Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 15.10.2010

OVG Berlin-Brandenburg: wirtschaftlicher nutzen, anspruch auf bewilligung, wahrscheinlichkeit, abgabenordnung, akteneinsicht, zugang, prozesskosten, verwaltungsverfahren, ermessen, motiv

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 12 M 67.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 1 S 1 InfFrG BE, § 30
AO 1977
Informationszugang gegenüber dem Finanzamt zur
Durchsetzung einer Insolvenzanfechtung
Leitsatz
Den Insolvenzgläubigern kann die Aufbringung eines Kostenvorschusses zur Durchführung
eines auf das Berliner Informationsfreiheitsgesetz gestützten verwaltungsgerichtlichen
Verfahrens nicht zugemutet werden, wenn der Erfolg einer Insolvenzanfechtung von der
Auswertung der noch unbekannten Informationen abhängt.
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Oktober 2010 wird geändert.
Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt und ihm
Rechtsanwalt E., Berlin, beigeordnet, soweit er mit seiner Verpflichtungsklage
Informationszugang begehrt zu Vollstreckungsprotokollen und Quittungsdurchschriften
hinsichtlich Zahlungen, die dem Schreiben des Beklagten vom 20. Januar 2009 zufolge
durch Vollstreckungsbeamte beigetrieben worden sind, und soweit er
Informationszugang zu Barzahlungsquittungen begehrt, die die in dem Schreiben
genannten selbstbestimmten Zahlungen betreffen. Im Übrigen wird die Beschwerde
zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger die Hälfte. Außergerichtliche
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn S. Dieser tilgte einen Teil
seiner Steuerrückstände gegenüber dem Finanzamt R. in Höhe von rund 114.000 Euro
durch selbstbestimmte Zahlungen bzw. im Wege der Beitreibung durch
Vollziehungsbeamte. Insoweit erklärte der Kläger gegenüber dem Finanzamt die
Insolvenzanfechtung und bat um Überweisung des Anfechtungsbetrages zuzüglich
Zinsen in Höhe von insgesamt rund 120.000,00 Euro. Außerdem begehrte er mangels
vorhandener Nachweise Zugang nach dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz zu den
bei dem Finanzamt geführten, Herrn S. betreffenden Vollstreckungsakten. Die dadurch
gewonnenen Erkenntnisse sollen der Durchsetzung der Insolvenzanfechtung dienen.
Nachdem das Finanzamt nicht reagiert hatte, nahm der Kläger verwaltungsgerichtlichen
Rechtsschutz in Anspruch. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hatte
keinen Erfolg.
II.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist in dem aus
dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Insoweit hat er nach § 166 VwGO in
Verbindung mit §§ 114, 121 ZPO einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Verfahren, denn die
beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint
nicht mutwillig (1.). Außerdem sind auch die hier maßgeblichen persönlichen und
wirtschaftlichen Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt (2.).
1. a) Die Klage hat keine Aussicht auf Erfolg, soweit der Kläger hinsichtlich der in dem
Schreiben des Beklagten vom 20. Januar 2009 angeführten selbstbestimmten
Zahlungen Informationszugang zu Bankkontoauszügen in den Fällen einer Zahlung
durch Überweisung begehrt. Dem insoweit erstmals im gerichtlichen Verfahren
erhobenen Anspruch gemäß § 3 Abs. 1 des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes (IFG
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erhobenen Anspruch gemäß § 3 Abs. 1 des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes (IFG
Bln) steht entgegen, dass der Kläger zuvor keinen entsprechenden Antrag bei dem
Beklagten gestellt hat (§ 13 IFG Bln). Ausweislich der an den Beklagten gerichteten
Schreiben vom 16. September 2009 und vom 22. Dezember 2009 bezieht sich das im
Verwaltungsverfahren geltend gemachte Informationsbegehren nur auf selbstbestimmte
Zahlungen, die nicht durch Überweisung erfolgt sind.
b) Hinsichtlich des übrigen Verpflichtungsbegehrens (Informationszugang zu
Vollstreckungsprotokollen und Quittungsdurchschriften, die durch Vollstreckungsbeamte
beigetriebene Zahlungen betreffen, sowie Informationszugang zu
Barzahlungsquittungen für selbstbestimmte Zahlungen) hat die Klage Aussicht auf
Erfolg.
Die Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten setzt grundsätzlich nicht voraus, dass der
Prozesserfolg schon gewiss ist. Es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die
jedenfalls dann gegeben ist, wenn der Ausgang des Verfahrens offen ist und ein
Obsiegen ebenso in Betracht kommt wie ein Unterliegen (BVerwG, Beschluss vom 8.
März 1999, NVwZ-RR 1999, 587, 588; VGH Mannheim, Beschluss vom 21. November
2006, NVwZ-RR 2007, 210 f.; Kopp/ Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 166 Rn. 8).
Prozesskostenhilfe darf demgegenüber verweigert werden, wenn die Erfolgschance
lediglich eine entfernte ist (BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990, BVerfGE 81, 347,
357).
Gemessen daran ist der Ausgang des Verfahrens zumindest offen. Das Verfahren
betrifft die in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg noch
nicht entschiedene Frage, ob und in welchem Umfang gegenüber den Berliner
Finanzämtern als Behörden im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 IFG Bln ein Anspruch auf
Informationszugang besteht. Zwar spricht einiges dafür, dass die Einsicht in Steuerakten
– unabhängig vom Vorliegen sonstiger Ausschlussgründe – nicht wegen auf Bundesrecht
beruhender Geheimhaltungspflichten gemäß § 17 Abs. 4 IFG Bln in Verbindung mit § 30
der Abgabenordnung (AO) versagt werden kann, wenn ein Steuerpflichtiger – oder der
über dessen Vermögen eingesetzte Insolvenzverwalter - Zugang zu ihn selbst
betreffenden Informationen begehrt. Allerdings setzt dies voraus, dass der Anspruch des
Steuerpflichtigen bzw. des Insolvenzverwalters auf Akteneinsicht nicht abschließend in
der Abgabenordnung geregelt ist, sodass ihm ein weiter gehender Anspruch nach dem
IFG Bln zusteht als nach der Abgabenordnung, die lediglich einen Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung gewährt (vgl. zum Sach- und Streitstand FG des
Saarlandes, Urteil vom 17. Dezember 2009 – 1 K 1598/08 -, juris, Rn 25 und 28; BFH,
Beschlüsse vom 9. Januar 2007 – VII B 134/05 -, juris, und vom 7. Dezember 2006, NJW
2007, 1311; OVG Koblenz, Urteil vom 23. April 2010 – 10 A 10091/10 -, juris, Rn. 22; s.
auch FG Münster, Urteil vom 17. September 2009 – 3 K 1514/08 AO -, juris). Der
Beklagte kann sich insoweit auch nicht auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 13.
August 2009 (- IX ZR 58/06 -, juris) berufen. Der BGH hat dort offen gelassen, ob der
Insolvenzverwalter seinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Finanzamt auf das
Informationszugangsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt stützten konnte, weil dieser das
vorgeschriebene Verwaltungsverfahren nicht durchgeführt hatte (BGH, a.a.O., Rn. 8).
2. Die in § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 166 VwGO normierten persönlichen und
wirtschaftlichen Voraussetzungen, unter denen der Kläger als Insolvenzverwalter
Prozesskostenhilfe beanspruchen kann, liegen hier ebenfalls vor. Danach erhält eine
Partei kraft Amtes Prozesskostenhilfe, wenn die Kosten aus der verwalteten
Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des
Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen.
a) Angesichts der von dem Kläger in nachvollziehbarer Weise berechneten Unterdeckung
in Höhe von 3.149,06 Euro reicht die von ihm verwaltete Vermögensmasse unstreitig
nicht aus, um die anfallenden Prozesskosten zu begleichen.
b) Ebenso wenig ist – wie die Beschwerde zutreffend ausführt - den Insolvenzgläubigern
als am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten zuzumuten, die Kosten in
Gestalt von Vorschüssen aufzubringen. Das ist nur dann der Fall, wenn die
Insolvenzgläubiger die erforderlichen Mittel unschwer aufbringen können und für sie der
zu erwartende Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse sowie das
Prozesskostenrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise voraussichtlich
größer sein wird als die Kosten. Hierbei ist eine wertende Abwägung aller
Gesamtumstände des Einzelfalles erforderlich (BGH, Beschluss vom 25. November 2010
– VII ZB 71/08 -, juris; Beschluss vom 6. Dezember 2007 – II ZA 12/07 -, juris; Beschluss
vom 6. März 2006, NJW-RR 2006, 1064; BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2006,
Buchholz 303 § 116 ZPO Nr. 1).
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Anders als das Verwaltungsgericht meint, lässt sich unter Berücksichtigung dieser
Grundsätze für die Insolvenzgläubiger kein wirtschaftlicher Nutzen der auf
Informationszugang gerichteten Klage in Höhe von 12.000,00 Euro mit der Begründung
annehmen, dass es sich um einen Auskunftsanspruch handele, mit dessen Hilfe die von
der Insolvenzanfechtung betroffene Forderung als Leistungsanspruch durchgesetzt
werden solle, und der daher mit einem Zehntel des Leistungsanspruchs bewertet werde.
Zwar ist der von dem Verwaltungsgericht angeführten zivilrechtlichen Rechtsprechung
zufolge auch eine nur mittelbare Besserstellung der Insolvenzgläubiger bei der
Beurteilung der wirtschaftlichen Vorteile, welche durch die beabsichtigte Klage für sie zu
erzielen sind, zu berücksichtigen (OLG Köln, Beschluss vom 10. September 2002 – 22 W
43/02 -, juris Rn. 7).
Einer derartigen Berücksichtigung steht hier jedoch entgegen, dass selbst bei einem
unterstellten Erfolg der auf Informationszugang gerichteten Klage der Ausgang der
Insolvenzanfechtung und damit die Realisierung der gegenüber dem Beklagten im Wege
der Insolvenzanfechtung geltend gemachten Forderung weiterhin ungewiss bleibt. Ob
bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit die Insolvenzanfechtung Erfolg haben wird, lässt sich
erst nach einer Auswertung der begehrten Informationen beurteilen, deren Weitergabe
der Beklagte ablehnt und um die die Beteiligten streiten. Dieses unabsehbare Risiko
kann den Insolvenzgläubigern nicht als wirtschaftlicher Nutzen entgegengehalten
werden. Insofern liegt es hier anders als in dem von dem Verwaltungsgericht zitierten
zivilrechtlichen Verfahren. Dort konnte das Oberlandesgericht die potenziellen
finanziellen Auswirkungen ohne weiteres als günstig einschätzen. Ihm zufolge führte die
beabsichtigte Klage, mit der nur mittelbar die Freigabe und Einziehung einer Forderung
zur Masse erwirkt werden sollte, zu einer Rechtslage, „welche […] aller
Wahrscheinlichkeit die Zahlung des Betrages an den Antragsteller zur Folge haben wird“
(OLG Köln, a.a.O.).
Angesichts dessen kann offen bleiben, ob der Beschwerde auch insoweit zu folgen ist,
als sie dem von dem Verwaltungsgericht angenommenen wirtschaftlichen Wert des
Auskunftsanspruchs die nach diesem Wert berechneten höheren Kosten des
Insolvenzverfahrens (Gerichtskosten und Insolvenzverwaltervergütung) gegenüberstellt,
obwohl eine erfolgreiche Durchsetzung des Anspruchs auf Informationszugang nicht
unmittelbar zu einer Erhöhung der Insolvenzmasse führt. Ebenso wenig kommt es hier
im Ergebnis darauf an, dass das Verwaltungsgericht bei den dem wirtschaftlichen Wert
gegenüberzustellenden Prozesskosten einen Streitwert von 12.000,00 Euro zugrunde
gelegt hat, während der Senat in Verfahren, in denen ein Kläger Akteneinsicht nach dem
Informationsfreiheitsgesetz des Bundes bzw. nach den Informationsfreiheitsgesetzen der
Länder Brandenburg oder Berlin begehrt, pauschal und typisierend von dem Auffangwert
des § 52 Abs. 2 GKG ausgeht, weil das Recht auf Informationszugang weder ein
rechtliches noch ein berechtigtes Interesse voraussetzt und das Motiv hierfür bzw. der
Zweck des begehrten Informationszuganges unbeachtlich sind. (vgl. z.B. OVG Berlin-
Brandenburg, Beschlüsse vom 4. November 2009 – 12 L 73.09 – und vom 30. Dezember
2010 – OVG 12 L 73.10 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Der Senat hat
die gesetzlich bestimmte Gerichtsgebühr von 50,00 Euro im Hinblick auf die nur zum Teil
erfolgte Zurückweisung der Beschwerde nach dem ihm gemäß § 3 Abs. 2 GKG in
Verbindung mit Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1) eingeräumten billigen
Ermessen auf die Hälfte ermäßigt. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es im Hinblick auf
die halbierte Festgebühr nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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