Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 10.12.2010

OVG Berlin-Brandenburg: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, überwiegendes interesse, zugehörigkeit, gefahr, bekleidung, zuschauer, aufenthalt, beeinflussung, strafverfahren, verfügung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 10.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 10 S 51.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 169 GVG, § 176 GVG, Art 2
Abs 1 GG
Einlasskontrolle und Verbot des Tragens von Motorradkutte
oder Bekleidung mit Zeichen eines Motorradclubs im Rahmen
eines Strafverfahrens gegen Mitglieder der Hells Angels
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Potsdam vom 10. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Seit dem 1. November 2010 findet am Landgericht Potsdam eine Strafverhandlung
gegen Mitglieder der Hells Angels statt. Der Antragsteller wendet sich gegen eine für
sofort vollziehbar erklärte Sicherheitsverfügung des Antragsgegners, die für die Dauer
der Hauptverhandlung dieses Strafverfahrens an im einzelnen genannten
Verhandlungstagen gilt und es ihm und allen anderen Personen, die das Gelände des
Justizzentrums betreten wollen, untersagt, Bekleidungsstücke zu tragen, die die
Zugehörigkeit zu einem Motorradclub oder zur Brigade 81 demonstrieren. Das
Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung seines gegen die Sicherheitsverfügung eingelegten
Widerspruchs abgelehnt. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die nach § 146 Abs. 1, Abs. 4 Sätze 1 bis 3 VwGO zulässige Beschwerde hat keinen
Erfolg. Das Vorbringen der Antragstellers, das allein Gegenstand der Prüfung des
Oberverwaltungsgerichts ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt eine Änderung des
angefochtenen Beschlusses nicht. Das Verwaltungsgericht hat ein überwiegendes
Interesse des Antragstellers, von den Folgen der Sicherheitsverfügung vorerst verschont
zu werden, mit der Begründung verneint, diese erweise sich nach summarischer Prüfung
als rechtmäßig. Die Beschwerdebegründung gibt keinen Anlass zu einer abweichenden
Bewertung.
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist Rechtsgrundlage der
angefochtenen Sicherheitsverfügung das Hausrecht des Gerichtspräsidenten, das ihm
die Befugnis gibt, zur Gewährleistung des Dienstbetriebs Regelungen über den Zutritt
zum Dienstgebäude und den Aufenthalt von Personen in den Räumen des Gerichts zu
treffen. Die damit gegebenenfalls verbundenen Beeinträchtigungen der allgemeinen
Handlungsfreiheit der Zutritt bzw. Aufenthalt begehrenden Personen (Art. 2 Abs. 1 GG)
sind gerechtfertigt, sofern die Maßnahme vom Hausrecht gedeckt ist. Die Grenzen für
die Ausübung des Hausrechts ergeben sich dabei insbesondere aus dem Grundsatz der
Öffentlichkeit der Verhandlung und den sitzungspolizeilichen Befugnissen des
Vorsitzenden nach § 169 und § 176 GVG (vgl. dazu OVG Bln-Bbg, Urteil vom 26. Oktober
2010 - OVG 10 B 2.10 -, juris Rn. 57 m.w.N.). Zu Unrecht macht der Antragsteller
geltend, dass diese Grenzen vorliegend überschritten seien.
Der Antragsteller beruft sich darauf, es lägen nach den Darlegungen des
Antragsgegners keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdungslage,
insbesondere für eine mögliche Bedrohung von Zeugen an den noch ausstehenden
Verhandlungstagen vor. Damit überspannt er die Anforderungen, die an die Begründung
der hausrechtlichen Verfügung zu stellen sind. Wie dargelegt, hat der Antragsgegner bei
hausrechtlichen Verfügungen insbesondere darauf zu achten, dass der
Öffentlichkeitsgrundsatz gewahrt wird und keine Kollision mit den sitzungspolizeilichen
Befugnissen des Vorsitzenden auftritt, wobei die Anordnung im Einzelnen in seinem
pflichtgemäßen Ermessen liegt. Maßnahmen, die den Zugang zu einer
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pflichtgemäßen Ermessen liegt. Maßnahmen, die den Zugang zu einer
Gerichtsverhandlung nur unwesentlich erschweren und keine persönlichkeitsbezogene
Auswahl der Zuhörerschaft beinhalten, sind mit dem Öffentlichkeitsgrundsatz zu
vereinbaren, wenn für sie aus Sicherheitsgründen ein verständlicher Anlass besteht (vgl.
OVG Bln-Bbg, a.a.O., Rn. 58 m.w.N.). Entsprechendes gilt auch im Hinblick auf die
Vereinbarkeit der Maßnahme mit der allgemeinen Handlungsfreiheit. Maßgebend ist
daher, ob für die hausrechtliche Verfügung ein verständlicher Anlass besteht und der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Dabei sind die Schwere der mit der
Sicherheitsverfügung verbundenen Beeinträchtigungen, der Wert des zu sichernden
Gutes und der Grad der Gefährdung in den Blick zu nehmen und in die Abwägung
einzustellen.
Auch wenn der Antragsgegner vorliegend keine konkreten Angaben zum Inhalt des der
Sicherheitsverfügung zugrunde liegenden Strafverfahrens und der Person der
Angeklagten gemacht hat, lässt sich den Akten jedenfalls entnehmen, dass sich das
Verfahren gegen drei Mitglieder des Motorradclubs Hells Angels richtet, der Vorwurf der
Erpressung im Raum steht und Zeugenschutzmaßnahmen (insbesondere in Form audio-
visueller Vernehmungen) getroffen worden sind. Vor diesem Hintergrund ist die
Einschätzung des Antragsgegners, dass es sich um ein sicherheitsrelevantes Verfahren
mit einer erhöhten allgemeinen Gefährdungslage handelt, das in der Öffentlichkeit oder
jedenfalls in bestimmten Kreisen ein erhöhtes Interesse wecken könnte, ohne weiteres
nachvollziehbar, so dass ein verständlicher Anlass für hausrechtliche Maßnahmen
bestand.
Die Gruppierung der Hells Angels ist zwar - worauf der Antragsteller zutreffend hinweist -
keine illegale Vereinigung, gleichwohl sind einzelne Mitglieder dieser Gruppierung, wie
aus der Medienberichterstattung bekannt ist, in nicht ganz unwesentlichem Maße in
gewalttätige Auseinandersetzungen und kriminelle Delikte verstrickt - zu Gewaltdelikten
im Zusammenhang mit Streitigkeiten zwischen verschiedenen Motorradclub enthält der
Verwaltungsvorgang eine beispielhafte Auflistung -, so dass die Annahme des
Antragsgegners, das sichtbare Auftreten von Mitgliedern der Hells Angels könne das
Sicherheitsgefühl von Verfahrensbeteiligten und weiteren Personen beeinträchtigen,
sachlich verständlich erscheint. Da es im vorliegenden Strafverfahren offenbar um
Straftaten geht, für die das von einzelnen Mitgliedern der Hells Angels ausgehende
Bedrohungspotential eine Rolle gespielt hat, ist auch die Annahme nachvollziehbar, dass
hier in besonderem Maße dem Sicherheitsbedürfnis der Beteiligten Rechnung getragen
und einer möglichen Beeinflussung des Verfahrens schon im Vorfeld begegnet werden
muss.
Dass ein demonstratives Auftreten von Mitgliedern der Hells Angels grundsätzlich
geeignet sein kann, dritte Personen zu beunruhigen, ist eine plausible Befürchtung und
rechtfertigt im Hinblick auf die konkreten Umstände des vorliegenden Verfahrens
präventive Maßnahmen. Der Antragsgegner hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es
zu seinen Aufgaben als Gerichtspräsident gehört, auf dem Gelände des Justizzentrums
für eine angstfreie Atmosphäre zu sorgen, damit Zeugen unbelastet ihren
staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen können und das Vertrauen der Öffentlichkeit
in die Leistungsfähigkeit der Justiz nicht erschüttert wird. Angesichts des hohen Wertes
des zu schützenden Gutes - die ordnungsgemäße Durchführung eines Strafverfahrens
und die Sicherung des Justizbetriebs - dürfen die Anforderungen an die Einschätzung
einer (konkreten) Gefahr nicht überspannt werden. Der Antragsgegner hat eine
Prognose anzustellen und kann nicht darauf verwiesen werden, erst bei unmittelbaren
Anzeichen einer bevorstehenden Störung oder sogar erst nach deren Eintritt zu
reagieren. Er stützt sich vorliegend auf Einschätzungen von Personen bei der
Staatsanwaltschaft und der Polizei, die besondere Kenntnisse von der Szene der
Motorradclubs haben, sowie Erfahrungen aus Cottbus und Gera, wo es zu
sicherheitsrelevanten Beeinträchtigungen bei Strafverfahren gegen Angehörige eines
Motorradclubs gekommen sein soll (vgl. hierzu auch die Vermerke vom 11. und 20.
August 2010 im Verwaltungsvorgang). Dies stellt einen verständlichen Anlass für die
vorliegende präventive hausrechtliche Maßnahme dar.
Der verfügte Eingriff in die Handlungsfreiheit und das Persönlichkeitsrecht potentieller
Zuschauer des betroffenen Strafverfahrens - und damit auch des Antragstellers - stellt
sich demgegenüber als vergleichsweise gering dar. Dem Antragsteller wird aufgegeben,
die Kutte oder andere Bekleidungsstücke, die seine Zugehörigkeit zu einem
Motorradclub - hier also der Hells Angels - bzw. der Brigade 81, einer Unterorganisation
der Hells Angels, dokumentieren, am Verhandlungstag auf dem Gerichtsgelände
auszuziehen und eigenständig zu verwahren. Auch wenn der Antragsteller persönlich ein
großes affektives Interesse am sichtbaren Tragen seiner „Szenekleidung“ haben mag,
erscheint die Beeinträchtigung, die darin liegt, vorübergehend für einen überschaubaren
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erscheint die Beeinträchtigung, die darin liegt, vorübergehend für einen überschaubaren
Zeitraum in einem örtlich begrenzten Bereich die vertraute Kleidung nicht zu tragen
oder von sichtbaren Zeichen der Zugehörigkeit zu seinem Motorradclub zu befreien,
objektiv nicht gravierend und daher durchaus zumutbar. Im Hinblick darauf, dass es um
das hohe Gut der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege geht und die hinreichend
realistische Möglichkeit besteht, dass das Verfahrens durch die erkennbare - und
demonstrative - Anwesenheit von Mitgliedern der Hells Angels oder vergleichbarer
Gruppierungen beeinträchtigt werden könnte, ist das präventive Verbot des sichtbaren
Tragens der entsprechenden Kleidung sachlich begründet und nicht unangemessen.
Dabei kommt es nicht darauf an, inwieweit konkret für den jeweiligen Verhandlungstag
die Einflussnahme auf Zeugen oder die Beeinträchtigung weitere Personen zu
befürchten ist. Solange die Gefahr einer Beeinflussung des Verfahrens oder einer
Störung des Gerichtsbetriebs nicht völlig unwahrscheinlich, sondern vielmehr
nachvollziehbar und jedenfalls möglich erscheint, darf der Antragsgegner präventive
Maßnahmen ergreifen, um dieser Gefahr zu begegnen, zumal der konkrete Gang eines
Strafverfahrens und die jeweilige personelle Situation auf dem Justizgelände nicht
vorherzusehen sind.
Die Sicherheitsverfügung knüpft auch nicht in erster Linie an persönlichkeitsbezogene,
sondern an äußere Umstände an. Nicht die Zugehörigkeit zu einem Motorradclub als
solche ist maßgebend, sondern das Tragen einer bestimmten, diese Zugehörigkeit
demonstrierenden Kleidung. Dies stellt angesichts der konkreten Umstände des Falles
keine ungerechtfertigte Diskriminierung der Betroffenen dar.
Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass er angeboten habe, die Kutte auszuziehen
und über dem Arm zu tragen, vermag dies die Rechtmäßigkeit der Sicherheitsverfügung
nicht in Zweifel zu ziehen. Dem Anliegen des Antragsgegners, eine Dokumentation der
Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppierungen zu vermeiden, dient es nicht in gleicher
Weise, wenn die Kutte auch nach dem Ausziehen weiterhin erkennbar bleibt. Dass der
Antragsgegner nicht nur das Tragen der Kutte, sondern auch anderer Bekleidungsstücke
untersagt hat, rechtfertigt sich daraus, dass nach seinen Angaben nach dem ersten
Verhandlungstag das Kuttenverbot dadurch umgangen werden sollte, dass die darauf
befindlichen Abzeichen, Embleme und Abbildungen auf andere Kleidungsstücke
„kopiert“ wurden, und stellt sich daher nicht als unverhältnismäßig dar.
Dass die Vorsitzende der Strafkammer selbst keine sitzungspolizeilichen Anordnungen
bezüglich der Bekleidung der Zuschauer getroffen hat, lässt entgegen der Auffassung
des Antragstellers nicht darauf schließen, dass sie derartige Anordnungen nicht für
erforderlich gehalten hätte. Denn die Vorsitzende war ausweislich der im
Verwaltungsvorgang befindlichen Unterlagen von Anfang an in die sicherheitsrelevanten
Überlegungen einbezogen und wusste um die Absicht des Antragsgegners,
entsprechende allgemeine Sicherheitsverfügungen zu erlassen, so dass für zusätzliche
eigene Anordnungen keine Anlass bestand. Ein Widerspruch zu den sitzungspolizeilichen
Befugnissen der Vorsitzende ist daher nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG, wobei der Senat - wie schon die erste
Instanz - trotz des vorläufigen Charakters eines Eilverfahrens im Hinblick auf die in der
Sache begehrte Vorwegnahme der Hauptsache von einer Halbierung des Auffangwerts
abgesehen hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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