Urteil des OLG Stuttgart vom 03.05.2016

anlageberatung, widerklage, fahrtkosten, schadenersatz

OLG Stuttgart Beschluß vom 3.5.2016, 8 W 396/14
Leitsätze
Bei der anwaltlichen Vertretung des Klägers und der Drittwiderbeklagten handelt es sich um dieselbe
Angelegenheit, so dass der Rechtsanwalt die Gebühren nur einmal verlangen kann (Anschluss an BGH AGS
2016, 61; Aufgabe von OLG Stuttgart/Senat AGS 2013, 324).
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des
Landgerichts Ellwangen (Jagst) vom 11.08.2014, Az. 3 O 346/12 (Erstattungsverhältnis Beklagte an
Drittwiderbeklagte),
abgeändert:
Auf Grund des am 13.01.2014 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart geschlossenen Vergleichs sind von
der Beklagten an die Drittwiderbeklagte zu erstatten:
EUR 1.265,49
nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit
dem 17.02.2014.
Im Übrigen wird der Kostenfestsetzungsantrag der Drittwiderbeklagten
zurückgewiesen.
2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Im Übrigen trägt die Drittwiderbeklagte die Kosten des
Beschwerdeverfahrens.
Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: EUR 1.056,04
Gründe
I.
1 Der Kläger hat im vorliegenden Rechtsstreit gegen die Beklagte aus eigenem und abgetretenem Recht
Ansprüche auf Schadenersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung geltend gemacht. Die
streitgegenständliche Anlageberatung erfolgte gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau. Diese hat ihre
Forderungen in Zusammenhang mit der behauptet fehlerhaften Anlageberatung an den Kläger abgetreten.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat zugleich gegen die Ehefrau des Klägers Drittwiderklage
erhoben, gerichtet auf Feststellung, dass (auch) ihr aus der streitgegenständlichen Kapitalanlage keine
Ansprüche gegen die Beklagte zustehen. Der Kläger und die Drittwiderbeklagte wurden durch die gleichen
Prozessbevollmächtigten vertreten.
2 Der Rechtsstreit endete durch einen am 13.01.2014 vor dem 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart
geschlossenen Vergleich, im Rahmen dessen die Parteien folgende Kostenverteilung vereinbart haben:
3
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen
bezüglich des Klägers und der Beklagten tragen der Kläger 81 %, die Beklagte 19 %.
4
Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten tragen die Beklagte 19 %, die
Drittwiderbeklagte 81 %.
5 Durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.08.2014 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts die auf Grund
des Prozessvergleichs vom 13.01.2014 von der Beklagten an die Drittwiderbeklagte zu erstattenden Kosten
auf EUR 2.321,53 nebst Zinsen festgesetzt. Die Rechtspflegerin hat zur Begründung unter Hinweis auf eine
Entscheidung des Senats vom 08.11.2012 (OLG Stuttgart/Senat AGS 2013, 324) ausgeführt, bei der im
Wege der isolierten Drittwiderklage gegen den Zedenten erhobenen negativen Feststellungsklage
entständen die Anwaltsgebühren auf Seiten des Klägers und der Drittwiderbeklagten jeweils in voller Höhe
und seien auch erstattungsfähig.
6 Gegen den ihr am 04.09.2014 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss wendet sich die Beklagte mit ihrer
am 15.09.2014 beim Landgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde hinsichtlich der Höhe des
festgesetzten Erstattungsbetrages. Nach Auffassung der Beklagten liegt dann, wenn wie hier ein
Rechtsanwalt im selben Prozess Kläger und Drittwiderbeklagten vertritt, nur eine Angelegenheit im Sinne
des § 15 RVG vor.
7 Die Rechtspflegerin des Landgerichts hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem
Oberlandesgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
8 Der Einzelrichter des Beschwerdegerichts hat das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO wegen
grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat in voller Besetzung übertragen.
II.
9 Die gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige
Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
1.
10 Vertritt der Anwalt sowohl den Kläger als auch den Drittwiderbeklagten, so liegt für ihn nach ganz
herrschender Auffassung nur eine Gebührenangelegenheit gemäß §§ 7, 15, 22 RVG vor, so dass er seine
Gebühren und Auslagen nur einmal erhält und gegebenenfalls die Erhöhung der Verfahrensgebühr nach Nr.
1008 VV RVG verlangen kann (OLG Celle AGS 2015, 64; OLG Köln AGS 2015, 284; OLG München AnwBl
1995, 47; LG Düsseldorf AGS 2010, 321; Schneider/Wolf/Mayer, AnwaltKommentar RVG, 7. Auflage 2014, §
15 RVG, Rdnr. 115). Soweit Klage und Widerklage verschiedene Gegenstände betreffen, sind die Werte von
Klage und Widerklage zu addieren, eine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG erfolgt in diesem Fall
nicht (OLG Köln AGS 2015, 284).
11 Allgemeiner formuliert, liegt nur eine einzige Angelegenheit vor, wenn der Rechtsanwalt mehrere
Auftraggeber im selben Gerichtsverfahren vertritt (OLG Köln AGS 2015, 284; vgl. Norbert Schneider, AGS
2016, 62: „Ein gerichtliches Verfahren ist auch immer eine Angelegenheit“).
12 Der Bundesgerichtshof hat zuletzt in einem Fall mit einer Konstellation, wie sie vorliegend gegeben ist, die
herrschende Auffassung bestätigt: verlangt der Kläger aus abgetretenem Recht Schadenersatz wegen
fehlerhafter Beratung aus einem Anlagegeschäft und kommt es dann zu einer Drittwiderklage des
Anlageberaters gegen den Zedenten auf Feststellung, dass dem Zedenten im Zusammenhang mit dem
Erwerb der Beteiligung keine Ansprüche zustehen, handelt es sich um dieselbe Angelegenheit im Sinne der
§§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 RVG, so dass der Anwalt, der sowohl den Kläger als auch den Drittwiderbeklagten
vertritt, seine Vergütung nur einmal erhält (BGH AGS 2016, 61).
13 Der Senat schließt sich nunmehr dieser Rechtsprechung an. Soweit der Senat in der Entscheidung vom
08.11.2012 (OLG Stuttgart 8 W 419/12, AGS 2013, 324) die Auffassung vertreten hat, es lägen in so einem
Fall mehrere Angelegenheiten vor, wird hieran nicht festgehalten.
2.
14 Im vorliegenden Fall sind bei den Prozessbevollmächtigten des Klägers und des Drittwiderbeklagten
insgesamt folgende Kosten angefallen:
15 I. Instanz
16 1,3-fache Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG
EUR 2.060,50
Erhöhung gemäß Nr. 1008 VV RVG
EUR 475,50
Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV RVG:
EUR 1.902,00
Fahrtkosten gemäß Nr. 7003 VV RVG:
EUR 24,00
Tage- und Abwesenheitsgeld gemäß Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG: EUR 20,00
Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG:
EUR 20,00
Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG:
EUR 855,38
Gesamt:
EUR 5.357,38
17 Es findet eine Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG und keine Wertaddition statt, da Klage und Drittwiderklage
hier denselben Gegenstand betreffen (Abs. 1 der Anm. zu Nr. 1008 VV RVG). Dies liegt auch den
Streitwertfestsetzungen durch das Landgericht und das Berufungsgericht zugrunde.
18 Auf die Drittwiderbeklagte entfallen (1/2):
EUR 2.678,69
19 II. Instanz:
1,6-fache Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3200 VV RVG:
EUR 2.404,80
Erhöhung gemäß Nr. 1008 VV RVG:
EUR 450,90
Terminsgebühr gemäß Nr. 3202 VV RVG:
EUR 1.803,60
Einigungsgebühr gemäß Nr. 1004 VV RVG:
EUR 1.953,90
Fahrtkosten gemäß Nr. 7003 VV RVG:
EUR 33,90
Tage- und Abwesenheitsgeld gemäß Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG EUR 25,00
Auf die Drittwiderbeklagte entfallen (1/2):
20
EUR 3.981,80
Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG:
EUR 20,00
Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG:
EUR 1.271,50
Gesamt:
EUR 7.963,60
21 Auf der Grundlage der vereinbarten Kostenverteilung, wonach die Drittwiderbeklagte von ihren Kosten 81
% selbst trägt und ihr 19 % von der Beklagten erstattet werden, ergibt sich für die erste Instanz ein
Erstattungsbetrag von EUR 508,95, für die zweite Instanz ein solcher von EUR 756,54. Insgesamt sind
demgemäß von der Beklagten an die Drittwiderbeklagte EUR 1.265,49 nebst Zinsen zu erstatten.
22 Der angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluss war entsprechend abzuändern.
3.
23 Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren beruht auf Nr. 1812 KV GKG, § 91 Abs. 1 ZPO.