werden, in der der jeweilige
Antragsteller mit der Glaubhaftmachung (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2
ZPO) seiner materiellen Anspruchsposition belastet ist, würde vielfach der Partei das
Nachweisrisiko aufgebürdet werden.
Danach kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob die am 18. Mai
2010 mit sofortiger Wirkung beschlossene Nutzungs- und Entgeltordnung auf
anerkennenswerten sachlichen Gründen beruht und - wie der Antragsgegner hervorhebt
- gleichermaßen alle Parteien betrifft, inhaltlich also neutral ist. Dem Antragsgegner ist
allerdings einzuräumen, dass angesichts der bereits im Juni 2009 erfolgten
Bezirksamtsvorlage („Nutzungskonzept für die Vergabe von Räumen auf der Grundlage
einer Nutzungs- und Entgeltordnung“) ausgeschlossen werden kann, dass es sich um
eine gezielt gegen das Begehren der Antragstellerin gerichtete Maßnahme handelt. Der
Antragsgegner hat indes nicht plausibel dargelegt, aus welchen Gründen es am 18. Mai
2010 zur Beschlussfassung über die Vorlage gekommen ist, nachdem sie zunächst auf
Ende August 2009 vertagt und im September 2009 zu weiteren Prüfungen eine
bezirkliche Arbeitsgruppe gebildet worden war. Die Erklärung, zur Beschlussfassung am
18. Mai 2010 sei es gekommen, nachdem absehbar geworden sei, dass die im
September 2009 in die Wege geleitete Prüfung noch weitere Zeit in Anspruch nehmen
würde, ist unsubstantiiert und nicht geeignet, den Verdacht - zumindest den bösen
Schein - einer durch den Vergabeantrag der Antragstellerin motivierten beschleunigten
Beschlussfassung auszuschließen.
b) Entgegen der Auffassung des Antragsgegners lässt sich auch das in der
Rechtsprechung entwickelte Gebot, das Vergabeverfahren nach den zum Zeitpunkt der
Antragstellung geltenden Bedingen abzuwickeln, unschwer mit den Grundsätzen der
Selbstbindung der Verwaltung in Einklang bringen. Insbesondere kann eine noch nach
den alten Grundsätzen erfolgende Vergabeentscheidung nicht ernsthaft als Beleg für
eine Fortschreibung der bisherigen Vergabepraxis oder für die Begründung einer von den
beschlossenen Änderungen abweichenden Praxis gewertet werden, wenn der Träger
öffentlicher Gewalt die Änderung der bisherigen Vergabegrundsätze durch eine die
zukünftige Praxis antizipierende anderweitige Regelung bereits beschlossen hat. Er wird
lediglich noch für im Zeitpunkt der Änderung bereits vorliegende Vergabeanträge an
seiner bisherigen Praxis festgehalten. Das ist für den in Betracht kommenden
überschaubaren Zeitraum und die allenfalls zu erwartende geringe Zahl entsprechender
Fälle angesichts der mehrfach erwähnten hohen verfassungsrechtlichen Bedeutung der
Parteien hinzunehmen, zumal konkrete Rechtsverluste für den betroffenen Träger
öffentlicher Gewalt damit nicht einhergehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Wert
des Beschwerdegegenstandes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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