Urteil des OLG Zweibrücken vom 22.10.2009

OLG Zweibrücken: wiedereinsetzung in den vorigen stand, rechtliches gehör, form, verschulden, behandlung, quelle, entschuldigung, urteilsbegründung, einspruch, anhörung

OLG
Zweibrücken
22.10.2009
1 Ws 181/09
1 SsRs 34/09
Aufhebung eines Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs
1 SsRs 34/09; 1 Ws
181/09
6071 Js 1772/09
StA Kaiserslautern
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren gegen
M......
R....
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hier: Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde
hat der Senat für Bußgeldsachen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Richter am Oberlandesgericht Burger als Einzelrichter
auf Antrag der Staatsanwaltschaft und nach Anhörung des Betroffenen
am 22. Oktober 2009
beschlossen:
1. Dem Betroffenen, der die Frist zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der
Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Kusel vom 17. April 2009 versäumt hat, wird auf
seinen Antrag und auf seine Kosten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
3. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde wird das angefochtene Urteil mit den zugrunde
liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Kusel zurückverwiesen.
Gründe:
Durch Bußgeldbescheid der Kreisverwaltung Kusel vom 30. Oktober 2008 wurde gegen den Betroffenen
ein Bußgeld von 40 € festgesetzt, weil er es als Halter eines Anhängers pflichtwidrig unterlassen habe,
das Fahrzeug zur fälligen Hauptuntersuchung vorzuführen. Den Einspruch des Betroffenen hat das
Amtsgericht Kusel durch das angefochtene Urteil vom 17. April 2009 verworfen, weil der Betroffene trotz
ordnungsgemäßer Ladung und ohne genügende Entschuldigung zur Hauptverhandlung nicht erschienen
sei. Hiergegen hat der Betroffene Rechtsbeschwerde sowie sofortige Beschwerde gegen die
Kostenentscheidung eingelegt. Das Hauptrechtsmittel ist nach Gewährung der Wiedereinsetzung und
nach Zulassung durch das Beschwerdegericht zulässig und führt in der Sache zu dem damit offenbar
erstrebten vorläufigen Erfolg. Die gegen die Kostenentscheidung gerichtete Beschwerde ist hierdurch
gegenstandslos geworden (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 464 Rn. 20).
Weil hier lediglich eine Geldbuße von nicht mehr als 100 € gegen den Betroffenen festgesetzt worden ist,
kann das angefochtene Urteil gemäß §§ 79 Abs. 1, 80 Abs. 1 und 2 OWiG nicht unmittelbar mit der
Rechtsbeschwerde, sondern lediglich mit dem Antrag auf Zulassung derselben angefochten werden. Das
vom Betroffenen als Rechtsbeschwerde bezeichnete Hauptrechtsmittel ist gemäß §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3
OWiG; § 300 StPO in diesem Sinne auszulegen.
Hinsichtlich der äußeren Form des Zulassungsantrags (§ 80 Abs. 3 OWiG; §§ 341, 345 StPO) fehlt es
lediglich an der Einhaltung der Begründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO). Die innerhalb der Frist zu Protokoll
des Amtsgerichts Kusel abgegebene Erklärung vom 29. Mai 2009 war unwirksam, weil sie nicht durch
einen Rechtspfleger, sondern durch eine unzuständige Beamtin aufgenommen worden ist (BayObLG
NStZ 1993, 193; Meyer-Goßner a.a.O., § 345 Rn. 19 und Einl. Rn. 133).
Dem Betroffenen ist aber insoweit gemäß § 45 Abs. 1 OWiG; §§ 44 ff., 473 Abs. 7 StPO auf seinen Antrag
die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, nachdem er seine Erklärung durch das am 1.
Oktober 2009 bei der Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts Kusel aufgenommene Protokoll rechtzeitig
und in der vorgeschriebenen Form nachgeholt hat. Bei der ursprünglichen Protokollaufnahme durch die
unzuständige Beamtin handelt es sich um ein Verschulden der Justizbehörden, das dem Betroffenen nicht
zugerechnet werden kann und das nach den Grundsätzen des fairen Verfahrens einen
Wiedereinsetzungsgrund darstellt (§ 44 S. 1 StPO; vgl. BVerfG NStZ-RR 2005, 238; BGH NJW 1952, 1386;
Meyer-Goßner a.a.O., § 44 Rn. 17).
Dem somit formal ordnungsgemäß gestellten Zulassungsantrag ist zu entsprechen, weil es geboten ist,
das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).
Ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG, um das es sich handelt, ist schon dann als rechtsfehlerhaft
anzusehen und aufzuheben, wenn der Antrag auf Entbindung von der Erscheinenspflicht (§ 73 Abs. 2
OWiG) und dessen Behandlung in den Gründen nicht erwähnt werden; das Gericht muss sich mit
diesbezüglichen Einwendungen und Bedenken gegen die Möglichkeit der Einspruchsverwerfung in
seinem Urteil auseinander setzen (OLG Celle ZfS 2000, 365; OLG Stuttgart ZfS 2002, 253 und NStZ-RR
2003, 273; KK-OWiG, 3. Aufl. § 74 Rn. 39). Ein derartiger Verstoß stellt zugleich eine die Zulassung der
Rechtsbeschwerde rechtfertigende Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (OLG Hamm NZV
2003, 588; BayObLG DAR 2000, 578; Göhler, OWiG 15. Aufl. § 80 Rn. 16b).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Dass der Betroffene einen Entbindungsantrag gestellt hatte, ergibt sich
zutreffend aus der nunmehrigen Beschwerdebegründung, die den inhaltlichen Anforderungen nach § 344
Abs. 2 S. 2 StPO entspricht. Mit dem Entbindungsantrag setzt sich die rein formularmäßig abgefasste
Urteilsbegründung nicht auseinander. Ausführungen der Beschwerdebegründung dazu, was bei
ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre, sind in dem hier
vorliegenden Fall der Einspruchsverwerfung entbehrlich, weil es dabei nicht um den Tatvorwurf selbst,
sondern allein um die Zulässigkeit des Prozessurteils geht (OLG Köln NZV 1999, 264, 265; KK-OWiG
a.a.O., § 74 Rn. 41e).
Nach Aufhebung des Urteils muss die Sache in die Ausgangsinstanz zurückverwiesen werden (§ 79 Abs.
3 OWiG; § 354 StPO). Es besteht kein Anlass, diese Zurückverweisung an eine andere Abteilung des
Amtsgerichts zu richten (§ 79 Abs. 6 OWiG; § 354 Abs. 2 StPO). Das Amtsgericht wird nunmehr auch über
die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden haben (vgl. KK-OWiG a.a.O., § 79 Rn. 165).
Burger