Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 23.01.2008

VGH Baden-Württemberg: ablauf der frist, glaubhaftmachung, selbstkontrolle, beweismittel, entlastung, hausrat, rechtsberatung, bad, mazedonien, verfügung

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 23.1.2008, 11 S 2916/07
Berücksichtigung nachgereichter Unterlagen im Prozesskostenhilfeverfahren
Leitsätze
1. Im Prozesskostenhilfeverfahren sind Erklärungen und Unterlagen des Antragstellers vom Gericht des ersten Rechtszugs auch dann zu
berücksichtigen, wenn diese zwar nicht innerhalb der vom Gericht hierfür gesetzten Frist, jedoch noch vor einer Abhilfeentscheidung über die
Beschwerde gegen einen zunächst auf das Fehlen der Unterlagen gestützten ablehnenden Beschluss vorgelegt werden.
2. Lässt das Ausgangsgericht die nachgereichten Unterlagen und Erklärungen bei seiner Abhilfeentscheidung unberücksichtigt, kann das
Beschwerdegericht den ablehnenden Beschluss des Ausgangsgerichts auf Antrag des Antragstellers aufheben und die Sache an das
Ausgangsgericht zur erneuten Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zurückverweisen.
Tenor
Auf die Beschwerden der Kläger wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 23. November 2007 - 3 K 1690/07 - aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Anträge der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines
Rechtsanwalts an das Verwaltungsgericht Freiburg zurückverwiesen.
Gründe
1 Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthaften und auch sonst zulässig erhobenen Beschwerden der Kläger gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Freiburg vom 23.11.2007, mit welchem ihre Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres
Bevollmächtigten abgelehnt worden sind, hat - nach entsprechenden Anträgen der Kläger auf ein solches Vorgehen - in der Sache dergestalt
Erfolg, dass dieser Beschluss entsprechend § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufgehoben wird und die Prozesskostenhilfegesuche der Kläger an das
Verwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen werden.
2 Das Verwaltungsgericht durfte die Entscheidung über die Prozesskostenhilfegesuche der Kläger nicht treffen, ohne sich inhaltlich mit der Frage
der Erfolgsaussichten ihrer Rechtsverfolgung auseinander zu setzen und damit über diese Gesuche in der Sache zu entscheiden (zur
Zurückverweisung in diesen Fällen vgl. allgemein VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.07.2003 - 7 S 536/03 -, VBlBW 2004, 36 und vom
26.03.1979 - VII 3206/778 -, ferner OVG Hamburg, Beschluss vom 13.12.1989 - Bs IV 606/89 -, juris, und OVG Saarland, Beschluss vom
28.09.2007 - 1 D 399/07 -, juris und vom 28.06.1996, NVwZ-RR 1997, 391; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 150 Rn 2;
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl. 2007, § 572 Rn. 23) .
3 Zwar hat das Verwaltungsgericht die Prozesskostenhilfeanträge der Kläger am 21.11.2007 zunächst zu Recht nach § 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs.
2 Satz 4 ZPO mit der Begründung abgelehnt, diese hätten trotz einer entsprechenden - dem Kläger-Bevollmächtigten ordnungsgemäß
zugestellten - Aufforderung durch das Gericht innerhalb der gesetzten Frist nicht die nach § 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO notwendige
Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben und somit ihre Hilfsbedürftigkeit insgesamt nicht glaubhaft
gemacht. Allerdings haben die Kläger dem Verwaltungsgericht die notwendigen Erklärungen und Belege am 10.12.2007 mit der Einlegung ihrer
Beschwerde vorgelegt und damit auch in der Sache glaubhaft gemacht, dass sie nach ihren wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen nicht
in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung auch nur zum Teil oder in Raten aufzubringen. Insbesondere ist es den in Mazedonien
ansässigen und einkommenslosen Klägern nach § 90 Abs. 2 Nr. 4 und 8 SGB XII nicht im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO zumutbar, das ihnen
verbliebene Vermögen einzusetzen. Denn dieses Vermögen besteht nach ihrem glaubhaften Vortrag nur aus einem von ihnen selbst bewohnten
Haus und dem Hausrat, der zur Zeit überdies zum Zweck der Sicherung des Lebensunterhalts sukzessive verkauft wird.
4 Die Glaubhaftmachung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse war vom Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Abhilfeentscheidung
über die eingelegte Beschwerde zu berücksichtigen. Denn bei der richterlichen Frist nach § 118 Abs. 2 Satz 2 und 4 ZPO zur Glaubhaftmachung
über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist; vielmehr sind ein nach Ablauf der Frist
eingehendes, nachgeholtes Vorbringen und nachgereichte Belege im Rahmen der Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
grundsätzlich zu berücksichtigen (Neumann in: Sodan/Ziekow, VwGO Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 166 Rn. 200; Zöller/Philippi, Kommentar zur
ZPO, 25. Aufl. 2005, § 118 Rn. 17). Dies ergibt sich schon daraus, dass die nachgereichten Erklärungen und Belege regelmäßig auch einen
erneut zu stellenden Prozesskostenhilfeantrag stützen könnten (vgl. BAG, Beschluss vom 03.12.2003, a.a.O., m.w.N.; Kalthoener/ Büttner/Wrobel-
Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 3. Aufl. 2003, Rn. 509; Zöller/Philippi, a.a.O., § 127 Rn. 48 ff.; Baumbach/Lauterbach/
Albers/Hartmann, a.a.O., § 127 Rn. 102) und sich deshalb die Berufung auf den Ablauf der nach § 118 Abs. 2 Satz 4 gesetzten Frist als eine
überflüssige Förmelei darstellen würde (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 118 Rn. 42). Dabei steht der Berücksichtigung auch
nicht entgegen, dass die Kläger die ausstehenden Unterlagen und Erklärungen erst vorgelegt haben, nachdem das Verwaltungsgericht bereits
eine auf § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO gestützte Ablehnungsentscheidung getroffen hatte. Zwar wird in der Rechtsprechung überwiegend die
Auffassung vertreten, dass § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO als eine gegenüber § 173 VwGO i.V.m. § 571 Abs. 2 ZPO speziellere Regelung die
Berücksichtigung von erst im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen und Erklärungen durch das Beschwerdegericht ausschließt, weil es
sinnwidrig wäre, dem Ausgangsgericht die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags nach fruchtlosem Ablauf der gesetzten Frist zwingend
vorzuschreiben und gleichzeitig das Beschwerdegericht zu verpflichten, die später eingereichten Erklärungen und Belege zu berücksichtigen
(BAG, Beschluss vom 03.12.2003 - 2 AZB 19/03 -, MDR 2004, 415; LAG Hamm, Beschluss vom 04.08.2005 - 4 Ta 434/05 -, juris; LAG Nürnberg,
Beschluss vom 15.04.2003 - 6 Ta 134/02 -, AR ES 1290 Nr. 34; kritisch hierzu Schneider, MDR 1989, 965). Allerdings trifft die für diese Auffassung
maßgebliche Erwägung, dass anderenfalls das Beschwerdegericht zu einer inhaltlichen Prüfung eines Prozesskostenhilfegesuchs gezwungen
würde, ohne dass sich das Ausgangsgericht mit der Sache selbst befassen konnte, in dem - hier gegebenen - Fall der Nachreichung der
Unterlagen und Erklärungen noch vor einer Entscheidung des Ausgangsgerichts nach § 148 Abs. 1 VwGO über eine Abhilfe der Beschwerde nicht
zu. Denn bis zu der Entscheidung über die Nichtabhilfe und die Vorlage der Angelegenheit an das Beschwerdegericht ist eine Zuständigkeit des
Beschwerdegerichts nicht begründet (J. Meyer-Ladewig in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 148 Rn. 2). Auch entspricht es gerade
dem Sinn des Abhilfeverfahrens, über eine Selbstkontrolle und die Berücksichtigung auch neuer Tatsachen und Beweismittel nach § 173 VwGO
i.V.m. § 571 Abs. 2 ZPO für eine Verkürzung der Verfahren und eine Entlastung des Beschwerdegerichts zu sorgen und gleichzeitig bei zunächst
fehlender Sachentscheidung des Ausgangsgerichts dem Beschwerdeführer die Instanz zu erhalten (vgl. J. Meyer-Ladewig in: Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, a.a.O.; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 148 Rn. 1 jeweils m.w.N.).
5 Eine Kostenentscheidung unterbleibt, da die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wurde (J. Meyer-Ladewig in: Schoch/Schmidt-
Aßmann/ Pietzner, a.a.O., § 130 Rn. 12).
6 Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).