Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 28.06.2010

OVG Berlin-Brandenburg: verein, tatsächliche sachherrschaft, kennzeichen, versammlung, verdacht, sucht, durchsuchung, fahrzeug, zugehörigkeit, wohnung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 1 L 71.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 1 VereinsG, § 4 Abs 2
VereinsG, § 4 Abs 4 VereinsG
Vereinsrechtliche Durchsuchungs- und
Beschlagnahmeanordnung wegen Verherrlichung des
Nationalsozialismus
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 28.
Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Gegenstandswert für die anwaltliche Gebührenberechnung wird auf den Antrag des
Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde gegen die mit dem angefochtenen Beschluss erlassene
vereinsrechtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung gegen den
Antragsgegner ist unbegründet. Die Beschwerde zielt angesichts des Vollzuges der
Anordnung durch den Antragsteller nurmehr auf die nachträgliche Überprüfung der
Rechtmäßigkeit der ohne Anhörung des Betroffenen erlassenen Anordnung, für die
wegen des damit verbundenen Grundrechtseingriffs ein unabweisbares Interesse
besteht (vgl. Beschluss des Senats vom 24. November 2008 – OVG 1 L 53.08 -; ferner
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 9. Februar 2009 – 11 OB 393/08 – NVwZ-RR 2009,
475). Das Verwaltungsgericht hat die Anordnung jedoch zu Recht erlassen.
Der Antragsteller führt vereinsrechtliche Ermittlungen gegen den Verein „Kameradschaft
Märkisch-Oder-Barnim (KMOB)“. Es soll sich insoweit um einen rechtsextrem
ausgerichteten Zusammenschluss von derzeit etwa 25 Personen handeln, bei dem
Anhaltspunkte für die Feststellung von Verbotsgründen nach § 3 Abs. 1 VereinsG i. V. m.
Art. 9 Abs. 2 GG bestehen. Zu diesem Zweck beantragte der Antragsteller bei dem
Verwaltungsgericht u.a. gegen den Antragsgegner den Erlass einer Durchsuchungs- und
Beschlagnahmeanordnung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 und 4 VereinsG für dessen in der
Gemeinde K belegene Wohnräume einschließlich aller Nebengelasse sowie für die
Kraftfahrzeuge mit dem amtl. Kennzeichen MOL-, dessen Halter der Antragsgegner ist,
sowie einen mit dem amtl. Kennzeichen B-, den der Antragsgegner nutzt, zum Zwecke
der Auffindung und Beschlagnahme näher bezeichneter Gegenstände und Unterlagen,
die als Beweismittel für die Ermittlungen gegen den Verein von Bedeutung sein können.
Der Antragsgegner sei mutmaßlich Mitglied des Vereins, denn er sei für Versammlungen
der KMOB als Anmelder aufgetreten und habe versucht, Dritte für den Verein
anzuwerben. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag entsprochen; der Antragssteller
habe mit der Antragsschrift Tatsachen vorgebracht, aus denen sich Gründe für ein
Vereinsverbot ableiten ließen und die für die Zugehörigkeit des Antragsgegners zu dem
Verein sprechen.
Mit der Beschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die Bewertung des
Antragsstellers, es lägen Verbotsgründe gegen die KMOB vor. Allein der verwendete
Reichsadler, die Farben Schwarz-Weiß-Rot sowie der Gebrauch der altdeutschen Schrift
seien allein noch keine ausreichenden Indizien für eine Verherrlichung des
Nationalsozialismus. Insbesondere liege insoweit noch keine strafrechtliche Verurteilung
vor. Es fehle insbesondere an rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen, die im
Zusammenhang mit der Tätigkeit des Vereins stünden. Offenbar seien vom
Antragsteller lediglich in erheblichem Ausmaß Ermittlungsverfahren eingeleitet worden,
die aber nicht zu Verurteilungen geführt hätten. Zutreffend sei nur, dass er, der
Antragsgegner, eine Versammlung des Vereins angemeldet habe; als Redner auf einer
Versammlung oder durch eine wiederholte Teilnahme sei er bisher nicht in Erscheinung
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Versammlung oder durch eine wiederholte Teilnahme sei er bisher nicht in Erscheinung
getreten. Die Anwerbung neuer Mitglieder bestreite er. Der Antragsteller ist dem
entgegengetreten. Der Antragsgegner habe am 3. März 2010 für die KMOB
Versammlungen für den 12. und 19. Juni sowie für den 3. und 10. Juli angemeldet und
sich dabei in zwei Fällen als Redner vorgesehen. Die Anwerbeversuche, u.a. zu dem
Zweck, aktiv an der Randale bei Fußballspielen teilzunehmen, seien durch
Zeugenangaben belegt.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt eine Bewertung dahin, es hätten keine
zureichenden Anhaltspunkte für vereinsrechtliche Ermittlungen gegen die KMOB und den
Antragsgegner als ihr Mitglied vorgelegen, nicht. Vielmehr steht aufgrund der in der
Antragsschrift wiedergegebenen Selbstdarstellung aus einem Aufnahmeantrag, die auf
eine rechtsextreme Ausrichtung und Zugehörigkeit als „Kameradschaft“ zu den sog.
freien Kräften hindeutet und dem Auftreten in der Öffentlichkeit in schwarzer
Oberbekleidung unter Verwendung des nationalsozialistischen Reichsadlers unter
Ersetzung des seinerzeit im Laubkranz eingefassten Hakenkreuzes durch die
Buchstaben MOB bzw. Symbole wie einen Totenkopf fest, dass sich der Verein in seinem
Auftreten nach außen den Anschein eines Zusammenschlusses mit paramilitärischen
Zügen zu geben sucht und dabei bewusst Anklänge an Erscheinungsbild und Auftreten
nationalsozialistischer Formationen im Dritten Reich zu erwecken sucht oder jedenfalls in
Kauf nimmt. Diese Feststellung entkräftet die Beschwerde nicht schon dadurch, dass die
Verwendung dieser Symbole bislang nicht zu strafrechtlichen Verurteilungen geführt hat.
Denn allein das Meiden verbotener Kennzeichen nach § 86 a StGB hindert nicht an der
Feststellung, dass das Auftreten nach seinem Gesamtbild Assoziationen zu dem der
Nationalsozialisten aufweist und gezielt wecken soll. Auch begründet der Umstand, dass
der Verein in der geschilderten Form auftritt und sich in ihm zuzurechnenden
Äußerungen sprachlich aggressiv, menschenverachtend und für den Fall künftiger
Vormachtstellung gewaltverheißend darstellt („herumsitzende Insekten“ als
Bezeichnung für Gegendemonstranten; „Immer nicht vergessen: Am Ende knallt die
Peitsche“ als Androhung von Gewalt gegen politische Gegner), auch wenn im Übrigen zu
bestimmten politischen Themen bislang nur rechtsextreme Positionen erkennbar
werden, den Verdacht, dass der Zusammenschluss darüber hinausgehend
nationalsozialistisches Gedankengut pflegt und auf eine aktiv-kämpferisch betriebene
Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes gerichtet sein kann.
Davon abgesehen begründet den Verdacht eines Verbotsgrundes nach § 3 Abs. 1
VereinsG, dass die sog. Regeln des KMOB von dort als politisch eingestufte Straftaten
nicht sanktionieren („Keine Straftaten (außer politische)“) und bei den durch
Zeugenangaben belegten Anwerbungsversuchen die aktive Teilnahme an Randale bei
Fußballspielen erwartet wurde, denn eine solche Randale dürfte die Begehung von
Straftaten wie Sachbeschädigung und Körperverletzung bis hin zur Begehung von
Landfriedensbruch einschließen. Hiervon ausgehend ist die Aufnahme vereinsrechtlicher
Ermittlungen nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend
angenommen, dass der Antragsgegner dem Verein angehört, jedenfalls zu ihm in einer
solchen Nähe steht, dass die Erwartung gerechtfertigt ist, in seiner Wohnung
Gegenstände und Unterlagen in Bezug auf den Verein aufzufinden, die weiteren
Aufschluss über dessen Zielrichtung und das Vorliegen von Verbotsgründen geben. Der
Antragsgegner hat die Anmeldung einer Versammlung für den Verein selbst
eingeräumt; ihm zuzurechnende Anwerbeversuche Dritter hat er entgegen deren
Angaben lediglich unsubstantiiert bestritten. Es wäre unverständlich, weshalb sich der
Antragsgegner in dieser Weise engagiert, wenn er dem Verein nicht angehören sollte.
Im Hinblick auf die Anordnung der Durchsuchung des vom Antragsgegner genutzten
PKW mit Berliner Kennzeichen hat die Beschwerde konkrete Einwände nicht erhoben.
Insoweit weist der Senat jedoch darauf hin, dass § 4 Abs. 4 Satz 2 VereinsG nur die
Anordnung der Durchsuchung von Sachen eines Vereinsmitgliedes oder eines
Hintermannes zulässt, so dass die Durchsuchungsanordnung für dieses Fahrzeug sich
auf den Fall zu beschränken hat, dass sich das Fahrzeug aktuell in der Verfügungsgewalt
des Antragsgegners befindet, was regelmäßig die tatsächliche Sachherrschaft über
Fahrzeugschlüssel und –papiere voraussetzen dürfte. Im Übrigen dürfen Sachen Dritter
nach § 4 Abs. 4 Satz 3 VereinsG nur zum Gegenstand einer Durchsuchungs- und
Beschlagnahmeanordnung gemacht werden, wenn Tatsachen darauf schließen lassen,
dass sich bestimmte gesuchte Gegenstände und Unterlagen darin befinden, wofür der
Antrag an das Verwaltungsgericht hier nichts Hinreichendes hergibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwerts
bedarf es nicht, da nach Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG eine Festgebühr für den Fall der
Verwerfung oder Zurückweisung der Beschwerde bestimmt ist (KV Nr. 5502). Die auf den
Antrag des Bevollmächtigten des Antragsgegners erfolgte Festsetzung des
Gegenstandswertes für die anwaltliche Tätigkeit im Beschwerdeverfahren richtet sich
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Gegenstandswertes für die anwaltliche Tätigkeit im Beschwerdeverfahren richtet sich
nach den §§ 33 i.V.m. 23 Abs. 3 RVG; billigem Ermessen entspricht insoweit bei
Maßnahmen im Vorfeld eines von der obersten Landesbehörde zu führenden
Verbotsverfahrens ein Sechstel des für das Verbot selbst im gerichtlichen Verfahren
anzusetzenden Streitwerts in Höhe von 15.000 Euro nach Ziffer II. 45.1.1 des sog.
Streitwertkatalogs (veröffentlicht NVwZ 2004, 1327 ff. )
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
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