Urteil des OLG Stuttgart vom 10.11.2014

feststellungsklage, verbraucher, darlehensvertrag, leistungsklage

OLG Stuttgart Beschluß vom 10.11.2014, 9 U 119/14
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 14.
Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 21.02.2014 durch einstimmigen
Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
2. Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum
04.12.2014.
Gründe
I.
1 Die Klägerin verfolgt mit ihrer Klage die gerichtliche Feststellung, dass ein mit der
beklagten Bank geschlossener Verbraucherdarlehensvertrag durch Widerruf
beendet ist. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des
Landgerichts wird Bezug genommen.
2 Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Feststellungsklage sei zulässig.
Es bestehe ein Feststellungsinteresse, da die gegenwärtige Gefahr der
Unsicherheit der Klägerin vorliege, ob der Darlehensvertrag durch den Widerruf
beendet worden sei. Die Klägerin zahle nach wie vor die monatlichen Raten,
weshalb eine Gesamtabrechnung noch nicht möglich sei. Der
anspruchsbegründende Sachverhalt befinde sich in der Fortentwicklung, so dass
die Feststellungsklage insgesamt zulässig sei und der Anspruch auch nicht nur
teilweise beziffert werden müsste. Es sei der Klägerin nicht zuzumuten, die
Fortentwicklung des Anspruchs dadurch zu verhindern, dass sie die weiteren
Zahlungen einstelle und eine Kündigung der Beklagten wegen Zahlungsverzuges
provoziere. Dann wäre die Klägerin mit den Folgen der Kündigung konfrontiert. Es
sei nachvollziehbar, dass sie bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den
Bestand des Darlehensvertrages die Darlehensraten weiterzahle.
3 Der Darlehensvertrag sei durch den Widerruf beendet worden. Die Beklagte könne
sich nicht auf die Schutzwirkung der Musterwiderrufsbelehrung gemäß § 14 Abs. 1
BGB-InfoV berufen, weil sie den Mustertext verändert habe. Die Belehrung sei
inhaltlich fehlerhaft. Der Hinweis, die Frist für den Widerruf beginne "frühestens mit
Erhalt dieser Belehrung", sei unzureichend und irreführend, weil der Verbraucher
im Unklaren gelassen werde, von welchen Umständen der Fristbeginn abhänge.
4 Das Widerrufsrecht sei nicht verwirkt. Es fehle hierfür das Umstandsmoment. Eine
Partei, die ihre Belehrungspflicht nicht erfüllt habe, müsse davon ausgehen, dass
der andere Teil von dem ihm zustehenden Anspruch nichts wisse.
5 Gegen das ihr am 26.02.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.03.2014
Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist am 26.05.2014 mit einer
Begründung versehen. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Sie ist der Auffassung, der einzige Grund für den Rechtsstreit sei das Ziel der
Klägerin, eine Vorfälligkeitsentschädigung nicht zahlen zu müssen, weshalb sie
den "Widerrufsjoker" ziehe. Die Beklagte hält an ihrer Auffassung fest, die
Feststellungsklage sei unzulässig, weil der Klägerin eine Leistungsklage möglich
sei. Sie sei in der Lage, ihre Ansprüche nach erfolgtem Widerruf zu beziffern, was
sie nach Verkündung des Urteils außergerichtlich auch getan habe.
6 Das Landgericht habe den Vortrag der Beklagten nicht beachtet, wonach –
unbestritten – der Darlehensvertrag am 14.07.2006 in den Geschäftsräumen der
Beklagten unterzeichnet worden sei. Ebenso sei unbestritten geblieben, dass der
Kundenberater der Beklagten die Klägerin am Tag der Übergabe über
Vertragsinhalt und Widerruf belehrt habe. Im Übrigen hält die Beklagte an ihrer
Auffassung fest, die Widerrufsbelehrung sei wirksam und der Widerruf verwirkt.
7 Die Beklagte beantragt:
8
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom
21.02.2014 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
9 Die Klägerin beantragt:
10 Die Berufung wird zurückgewiesen.
11 Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts unter Wiederholung und Vertiefung ihres
erstinstanzlichen Vorbringens. Sie bestreitet in der Berufungsinstanz die
Behauptung, der Darlehensvertrag sei in den Geschäftsräumen der Beklagten
unterzeichnet worden.
II.
12 Die gem. § 511 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und mit einer
Begründung versehene Berufung ist zulässig, aber nach übereinstimmender
Auffassung des Senats unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht und mit
zutreffenden Gründen der Klage stattgegeben. Die Berufung zeigt keine
Gesichtspunkte auf, die eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung
rechtfertigen.
13 1. Die Feststellungsklage ist zulässig, weil die Klägerin ein rechtliches Interesse im
Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung der Beendigung des
Darlehensvertrages hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein
Feststellungsinteresse gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage des
Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und wenn das erstrebte
Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (MünchKomm-ZPO/Becker-
Eberhardt, 4. Auflage, § 256 Rn. 49 m.w.N.). Diese Gefahr besteht, weil zwischen
den Parteien Uneinigkeit darüber besteht, ob das Darlehensverhältnis unverändert
fortbesteht, wie die Beklagte meint, oder ob es durch den erklärten Widerruf in ein
Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt wurde. Die Klärung ist erforderlich, damit
die Klägerin sich Gewissheit über die Rechtmäßigkeit einer Zahlungseinstellung
verschaffen und somit Schadensersatzansprüche im Falle eines unwirksamen
Widerrufs vermeiden kann. Ein Feststellungsurteil ist geeignet, diese Unsicherheit
zu beseitigen.
14 Das Feststellungsinteresse der Klägerin fehlt nicht deswegen, weil sie in der Lage
wäre, ihr Leistungsziel genau zu benennen und deshalb auf Leistung zu klagen.
Der Vorrang der Leistungsklage gegenüber einer Feststellungsklage gilt nicht
ausnahmslos. Wenn schon eine Feststellungsklage zur endgültigen Erledigung
der aufgetretenen Streitpunkte führt, bestehen gegen deren Zulässigkeit keine
Bedenken. Bei einer Bank besteht nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs hinreichende Gewähr dafür, dass sie sich an ein
rechtskräftiges Feststellungsurteil hält (BGH, Urteil vom 03. Juni 1997 – XI ZR
133/96; Urteil vom 27. September 2005 – XI ZR 216/04). So liegt der Fall hier. Bei
Einreichung der Klage hat die Klägerin vorsorglich auf ihrem Konto für
ausreichende Deckung für die fortgesetzte Abbuchung der Darlehensraten
gesorgt. Es ging ihr in erster Linie um die Klärung, ob durch den Widerruf ein
Abwicklungsverhältnis entstanden ist, dass dann abzurechnen ist. Die
wesentlichen Pflichten im Rückabwicklungsverhältnis gemäß §§ 346 ff. BGB sind
unproblematisch. Zum Zeitpunkt der Klageeinreichung war auch die Frage der
Nutzungsherausgabe nicht streitig, da sie nicht zum Klagegegenstand gehörte und
gehört. Insofern konnte erwartet werden, dass die Beklagte nach einer
rechtskräftigen Verurteilung eine Abrechnung des Darlehensvertrages nach den
gesetzlichen Vorschriften vornehmen wird.
15 Es ist unerheblich, dass zwischen den Parteien nach Verkündung des
erstinstanzlichen Urteils die Höhe der Nutzungsherausgabe streitig geworden ist,
so dass Zweifel bestehen könnten, ob das Feststellungsurteil zu einer
abschließenden Klärung der Ansprüche führt. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs ist eine Partei, die eine einmal zulässige Feststellungsklage
erhoben hat, nicht verpflichtet, auf eine Leistungsklage umzustellen, wenn der
Anspruch im Laufe des Rechtsstreits bezifferbar wird (BGH, Urteil vom 17. Oktober
2003 – V ZR 84/02; MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhardt, a.a.O., § 256 Rn. 55).
Gleiches muss auch dann gelten, wenn sich erst nachträglich Streitpunkte
herausstellen, die eine Leistungsklage zweckmäßiger erscheinen lassen. Hier
besteht der Streitpunkt im Wesentlichen in der Frage, ob entsprechend der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu vermuten ist, die Beklagte habe
Nutzungen aus den Darlehensraten in Höhe des Verzugszinssatzes gezogen.
16 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Rückabwicklung gem. § 348 BGB Zug
um Zug zu erfüllen ist, die Ansprüche also nicht saldiert werden
(MünchKommBGB/Gaier, 6. Aufl., § 348 Rn. 4). Auch sehen die Banken-AGB (Ziff.
4) üblicherweise ein Aufrechnungsverbot für streitige Forderungen vor. Die
Beklagte zieht zudem trotz des Widerrufs die Darlehensraten ein, wodurch sich die
Ansprüche fortlaufend weiterentwickeln. Der Anspruch der Klägerin auf
Herausgabe der tatsächlich gezogenen Nutzungen ist erst abschließend
bezifferbar, nachdem die Beklagte ihrerseits sämtliche Zahlungen geleistet hat.
17 2. Das Landgericht hat der Feststellungsklage zu Recht stattgegeben, weil der
Widerruf der Klägerin rechtzeitig erklärt wurde. Mangels ordnungsgemäßer
Widerrufsbelehrung hat die Widerrufsfrist nicht bei Vertragsschluss begonnen (a.).
Der Widerruf ist auch nicht verwirkt (b.).
18 a. Zum Zeitpunkt der Widerrufserklärung war die Widerrufsfrist noch nicht
abgelaufen. Nach § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. beginnt die Widerrufsfrist in dem
Augenblick, in dem der Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein
Widerrufsrecht mit einem Hinweis auf den Fristbeginn erhalten hat. Fehlt es an
einer solchen, erlöscht nach § 355 Abs. 3 Satz 1, Satz 3 BGB a.F. das
Widerrufsrecht auch nicht sechs Monate nach Vertragsschluss.
19 Eine Belehrung, die Widerrufsfrist beginne „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“
erfüllt nicht die Anforderungen an eine deutlich gestaltete Widerrufsbelehrung.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine solche
Belehrung unzureichend, da sie den Verbraucher nicht eindeutig über den Beginn
der Widerrufsfrist aufklärt. Sie ist nicht umfassend, sondern irreführend. Die
Verwendung des Wortes "frühestens" ermöglicht es dem Verbraucher nicht, den
Fristbeginn ohne weiteres zu erkennen. Er vermag der Formulierung lediglich zu
entnehmen, dass die Widerrufsfrist "jetzt oder später" beginnen, der Beginn des
Fristablaufs also gegebenenfalls noch von weiteren Voraussetzungen abhängen
soll. Der Verbraucher wird jedoch im Unklaren gelassen, welche etwaigen weiteren
Umstände dies sind (BGH, Urteile vom 17. Januar 2013 – III ZR 145/12, vom 1.
März 2012 - III ZR 83/11 und vom 19. Juli 2012 - III ZR 252/11).
20 Die von der Beklagten verwendete Widerrufsbelehrung verwendet das Wort
"frühestens" und lässt in seiner Gesamtheit den Kunden über den genauen
Zeitpunkt des Beginns der Widerrufsfrist im Unklaren.
21 Bei seiner Würdigung hat das Landgericht nicht erheblichen Tatsachenvortrag
oder Beweisangebote der Beklagten übergangen. Der Beklagtenvortrag in dem
Schriftsatz vom 27.11.2013, die Klägerin sei entsprechend dem Inhalt des
Schreibens über Vertragsinhalt und Widerruf bei Vertragsübergabe am 14.07.2013
unterrichtet worden, ist unerheblich. Gem. § 355 Abs. 2 S. 1 BGB hat die
Widerrufsbelehrung in Textform zu erfolgen. Die Beklagte hat nicht behauptet, eine
Berichtigung der Widerrufsbelehrung vorgenommen zu haben, weder mündlich
noch in Textform.
22 Eine Berufung auf § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV und das Muster der Anlage 2 zu §
14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur
Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen
vom 2. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3102) ist der Klägerin verwehrt, wenn ein
Formular verwandt wurde, das dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3
BGB-InfoV in der damaligen Fassung nicht in jeder Hinsicht entspricht (BGH, Urteil
vom 17. Januar 2013 – III ZR 145/12). Die Übereinstimmung muss sowohl
inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung dem Muster vollständig entsprechen
(BGH, Urteil vom 01. März 2012 – III ZR 83/11, Rn. 17).
23 Hier liegt eine erhebliche Abweichung vor. Der seinerzeit maßgebliche Text der
Musterbelehrung lautete wie folgt:
24 Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von
Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt
frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die
rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
25 Demgegenüber lautet die Belehrung der Beklagten (unter Hervorhebung der
Abweichung durch den Senat, keine Hervorhebung im Original):
26 Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von
Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen.
Sofern Sie nicht
taggleich mit dem Vertragsabschluss über Ihr Widerspruchsrecht belehrt
worden sind, beträgt die Frist einen Monat.
Die Frist beginnt frühestens mit
Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige
Absendung des Widerrufs.
27 Entgegen dem Vorbringen der Berufung lässt sich dem Wortlaut der
Widerrufserklärung somit nicht entnehmen, dass die Frist mit dem auf den
Zeitpunkt der Aushändigung des kompletten, von den Parteien unterzeichneten
Darlehensvertrages folgenden Tag begann.
28 b. Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffenden Gründen keine Verwirkung
der Ansprüche der Klägerin festgestellt, weil die Beklagte wegen der fehlerhaften
Belehrung nicht davon ausgehen konnte, die Klägerin wisse etwas von ihrem
Anspruch. Gegen diese Würdigung erhebt die Beklagte keine konkreten Rügen.
29 Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des
Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern kein Urteil
des Berufungsgerichts. Im Hinblick auf die fehlenden Erfolgsaussichten stellt der
Senat unbeschadet der Möglichkeit der Stellungnahme anheim, die Berufung aus
Kostengründen zurück zu nehmen.