Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 23.03.2006

OVG Berlin-Brandenburg: aufenthaltserlaubnis, stadt oldenburg, eigenes verschulden, lebensgemeinschaft, vietnam, besitz, visum, ausländerrecht, auflage, wiedereinreise

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 3 B 2.09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 1 S 1 AufenthG 2004, §
6 Abs 4 AufenthG 2004, § 8 Abs
1 AufenthG 2004, § 31 Abs 1 S
1 AufenthG 2004, § 51 Abs 1 Nr
1 AufenthG 2004
Keine Fortgeltungswirkung bei verspätetem
Verlängerungsantrag
Leitsatz
Die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG tritt im Falle eines verspäteten
Verlängerungsantrags nicht ein (entgegen OVG Münster, Beschluss vom 23. März 2006 - 8 B
120.06 -, InfAuslR 2006, 448)
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12.
August 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin, eine vietnamesische Staatsangehörige, begehrt die Erteilung eines Visums.
Nachdem sie zuvor erfolglos ein Asylverfahren im Bundesgebiet betrieben hatte,
heiratete die Klägerin im Juni 2000 vor der vietnamesischen Botschaft in Bonn den aus
Vietnam stammenden Herrn H., der kurz darauf die deutsche Staatsangehörigkeit
erwarb. Im Juni 2001 erteilte die seinerzeit zuständige Ausländerbehörde der Stadt
Oldenburg der Klägerin, deren Aufenthalt zuletzt bis zum 18. Mai 2001 geduldet worden
war, eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die wiederholt, zuletzt am 18. Juni 2004 bis
zum 6. März 2006 verlängert wurde. In den Verlängerungsbescheiden findet sich jeweils
ein durch Fettdruck hervorgehobener Hinweis, die Klägerin möge daran denken, für die
Beantragung der Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung rechtzeitig beim
Ausländerbüro einen Termin zu vereinbaren.
Die Ehe wurde auf Antrag des Ehemannes mit Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht -
Oldenburg vom 15. Oktober 2008 geschieden.
Unter dem 9. März 2006 beantragte die Klägerin, die im Januar 2006 nach Vietnam
gereist war, vor dem Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Ho-Chi-Minh-
Stadt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und gab als Zweck „verheiratet“ an. Mit
Schreiben vom 22. August 2006, dem eine Rechtsmittelbelehrung nicht beigefügt war,
lehnte das Generalkonsulat in Ho-Chi-Minh-Stadt den Antrag „vom 16. März 2006“ mit
der (insoweit irrtümlichen) Begründung ab, die Ehe sei seit Mai 2006 geschieden, die der
Klägerin erteilte Aufenthaltserlaubnis sei während des Vietnamaufenthaltes abgelaufen
und es fehle an der Sicherung des Lebensunterhalts. Hiergegen wandte die Klägerin ein,
die „geringfügige Überschreitung“ zwischen dem Ablauf der Aufenthaltserlaubnis am 6.
März 2006 und der Beantragung der Verlängerung am 9. März 2006 sei im Hinblick auf
die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster (Beschluss vom 23. März
2006, InfAuslR 2006, 448) unschädlich.
Die Klägerin hat am 3. März 2007 Klage erhoben. Zu deren Begründung hat sie
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Die Klägerin hat am 3. März 2007 Klage erhoben. Zu deren Begründung hat sie
ausgeführt, sie habe mit ihrem Ehemann etwa vier Jahre zusammengelebt. Den Ablauf
ihrer Aufenthaltserlaubnis während des Vietnamaufenthalts habe sie übersehen, aber
bereits drei Tage später die Verlängerung beantragt; diese geringfügige Verspätung sei
unschädlich.
Die Beklagte hat auf § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG sowie auf § 71 Abs. 1 AufenthG
hingewiesen und geltend gemacht, für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
ungeachtet des Auslandsaufenthaltes der Klägerin nicht zuständig zu sein.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen und
ausgeführt, die Voraussetzungen der §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 5
AufenthG seien angesichts der Trennung der Eheleute und des anhängigen
Scheidungsverfahrens nicht erfüllt. Eine Verlängerung der bis zum 6. März 2006 erteilten
Aufenthaltserlaubnis komme nicht in Betracht, weil dieser Aufenthaltstitel gemäß § 51
Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erloschen sei. Zu Unrecht meine die Klägerin, sie könne sich
angesichts der geringfügigen Überschreitung auf den Fortbestand der
Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 4 AufenthG berufen. Der Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts Münster sei nicht beizutreten. Mangels Fortbestandes der im
Juni 2004 erteilten Aufenthaltserlaubnis könne die Klägerin auch kein Visum zum Zwecke
der Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis aus eigenständigem Aufenthaltsrecht nach §
31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG beanspruchen. Zwar sei sie bis zur spätestens im Jahre 2005
erfolgten Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Besitz der erforderlichen
ehebedingten Aufenthaltserlaubnis gewesen, doch sei deren Verlängerung infolge ihres
Erlöschens am 6. März 2006 begrifflich nicht mehr möglich. Dass und aus welchen
Gründen sie die Verlängerung unverschuldet nicht habe rechtzeitig beantragen können,
habe die Klägerin auch auf einen gerichtlichen Hinweis nicht geltend geschweige denn
glaubhaft gemacht.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung
eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen. Im
Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. November 2009 -
1 C 24.08 - sieht sie sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass eine verspätete
Antragstellung nicht schädlich sei.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind weder die Klägerin noch ihr
Bevollmächtigter zugegen gewesen. Dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin ist
der Antrag zu entnehmen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. August 2008 zu ändern und
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Deutschen Generalkonsulats in Ho-
Chi-Minh-Stadt vom 22. August 2006 zu verpflichten, ihr eine Aufenthaltserlaubnis in
Gestalt eines Visums zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt aus, das Verwaltungsgericht habe zutreffend erkannt, dass in den Fällen einer
verspäteten Antragstellung vom Wortlaut des § 81 Abs. 4 AufenthG her kein
Anknüpfungspunkt für eine Fortbestandsfiktion gegeben sei.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Auch nach seiner Auffassung ist eine
Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG nicht eingetreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die von den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze verwiesen. Der von der Beklagten vorgelegte Visumvorgang,
die die Klägerin betreffende Ausländerakte des Beigeladenen sowie die Akten des
Amtsgerichts Oldenburg zu den Geschäftsnummern 52 F 3396/04 (S) und 52 F 3200/06
(S) haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht
worden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht ein
Anspruch auf Erteilung des von ihr begehrten Visums nicht zu. Vielmehr ist dieser
bereits aus Rechtsgründen ausgeschlossen, so dass der Ablehnungsbescheid des
Deutschen Generalkonsulats in Ho-Chi-Minh-Stadt vom 22. August 2006 jedenfalls im
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Deutschen Generalkonsulats in Ho-Chi-Minh-Stadt vom 22. August 2006 jedenfalls im
Ergebnis rechtmäßig ist und sie nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
1. Für die Erteilung des von der Klägerin verlangten Aufenthaltstitels ist allerdings das
Generalkonsulat entgegen der von der Beklagten erstinstanzlich geäußerten Auffassung
zuständig. Dies ergibt sich aus § 71 Abs. 2 AufenthG. Danach sind die vom Auswärtigen
Amt ermächtigten Auslandsvertretungen für Visaangelegenheiten zuständig; hierunter
fällt ohne weiteres auch das Visumbegehren der Klägerin. Dass die Klägerin den von ihr
behaupteten Anspruch auf Erteilung des Visums materiellrechtlich aus der Verlängerung
einer ihr im Bundesgebiet von der zuständigen Ausländerbehörde erteilten
Aufenthaltserlaubnis herleitet, ist unerheblich. Für die Einreise in das Bundesgebiet
bedarf sie nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eines Aufenthaltstitels. Von diesem
Erfordernis ist sie nicht befreit. Vietnam wird auf der Liste der Staatsangehörigen der
Drittländer, die beim Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedsstaaten im Besitz
eines Visums sein müssen, aufgeführt (vgl. Art. 1 der Verordnung [EG] Nr. 539/ 2001
des Rates zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim
Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste
der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumspflicht befreit sind) und die
Bestimmungen über die Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels in §§ 15 bis 30
AufenthV erfassen den Fall der Klägerin nicht.Da die Klägerin nicht im Besitz eines
Aufenthaltstitels ist, nachdem die ihr erteilte Aufenthaltserlaubnis am 6. März 2006
abgelaufen ist, und sie erkennbar einen längerfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet
beabsichtigt, benötigt sie für die Wiedereinreise ein nationales Visum. Dessen Erteilung
richtet sich gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nach den für die Aufenthaltserlaubnis, die
Niederlassenserlaubnis und die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG geltenden
Vorschriften. Diese Vorschriften finden ebenfalls Anwendung, wenn es um die
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis geht (§ 8 Abs. 1 AufenthG).
Soweit daneben eine Zuständigkeit der Ausländerbehörde des Beigeladenen be-standen
hat, schließt diese die durch den Auslandsaufenthalt der Klägerin eröffnete
Zuständigkeit des Deutschen Generalkonsulats nicht aus. Läuft die Geltungsdauer des
einem Ausländer durch die zuständige Ausländerbehörde erteilten Aufenthaltstitels
während eines Auslandsaufenthaltes ab - etwa wegen nicht vorhergesehener
Verzögerung der Rückkehr oder weil der bevorstehende Ablauf vor der nur
vorübergehenden Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht bedacht worden war - so kann
sich der Betreffende mit seinem Verlängerungsbegehren an die örtliche Deutsche
Auslandsvertretung wenden. Es spricht nichts dafür, ihm in einem solchen Fall die
kurzzeitige Rückreise ins Bundesgebiet zuzumuten. Eine Antragstellung bei der
zuständigen Ausländerbehörde vom Ausland aus ist in den genannten Fällen untunlich.
Allein schon im Hinblick darauf, dass der Aufenthaltstitel regelmäßig durch
Stempeleindruck oder durch ein Klebeetikett im Pass des Ausländers erteilt wird (vgl.
Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, Rz. 2 zu § 77 AufenthG), der Ausländer also
seinen Pass nach Deutschland schicken müsste, kann ihm ein solches Vorgehen wegen
des damit verbundenen Verlustrisikos und der vorübergehenden Nichtverfügbarkeit des
Passes nicht zugemutet werden. Abgesehen davon ist nicht selten zur Vorbereitung der
Entscheidung über die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels eine
Befragung des Ausländers erforderlich.
2. Der Klägerin steht ein Anspruch auf (weitere) Verlängerung der ihr zuletzt am 18. Juni
2004 verlängerten Aufenthaltserlaubnis nicht zu.
a) Als Rechtsgrundlage für das Begehren kommt, nachdem die Ehe der Klägerin
rechtskräftig geschieden worden ist, allein § 31 AufenthG in Betracht. Nach § 31 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 28 Abs. 3 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten
(eines Deutschen) im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als
eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für
ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren
rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat und der Deutsche bis dahin seinen
gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. § 31 Abs. 1 AufenthG regelt ungeachtet
des damit verbundenen Wechsels des Aufenthaltszwecks einen speziellen
Verlängerungstatbestand, für den grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften der §§ 7
und 8 AufenthG gelten (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 43/06 -, NVwZ
2008, 333, 335, Rz. 22).
b) Die Verlängerung eines Aufenthaltstitels scheidet jedoch aus Rechtsgründen aus,
wenn sie erst nach dessen Erlöschen - etwa durch den Ablauf seiner Geltungsdauer (§ 51
Abs. 1 Nr. 1AufenthG) - beantragt wird. In einem solchen Fall existiert im Zeitpunkt der
Antragstellung kein Aufenthaltstitel mehr, so dass schon begrifflich nicht mehr von einer
„Verlängerung“ gesprochen werden kann (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 26. Juni
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„Verlängerung“ gesprochen werden kann (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 26. Juni
2009 - 18 B 1695/08 -, juris, Rz. 4; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: August 2006, Rz.
26 zu § 81 AufenthG; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand April 2009, Rz. 43 [Seite 28.3]
zu § 81 AufenthG; gegen die Verlängerbarkeit nach Ablauf der Geltungsdauer auch
Kloesel/Christ/ Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Stand: April 2008,
Rz. 16 zu § 8 AufenthG; Renner, Ausländerrecht, a.a.O., Rzn. 11 zu § 8, 18 zu § 81
AufenthG; Zeitler in HTK-AuslR, Stand Dezember 2009, Anm. 5 zu § 81 Abs. 3 und Abs. 4
AufenthG; im Grundsatz ebenso Nr. 8.1.4 i.V.m. mit Nr. 81.4.2.1 der Allgemeinen
Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz [AVwV-AufenthG] vom 26. Oktober 2009,
GMBl. 877; a.A. Dienelt, InfAuslR 2005, 136, 138/139).
Die Klägerin hat das Visum und damit die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis
verspätet, nämlich nicht vor dem 9. März 2006 beantragt. Dabei nimmt der Senat zu
ihren Gunsten an, dass sie im Januar 2006 aus einem seiner Natur nach nur
vorübergehenden Grund nach Vietnam gereist ist, sodass nicht schon die damit
verbundene Ausreise aus dem Bundesgebiet zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis
geführt hat (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG); hierfür spricht, dass sich die Klägerin nach
Auskunft des Generalkonsulats in Ho-Chi-Minh-Stadt gegenüber der Beigeladenen jedes
Jahr - wenn auch nur für jeweils ca. 4 Wochen - in Vietnam aufgehalten hat. Gleichwohl
war im Zeitpunkt der Visumbeantragung die auf den 6. März 2006 befristete
Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis vom 18. Juni 2004 abgelaufen. Der Klägerin
steht daher ein Anspruch nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf Verlängerung dieser
Aufenthaltserlaubnis und damit auch gemäß § 6 Abs. 4 AufenthG auf Erteilung eines
Visums nicht zu. Die von ihr zur Begründung ihrer abweichenden Auffassung
herangezogene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. November 2009
- 1 C 24.08 - betrifft ausweislich der derzeit nur vorliegenden Presseerklärung einen
anderen Fall, nämlich die Berechnung von Voraufenthaltszeiten im Rahmen von § 26
Abs. 4 AufenthG und die Frage, ob eine „Bagatellunterbrechung“ von vier Tagen durch
Anwendung des § 85 AufenthG überbrückt werden könne; darum geht es vorliegend
nicht.
c) Die bereits vor Antragstellung abgelaufene Aufenthaltserlaubnis ist auch nicht
ausnahmsweise deshalb einer Verlängerung zugänglich, weil der bei dem
Generalkonsulat in Ho-Chi-Minh-Stadt gestellte Antrag die Fiktionswirkung des § 81 Abs.
4 AufenthG ausgelöst hätte. Nach dieser Vorschrift gilt der bisherige Aufenthaltstitel
vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als
fortbestehend, wenn ein Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels oder die
Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt.
Dabei mag offenbleiben, ob die Antragstellung im Ausland bei einer deutschen
Auslandsvertretung überhaupt geeignet ist, eine Fiktionswirkung auszulösen.
Grundsätzlich besteht der Zweck des § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG darin, den
Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde
über seinen Antrag zu legalisieren bzw. - im Falle der Duldungsfiktion - zu sichern, und
setzt damit den Aufenthalt im Bundesgebiet voraus (Beschluss des Senats vom 22. Juni
2009 - OVG 3 N 19.09 -). Denn die Entscheidung der Ausländerbehörde - mit der, wie
sich aus § 71 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG ergibt, die inländische Stelle gemeint ist - über
den Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels und die
Fiktionswirkung haben unmittelbare Auswirkungen auf die Vollziehbarkeit der
Ausreisepflicht des Ausländers (vgl. § 58 Abs. 2 AufenthG). Befindet sich der Ausländer
hingegen nicht im Bundesgebiet, so bedarf es hinsichtlich seiner Ausreisepflicht (aus
dem Bundesgebiet) keiner Regelung. Allerdings geht die Fortgeltungsfiktion hierüber
hinaus und ermöglicht etwa den Aufenthalt in anderen Schengen-Staaten (vgl. Funke-
Kaiser in GK-AufenthG, Stand April 2009, Rz. 53 f. zu § 81); mit dem - fiktiv -
fortbestehenden bisherigen Aufenthaltstitel dürfte auch den Anforderungen des § 4 Abs.
1 Satz 1 AufenthG bei einer Wiedereinreise Genüge getan sein.
Dem muss jedoch aus Anlass des vorliegenden Falles nicht näher nachgegangen
werden. Denn die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG tritt im Falle eines
verspäteten Verlängerungsantrags nicht ein. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die
Wirkung und Behandlung verspäteter Verlängerungsanträge heftig umstritten ist (vgl.
insoweit nur Albrecht in Storr u.a., Zuwanderungsrecht, 2. Auflage 2008, Rzn. 17 ff. zu §
81 AufenthG; Funke-Kaiser, a.a.O., Rz. 43; für die Fiktionswirkung jeglichen Antrags auf
Erteilung eines anderen oder Verlängerung des bisherigen Aufenthaltstitels: Hofmann in
HK-AuslR, 2008, Rzn. 33 ff. zu § 81 AufenthG), und dass in der obergerichtlichen
Rechtsprechung zunehmend die Auffassung vertreten wird, ein verspätet gestellter
Verlängerungsantrag löse die Fortgeltungsfiktion aus, wenn ein innerer Zusammenhang
zwischen dem Ablauf der Geltungsdauer des Titels und dem Antrag bestehe (OVG
Münster, Beschluss vom 23. März 2006 - 8 B 120/06 -, InfAuslR 2006, 448; Beschluss
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Münster, Beschluss vom 23. März 2006 - 8 B 120/06 -, InfAuslR 2006, 448; Beschluss
vom 24. Juli 2009 - 18 B 1661/08 -, juris, Rz. 14; OVG Bautzen, Beschluss vom 30.
November 2009 - 3 B 174/08 -, juris, Rz. 3; VGH München, Beschluss vom 28.
September 2009 - 19 CS 09.1610 -, juris, Rz. 4; im Ergebnis ebenso AVwV-AufenthG Nr.
81. 4. 2.3; offen gelassen vom Senat im Beschluss vom 30. Juni 2006 - OVG 3 S 24.06 -).
Dieser von Wertungen abhängigen und damit zu Rechtsunsicherheit führenden
Auffassung folgt der Senat nicht. Ihr ist zwar zuzugeben, dass die
Entstehungsgeschichte des § 81 Abs. 4 AufenthG ein solches Verständnis jedenfalls
nicht ausschließt. Ursprünglich war nämlich im Gesetzentwurf der Bundesregierung zu
einem Zuwanderungsgesetz (BT-Drs. 15/420 vom 7. Februar 2003) als Satz 2 des § 81
Abs. 4 AufenthG folgende Bestimmung vorgesehen: “Wird der Antrag verspätet gestellt,
gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die
Abschiebung als ausgesetzt“. Seine heutige Fassung erhielt § 81 Abs. 4 AufenthG im
Vermittlungsverfahren (vgl. GK-AufenthG, Stand November 2007, Gesetzesmaterialien
und -begründung zu § 81), ohne dass die dafür maßgebenden Gründe, soweit ersichtlich,
in öffentlich zugänglicher Weise dokumentiert wären. Dies ließ die Berücksichtigung
verspäteter Anträge im Rahmen des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht ausgeschlossen
erscheinen. Der Gesetzgeber hat aber anlässlich der mit dem
Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl. I, S. 1970) erfolgten
Streichung der ursprünglich als Klarstellung verstandenen Worte „nach Ablauf der
Geltungsdauer“ in § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ausdrücklich festgestellt, dass nach
§ 81 Abs. 4 AufenthG die Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach Ablauf seiner
Geltungsdauer nicht möglich ist (BT-Drs. 16/5065 vom 23. April 2007, S. 184). Damit ist
der Auffassung, einem verspäteten Antrag könne eine Fortgeltungsfiktion zukommen,
der Boden entzogen (so auch Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2.
Auflage 2008, Rz. 1329; Funke/Kaiser, a.a.O., Rzn. 46.1 ff). Daran vermag auch der
verbleibende Wertungswiderspruch zu § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nichts zu ändern. Es
erscheint zwar nicht von vornherein einleuchtend, dass ein nach gegebenenfalls
langjährigem rechtmäßigen Aufenthalt verspätet gestellter Antrag dem Betreffenden
nicht die Möglichkeit eröffnen soll, bis zur Entscheidung über den Antrag im
Bundesgebiet verbleiben zu können, während ein nach Ablauf eines rechtmäßigen
Aufenthalts ohne Aufenthaltstitel gestellter Antrag wenigstens zu einer Duldungsfiktion
führt. Zur Beseitigung dieses Wertungswiderspruchs ist jedoch allein der Gesetzgeber
berufen. Eine analoge Anwendung von § 81 Abs. 3 Satz 2 oder von § 81 Abs. 4 AufenthG
auf die in Rede stehenden Fälle einer verspäteten Antragstellung scheidet schon
mangels einer planwidrigen Lücke aus. Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber
das Problem, wie diese Fälle hinsichtlich des Eintritts einer Fiktionswirkung zu behandeln
sind, bekannt ist. Gleichwohl hat er die nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes
erfolgten Gesetzesänderungen, insbesondere das Richtlinienumsetzungsgesetz nicht
zum Anlass genommen, eine ausdrückliche Regelung zu treffen, sondern - wie gezeigt -
deutlich gemacht, dass die Fortbestandsfiktion bei verspäteten Anträgen nicht eintritt.
Hiervon abgesehen verdeutlicht auch die, wie dargelegt, hier nicht unmittelbar
einschlägige Vorschrift des § 85 AufenthG, dass der Gesetzgeber ausdrückliche
Regelungen trifft, um Härten Rechnung zu tragen, die sich aus einem verspäteten
Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ergeben (vgl. dazu BT-Drs. 15/420,
S. 97).
d) Der Ausschluss der Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach Ablauf seiner
Geltungsdauer führt nicht zu unbilligen Konsequenzen. Die rechtzeitige Stellung des
Verlängerungsantrags liegt im eigenen Interesse des Ausländers und stellt, ebenso wie
die in der Regel seiner freien Entscheidung überantwortete Antragstellung (vgl. § 81 Abs.
1 AufenthG) eine ihn treffende Obliegenheit dar (so auch Albrecht in Storr u.a.,
Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, Rz. 17 zu § 81 AufenthG). Damit sind keine
unzumutbaren Anforderungen an den Betreffenden verbunden; ohnehin sollte sich ihm
die rechtzeitige Antragstellung zur Vermeidung eines nicht rechtmäßigen Aufenthalts
aufdrängen. Eine besondere Schutzbedürftigkeit ist nicht zu erkennen, weil dem
bisherigen Aufenthaltstitel die Geltungsdauer eindeutig entnommen werden kann. Dies
gilt im Falle der Klägerin umso mehr, als sie von der seinerzeit zuständigen
Ausländerbehörde der Stadt Oldenburg ausdrücklich in den Verlängerungsbescheiden
darauf hingewiesen worden ist, an eine rechtzeitige Terminvereinbarung sechs bis acht
Wochen vor Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis zu denken.
Da die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 8 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich
das weitere Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen für den bisherigen Aufenthaltstitel
voraussetzt, wird ein verspäteter Verlängerungsantrag vielfach ohne weiteres zu einer
Neuerteilung des Aufenthaltstitels führen, etwa wenn die eheliche Lebensgemeinschaft,
wegen der der bisherige Aufenthaltstitel erteilt worden war, nach wie vor besteht. Aus
der verspäteten Antragstellung folgende Unterbrechungen im rechtmäßigen Aufenthalt
können, sofern es bei späteren Entscheidungen darauf ankommt, nach § 85 AufenthG
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können, sofern es bei späteren Entscheidungen darauf ankommt, nach § 85 AufenthG
außer Betracht gelassen werden. Sollte der Ausländer schutzwürdige Bindungen an die
Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland in einem Umfang entwickelt haben,
die eine Aufenthaltsbeendigung als mit Art. 8 Abs. 1 EMRK unvereinbar erscheinen
ließen, kommt die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5
AufenthG in Betracht.
Demgegenüber besteht kein gewichtiger Grund, den in eigenen Angelegenheiten
unsorgfältig handelnden Ausländer vor den Folgen dieser Nachlässigkeit zu schützen (so
aber Nr. 81.4.2.3 AVwV-AufenthG). Soweit gleichwohl zur Vermeidung der damit
verbundenen Konsequenzen, wie vorstehend erwähnt, eine verspätete Antragstellung
unter der Voraussetzung eines inneren, insbesondere engen zeitlichen
Zusammenhanges für unschädlich gehalten wird, ist dem entgegenzuhalten, dass dies
zu erheblicher Rechtsunsicherheit führt, weil mangels gesetzlicher Vorgaben unklar ist,
wann ein solcher Zusammenhang noch angenommen werden kann (nach Auffassung
des VGH München und des OVG Bautzen, jew. a.a.O.: bis zu eine Woche nach Ablauf der
Geltungsdauer der zu verlängernden Aufenthaltserlaubnis; vgl. auch VG Darmstadt,
Beschluss vom 29. August 2005 - 5 G 1234/05 - InfAuslR 2005, 467: 11 Tage noch
ausreichend), und jegliche damit einhergehende richterrechtliche Abgrenzung nicht
überzeugend erklären kann, warum eine aus Nachlässigkeit auch diese zeitliche Grenze
wiederum nur geringfügig überschreitende Verspätung zu allen daraus folgenden
Konsequenzen soll führen dürfen. Insoweit ist die Situation der einer Stichtagsregelung
vergleichbar, deren Anwendung regelmäßig zur Folge hat, dass derjenige, der den
Stichtag nicht eingehalten hat, von den damit verbundenen Vergünstigungen
ausgeschlossen ist; die damit einhergehende Härte im Einzelfall führt jedoch nicht zur
Unzulässigkeit des Stichtagerfordernisses (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 17.
September 2002 - 3 B 2/02 -, juris, Rz. 3 m.w.N.).
e) Ob - was allerdings naheliegt - einem Ausländer im Einzelfall die verspätete Stellung
des Verlängerungsantrages nicht als Verletzung seiner Obliegenheitspflicht
entgegengehalten werden darf, wenn er an der rechtzeitigen Antragstellung
unverschuldet verhindert gewesen ist, bedarf aus Anlass des vorliegenden Falles keiner
näheren Betrachtung. Denn die Klägerin hat, auch nachdem das Verwaltungsgericht sie
darauf hingewiesen hatte, dass die Überschreitung der „Ablauffrist“ der
Aufenthaltserlaubnis von ihr zu vertreten sein dürfte und sie zu ergänzendem Vortrag
aufgefordert hatte, keinerlei Gesichtspunkte geltend gemacht, die den Schluss
rechtfertigen könnten, sie sei ohne eigenes Verschulden daran gehindert gewesen, das
Visum noch vor Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis zu beantragen.
Dagegen spricht schon ihre lapidare Mitteilung, den Ablauf (der Geltungsdauer) der ihr
erteilten Aufenthaltserlaubnis „über-sehen“ zu haben.
f) Hiernach kann offen bleiben, ob die weiteren Voraussetzungen des § 31 AufenthG
erfüllt wären, insbesondere, ob die eheliche Lebensgemeinschaft der Klägerin und ihres
früheren Ehemannes mindestens zwei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden
hat. Insoweit konnte der Senat auch davon absehen, den zur weiteren Klärung dieser
Frage als Zeugen geladenen, aber entschuldigt nicht erschienenen früheren Ehemann
der Klägerin in einem späteren Termin zu hören.
3. Andere Rechtsgrundlagen für das Begehren der Klägerin sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 167 VwGO, 708
Nr. 11, 711 ZPO.
Die Revision ist zuzulassen, weil den Fragen, ob ein Aufenthaltstitel auf einen nach
Ablauf der Geltungsdauer des bisherigen Aufenthaltstitels gestellten Antrag verlängert
werden kann und ob ein solcher verspäteter Antrag die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4
AufenthG auslöst, grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zukommt.
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