Urteil des OLG Stuttgart vom 30.03.2016

bausparvertrag, ordentliche kündigung, ausübung der option, auszahlung

OLG Stuttgart Urteil vom 30.3.2016, 9 U 171/15
Leitsätze
Bei einem Bausparvertrag stellt der Eintritt der Zuteilungsreife keinen vollständigen
Empfang des Darlehens im Sinne von § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB dar und vermag
deshalb eine darauf gestützte Kündigung nicht zu rechtfertigen.
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15.
September 2015, Az. 25 O 89/15, teilweise abgeändert:
1. Es wird festgestellt, dass der bei der Beklagten bestehende
Bausparvertrag Nr. 1 938 … vom 13. September 1978 über den 24. Juli
2015 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von der Zahlung der
außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren gegenüber ihren
Prozessbevollmächtigten in Höhe von 413,64 EUR freizustellen.
2. Im Übrigen werden die Klage ab- und die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der
Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages
abwenden, es sei denn, die Klägerin leistet vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe
von 120 % des zu vollstreckenden Betrages.
5. Die Revision der Beklagten wird zugelassen.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert für beide Instanzen wird auf
bis zu 4.000 EUR
festgesetzt.
Gründe
I.
1 Die Klägerin verlangt die Feststellung des Fortbestehens ihres Bausparvertrages,
den sie am 13. September 1978 über die Bausparsumme von 40.000 DM (=
20.451,68 EUR) abgeschlossen hat. Die dem Vertrag zugrunde liegenden
Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge II (im Folgenden ABB) enthalten
folgende Bestimmungen:
2
§ 1 Vertragszweck
3
(1) Zweck des Bausparvertrages ist die Erlangung eines unkündbaren, in der
Regel zweitstellig zu sichernden Tilgungsdarlehens (Bauspardarlehen) aufgrund
planmäßiger Sparleistungen nach Maßgabe dieser Allgemeinen Bedingungen.
4
§ 5 Sparzahlungen
5
(1) Der monatliche Bausparbeitrag beträgt 4,2 vom Tausend der Bausparsumme
(Regelsparbeitrag). Er ist bis zur ersten Auszahlung aus der zugeteilten
Bausparsumme am Ersten jeden Monats kostenfrei an die Bausparkasse zu
entrichten.
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(2) Sonderzahlungen sind grundsätzlich zulässig. Die Bausparkasse kann deren
Annahme von ihrer Zustimmung abhängig machen.
7
(3) Ist der Bausparer unter Anrechnung von Sonderzahlungen mit mehr als 6
Regelsparbeiträgen rückständig und hat er der schriftlichen Aufforderung der
Bausparkasse, nicht geleistete Bausparbeiträge zu entrichten, länger als 2
Monate nach Zugang der Aufforderung nicht entsprochen, so kann die
Bausparkasse den Bausparvertrag kündigen. (…)
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(4) Ist der Bausparvertrag zugeteilt, so tritt an die Stelle des Rechtes der
Bausparkasse, den Bausparvertrag zu kündigen, das Recht, das dem Bausparer
bereitgestellte (§ 13) oder bereitzustellende (§ 14) Bauspardarlehen um die
rückständigen Bausparbeiträge samt deren Zinsen zu kürzen.
9
§ 12 Zuteilungsnachricht
10 (1) Die Zuteilung wird dem Bausparer unverzüglich schriftlich mitgeteilt mit der
Aufforderung, binnen 4 Wochen ab Datum der Zuteilung zu erklären, ob er die
Zuteilung annimmt.
11 (2) Der Bausparer kann die Annahme der Zuteilung widerrufen, solange die
Auszahlung der Bausparsumme noch nicht begonnen hat.
12
§ 13 Bereithaltung der Bausparsumme
13 (1) Mit Annahme der Zuteilung stellt die Bausparkasse dem Bausparer sein
Bausparguthaben und ein Bauspardarlehen in Höhe des das Bausparguthaben
übersteigenden Teiles der Bausparsumme bereit.
(2) (…)
14
§ 14 Vertragsfortsetzung
15 (1) Nimmt der Bausparer die Zuteilung nicht an oder gibt er die Annahmeerklärung
nicht fristgemäß ab oder wird die Annahme der Zuteilung widerrufen, so wird der
Bausparvertrag fortgesetzt.
16 (2) Setzt der Bausparer seinen Bausparvertrag fort, so kann er seine Rechte aus
der Zuteilung jederzeit wieder geltend machen. (…)
17 Gemäß § 6 Abs. 1 ABB ist das Bausparguthaben mit 3 % p.a. zu verzinsen und
gemäß § 20 Abs. 1 ABB ist das Bauspardarlehen mit einem Zinssatz von 5 % p.a.
zu gewähren.
18 Der Vertrag wurde am 1. April 1993 zuteilungsreif. Am 1. Januar 2015 bestand ein
Bausparguthaben in Höhe von 15.772,48 EUR. Die Beklagte kündigte am 12.
Januar 2015 den Bausparvertrag unter Berufung auf § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB zum
24. Juli 2015.
19 Auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.
20 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Bausparkasse könne sich auf das
Kündigungsrecht gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB berufen. Das
Tatbestandsmerkmal des vollständigen Empfangs des Darlehens sei mit der
eingetretenen Zuteilungsreife erfüllt.
21 Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie wiederholt und vertieft ihr
erstinstanzliches Vorbringen. Sie ist der Auffassung, die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB seien nicht erfüllt. Sie
beabsichtige, das Bauspardarlehen in zwei bis drei Jahren für ihre Kinder in
Anspruch zu nehmen.
22 Wegen der Nebenforderung hat die Klägerin die Klage teilweise zurückgenommen.
23 Die Klägerin beantragt:
24 1. Das Urteil des Landgerichts Stuttgart Az. 25 O 89/15, verkündet am 15.
September 2015, wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der bei der
Beklagten bestehende Bausparvertrag mit der Nummer „1 938 …“ vom 13.
September 1978 über den 24. Juli 2015 hinaus zu unveränderten Bedingungen
fortbesteht.
25 2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen
Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 571,44 EUR freizustellen.
26 Die Beklagte beantragt:
27 Die Berufung wird zurückgewiesen.
28 Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres
bisherigen Vorbringens.
II.
29 Die gemäß § 511 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und mit einer
Begründung versehene Berufung ist zulässig und - mit Ausnahme eines
geringfügigen Teils der Nebenforderung - begründet. Der Beklagten steht kein
Kündigungsrecht zu.
30 1. Die dem Vertrag zugrundeliegenden ABB vermögen die erklärte Kündigung
nicht zu rechtfertigen; das macht die Beklage auch nicht geltend. Sie geht zu
Recht davon aus, dass die Voraussetzungen der Bestimmung des § 5 Abs. 3 ABB
nicht vorliegen.
31 2. Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, sie sei kraft Gesetzes berechtigt, den
Vertrag zu kündigen, muss ihr der Erfolg versagt werden. Auf das
Vertragsverhältnis findet gemäß Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB das Bürgerliche
Gesetzbuch in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts
vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) seit dem 1. Januar 2003 Anwendung.
Die von der Beklagten erklärte Kündigung findet ihre Rechtfertigung weder in § 488
Abs. 3 BGB (a.) noch ist hier die Regelung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB direkt (b.)
oder entsprechend (c.) anwendbar. Auch aus § 490 Abs. 3, §§ 314, 313 Abs. 3
Satz 2 BGB, ergibt sich ein Kündigungsrecht nicht (d.).
32 a. Die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung des Bausparvertrages
durch die Bausparkasse gemäß § 488 Abs. 3 BGB liegen nicht vor.
33 aa. Allerdings entspricht es der herrschenden Meinung, dass ein Bausparvertrag
durch die Bausparkasse dann gemäß § 488 Abs. 3 BGB gekündigt werden kann,
wenn er bis zur Bausparsumme vollständig angespart ist. Denn beim
Bausparvertrag handelt es sich während der Ansparphase um einen
Darlehensvertrag i. S. d. § 488 BGB, bei dem der Bausparer Darlehensgeber und
die Bausparkasse Darlehensnehmerin ist. Der Bausparvertrag dient dem in § 1
ABB i. V. m. § 1 BauSparkG besonders definierten Zweck der Erlangung eines
Bauspardarlehens in Höhe der Differenz zwischen Bausparsumme und
Bauspareinlagen. Mit vollständiger Ansparung des Vertrages bis zur
Bausparsumme kann dieser Zweck nicht mehr erreicht werden (Senat, Beschluss
vom 14. Oktober 2011 - 9 U 151/11, juris; OLG Köln, Beschluss vom 23. März
2015 - 13 U 104/14, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. Oktober 2013 - 19 U
106/13, juris; Staudinger/Mülbert [2015] BGB § 488 Rn. 548).
34 bb. Eine Vollbesparung liegt jedoch nicht vor.
35 (1) Unstreitig betrug das angesparte Bausparguthaben des über eine
Bausparsumme von 20.451,68 EUR abgeschlossenen Vertrages zum Zeitpunkt
der Kündigung 15.772,48 EUR.
36 (2) Die Auffassung der Beklagten, die rückständigen Beiträge würden die Differenz
zwischen dem aktuellen Bausparguthaben und der Bausparsumme übersteigen,
so dass kein Bauspardarlehen mehr ausgezahlt werden müsste und daher ein
Kündigungsrecht wie bei einer Vollbesparung bestehe, trifft nicht zu. Die
Bestimmung des § 5 Abs. 4 ABB führt nicht dazu, dass die Bausparsumme
erreicht ist. Nach dieser Vorschrift tritt an die Stelle des Rechts der Bausparkasse,
den Bausparvertrag im Falle der Nichtzahlung der Regelsparbeiträge gemäß § 5
Abs. 3 ABB zu kündigen, das Recht, das dem Bausparer bereitgestellte (§ 13
ABB) oder bereitzustellende (§ 14 ABB) Bauspardarlehen um die rückständigen
Bausparbeiträge samt deren Zinsen zu kürzen. Es kann dahinstehen, in welcher
Höhe Rückstände aufgelaufen sind. Denn das Vorliegen dieser Voraussetzungen
macht die Beklagte, die sich für die Berechtigung ihrer Kündigung gerade nicht auf
§ 5 Abs. 3 ABB stützt, weder geltend, noch sind sie sonst ersichtlich. § 5 Abs. 3
ABB erfordert eine vorherige schriftliche, erfolglose Aufforderung der
Bausparkasse, die nicht geleisteten Bausparbeiträge zu entrichten; dazu ist nichts
vorgetragen.
37 Im Übrigen findet § 5 Abs. 4 ABB nur bei zugeteilten Bausparverträgen
Anwendung. Die Zuteilung nach § 1 Abs. 5 BauSparkG liegt erst mit ihrer
Annahme durch den Bausparer gemäß § 12 Abs. 1 ABB vor. Erst dann wird das
Bauspardarlehen nach § 13 Abs. 1 ABB bereitgestellt oder ist es im Fall des § 14
Abs. 2 ABB bereitzustellen.
38 Deshalb kann offen bleiben, ob eine Bausparkasse, die jahrelang die Nichtzahlung
von Regelsparbeiträgen hinnimmt, ihr Kündigungsrecht verwirkt und es erst nach
erneuter Zahlungsaufforderung bei zukünftigen Rückständen ausüben kann (so
Weber, ZIP 2015, 961 [966]).
39 cc. Die ordentliche Kündigung lässt sich auch nicht mit dem Argument des
rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Klägerin rechtfertigen, weil diese das Ziel
des Erhalts eines Bauspardarlehens aufgegeben habe, wie die Beklagte in der
mündlichen Verhandlung gemeint hat. Aus der gegenwärtigen Niedrigzinsphase
lässt sich nicht ableiten, die Klägerin habe endgültig ihr Interesse an ein
Bauspardarlehen verloren. Die weitere Zinsentwicklung lässt sich nicht sicher
prognostizieren und die gegenwärtige Markteinschätzung der Beklagten erlaubt
keine Feststellungen über die Absicht der Klägerin, ein Bauspardarlehen auf
keinen Fall mehr in Anspruch nehmen zu wollen. Ein offenkundig
rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin liegt nicht vor. Sie hat die
Niedrigzinsphase nicht zu verantworten und macht aus nachvollziehbaren
wirtschaftlichen Gründen die Rechte aus der Zuteilung nicht geltend.
40 b. Die Voraussetzungen einer ordentlichen Kündigung durch die Bausparkasse
gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegen nicht vor. Es kann dahinstehen, ob die
Bestimmung von ihrem Sinn und Zweck her auf Sparverträge Anwendung findet,
bei denen Einlagen an sogenannte „professionelle Darlehensnehmer“ geleistet
werden (vgl. zum Meinungsstand: Senat, Urteil vom 23. September 2015 - 9 U
31/15, juris, Rn. 101; Weber, ZIP 2015, 961; ders., beck-Online.Großkommentar
[BeckOGK]/Weber, Stand 1. Februar 2016, BGB, § 489 Rn. 9.1, Rn. 13ff.;
Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 1800). Jedenfalls ist der erstmalige Eintritt der
Zuteilungsreife des Bauspardarlehens an den Bausparer nicht der vollständige
Empfang des von dem Bausparer an die Bausparkasse gegebenen Darlehens.
41 aa. Gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann der Darlehensnehmer einen
Darlehensvertrag mit gebundenem Sollzinssatz nach Ablauf von zehn Jahren
nach dem vollständigen Empfang des Darlehens unter Einhaltung einer
Kündigungsfrist von sechs Monaten ganz oder teilweise kündigen.
42 (1) Allerdings handelt es sich bei einem Bausparvertrag um einen einheitlichen
Darlehensvertrag mit gebundenen Sollzinssatz, der die Besonderheit aufweist,
dass Bausparkasse und Bausparer mit der Inanspruchnahme des
Bauspardarlehens ihre jeweiligen Rollen als Darlehensgeber und
Darlehensnehmer tauschen. Die Einlagen des Bausparers stellen daher ein
Darlehen an die Bausparkasse dar, für dessen Rückerstattung eine Zeit nicht
bestimmt ist (Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2011 - 9 U 151/11, juris, und
Beschluss vom 4. Februar 2014 - 9 U 202/13; Mülbert/Schmitz FS Horn (2006), S.
777; Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 1800; Weber, BB 2015, 961).
43 (2) Der Zeitpunkt des vollständigen Darlehensempfangs unterliegt jedoch
grundsätzlich der Disposition der Parteien, die privatautonom die
Auszahlungsmodalitäten vereinbaren können. Denn die Vorschrift des § 489 Abs.
1 Nr. 2 BGB begrenzt nicht die Privatautonomie der Parteien bezüglich der
Regelung des Zeitpunkts des Darlehensempfangs und der Höhe des
Darlehensbetrages. Bereits die in § 609a Abs. 1 Nr. 3 BGB a.F. enthaltene
Vorgängernorm diente nach der Gesetzesbegründung dem Schuldnerschutz vor
überlangen Zinsbindungen. Sie geht auf § 18 Abs. 2 Hypothekenbankgesetz
(HypBG, RGBl I 1899, 375) zurück, die für Hypothekendarlehen dieses zwingende
Kündigungsrecht schon seit vielen Jahren enthielt (BT-Drucks. 10/4741, S. 22 f.).
Weder diese Vorschrift noch § 609a Abs. 1 Nr. 3 BGB a.F. oder § 489 Abs. 1 Nr. 2
BGB lassen den Schutz bereits in der Valutierungsphase beginnen. Ein Darlehen
ist vollständig empfangen, wenn der Darlehensgeber es dem Darlehensnehmer
entsprechend der darlehensvertraglichen Vereinbarung in Höhe des
Darlehensnettobetrages zur Verfügung gestellt hat. Werden mehrere
Teilzahlungen vereinbart, liegt ein vollständiger Empfang erst mit dem Eingang der
letzten Teilzahlung vor (MünchKommBGB/Berger, 7. Aufl., § 489 Rn. 12;
Staudinger/Mülbert, aaO, § 489 Rn. 43 m.w.N;
Herberger/Martinek/Rüßmann/Schwintowski, jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 489
BGB Rn. 9; Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., § 489 Rn. 5). Somit kommt es
entscheidend darauf an, welche Teilzahlungen die Parteien vereinbart haben. Erst
wenn diese Vereinbarung erfüllt und keine weiteren Teilzahlungen mehr offen sind,
ist das gesamte Darlehen empfangen.
44 bb. Zum Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilungsreife liegt kein vollständiger Empfang
des Darlehens i.S.v. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB vor.
45 (1) Der Eintritt der Zuteilungsreife (§ 11 ABB) hat gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 ABB auf
die Verpflichtung zur Entrichtung des Regelsparbeitrags, also zur Valutierung des
vom Bausparer der Bausparkasse zu gewährenden Darlehens, keinen Einfluss,
weshalb er zur Bestimmung der vereinbarten Darlehenshöhe nicht geeignet ist
(BeckOGK/Weber, aaO, § 489 Rn. 49.1).
46 Nach § 14 Abs. 1 ABB wird der Bausparvertrag im Falle einer Nichtannahme der
Zuteilung oder einer nicht fristgemäß abgegebenen Annahmeerklärung fortgesetzt.
Die vertragliche Pflicht zur Zahlung des Regelsparbeitrages gemäß § 5 Abs. 1 S. 2
ABB gilt weiter.
47 (2) Die Höhe der vereinbarten Darlehenssumme ist durch Auslegung der
Allgemeinen Bausparbedingungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten
des Bausparvertrages zu bestimmen. Der einzige im Vertrag konkret bestimmte
Betrag ist die Bausparsumme von 20.154,68 EUR, die allerdings nach § 2 ABB
sowohl das Bausparguthaben als auch das Bauspardarlehen umfasst. Das
Bausparguthaben ist das Darlehen des Bausparers an die Bausparkasse. Aus §
11 Abs. 1 lit. a und b der ABB ergibt sich eine Mindestlaufzeit von 18 Monaten und
ein Mindestsparguthaben von 40 % der Bausparsumme, also von 8.061,87 EUR.
Daraus lässt sich jedoch die Vereinbarung eines Nettodarlehensbetrages noch
nicht ableiten. Aus den § 13 Abs. 1, § 11 Abs. 1 lit. b ABB i. V. m. § 1 ABB ist
lediglich erkennbar, dass dieser durch die Bausparsumme begrenzt ist, also
zwischen dem Mindestsparguthaben von 40 % und 100 % der Bausparsumme
liegt. Bei dem Bausparvertrag und damit auch bei dem Bausparguthaben sind
zudem die Ungewissheit sowohl des Zeitpunkts des Eintritts der Zuteilungsreife als
auch des Abrufs des Bauspardarlehens seitens des Bausparers, der zur
Auszahlung führt, zu berücksichtigen. Den ersten Zeitpunkt hat der Bausparer
nicht allein in der Hand. Der zweite Zeitpunkt, der von dem ersten abhängig ist,
kann von dem Bausparer bestimmt werden. Daher lässt sich die Höhe des
Darlehens allenfalls nach dem Umfang der Pflicht zur Zahlung der vereinbarten
Sparbeiträge des Bausparers ermitteln (BeckOGK/Weber, aaO, § 489 Rn.
47ff.).Zudem ist die Bausparkasse nicht berechtigt, den vertraglichen
Zinsanspruch des Bausparers durch Verweigerung der Annahme der vereinbarten
Sparbeiträge zu vereiteln.
48 (3) Auch aus den Bestimmungen über die Regelsparbeiträge lässt sich die
vereinbarte Nettodarlehenssumme indessen nicht ermitteln:
49 Nach § 5 Abs. 1 S. 2 ABB ist der Bausparer berechtigt und verpflichtet,
Regelsparbeiträge bis zur ersten Auszahlung aus der zugeteilten Bausparsumme
zu entrichten. Daher ist die volle Ansparphase bis zum Auszahlungszeitpunkt eine
Phase der fortlaufenden Teilvalutierungen. Da der Bausparer weder zur Annahme
der Zuteilung noch zum Auszahlungsverlangen des Darlehens verpflichtet ist (arg.
e § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1, § 18 ABB) und der Bausparvertrag dann nach § 14
Abs. 1 ABB fortgesetzt wird, ist die maximale Höhe des „Darlehens“ des
Bausparers durch die Höhe der Bausparsumme begrenzt. Im Fall der erfolgten
Zuteilung steht es dem Bausparer als Darlehensgeber folglich durch sein
Auszahlungsverlangen frei, die Darlehenssumme zu begrenzen.
50 (4) Das erhellt zugleich, dass auch die Zuteilungsnachricht (§ 12 ABB) als
Wissens- und Willenserklärung der Bausparkasse (Mülbert/Schmitz, FS Horn,
aaO, S. 781) und selbst die Annahme der Zuteilung auf die vereinbarte
Darlehenssumme keinen Einfluss hat. Gemäß § 13 Abs. 1 ABB führt die Annahme
der Zuteilung lediglich zur Verpflichtung der Bausparkasse, die Bausparsumme in
der Form des Bausparguthabens und des Bauspardarlehens bereitzuhalten. Die
Auszahlung hängt zusätzlich von dem Abruf durch den Bausparer ab. Bis dahin
bleibt er nach § 5 Abs. 1 S. 2 ABB zur Zahlung der Regelsparbeiträge berechtigt
und verpflichtet.
51 (5) Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich aus § 489 Abs. 1 Nr. 2, 2.
Hs. BGB nichts anderes. Gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann, wie bereits
ausgeführt, der Vertrag nach Ablauf von zehn Jahren nach dem vollständigen
Empfang des Darlehens gekündigt werden. Nach dem 2. Halbsatz dieser
Regelung tritt dann, wenn nach dem Empfang des Darlehens eine neue
Vereinbarung über die Zeit der Rückzahlung oder den Sollzinssatz getroffen wird,
der Zeitpunkt dieser Vereinbarung an die Stelle des Empfangs. Damit setzt die dort
geregelte Maßgeblichkeit der Vereinbarung für den Fristbeginn voraus, dass diese
nach dem vollständigen Darlehensempfang getroffen wurde. Auf die
Vollständigkeit des Empfangs des Darlehens wird nicht verzichtet. Der 2. Halbsatz
des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt mit der Vereinbarung vielmehr eine zusätzliche
Voraussetzung für die Möglichkeit der Kündigung auf, die im Vergleich zum 1.
Halbsatz der Bestimmung, der ausschließlich auf den vollständigen Erhalt des
Darlehens abstellt, zu einem weiteren Hinausschieben der Kündigungsmöglichkeit
führt (Staudinger/Mülbert, aaO, § 489 Rn. 45).
52 cc. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB lässt sich auch nicht dahingehend auslegen, dass der
„vollständige Empfang“ den Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilungsreife mit erfasst
(so aber Staudinger/Mülbert, aaO, § 489 Rn. 51, sowie Edelmann/Suchowerskyj,
BB 2015, 1800 [1803]). Sinn und Zweck der Vorschrift erfordern eine solche
Auslegung auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des
Bausparvertrages nicht. Diesen werden vielmehr durch die ABB und sonstigen
gesetzlichen Bestimmungen Rechnung getragen. Die gegenteilige Auslegung
widerspricht dem Wesen des Bausparvertrages. Ob ein Darlehen vollständig
empfangen ist, ist nicht nur aus Sicht des Schuldners des Darlehens zu beurteilen,
wie die Beklagte meint, sondern auch aus Sicht der Bausparkasse, die insoweit
die Interessen der Zweckgemeinschaft der Bausparer wahrzunehmen hat. Diese
hat ein Interesse, durch einen stetigen Zufluss von Sparbeiträgen die
Zuteilungsmasse zu vergrößern, um die Zuteilung von Bauspardarlehen zu
beschleunigen. Der Erwerb eines bedingten Anspruchs auf ein Bauspardarlehen
während der Ansparphase setzt die im Wechselverhältnis stehenden vertraglichen
Hauptleistungspflichten von Leistung der Sparbeiträge und Gewährung eines
Bauspardarlehens nicht außer Kraft.
53 c. Eine rechtsentsprechende Anwendung der Bestimmung des § 489 Abs. 1 Nr. 2
BGB auf den erstmaligen Eintritt der Zuteilungsreife bei Bausparverträgen kommt
nicht in Betracht. Der Meinung der Beklagten, eine normzweckorientierte
Anwendung der Vorschrift unter Berücksichtigung der für Bausparverträge
charakteristischen Interessen- und Pflichtenlage der Vertragsparteien rechtfertige
die Gleichstellung des vollständigen Empfangs der Darlehensvaluta im Sinne des
§ 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem erstmaligen Eintritt der Zuteilungsreife (so auch
Mülbert/Schmitz, FS Horn, aaO, S. 786; daran anknüpfend
Edelmann/Suchowerskyj, WM 2015, 1800; sowie Rollberg, EWiR 2016, 3; Simon,
EWiR 2015, 723; OLG Celle, Beschluss vom 3. Februar 2016 - 3 U 192/15; OLG
Koblenz, Beschluss vom 18. Januar 2016 - 5 O 38/15; OLG Köln, Beschluss vom
11. Januar 2016 - 13 U 151/15; OLG Hamm, Beschluss vom 30. Dezember 2015 -
31 U 191/15, juris), vermag der Senat nicht zu folgen.
54 Eine Analogie setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen
Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Ob eine derartige Lücke vorhanden ist, ist
vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht
zu beurteilen. Das Vorliegen der vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassenen
Lücke und ihre Planwidrigkeit muss dabei aufgrund konkreter Umstände positiv
festgestellt werden können, weil sonst jedes Schweigen des Gesetzgebers - und
das ist der Normalfall, wenn er etwas nicht regeln will - als planwidrige Lücke im
Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden könnte. Für eine
Analogie ist weiter erforderlich, dass der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher
Hinsicht soweit mit dem gesetzlich geregelten Tatbestand vergleichbar ist, dass
angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung,
bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem
Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen
Abwägungsergebnis gekommen (BGH, Beschluss vom 20. November 2014 - IX
ZB 16/14, WM 2015, 131).
55 aa. Eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit liegt nicht
vor. Dass vom Gesetz mit der Bestimmung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB bei von
herkömmlichen Darlehensverträgen abweichenden Bausparverträgen auch der
erstmalige Eintritt der Zuteilungsreife erfasst werden sollte, lässt sich den
Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen. Der historische Gesetzgeber hat sich
bei der Einführung des § 609a Abs. 1 Nr. 3 BGB a.F., der Vorgängerbestimmung
des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB, von der zu diesem Zeitpunkt schon seit langem
geltenden Vorschrift des § 18 Abs. 2 HypBG a.F. leiten lassen (BT-Drucks.
10/4741, S. 23, s. bereits oben unter II.2.b.aa [2]). Nach § 18 Abs. 2 S. 1 HypBG
a.F. durfte das Recht der Rückzahlung nur bis zu einem Zeitraume von zehn
Jahren ausgeschlossen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung begann dieser
Zeitraum mit der Auszahlung des Darlehens, im Falle der Auszahlung in
Teilbeträgen mit der letzten Zahlung. Der 2. Halbsatz entspricht § 489 Abs. 1 Nr. 2
2. Hs. BGB.
56 Nach der Gesetzesbegründung zur Einführung der Kündigungsrechte in § 609a
BGB a.F. wollte der Gesetzgeber die zu weite Schuldnerschutzvorschrift des § 247
Abs. 1 BGB a.F. auf ein angemessenes Maß zurückführen und insbesondere im
Bereich der festverzinslichen Kredite das Prinzip der vertraglichen Bindung und
Risikozuweisung durchsetzen. Dem widersprach das freie Kündigungsrecht nach
§ 247 BGB a.F. bei einem Zinssatz von mehr als 6 % unabhängig von der
Marktentwicklung. Der Gesetzgeber hat bei dieser Gelegenheit - ohne nähere
Begründung - die Vorschrift des § 18 Abs. 2 HypBG auf sämtliche festverzinslichen
Kredite ausgedehnt (BT-Drucks. 10/4741, S. 22). Ziel war also im Wesentlichen
nicht die von der Beklagten vertretene Ausweitung, sondern die Begrenzung der
Kündigungsmöglichkeiten.
57 Dass insoweit nicht eine vom Gesetzgeber nicht geplante, sondern vielmehr eine
bewusste Regelungslücke vorliegt, ist insbesondere an der durch Gesetz vom 21.
Dezember 2015 erfolgten Änderung des Bausparkassengesetzes ersichtlich. In
Kenntnis der Kleine[n] Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 4.
Februar 2015 (BT-Drucks. 18/3944) sowohl bezüglich der Kündigungen von
Bausparkassen infolge der durch die Niedrigzinsphase bedingten wirtschaftlichen
Schwierigkeiten als auch bezüglich eines Kündigungsrechts nach § 489 Abs. 1 Nr.
2 BGB zehn Jahre nach Eintritt der Zuteilungsreife (Nr. 9), hat die Bundesregierung
im Oktober 2015 den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes
der Bausparkassen vorgelegt (BT-Drucks. 18/6418). Dieser - durch den
Gesetzgeber am 21. Dezember 2015 insoweit umgesetzte - Entwurf sah trotz der
bestehenden Rechtsunsicherheit eine klarstellende oder verdeutlichende
Ausweitung des „vollständigen Empfangs“ eines Darlehens auf den erstmaligen
Eintritt der Zuteilungsreife in § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB gerade nicht vor, obwohl Ziel
u. a. die Verbesserung der Reaktionsmöglichkeiten auf die anhaltende
Niedrigzinsphase war (BT-Drucks. 18/6418, S. 1). Die Bundesregierung sah
ausweislich ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage vom 4. Februar 2015 bzgl. § 489
Abs. 1 Nr. 2 BGB keinen - klarstellenden - Handlungsbedarf (vgl. BT-Drucks.
18/4195, S. 3 zu Nr. 9).
58 bb. Gleichfalls ist der rechtlich hier zu beurteilende Sachverhalt nicht mit dem
gesetzlich geregelten Tatbestand vergleichbar. Das ergibt sich auch daraus, dass
die Beklagte den Schutz der Bausparergemeinschaft bemüht, einer Gemeinschaft,
die gerade im Vergleich zu herkömmlichen Darlehensverträgen im Rahmen
rechtlicher Beurteilungen andere Schlussfolgerungen zulässt (BGH, Urteil vom 7.
Dezember 2010 - XI ZR 3/10, BGHZ 187, 360).
59 cc. Es kann nicht angenommen werden, der Gesetzgeber wäre bei einer
Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten
lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem
gleichen Abwägungsergebnis gekommen, weil die Interessenabwägung keine
Analogie rechtfertigt.
60 (1) Der Zweck des Bausparvertrages ist aus Sicht des Bausparers der Erhalt eines
zinsgünstigen, nur nachrangig zu besichernden Darlehens unterhalb des
Marktniveaus. Die Voraussetzungen hierfür hat er durch die Leistung der
vertraglichen Regelsparbeiträge an die Zweckgemeinschaft der Bausparer zu
schaffen, für die er - nach der herkömmlichen Ausgestaltung - eine unterhalb des
Marktniveaus liegende Habenverzinsung in Kauf zu nehmen hat. Dieses sich
gegenseitig bedingende Wechselverhältnis zwischen Bauspareinlagen und
Bauspardarlehen innerhalb der beschränkten Personengruppe der Bausparer ist
maßgebend für das Bauspargeschäft und wird in § 1 Abs. 1 und 2 BauSparkG
definiert (Schäfer/Cirpka/Zehnder, Bausparkassengesetz, 5. Aufl. § 1 Anm. 1). Die
charakteristische Prägung des Bauspargeschäfts ergibt sich zusätzlich aus der
Vertragszweckbestimmung des § 1 ABB sowie den Erläuterungen zu den
Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge II, die auf das zinsgünstige
Bauspardarlehen auf Grund von bedingungsgemäßen Ansparleistungen
hinweisen.
61 (2) Es lässt sich nicht mit den gesetzlichen Regelungen in Einklang bringen, das
„charakteristische gemeinsame Sparziel“ des Bausparvertrages lediglich mit der
Erlangung der „Möglichkeit der Ausübung der Option zur Erlangung eines
Bauspardarlehens“ zu definieren, wie die Beklagte meint.
62 (a) Aus § 1 Abs. 2 BauSparkG ergibt sich keine einschränkende
Zweckbestimmung. Zwar ist nach der dort enthaltenen Legaldefinition Bausparer,
wer mit einer Bausparkasse einen Vertrag schließt, durch den er nach Leistung
von Bauspareinlagen einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines
Bauspardarlehens erwirbt (Bausparvertrag). Diese Vorschrift darf aber nicht isoliert
als allein Zweck bestimmend herangezogen werden (so aber Mülbert/Schmitz, FS
Horn, aaO, S. 786; Staudinger/Mülbert, aaO, § 488 Rn. 550). Mit der Formulierung,
der Bausparer erwerbe einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines
Bauspardarlehens, bringt der Gesetzgeber vielmehr zum Ausdruck, dass, anders
als bei einem gewöhnlichen Darlehen oder einem Forward-Darlehen, der
Darlehensauszahlungsanspruch nicht bereits mit Vertragsschluss begründet wird,
sondern von der bausparvertragstypischen Ansparleistung des Bausparers und
den Sparleistungen des Kollektivs abhängig ist. Insbesondere ist § 1 Abs. 2
BauSparkG im Zusammenhang mit der zentralen Begriffsbestimmung des
Bauspargeschäfts in § 1 Abs. 1 BauSparkG (s.o.) sowie der damit bezweckten
Wohnungsbauförderung (§ 1 Abs. 3 BauSparkG) zu sehen. Er ergänzt lediglich die
tatsächlich begriffsprägende Vorschrift des § 1 Abs. 1 BauSparkG.
63 Auch die Gesetzesmaterialien geben für die einschränkende Zweckbestimmung
keinen Anhaltspunkt. Die Gesetzesbegründung zum Bauspargesetz (BT-Drucks.
VI/1900, S. 9 ff.) beschreibt das Wesen des Bauspargeschäfts in der Ansammlung
von Kapital zur nachstelligen Finanzierung des Wohnungsbaus. Als
charakteristisch wird das Kollektiv, also die Geschlossenheit des Personenkreises
beschrieben, deren Mitglieder zunächst bis zur Auszahlung des
Bausparguthabens Gläubiger und später nach Zuteilung des Bauspardarlehens
Schuldner der Bausparkasse werden. Dabei betont der Gesetzgeber das
Wechselverhältnis von Verzicht auf einen nicht marktgerechten Einlagenzins zu
Gunsten eines niedrigen Darlehenszinses. Das Entstehen des bedingten
Anspruchs auf ein Bauspardarlehen nach Eintritt der Zuteilungsreife wird nicht als
Zwischenziel erwähnt. Es wird auf den Auszahlungszeitpunkt abgestellt. Dem
entspricht § 5 Abs. 1 S. 2 ABB.
64 (b) Die Auffassung der Beklagten, Zweck des Bauspargeschäfts sei lediglich die
Erlangung des Optionsrechts, anstelle des Darlehens selbst, widerspricht zudem
dem von ihr in § 1 ABB selbst definierten Vertragszweck. Ihre Auffassung beachtet
nicht die Nachteile des Bausparers bei der Hinnahme einer unterhalb des
Marktniveaus liegenden Verzinsung des Bausparguthabens. Hierzu ist der
Bausparer bereit, weil ihm die daraus resultierenden Vorteile der
Zweckgemeinschaft der Bausparer zugutekommen. Anschließend kann er ein
zinsgünstiges Bauspardarlehen unterhalb des Marktniveaus nutzen. Der Anspruch
auf Abschluss eines Darlehensvertrages selbst stellt daher noch nicht den
wirtschaftlichen Ausgleich für die bereits in der Ansparphase hingenommenen
wirtschaftlichen Nachteile dar.
65 (c) Der Erhalt eines Anspruchs auf ein Darlehen ist lediglich ein notwendiges
Zwischenziel. Dem kommt entgegen der Auffassung der Beklagten (so auch
Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 1800) keine überragende Bedeutung im Sinne
einer Zweckerreichung zu. Dies folgt aus den Besonderheiten der Vergabe der
Bauspardarlehen aus den begrenzten Mitteln des Kollektivs der Bausparer.
66 Gemäß § 4 Abs. 5 BauSparkG können sich Bausparkassen vor Zuteilung eines
Bausparvertrages nicht verpflichten, die Bausparsumme zu einem bestimmten
Zeitpunkt auszuzahlen. Die Bausparkasse kann erst dann Bauspardarlehen
ausreichen, wenn ihr von den Mitgliedern des Bausparkollektivs ausreichend Mittel
zur Verfügung gestellt wurden. Die Mindestwartezeit lässt sich anhand der
Bausparbedingungen errechnen. Bei dem vertraglich vereinbarten
Regelsparbeitrag in Höhe von 4,2 Promille der Bausparsumme (§ 5 Abs. 1 S. 1
ABB) sowie einem Mindestsparguthaben von 40 % der Bausparsumme als
Zuteilungsvoraussetzung (§ 11 Abs. 1 lit. b ABB) dauert die Ansparphase auch
unter Berücksichtigung der Guthabenzinsen von 3 % p.a. (§ 6 Abs. 1 ABB) etwas
mehr als sieben Jahre. Diese bausparvertragstypische, regelmäßig mehrjährige
Wartezeit bringt es mit sich, dass der Bausparer bei Vertragsabschluss noch nicht
absehen kann, wann ihm ein Bauspardarlehen gewährt werden kann (BT-Drucks.
VI/1900, S. 10ff.). Ihm ist eine verlässliche Planung nicht möglich.
67 Zudem besteht eine auf wohnungswirtschaftliche Maßnahmen beschränkte
Verwendungsmöglichkeit des Darlehens, § 1 Abs. 2 ABB. Für den Bausparer
besteht somit das Risiko, dass ihm die angebotene Zuteilung der Bausparsumme
zeitlich ungelegen kommt, weil sein geplanter Verwendungszweck sich
zwischenzeitlich erledigt hat oder erst später ansteht. Daher besteht keine Pflicht
zur Annahme der Zuteilung, worauf in den Erläuterungen zu den Allgemeinen
Bausparbedingungen ausdrücklich hingewiesen wird.
68 (3) Der Eintritt der Zuteilungsreife verschafft dem Bausparer nicht eine besondere
Rechtsposition, mit der er die Bausparkasse unangemessen lange an einen
bereits bei Vertragsschluss fest vereinbarten Guthabenzinssatz binden kann.
69 Fehl geht das Argument der Beklagten, mit Erreichen der Zuteilungsreife könne
der Bausparer seine Sparleistungen einstellen, aber gleichzeitig die Bausparkasse
an die bei Vertragsabschluss fest vereinbarten Guthabenzinsen binden. Die ABB
sehen kein Recht des Bausparers vor, die Regelsparbeiträge einzustellen (vgl.
Senat, Urteil vom 17. Februar 2016 - 9 U 137/15). § 5 Abs. 1 ABB enthält die
Verpflichtung des Bausparers, über den Eintritt der Zuteilungsreife hinaus und
sogar noch nach der Annahme der Zuteilung die Regelsparbeiträge bis zum ersten
Auszahlungszeitpunkt zu bezahlen. Die vereinzelt vertretene Auffassung, es
bestehe keine Pflicht zur Zahlung der Regelsparbeiträge, der Sparer könne
vielmehr die Zahlungen aussetzen oder der Höhe nach variieren (Laux, VW 1996,
328; Verlautbarung des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen [BAKred], ZIP
1995, 691 [695]; Oiwoh, Zur Kündigung von Bausparverträgen im deutschen und
österreichischen Recht, Diplomarbeit 2016, Graz, S. 9), trifft nicht zu. Bei der
Zweckspargemeinschaft der Bausparer ist die Einzahlung der Sparbeiträge
Hauptleistungspflicht der Bausparer (Schäfer/Cirpka/Zehnder, aaO, § 5 Anm. 27;
Staudinger/Mülbert, aaO, § 488 Rn. 542). Nur durch ihre Einlagenzahlungen ist die
Ausreichung der Bauspardarlehen an andere Mitglieder möglich. Sie sind prägend
für das Kollektivsystem zwischen Bausparern und Kreditnehmern (BGH, Urteil vom
7. Dezember 2010 - XI ZR 3/10, BGHZ 187, 360 Rn. 46;
Schimansky/Bunte/Lwowski/Rümker/Winterfeld, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., §
124 Rn. 167). Die Regelung über die Verpflichtung zur Zahlung des
Regelsparbeitrags in den ABB der Beklagten ist nach dem Wortlaut eindeutig als
Vertragspflicht ausgestaltet (vgl. Senat, Urteil vom 17. Februar 2016 - 9 U 137/15).
Systematisch regelt § 5 Abs. 1 ABB die Leistungspflicht. § 5 Abs. 2 ABB enthält die
Möglichkeit des Bausparers, über den Regelsparbeitrag hinaus mit Zustimmung
der Bausparkasse freiwillig höhere Sonderzahlungen zu leisten. § 5 Abs. 3 ABB
enthält das Kündigungsrecht der Bausparkasse bei Nichtzahlung der Raten.
Dadurch hat die Bausparkasse ein wirkungsvolles Instrument, die mit dem Vertrag
vereinbarte Risikoverteilung hinsichtlich der Zinsentwicklung sowie der
Verwendungseignung aufrechtzuerhalten. Das Recht des Bausparers, niedrigere
Sparbeiträge zu zahlen oder die Zahlung einzustellen, ist in den ABB nicht
vorgesehen und wäre mit dem ausdrücklich geregelten Kündigungsrecht der
Bausparkasse unvereinbar. Von einer echten Leistungspflicht geht im Übrigen
auch das Bausparkassengesetz aus. Nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 BauSparkG müssen
die Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge Bestimmungen über die Höhe
und Fälligkeit der Leistungen des Bausparers sowie über die Rechtsfolgen, die bei
Leistungsverzug eintreten, enthalten.
70 (4) Eine analoge Anwendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB scheidet hier zudem
aus, weil selbst bei fiktiver Gleichstellung des Darlehensempfangs mit dem
Zeitpunkt der ersten Zuteilungsreife nach der bausparvertragstypischen
Vertragsgestaltung eine überlange Zinsbindung der Bausparkasse von mehr als
zehn Jahren nicht gegen ihren Willen eintreten kann.
71 (a) Bei der vertragskonformen Durchführung des Bausparvertrages ist eine
Bindung der Bausparkasse von mehr als zehn Jahren nach erstmaliger Erlangung
der Zuteilungsreife ausgeschlossen. Die längste vertragliche Laufzeit nach
Zuteilungsreife für das hier als Darlehen zu wertende Bausparguthaben lässt sich
anhand der Höhe des Regelsparbeitrags, des Habenzinssatzes und des
Mindestsparguthabens ermitteln. Bei der geschuldeten monatlichen Sparzahlung
in Höhe von 4,2 Promille der Bausparsumme gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 ABB und
einem Habenzinssatz von 3 % p.a. gemäß § 6 Abs. 1 ABB beträgt die maximale
Laufzeit bis zur Vollbesparung der Bausparsumme ca. 16 Jahre. Die
Zuteilungsreife bei einem vertraglichen Mindestsparguthaben von 40 % der
Bausparsumme (§ 11 Abs. 1 lit. b ABB) tritt nach etwas mehr als sieben Jahren
ein. Die Bausparkasse ist bei vertragsmäßiger Durchführung ab Zuteilungsreife
längstens neun Jahre gebunden. Im Falle einer vorherigen Annahme der Zuteilung
endet die Verzinsungspflicht gemäß § 6 Abs. 2 S. 3 ABB vorzeitig spätestens mit
Ablauf des Monats der Bereitstellung. Damit ist das Darlehen zinslos.
72 (b) Die von der Beklagten zur Begründung der Analogie angeführte überlange
Zinsbindung der Bausparkasse von mehr als zehn Jahren kann nur bei einer
Einstellung der Zahlung der Regelsparbeiträge entstehen. Diese stellt aber ein
vertragswidriges Verhalten des Bausparers dar, welches die Bausparkasse nach §
5 Abs. 3 ABB zur Kündigung berechtigt. Die eigenmächtige Abweichung des
Bausparers vom Vertrag ist kein bausparvertragstypisches Risiko, dem mit einer
analogen Anwendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB begegnet werden müsste.
73 (aa) Das Ruhenlassen eines zuteilungsreifen Bausparvertrages ist nicht
charakteristisch für das Bauspargeschäft. Es lässt sich weder den gesetzlichen
Vorschriften noch den ABB entnehmen. Die Einsammlung von Kapital, um den
Bausparern schnellstmöglich Bauspardarlehen aus Mitteln des Kollektivs zur
Verfügung stellen zu können, gehört zum Wesen des Bausparvertrages (BT-
Drucks. IV/1900, S. 11). Die Einstellung der Sparleistungen widerspricht dem. Es
mag zwar ständige Praxis der Bausparkassen sein, die Einstellung der Zahlung
der Regelsparbeiträge nach erstmaliger Zuteilungsreife hinzunehmen. Hieraus
lassen sich aber keine rechtlichen Schlüsse ziehen. Diese Praxis kann der
Bausparkasse mangels Vertragsänderung nicht einseitig aufgedrängt werden. Sie
hat vielmehr einen Anspruch auf Zahlung der Regelsparbeiträge (vgl. bereits oben
unter II.2.b.bb [3]).
74 (bb) Allerdings entsprach die Einstellung der Regelsparbeiträge in der
Vergangenheit dem Interesse der Bausparkassen. Außerhalb der gegenwärtigen
Niedrigzinsphase war das Ruhenlassen der zuteilungsreifen Bausparverträge für
die Bausparkasse günstig, da ihr die Mittel zur Zuteilung anderer Bauspardarlehen
zur Verfügung blieben und sie aus der Zinsdifferenz zu den Zinssätzen der
ausgereichten Bauspardarlehen risikolos Erträge erwirtschaften konnte. Lange Zeit
lagen zudem die Habenzinssätze unterhalb des Marktniveaus. Zudem dürfte diese
Praxis die Attraktivität des Bausparens gesteigert und die Werbung neuer
Bausparer erleichtert haben.
75 Weiter war während des Ruhens des Bausparvertrages für die Bausparkasse das
noch bestehende Zinsrisiko für die Restlaufzeit im Falle der Wiederaufnahme der
Einzahlungen jederzeit überschaubar. Sie war dadurch in der Lage, durch
Aufforderung des Bausparers, seinen Einzahlungspflichten wieder
nachzukommen, den Vertrag wieder in Vollzug zu setzen. Damit konnte sie das mit
dem Vertrag von vornherein übernommene Zinsänderungsrisiko und die faktische
Verlängerung der Zinsbindung jederzeit steuern. Sie hatte es also in der Hand,
eine Zinsbindung von mehr als zehn Jahren zu vermeiden.
76 d. Die Beklagte kann die Kündigung auch nicht auf § 490 Abs. 3, §§ 314, 313 Abs.
3 BGB stützen (zum Verhältnis der Bestimmungen zueinander vgl. Senat, Urteil
vom 23. September 2015 - 9 U 31/15, WM 2016, 311, Rn. 147).
77 aa. Zu Recht beruft sich die Beklagte in der Berufung nicht mehr auf ein
Kündigungsrecht aus § 490 Abs. 3, § 314 BGB. Nach § 314 BGB ist eine
Kündigung zulässig, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die
Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis
zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Wie bereits
ausgeführt, stellt die Nichtabnahme des Bauspardarlehens kein vertragswidriges
Verhalten des Bausparers dar. Hinsichtlich der Nichtzahlung der
Regelsparbeiträge hat die Bausparkasse ein spezielleres Kündigungsrecht aus §
5 Abs. 3 ABB, dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. Die Schaffung der
Kündigungsvoraussetzungen und die sich daran anschließende Möglichkeit der
Ausübung dieses Kündigungsrechts ist ihr zuzumuten. Die Nichtausübung in der
Vergangenheit beruhte auf einer eigenen freien Entscheidung.
78 bb. Auch aus § 490 Abs. 3, § 313 Abs. 3 BGB ergibt sich ein Kündigungsrecht
nicht. Nach § 313 BGB kann eine Vertragsanpassung verlangt werden, wenn sich
die Umstände, die Grundlage des Vertrags geworden sind, nach
Vertragsabschluss schwerwiegend verändert haben, die Parteien deshalb den
Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten und das
Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zumutbar ist. Die Geschäftsgrundlage
eines Vertrages wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
gebildet durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei
Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder
die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten
Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen
Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser
Vorstellung aufbaut (statt aller BGH, Urteil vom 24. März 2010 - VIII ZR 235/09,
juris). Diese Vorstellungen müssen sich als falsch herausgestellt haben. Die
Parteien müssten, wenn sie dies vorausgesehen hätten, den Vertrag anders
geschlossen haben (BGH, Urteil vom 7. März 2013 - VII ZR 68/10, WM 2014, 134).
Eine Anpassung des Vertrages kann zudem nur gefordert werden, soweit einem
Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der
vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am
unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Bei der Auflösung eines
Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB handelt es sich
um eine von vornherein auf besondere Ausnahmefälle beschränkte rechtliche
Möglichkeit, die zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit
schlechthin unvereinbarer Folgen unabweisbar erscheinen muss (BGH, Urteil vom
8. Mai 2014 - I ZR 210/12 NZG 2014, 1036). Diese Voraussetzungen liegen nicht
vor.
79 (1) Die Geschäftsgrundlage wäre nicht entfallen, wenn die Klägerin ihre Absicht zur
Inanspruchnahme des Bauspardarlehens endgültig aufgegeben hätte. Zwar war
Vertragszweck nach § 1 BauSparkG, § 1 ABB die Erlangung von Mitteln zur
wohnwirtschaftlichen Verwendung (s. bereits oben unter II.2.c.cc.[2][c]). Doch ist
zum einen die Beklagte hinsichtlich dieses Vorbringens beweisfällig geblieben.
Zum anderen ist der Wegfall dieser Geschäftsgrundlage nicht allein aus der über
zehn Jahre dauernden nicht erfolgten Inanspruchnahme des Bauspardarlehens
abzuleiten. Schon der seit Abschluss des Bausparvertrages bis zur Zuteilungsreife
vergehende Zeitraum legt es angesichts der Notwendigkeit der
wohnwirtschaftlichen Verwendung des Bauspardarlehens nahe, dass aufgrund
veränderter Umstände das Bauspardarlehen nicht in Anspruch genommen wird.
Auch für diesen Fall ist nach der vertraglichen Vereinbarung die Fortsetzung des
Vertragsverhältnisses vorgesehen, mithin eine Risikoverteilung vorgenommen
worden.
80 (2) Die Geschäftsgrundlage wäre auch nicht entfallen, wenn das Gleichgewicht
zwischen Bauspareinlagen und -darlehen mit der Folge dauerhaft gestört wäre,
dass die Beklagte ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen könnte. Die Beklagte hat
über den gesetzlich vorgegebenen Rahmen hinaus insoweit das
vertragsspezifische Risiko übernommen, was ein weiteres Festhalten am Vertrag
nicht als unzumutbar erscheinen lässt. Eine solche vertragliche Risikoübernahme
schließt die Rechte aus § 313 BGB regelmäßig aus (BGH, Urteil vom 21. Februar
2014 - V ZR 176/12, NJW 2014, 2177). Eine Abweichung hiervon ist hier nicht
geboten. Es hätte der Beklagten oblegen, von der bestehenden Möglichkeit
Gebrauch zu machen, das Risiko der Zinsentwicklung durch eine geeignete
Vertragsgestaltung anders zu gewichten oder ihre vereinbarten Rechte
auszuüben.
81 3. a. Die Verpflichtung zur Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren
folgt aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB, weil die Beklagte durch die
unberechtigte Kündigung ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB
verletzt hat.
82 b. Die notwendigen Rechtsverfolgungskosten betragen unter Berücksichtigung
einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr, einer Auslagenpauschale von 20,00 EUR und
der Umsatzsteuer insgesamt 413,64 EUR, weil für die Gebührenrechnung ein
Gegenstandswert von 3.167,66 EUR anzusetzen ist.
83 aa. Der Gegenstandswert für die vorgerichtlichen Anwaltskosten ist gemäß § 23
Abs. 3 RVG i. V. m. § 48 GKG, § 3 ZPO nach dem maßgeblichen wahren Interesse
der Klägerin an dem Urteil (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juni 1976 - VI ZR 154/75)
zu schätzen.
84 bb. Bei der Klage auf Feststellung des Fortbestehens eines Bausparvertrages
kommt es dem Kläger hinsichtlich des Bausparguthabens nicht auf den Rückerhalt
oder die eigene Nichtzahlung eines Kapitalbetrages in Höhe des Guthabens an,
sondern auf den fortgesetzten Erhalt des vereinbarten Entgelts für die
Kapitalüberlassung. Im Rahmen der Feststellungsklage kann zudem der Gedanke
des § 9 ZPO berücksichtigt werden (BGH, Beschluss vom 30. April 2008 - III ZR
202/07, juris, Rn. 2; MünchKommZPO/Wöstmann, 4. Aufl. 2013, § 9 Rn. 2). Soweit
§ 9 ZPO voraussetzt, dass das Stammrecht selbst im Streit ist (vgl. Zöller/Herget,
ZPO, 31. Aufl., § 9 Rn. 1; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. April 2005 - 17 W
21/05), ist diese Voraussetzung hier erfüllt, da die Feststellung des Fortbestands
des Bausparvertrages die des Bezugsrechts des Bausparers für die künftigen
Zinsen umfasst. Diesbezüglich ist daher der 3,5-fache Jahreszins aus dem
Bausparguthaben bei Mandatierung anzusetzen.
85 cc. Neben dem Zinsinteresse ist auch das mögliche Interesse des Klägers am
Erhalt des Bauspardarlehens in Höhe der Differenz zwischen der Bausparsumme
und dem angesparten Guthaben zu berücksichtigen. Dieses besteht alternativ
zum Zinsinteresse, weil die Inanspruchnahme des Darlehens die
Verzinsungspflicht des Bausparguthabens entfallen lässt. Wegen des
Alternativverhältnisses der Interessen des Bausparers und der Ungewissheit, ob
das Bauspardarlehen in Anspruch genommen wird, hält es der Senat im Rahmen
der Feststellungsklage für gerechtfertigt, das wirtschaftliche Interesse beider
Ansprüche zu kumulieren und sie mit einem Abschlag von 50% zu
berücksichtigen.
86 dd. Die Zinserwartung aus dem zum Zeitpunkt der Mandatierung bestehenden
Bausparguthaben in Höhe von 15.772,48 EUR betrug bei einem Zinssatz von 3 %
p.a. für einen Zeitraum von 3,5 Jahren 1.656,11 EUR. Diese ist mit einem 50-
prozentigen Abschlag mit einem Betrag von
828,06 EUR
anzusetzen.
87 Zum Zeitpunkt der Mandatierung bestand ein Darlehensanspruch in Höhe von
4.679,20 EUR, der ebenfalls mit 50 %, also
2.339,60 EUR
, anzusetzen ist, woraus
sich der Gegenstandswert von
3.167,66 EUR
errechnet.
III.
88 1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2, § 269 Abs. 3 ZPO, diejenige über
die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO. Hinsichtlich der
Streitwertbemessung wird auf die oben stehenden Ausführungen zum
Gegenstandswert der vorgerichtlichen Anwaltskosten Bezug genommen. Durch
den Instanzenzug haben sich keine wesentlichen Wertveränderungen ergeben.
89 2. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO zuzulassen, weil die
Sache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Der Senat
weicht mit seiner Entscheidung von den Hinweisbeschlüssen und Entscheidungen
der Oberlandesgerichte Hamm, Koblenz, Köln und Celle ab, die eine auf § 489
Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützte Kündigung des Bausparvertrages für rechtmäßig
halten.