Urteil des OLG Stuttgart vom 10.09.2015
eintritt des versicherungsfalls, zugang, versicherer, versicherungsnehmer
OLG Stuttgart Urteil vom 10.9.2015, 7 U 78/15
Kfz-Kaskoversicherung: Leistungsfreiheit wegen Nichtzahlung der Erstprämie
Leitsätze
Die Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Nichtzahlung der Versicherungsprämie
setzt den Nachweis des Zugangs einer entsprechenden Prämienrechnung voraus.
Nach Versendung mit einfachem Brief besteht für den Versicherer insoweit keine
Beweisnot und deshalb auch keine Beweiserleichterung.
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer
des Landgerichts Rottweil vom 10.03.2015 - 3 O 162/14 -
abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.204,32 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich hieraus seit 08.05.2014
sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 EUR zu bezahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungsstreitwert: 5.204,32 EUR
Gründe
A.
1 Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 313a Abs. 1, 540 Abs. 2
ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
B.
2 Die Berufung der Klägerin hat Erfolg und führt zur antragsgemäßen Verurteilung
der Beklagten.
I.
3 Die Klägerin leitet den von ihr mit der Klage als Hauptforderung geltend gemachten
Zahlungsanspruch aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag über
eine Kraftfahrt-Vollkaskoversicherung für das Fahrzeug … mit dem amtlichen
Kennzeichen … her. Mit diesem Fahrzeug erlitt die Klägerin am 31.01.2014 einen
Verkehrsunfall. Den dadurch entstandenen Schaden in Höhe von 5.504,32 EUR
verlangt die Klägerin abzüglich des Selbstbehalts von 300,00 EUR mit der Klage
ersetzt. Die Beklagte hat sich gegen den geltend gemachten Anspruch
ausschließlich damit verteidigt, sie sei mit Schreiben vom 26.02.2014 (Anlage B 1;
Bl. 18 f.) wirksam nach § 37 Abs. 1 VVG vom Versicherungsvertrag
zurückgetreten, zudem sei sie nach § 37 Abs. 2 VVG leistungsfrei.
4 Diese Einwände der Beklagten greifen indes entgegen der Ansicht des
Landgerichts nicht durch, weil die Beklagte die dafür erforderlichen
Voraussetzungen nicht bewiesen hat.
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1.
Nach § 37 Abs. 1 VVG ist der Versicherer, wird die erste Prämie nicht rechtzeitig
gezahlt, solange zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, wie die Zahlung nicht
bewirkt ist, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat die Nichtzahlung nicht zu
vertreten. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 VVG ist der Versicherer, ist die erste Prämie bei
Eintritt des Versicherungsfalls nicht gezahlt, nicht zur Leistung verpflichtet, es sei
denn, der Versicherungsnehmer hat die Nichtzahlung nicht zu vertreten.
Voraussetzung von Rücktrittsrecht und Leistungsfreiheit ist es demnach, dass die
Erstprämie nicht rechtzeitig gezahlt worden ist, was das Ausbleiben der
Leistungshandlung zum Zeitpunkt der Fälligkeit voraussetzt (vgl. etwa Rixecker, in:
Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl., § 37 Rn. 6). Für den Streitfall bedeutet dies, dass
die Erstprämie, auf deren Nichtzahlung sich die Beklagte zur Begründung ihres auf
§ 37 Abs. 1 VVG bzw. aus § 37 Abs. 2 VVG gestützten Einwands beruft, zum
Zeitpunkt des Verkehrsunfalls am 31.01.2014 bzw. zum Zeitpunkt des mit
Schreiben vom 26.02.2014 erklärten Rücktritts zur Zahlung fällig gewesen sein
muss. Fälligkeitsvoraussetzung ist indes der Zugang des Versicherungsscheins (s.
Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 33 Rn. 7, § 38 Rn. 10 ff.), für den
der Versicherer darlegungs- und beweisbelastet ist (vgl. etwa OLG Hamm, r+s
1992, 258; LG Hannover, VersR 1990, 1377; Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG,
29. Aufl., § 33 Rn. 8, § 38 Rn. 16 ff.; Rixecker, in: Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl., §
38 Rn. 20). Einen solchen Zugang beweist nicht - auch nicht prima facie - die
Absendung. Es bestehen keine Erfahrungssätze, dass Postsendungen den
Empfänger erreichen, zumal es in der Hand des Versicherers liegt, etwaige
Beweisschwierigkeiten zu vermeiden (vgl. OLG Hamm, r+s 1992, 258;
Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 38 Rn. 16; Rixecker, in:
Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl., § 38 Rn. 20).
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2.
Die Beklagte hat den nach allem ihr obliegenden Beweis, dass der einschlägige
Versicherungsschein der Klägerin vor dem Verkehrsunfall am 31.01.2014 bzw. vor
Zugang des Rücktrittsschreibens vom 26.02.2014 zugegangen ist, nicht geführt.
Hierauf wurde bereits in der Terminsverfügung hingewiesen. Sollte das
Landgericht eine gegenteilige Feststellung getroffen haben, hätte diese nach § 529
Abs. 1 Nr. 1 ZPO keinen Bestand.
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a)
Die Beklagte behauptet zumindest sinngemäß, der Versicherungsschein sei der
Klägerin in dem genannten Zeitraum zugegangen. Sie führt aus, der
Versicherungsschein sei am 26.11.2013 oder kurz danach per einfachem
Schreiben an die Klägerin übersandt worden, dieses Schreiben sei nicht
zurückgekommen (S. 3 des Protokolls vom 31.10.2014 [Bl. 54]). Die Klägerin
bestreitet einen solchen Zugang (s. den Schriftsatz vom 23.09.2014 [Bl. 33 f. d. A.],
S. 1 des Schriftsatzes vom 30.10.2014 [Bl. 45 d. A.] sowie S. 2 der
Berufungsbegründung vom 28.05.2015 [Bl. 101 d. A.]). Dieses Bestreiten ist
ausreichend; der Versicherungsnehmer kann sich grundsätzlich auf einfaches
Bestreiten beschränken (vgl. etwa Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., §
38 Rn. 18).
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b)
Die Beklagte ist beweisfällig geblieben.
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aa)
Die Absendung und der Umstand, dass die Sendung nicht zurückgekommen
ist, beweisen - wie erwähnt - auch nicht prima facie den streitigen Zugang, zumal
die Übersendung mit einfacher Post erfolgt ist (vgl. auch OLG Hamm, r+s 1992,
258). Die Beklagte hat für ihre bestrittene Behauptung auch nach erfolgtem
Hinweis keinen Beweis angeboten.
10
bb)
Der Umstand, dass die Klägerin weder in der Klagschrift vom 27.06.2014 (Bl. 1
ff.) noch in dem außergerichtlichen Schreiben vom 28.04.2014 (Anlage B 2; Bl. 44)
den Zugang bestritten und sich in ihrem Schriftsatz vom 27.08.2014 (Bl. 26 f.)
dahin eingelassen hat, sie habe lediglich einen Versicherungsschein erhalten,
jedoch keine Zahlungsaufforderung, sowie dass das erstmalige Bestreiten des
Zugangs des Versicherungsscheins auf die gerichtliche Verfügung vom
04.09.2014 (Bl. 30) hin erfolgt ist, mag - allenfalls - gewisse Zweifel daran
begründen, dass der Klägerin der Versicherungsschein tatsächlich nicht
zugegangen ist. Solche Zweifel rechtfertigen aber nicht, den der Beklagten
obliegenden Beweis als geführt anzusehen, wie dies die Beklagte den
Erwägungen des Landgerichts entnehmen will.
11
cc)
Die Darlegungen der von dem Landgericht als Zeugin vernommenen
Vermittlerin sind für das hier in Frage stehende Beweisthema unergiebig, jedenfalls
stützen sie nicht die Behauptung der Beklagten. Die Zeugin hat zu der Frage des
Zugangs des Versicherungsscheins keine belastbaren Angaben gemacht,
sondern lediglich geäußert, sie wisse nicht mehr, ob die Klägerin bei einem
Gespräch, das am 06.03.2014 stattgefunden habe, den Versicherungsschein
dabei gehabt habe, es sei möglich, dass sie den Versicherungsschein für die
Klägerin „nochmal ausgedruckt habe“, im Übrigen könne sie nicht sagen, was auf
dem Versicherungsschein vom 26.11.2013, der im Rechtsstreit in Kopie vorgelegt
worden ist (Bl. 9 f. d. A.), handschriftlich vermerkt sei (s. S. 5 f. des Protokolls vom
31.10.2014 [Bl. 56 f.]). Soweit die Zeugin angab (s. S. 4 f. des Protokolls vom
31.10.2014 [Bl. 55 f.]), die Klägerin habe in einem mit ihr, der Zeugin, geführten
Gespräch am 06.03.2014 gefragt, ob sie die Erstprämie später bezahlen könne,
und die Klägerin habe mitgeteilt, sie habe wegen eines Unfalls einen längeren
Krankenhausaufenthalt gehabt und deshalb nicht mehr nach der Post geschaut,
sind auch diese Umstände ohne tragfähige indizielle Bedeutung für den hier in
Rede stehenden Zugang des Versicherungsscheins.
12
dd)
Aus eigenen Angaben der Klägerin im Rechtsstreit ergibt sich nichts für die
Richtigkeit der streitigen Behauptung der Beklagten. Die Klägerin hat an dem
Termin vor dem Landgericht, der am 31.10.2014 stattfand, selbst nicht
teilgenommen und sich im Rechtsstreit auch sonst nicht selbst geäußert. Ihr
Prozessbevollmächtigter hat in diesem Termin jedoch erklärt, seine Mandantin
wisse nicht mehr genau, wann sie eine Kopie des Versicherungsscheins erhalten
habe, sie meine aber, dass sie das Original nicht erhalten habe, sondern eine
Kopie erst nachträglich im Zuge der ganzen Unklarheiten, Genaueres könne sie
hierzu nicht sagen (S. 3 des Protokolls vom 31.10.2014 [Bl. 54 f.]). Dies deckt sich
mit dem gehaltenen Prozessvortrag der Klägerin, die sich im Übrigen grundsätzlich
auf einfaches Bestreiten auch mit der Begründung hätte beschränken können, sie
wisse nicht mehr, wann ihr der Versicherungsschein zugegangen sei (vgl. etwa
Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 38 Rn. 18).
13 Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu der in Rede
stehenden Frage Weiteres beitragen könnte. Schon deshalb hat der Senat davon
abgesehen, auf den von der Beklagten gestellten Antrag hin (S. 2 der
Berufungserwiderung vom 03.08.2015 [Bl. 109 d. A.]) das persönliche Erscheinen
der Klägerin zu dem Termin vor dem Senat anzuordnen und die Klägerin in diesem
Termin persönlich anzuhören. Ob eine Parteianhörung nach § 141 ZPO erfolgt
oder nicht, liegt grundsätzlich im Ermessen des zur Entscheidung berufenen
Gerichts (s. nur etwa OLG Saarbrücken, NJW-RR 2011, 754 - juris Tz. 36).
14 Ein Ausnahmefall (vgl. etwa BGHZ 186, 152 - Tz. 16; BGH, NJW 2011, 2889 - Tz.
19; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2011, 754 - juris Tz. 36; OLG München, NJW
2011, 3729; von Selle, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK-ZPO, § 141 Rn. 2, 2.1; Greger,
MDR 2014, 312 ff.) liegt hier nicht vor. Die Beklagte kann sich nicht auf eine
Beweisnot (vgl. etwa BGHZ 186, 152 - Tz. 16; Greger, MDR 2014, 312, 316; von
Selle, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK-ZPO, § 141 Rn. 2, 2.1) und deshalb auch nicht auf
eine Beweiserleichterung berufen. Es liegt - wie bereits erwähnt - in der Hand des
Versicherers, etwaige Beweisschwierigkeiten zu vermeiden; verzichtet er - wie hier
- auf die Übersendung des Versicherungsscheins durch Einschreiben mit
Rückschein, ist dies ein Ergebnis seiner Kostenkalkulation, die ihm überlassen ist,
allerdings dazu führt, dass dann die Kosten zu tragen sind, die durch
Beweisfälligkeit entstehen (vgl. Rixecker, in: Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl., § 38
Rn. 20). Im Übrigen steht hier die Anhörung der nicht beweisbelasteten
Gegenpartei in Rede, Antrag auf Parteivernehmung (§ 445 Abs. 1 ZPO) ist von der
Beklagten indes nicht gestellt.
15
ee)
Sollte das Landgericht - woran mangels eindeutiger Formulierungen im Urteil
bereits gewichtige Zweifel bestehen - zu der Feststellung gelangt sein, der
einschlägige Versicherungsschein sei der Klägerin vor dem Verkehrsunfall am
31.01.2014 bzw. vor Zugang des Rücktrittsschreibens vom 26.02.2014
zugegangen, hätte diese Feststellung nach allem gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
keinen Bestand. Soweit das Landgericht auf an dem Vortrag der Klägerin
angeblich bestehende Zweifel abstellt (S. 5 oben des angefochtenen Urteils),
verkennt es die maßgebende Darlegungs- und Beweislast. Die einschlägige
Behauptung der Klägerin (gemeint: das Bestreiten des Zugangs) aufgrund der
Angaben der als Zeugin vernommenen Vermittlerin als „widerlegt“ anzusehen (s.
S. 5 des angefochtenen Urteils), ist ohne Basis. Demnach liegen jedenfalls
konkrete Anhaltspunkte vor, die Zweifel an den getroffenen Feststellungen
begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), weshalb der Senat diese etwaigen
Feststellungen seiner Entscheidung nicht zugrunde zu legen hat. Die damit
ausgeübte Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des
erstinstanzlichen Urteils obliegt dem Senat im Fall eines zulässigen Rechtsmittels,
wie es hier gegeben ist, ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge (vgl.
BGHZ 158, 269 - juris Tz. 19 ff.; BGH, VersR 2014, 1018 - Tz. 10). Schon deshalb
greift die Rüge der Berufungserwiderung nicht durch, die Berufungsbegründung
bezeichne keine konkreten Anhaltspunkte im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
II.
16 Der Zinsantrag ist aus Verzugsgesichtspunkten (§§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 Satz 1,
288 Abs. 1 BGB) gerechtfertigt. Antragsgemäß zuzuerkennen sind der Klägerin
auch die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Eine
Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das ihr nach
dem Vertrag nicht geschuldet ist, oder - wie es hier der Fall war - ein
Gestaltungsrecht ausübt, das nicht besteht, verletzt ihre Pflicht zur
Rücksichtnahme im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB (vgl. BGH, NJW 2009, 1262 - Tz.
17). Die sich aus § 280 Abs. 1 Satz BGB ergebende Verschuldensvermutung kann
die Beklagte nicht entkräften, sie trägt hierzu auch nicht vor.
III.
17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO sowie § 26 Nr. 8 EGZPO.
Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO).