Urteil des OLG Zweibrücken vom 30.03.2011

OLG Zweibrücken: wiedereinsetzung in den vorigen stand, urkunde, rechtsmittelbelehrung, jugendamt, rechtsirrtum, verschulden, verspätung, hauptsache, quelle, beschwerdefrist

OLG
Zweibrücken
30.03.2011
6 WF 224/10
Zur Zulässigkeit der Kostenbeschwerde nach Rücknahme des Verfahrensantrags
Beschluss vom 30. März 2011
Aktenzeichen:
6 WF 224/10
71 F 37/10
Amtsgericht- Familiengericht -
Frankenthal (Pfalz)
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
Beschluss
In der Familiensache
A…
G…
Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte W…, B…, T..., …,
gegen
B…
S…
Antragsgegner und Beschwerdegegner,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt U… K…, …, …,
wegen Kindesunterhalt
hier: Beschwerde gegen die Kostenentscheidung 1. Instanz
hat der 6. Zivilsenat – Familiensenat – des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Burger, die Richterin am Oberlandesgericht
Euskirchen und den Richter am Oberlandesgericht Hengesbach
auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 19. Oktober 2010, beim Amtsgericht eingegangen am 20.
Oktober 2010,
gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Frankenthal (Pfalz) vom 17. September 2010,
der Beschwerdeführerin zugestellt am 22. September 2010,
ohne mündliche Verhandlung am 30. März 2011
beschlossen:
1. Der Antragsgegnerin, die die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde versäumt hat,
wird von Amts wegen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
2. Auf die Beschwerde wird die angefochtene Entscheidung geändert:
Die Kosten des Verfahrens 1. Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
5. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf
601 bis 900 €.
Gründe:
Die am 19. September 2007 geborene, jetzt dreijährige Antragstellerin hat den Antragsgegner, ihren
Vater, auf Zahlung monatlichen Kindesunterhaltes in Höhe von 225 € in Anspruch genommen. Erst in der
mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht hat der Antragsgegner auf eine Jugendamtsurkunde
hingewiesen, die er bereits anlässlich des vorausgegangenen Vaterschaftsfeststellungsverfahrens
zugunsten der Antragstellerin errichtet hatte. Ob diese Urkunde zur persönlichen Kenntnis der Kindsmutter
und gesetzlichen Vertreterin gelangt war, konnte nicht festgestellt werden; die Antragstellerin war damals
durch das Jugendamt als Beistand vertreten. Sie hat nach Bekanntwerden der Urkunde in vorliegendem
Verfahren ihren Antrag unter Verwahrung gegen die Kosten zurückgenommen. Das Familiengericht hat
ihr aber durch Beschluss vom 17. September 2010 die gesamten Kosten auferlegt; hiergegen richtet sich
ihre Beschwerde, mit der Kostenaufhebung erstrebt wird.
Das Rechtsmittel der Antragstellerin, über das der Senat gemäß § 568 Satz 2 ZPO in der im GVG
vorgeschriebenen Besetzung zu entscheiden hat, ist nach Gewährung der Wiedereinsetzung zulässig und
führt in der Sache zu dem erstrebten Erfolg.
Die Beschwerde ist allerdings verspätet, nämlich erst mehr als zwei Wochen nach Zustellung der
angefochtenen Entscheidung eingelegt worden. Nach Auffassung des Senats sind in Familienstreitsachen
für Beschwerden gegen sog. isolierte Kostenentscheidungen, die ohne gleichzeitige
Hauptsacheentscheidung ergehen, gemäß § 113 Abs. 1 FamFG die Vorschriften der ZPO anzuwenden,
hier insbesondere §§ 91a Abs. 2 und - im vorliegenden Fall einschlägig - § 269 Abs. 5, jeweils i.V.m. §§
567 ff. Entsprechendes muss auch für die ausschließliche Anfechtung der Kostenentscheidung in den
Fällen des § 99 Abs. 2 ZPO gelten. Gemäß der ZPO gilt für die Anfechtung die Zwei-Wochen-Frist nach §
569 Abs. 1, weiterhin wird ein Beschwerdewert von – nur – 200 € vorausgesetzt (§ 567 Abs. 2) und es
besteht die grundsätzliche Zuständigkeit des Einzelrichters (§ 568).
Die Frage ist allerdings in Kommentarliteratur und obergerichtlicher Rechtsprechung nicht unumstritten.
Nach Auffassung des OLG Oldenburg, 5. Senat für Familiensachen (FamRZ 2010, 1831), handelt es sich
auch hier um Endentscheidungen im Sinne der §§ 38 Abs. 1, 58 Abs. 1 FamFG, für die folgerichtig die
Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG statthaft sei. Ebenso wird in der Kommentarliteratur zum Teil
uneingeschränkt von der Anwendbarkeit der letztgenannten Vorschriften ausgegangen, ohne zwischen
nichtstreitigen und streitigen Familiensachen zu unterscheiden (MK-FamFG § 81 Rn. 78; Prütting/Helms,
FamFG § 81 Rn. 32; Bork/Jacoby/Schwab, FamFG § 81 Rn. 21). Dies hätte zur Folge, dass die
Anfechtungsfrist einen Monat beträgt (§ 63 FamFG), ein Beschwerdewert von 600 € zu beachten (§ 61
FamFG) und grundsätzlich das Beschwerdegericht in seiner Gesamtheit zur Entscheidung berufen ist (§
68 Abs. 4 FamFG).
Nach mittlerweile wohl herrschender Ansicht sind dagegen die o.a. Vorschriften der ZPO zugrunde zu
legen (OLG Hamm, Beschluss vom 2.2.2011, 8 WF 262/10 – juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom
10.1.2011, 15 WF 2/11 – juris; OLG Saarbrücken NJW-RR 2011, 369; OLG Oldenburg – 1. Senat für
Familiensachen – FuR 2011, 112; KG Berlin NJW 2010, 3588; OLG Nürnberg FamRZ 2010, 1837; Zöller,
ZPO 28. Aufl. § 58 Rn. 4; Keidel, FamFG 16. Aufl. § 58, Rn. 95, 97; Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG 2.
Aufl. § 58 Rn. 14; Horndasch/Viefhues, FamFG 2. Aufl. § 82 Rn. 27). Dem schließt sich auch der Senat an.
Dabei ist es aus der Sicht des Senats entscheidend, dass die entsprechenden Vorstellungen des
Gesetzgebers (BT-Drucks. 16/6308, S. 168; 16/12717, S. 60) durchaus mit hinreichender Deutlichkeit im
Gesetzestext zum Ausdruck gekommen sind; dies zwar nicht im FamFG selbst, aber in der Anlage 1 zum
FamGKG Nr. 1910. Die dort geregelte Gebühr für „... Beschwerden in den Fällen des § 71 Abs. 2, § 91a
Abs. 2, § 99 Abs. 2 und § 269 Abs. 5 ZPO“ wäre überflüssig, wenn das Rechtsmittelrecht der ZPO hier
überhaupt nicht anwendbar wäre (so auch OLG Stuttgart a.a.O.). Das Gesetzgebungswerk des FGG-
Reformgesetzes vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I, S. 2586) ist insoweit als Einheit anzusehen. Für eine
Unterhaltssache, wie sie hier vorliegt, kann dabei nichts anderes gelten, § 243 FamFG enthält
abweichende Regelungen nur für den Inhalt der Kostenentscheidung, nicht aber hinsichtlich ihrer
Anfechtung (vgl. insbesondere Zöller a.a.O.).
Hinsichtlich der somit versäumten kurzen Beschwerdefrist nach der ZPO ist der Antragstellerin aber nach
Maßgabe von §§ 233, 236 Abs. 2 ZPO von Amts wegen die Wiedereinsetzung zu gewähren, weil die
Verspätung offensichtlich auf der ihr erteilten unrichtigen – nämlich die Monatsfrist nach dem FamFG
ausweisenden – Rechtsmittelbelehrung beruht (vgl. a. § 17 Abs. 2 FamFG). Der Antragstellerin wäre zwar
ein Verschulden der sie vertretenden Rechtsanwältin anzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO), wobei der
ein Verschulden der sie vertretenden Rechtsanwältin anzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO), wobei der
Rechtsirrtum eines Anwalts regelmäßig nicht als unverschuldet anzusehen ist; dies kann aber in den
Übergangsfällen nach dem FGG-Reformgesetz nur dann uneingeschränkt gelten, wenn er sich entgegen
einer von der Mehrheit in der Literatur und in einer ersten veröffentlichten Entscheidung eines
Oberlandesgerichts vertretenen Auffassung verhält (zum Ganzen: BGH FamRZ 2011, 100).
Hier liegt der Fall entscheidend anders. Aufgrund der o.a. Entscheidung des 5. Familiensenats des OLG
Oldenburg, die im September 2010 in zwei bekannten Fachzeitschriften veröffentlicht worden war (FuR
2010, 531; NJW 2010, 2815) und aufgrund des oben dargestellten Meinungsbildes in der
Kommentarliteratur war von einer unklaren Rechtslage auszugehen; es kann daher der Bevollmächtigten
der Antragstellerin nicht zum Verschuldensvorwurf gereichen, wenn sie die vom Amtsgericht erteilte
Rechtsmittelbelehrung zugrunde gelegt hat (im Ergebnis ebenso OLG Nürnberg FamRZ 2010, 1837).
Das somit insgesamt zulässige Rechtsmittel erreicht in der Sache das damit verfolgte Ziel. Nach Maßgabe
von § 243 FamFG und nach den Umständen des Falles erscheint es dem Senat nicht angemessen, die
Antragstellerin mit den vollen Kosten des Verfahrens zu belasten. Sie kann zwar von Verantwortung für
dessen entbehrliche Einleitung und Durchführung nicht ganz freigesprochen werden. Auch wenn ihrer
Mutter und gesetzlichen Vertreterin (§ 278 BGB) die fragliche Jugendamtsurkunde nicht bekannt
geworden sein sollte, war ihre Verfahrensbevollmächtigte (§ 85 Abs. 2 ZPO) doch gehalten, sich
rechtzeitig der Ergebnisse des vorausgegangenen Vaterschaftsfeststellungsverfahrens zu vergewissern.
Ein ebensolcher Vorwurf richtet sich aber auch an die Gegenseite (§ 85 Abs. 2 ZPO). Der Antragsgegner
war bereits in dem Feststellungsverfahren durch seinen auch nunmehrigen Verfahrensbevollmächtigten
vertreten; dieser hatte die damalige Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem das Jugendamt die Urkunde
vorgelegt hatte. Die Urkunde befand sich weiterhin bei seinen Unterlagen, wie ihre plötzliche Vorlage in
dem amtsgerichtlichen Termin vom 15. April 2010 ergibt. Für dieses Verfahrensverhalten gibt es keine
Erklärung, die mit einer sorgfältigen und verantwortungsbewussten Mandatsführung vereinbar wäre.
Nach dem vollen Erfolg des Rechtsmittels erscheint es auch angemessen, den Antragsgegner mit den
Kosten des Beschwerdeverfahrens zu belasten (§ 243 FamFG; zur Anwendbarkeit im
Beschwerdeverfahren vgl. KG Berlin NJW 2010, 3588; Zöller a.a.O., § 243 FamFG Rn. 11). Der
Verfahrenswert der Beschwerde ergibt sich nach dem verfolgten Kosteninteresse.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen (§ 574 ZPO), weil die Entscheidung des Senats nicht auf der
hier entschiedenen grundsätzlichen Rechtsfrage beruht (vgl. Zöller a.a.O., § 574 Rn. 13a). Der Senat war
ohnehin in seiner Gesamtheit zur Entscheidung berufen; hinsichtlich der versäumten Frist ist
Wiedereinsetzung gewährt worden. Auch der Beschwerdewert von 600 € (§ 61 Abs. 1 FamFG) wäre
erreicht gewesen.
Burger Euskirchen Hengesbach