Urteil des OLG Stuttgart vom 27.09.2016

treu und glauben, widerrufsrecht, verbraucher, vertragsschluss

OLG Stuttgart Urteil vom 27.9.2016, 6 U 46/16
Leitsätze
1. Der räumlich abgesetzte Zusatz "Bei mehreren Darlehensnehmern kann jeder Darlehensnehmer seine
Willenserklärung gesondert widerrufen" am Ende einer Widerrufsbelehrung in einem
Verbraucherdarlehensvertrag steht der Schutzwirkung des § 14 Abs.1 BGB-InfoV für die ansonsten nach Muster
erteilte Belehrung nicht entgegen. Der Zusatz ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden, weil er die Rechtslage
richtig wiedergibt.
2. Belehrt der Darlehensgeber hinsichtlich der Voraussetzungen des Beginns der Widerrufsfrist gemäß § 312d
Abs. 2 BGB dahin, dass die Frist "einen Tag nachdem" die in der Belehrung beschriebenen Ereignisse eingetreten
sind beginne, " jedoch nicht vor dem Tag des Abschlusses des Darlehensvertrages", verstößt dies gegen das
Deutlichkeitsgebot, weil dadurch der Fehlvorstellung Vorschub geleistet wird, in Bezug auf den Abschluss des
Darlehensvertrages sei die Widerrufsfrist im Gegensatz zu den weiteren genannten Ereignissen unter
Einschluss des Tages des Vertragsschlusses zu berechnen.
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 12. Zivilkammer das Landgerichts Stuttgart vom
19.2.2016 wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass sich die Darlehensverträge vom 28.5./2.6.2008 Nr. … über netto 65.000 EUR und Nr.
… über netto 90.000 EUR aufgrund des Widerrufs der Kläger in Rückabwicklungsschuldverhältnisse
umgewandelt haben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des
Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert in beiden Rechtszügen: 144.431 EUR
Gründe
I.
1 Die Parteien streiten um die Wirksamkeit und die Folgen des von den Klägern erklärten Widerrufs von drei
Darlehensverträgen.
1.
2 Die Kläger schlossen mit der Beklagten einen vom 19.5.2008 datierenden Darlehensvertrag (Bl. 168), der
folgende drei Einzeldarlehen umfasste: ein Annuitätendarlehen (Nr. …) über einen Betrag von 82.000,00
EUR mit einem bis 30.4.2023 festgeschriebenen Nominalzins von 5,09 %, ein zum 30.11.2033 endfälliges
Darlehen (Nr. …) über einen Betrag von 42.000 EUR mit einem bis 30.4.2023 festgeschriebenen
Nominalzins von 5,25 % und ein weiteres zum 30.11.2036 endfälliges Darlehen (Nr. …) über einen Betrag
von 42.000 EUR mit einem bis 30.4.2023 festgeschriebenen Nominalzins von 5,25 %.
3 Die Tilgung der endfälligen Darlehen sollte jeweils vorrangig aus dem Erlös einer fondsgebundenen
Kapitallebensversicherung bei der H. Lebensversicherungs AG erfolgen.
4 Dem Vertrag war folgende Widerrufsbelehrung beigefügt:
5 Am 2.6.2008 kamen zwischen den Klägern und der Beklagten im Wege des Fernabsatzes zwei weitere
Darlehensverträge über Annuitätendarlehen aus Mitteln der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zustande
(Bl. 168): ein Darlehen über 65.000 EUR (Nr. …) mit einem 30.6.2018 festgeschriebenen Nominalzins von
5,10 % und ein Darlehen über 90.000 EUR (Nr. …) mit einem bis 30.6.2018 festgeschriebenen Nominalzins
von 4,35 %.
6 Der Vertrag enthielt folgende Widerrufsbelehrung:
7 Ausweislich der Darlehensverträge dienten die Kredite dem Kauf und der Modernisierung eines
Zweifamilienhauses in R. Als Sicherheit für die genannten Darlehen bestellten die Kläger der Beklagten eine
Grundschuld an dem erworbenen Grundstück mit einem Nennbetrag von 321.000 EUR.
8 Die vereinbarten Darlehensraten zahlten die Kläger ab 30.9.2008, davon ausgenommen ist das
Annuitätendarlehen Nr. …, auf das die Kläger die Raten bereits ab 30.8.2008 erbrachten. Nach dem Vertrag
gestattete Sondertilgungen erfolgten nicht.
9 Unstreitig wurden die genannten Darlehensverträge von den Klägern widerrufen. Streitig ist lediglich, ob
der Widerruf die Beklagte bereits vor dem Anwaltsschreiben vom 26.9.2014 mit dem persönlichen Schreiben
der Kläger vom 27.6.2014 erreicht hat.
10 Mit ihrer Klage begehren die Kläger zuletzt die Feststellung, dass die streitgegenständlichen
Darlehensverträge durch Erklärung der Kläger wirksam widerrufen und in Rückgewährschuldverhältnisse
umgewandelt worden sind. Zur Begründung machen sie geltend, die ihnen erteilten Widerrufsbelehrungen
seien nicht ordnungsgemäß gewesen. Der Widerruf sei deshalb noch im Jahr 2014 möglich gewesen. Ferner
beantragen sie, die Beklagte zur Freistellung der Kläger von den nicht anrechnungsfähigen
außergerichtlichen Kosten in Höhe von Euro 2.399,99 zu verurteilen.
11 Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Widerrufsbelehrungen seien nicht zu beanstanden. Die Ausübung
des Widerrufsrechts erst im Jahre 2014 erfülle den Tatbestand der unzulässigen Rechtsausübung und der
Verwirkung nach § 242 BGB. Für den Fall, dass der Klage stattgegeben würde, hat sie schriftsätzlich eine
Eventualteilwiderklage erhoben, gerichtet auf Rückzahlung der offenen Darlehensvaluta der Darlehen mit
der Nr. … in Höhe von 60.333,58 EUR und der noch offenen Darlehensvaluta für das Darlehen mit der Nr. …
in Höhe von 81.808,60 EUR jeweils nebst gesetzlichen Zinsen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom
21.1.2016 hat die Beklagte ausdrücklich erklärt, die Anträge zur Hilfswiderklage nicht stellen zu wollen. Im
Berufungsverfahren hat die Beklagte klargestellt, dass die Klage dadurch zurückgenommen ist.
12 Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf die tatsächlichen
Feststellungen im Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
2.
13 Das Landgericht hat der Feststellungsklage mit der Begründung stattgegeben, die Darlehensverträge seien
wirksam widerrufen. In Bezug auf den Vertrag vom 19.5.2008 stehe der Hinweis am Ende der
Widerrufsbelehrung, dass bei mehreren Darlehensnehmern jeder Darlehensnehmer einzeln zum Widerruf
berechtigt sei, zwar nicht der Gesetzlichkeitsfiktion gemäß § 14 Abs. 1 BGB-InfoV entgegen. Der erteilte
Hinweis stehe aber mit der Rechtslage nicht in Einklang, da das Widerrufsrecht gemäß § 351 BGB nur von
allen Beteiligten gemeinsam ausgeübt werden könne. Die Belehrung zu dem Vertrag vom 28.5.2008 sei
ebenfalls nicht ordnungsgemäß, weil die Hinweise zur Fristberechnung nicht eindeutig seien. Soweit in der
Belehrung darüber informiert werde, dass die Frist einen Tag nach den beschriebenen fristauslösenden
Ereignissen beginne, werde nicht deutlich, dass dies auch für den Vertragsschluss gelte, bei dem es sich
ebenfalls um ein Ereignis im Sinne des § 187 Abs. 1 BGB handle.
14 Die Ausübung des Widerrufsrechts verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben. Ein Anspruch auf
Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten stehe den Klägern allerdings nicht zu.
3.
15 Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der diese ihren Antrag auf Abweisung der Klage
weiterverfolgt.
16 Soweit das Landgericht den Widerruf des Darlehensvertrages vom 19./26.05.2098 für wirksam gehalten
habe, habe das Landgericht zu Unrecht angenommen, dass das Widerrufsrecht von mehreren
Darlehensnehmern gemeinsam ausgeübt werden müsse. Aus den §§ 495, 355 Abs. 1 BGB ergebe sich
vielmehr, dass das Widerrufsrecht jedem Darlehensnehmer gesondert zustehe.
17 Auch die Belehrung zu den Verträgen vom 28.5.2008 sei nicht zu beanstanden. Das Landgericht
berücksichtige nicht, dass der Belehrungstext in Übernahme der gesetzlichen Regelung den Vertragsschluss
nicht positiv als fristauslösendes Ereignis beschreibe, sondern als bloßes Negativmerkmal ohne dessen
Vorliegen die Frist nicht beginne. Hierauf sei § 187 Abs. 1 BGB nicht anwendbar, weil das Gesetz auf den
Beginn des Tages des Vertragsschlusses und nicht auf das Ereignis des Vertragsschlusses abstelle. Auch aus
der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG und der Richtlinie zum Fernabsatz zum Fernabsatz von
Finanzdienstleistungen 2002/16/EG ergebe sich, dass die Frist mit dem Tag des Vertragsschlusses beginne.
Bei europarechtskonformer Auslegung sei § 187 Abs. 1 BGB folglich nicht anwendbar. Die vom Landgericht
monierte Unklarheit sei bereits im Gesetz angelegt und falle deshalb nicht in den Verantwortungsbereich
des Unternehmers. Im Übrigen könne greife auch insoweit die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV.
18 Die Beklagte beantragt:
19 Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19.2.2016 mit dem Az. 12 O
290/15 abgeändert und die Klage abgewiesen.
20 Die Kläger beantragen,
21 die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
22 Sie verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen ihr Vorbringen, die zu dem Vertrag vom 19.5.2008
erteilte Widerrufsbelehrung genieße nicht den Schutz des § 14 BGB-InfoV und weiche von der gesetzlichen
Rechtslage ab. Dies ergebe sich zum einen aus § 351 BGB, der auch für den Widerruf gelte. Selbst wenn
man dies nicht annehmen würde, würden sich die Folgen aus § 139 BGB ergeben, wonach es auf den zu
ermittelnden Parteiwillen ankomme. Demgegenüber vermittle die Belehrung das Verständnis, dass der
Widerruf eines Darlehensnehmers ohne weiteres zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages führe.
23 Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in zweiter Instanz wird auf die eingereichten Schriftsätze
verwiesen.
II.
24 Die Berufung der Beklagten ist begründet, soweit das Landgericht den Widerruf des Vertrages vom
19.5.2008 für wirksam erachtet hat.
1.
25 Zu Recht hat das Landgericht die Feststellungsklage für zulässig gehalten.
a)
26 Zwar ist die Wirksamkeit des Widerrufs selbst kein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO, sondern
nur eine Vorfrage für die Rechtsfolgen des Widerrufs. Statthaft ist die Feststellungsklage aber, wenn sie
darauf gerichtet ist, dass ein Rechtsverhältnis mit geändertem Inhalt fortbesteht. Der Widerruf, der nach
dem Gesetz als besonderes Rücktrittsrecht ausgestaltet ist, bewirkt nicht die Aufhebung des
Darlehensvertrages, sondern seine inhaltliche Umgestaltung mit den sich aus den §§ 357, 346, 347 BGB
ergebenden Rechtsfolgen (BGH v. 13.4.2011 – VIII ZR 220/10; v. 17.3.2004 – VIII ZR 265/03; v. 10.7.1998 –
V ZR 360/96; v. 14.3.2000 - X ZR 115/98; Senat v. 6.10.2015 – 6 U 148/14). Diese Inhaltsänderung kann
zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden.
b)
27 Die Kläger haben auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung dieser Rechtswirkung des Widerrufs.
Insbesondere können sie nicht auf die Erhebung einer Leistungsklage verwiesen werden. Eine
Feststellungsklage des Darlehensnehmers ist von Anfang an zulässig, wenn sich nach einer Aufrechnung der
wechselseitigen Ansprüche aus dem Rückabwicklungsschuldverhältnis kein Saldo zu seinen Gunsten
ergeben würde (Senat v. 14.4.2015 - 6 U 66/14; OLG Dresden v. 11.6.2015 – 8 U 1760/14).
2.
28 Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet, weil den Klägern kein Widerrufsrecht mehr zustand. Die
Widerrufsfrist war bei Abgabe der Widerrufserklärungen im Jahr 2013 und 2014 bereits abgelaufen.
a)
29 Maßgeblich sind die bei Abschluss des Vertrages geltenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches
über Verbraucherverträge nach den Änderungen durch das OLG - Vertretungsänderungsgesetz vom
23.7.2002 (BGBl. I S. 2850) in der bis zum 10.6.2010 gültigen Fassung (Art 229 § 9 Abs.1 Nr.2 und § 22
Abs. 2 EGBGB).
b)
30 Zwar genügt eine Widerrufsbelehrung nicht den Anforderungen nach § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB, wenn sie
den Hinweis enthält, dass die Frist für den Widerruf "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" beginne (BGH
v. 9.12.2009 - VIII ZR 219/08 Tz. 13, 15; v. 29.04.2010 - I ZR 66/08 Tz. 21; v. 1.12.2010 - VIII ZR 82/10 Tz.
12; v. 2.2.2011 - VIII ZR 103/10 Tz. 14; v. 28.06.2011 - XI ZR 349/10 Tz. 34). Soweit die Beklagte aber den
Text der Musterbelehrung vollständig und unverändert übernommen hat, genießt die Belehrung den Schutz
des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV.
31 aa) Gemäß § 16 BGB-InfoV in der ab 1.4.2008 geltenden Fassung ist § 14 Abs. 1 bis 3 BGB-InfoV auch auf
solche Belehrungen über das Widerrufsecht anzuwenden, die den bis zum 31.3.2008 geltenden Mustern
entsprechen und dem Verbraucher vor dem 1.10.2008 in Textform mitgeteilt worden sind. Die Beklagte
durfte demnach das bis 31.3.2008 geltende Muster verwenden.
32 bb) Ein Unternehmer kann die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs nur dann mit Erfolg geltend machen, wenn er gegenüber dem Verbraucher ein Formular
verwendet hat, das dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV in der jeweils maßgeblichen Fassung
sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht. Greift der Unternehmer
hingegen in das ihm zur Verfügung gestellte Muster durch eigene Bearbeitung ein, tritt die Wirkung des § 14
Abs.1 BGB-InfoV nicht ein und zwar unabhängig vom konkreten Umfang der vorgenommenen Änderungen
(BGH v. 28.6.2011 - XI ZR 349/10 Tz. 37 ff.; v. 9.12.2009 - VIII ZR 219/08; v. 1.3.2012 - III ZR 83/11; v.
18.3.2014 - II ZR 109/13).
33 In der Belehrung der Beklagten ist der Text der bis 31.3.2008 geltenden Musterbelehrung unter den
Überschriften „Widerrufsrecht“ und „Widerrufsfolgen“ inhaltlich unverändert wiedergegeben, ohne dass er
einer inhaltlichen Bearbeitung unterzogen worden wäre.
34 Der Umstand, dass die Beklagte in der Belehrung räumlich abgesetzt unter der Überschrift „Mehrere
Darlehnsnehmer“ einen ergänzenden Hinweis erteilt hat, steht dem nicht entgegen (Senat v. 20.5.2014 – 6
U 182/13).
35 Gibt der Unternehmer dem Verbraucher ohne in den Text der Musterbelehrung einzugreifen an anderer
Stelle weitergehende Informationen zum Widerrufsrecht und betreffen diese Hinweise Aspekte des
Widerrufsrechts, die den Inhalt der Musterbelehrung nicht berühren oder in Frage stellen, ist darin keine
Überarbeitung des Belehrungsmusters zu sehen. Das gilt auch, wenn der Unternehmer, um dem Vorwurf
der Intransparenz zu entgehen, diese selbständige Zusatzinformation räumlich abgesetzt und unter eigener
Überschrift der Widerrufsbelehrung beifügt. Es wäre unangemessen, einem Unternehmer, der seine
Widerrufsbelehrung exakt nach dem Muster gestaltet, den Vertrauensschutz nur deshalb zu entziehen, weil
er ein zusätzliches Informationsbedürfnis auf Seiten des Verbrauchers erkennt, zu dem die Musterbelehrung
schweigt. Nur dann, wenn er das erkannte Defizit zum Anlass nimmt, die Musterbelehrung selbst zu
überarbeiten, kann er sich wegen des damit verbundenen Eingriffs in den Mustertext nicht mehr auf die
Wirkungen des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV berufen. Das gilt aber nicht, wenn er den Mustertext unberührt lässt
und erkennbar abgesetzt dem Verbraucher eine selbständige, den Inhalt des Mustertextes nicht betreffende
Zusatzinformation gibt.
36 Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.3.2014 – II ZR 109/13 – ist nichts Gegenteiliges zu
entnehmen. Es ist zwar richtig, dass danach Zusatzinformationen selbst dann schädlich sein können, wenn
sie inhaltlich zutreffend zugunsten des Belehrungsempfängers erteilt werden. In dem vom
Bundesgerichtshof entschiedenen Fall waren die Zusatzinformationen aber deshalb schädlich, weil sie mit
abweichendem Inhalt in den Text der Musterbelehrung integriert waren und damit eine inhaltliche
Überarbeitung des Musters bzw. ein Eingriff in den Mustertext zu bejahen war. Die Beklagte hat hingegen in
keiner Weise in die Musterbelehrung selbst eingegriffen.
37 Eine Abweichung vom Muster der Widerrufsbelehrung liegt auch nicht darin, dass die Beklagte beide
Darlehensnehmer als Adressaten der Belehrung in das Formular aufgenommen hat. Zu der Frage, wie bei
mehreren Darlehensnehmern zu verfahren ist, macht die Musterbelehrung keine Vorgaben. Die Beklagte
war daher frei, ob sie für jeden der Darlehensnehmer gesonderte Belehrungen fertigt oder den
Darlehensnehmern ein Exemplar überlässt, das sich an beide richtet.
c)
38 Durch die über den Text der Musterbelehrung hinausgehenden Hinweise zum Widerrufsrecht hat die
Beklagte nicht gegen die gesetzliche Vorgabe verstoßen, die Kläger deutlich und inhaltlich zutreffend über
ihr Widerrufsrecht in Kenntnis zu setzen (§ 355 Abs. 2 S.1 BGB). Soweit die Beklagte die
Widerrufsbelehrung unter der Überschrift „Mehrere Darlehensnehmer“ dahin ergänzt hat, dass jeder
Darlehensnehmer seine Willenserklärung gesondert widerrufen kann, handelt es sich um einen inhaltlich
zutreffenden und mit Blick auf das Deutlichkeitsgebot unschädlichen Zusatz.
39 aa) Der Hinweis gibt die Rechtslage richtig wieder: Schließen mehrere natürliche Personen gemeinschaftlich
als Darlehensnehmer einen widerruflichen Verbrauchervertrag ab, darf jeder unabhängig vom anderen von
seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen (Masuch in: Münchener Kommentar, BGB, 6. Aufl., § 355 Rn. 29;
Schürnbrand in: Münchener-Kommentar, BGB, 6. Aufl., § 491 Rn.14; Kessal-Wulf in: Staudinger, BGB (2012),
§ 491 Rn.20 und § 495 Rn.19; Müller-Christmann in Nobbe, Kommentar zum Kreditrecht, § 495 Rn.9). In
entsprechender Anwendung des § 139 BGB hat der Widerruf durch einen der Darlehensnehmer
grundsätzlich die Rückabwicklung des gesamten Vertrages zur Folge (Kessal-Wulf in: Staudinger, BGB
(2012), § 495, Rn. 19).
40 Soweit das OLG Karlsruhe (Urteil v. 15.12.2015 – 17 U 145/14) und das Landgericht in der angefochtenen
Entscheidung annehmen, aus der Verweisung in § 357 Abs. 1 BGB folge, dass das Widerrufsrecht gemäß §
351 BGB von mehreren Berechtigten nur gemeinsam ausgeübt werden könne (so auch Kaiser in Staudinger
(BGB), § 355 Rn. 42 f.), schließt sich der Senat dem nicht an.
41 Unabhängig davon, ob § 357 Abs. 1 BGB als Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung zu verstehen ist,
richtet sich die Frage, wem das Widerrufsrecht bei einem Verbraucherdarlehen zusteht, vorrangig nach den
besonderen gesetzlichen Regelungen in den §§ 495, 355 BGB. In diesen Bestimmungen ist die Frage, was
bei Vertragsschluss durch mehrere Verbraucher gilt, zwar nicht ausdrücklich angesprochen. Nach Sinn und
Zweck des Gesetzes ist das durch § 495 BGB begründete Widerrufsrecht des Darlehensnehmers aber jedem
einzelnen Verbraucher eingeräumt. Das gesetzliche Widerrufsrecht soll dem Verbraucher die Möglichkeit
verschaffen, sich voraussetzungslos von dem - gleich aus welchem Grund - als ungünstig erkannten
Darlehensvertrag lösen zu können. Dieses Lösungsrecht muss sich gerade auch auf die erst durch den
Vertrag begründete gemeinschaftliche Berechtigung und Verpflichtung als Gesamtschuldner beziehen.
Insofern ist die Situation beim Rücktrittsrecht im Allgemeinen anders, weil es sich dabei nicht um ein
Gestaltungsrecht handelt, das an Mängel der Willensbildung beim Vertragsschluss anknüpft. Das
Widerrufsrecht zielt demgegenüber darauf ab, die Bindung an einen nicht gewollten Vertrag zu beseitigen
und steht insofern dem Anfechtungsrecht näher. Für letzteres ist anerkannt, dass es bei Rechtsgeschäften,
an denen mehrere Personen beteiligt sind, jedem selbständig zusteht (Roth in Staudinger, BGB (2015), §
143, Rn. 15).
42 Nach dem Regel-Ausnahmeverhältnis in § 139 BGB erstrecken sich die Wirkungen des Widerrufs
grundsätzlich auf alle Darlehensnehmer. Dabei ist für die Belehrung über das gesetzliche Widerrufsrecht
maßgebend, was gelten soll, wenn einer der Darlehensnehmer innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei
Wochen den Widerruf erklärt. Schließt der Darlehensgeber den Vertrag von vornherein mit mehreren
Kreditnehmern ab, so ist davon auszugehen, dass er auch den Fortbestand der einzelnen Kreditverhältnisse
davon abhängig machen möchte, dass jedes von ihnen endgültig wirksam und von keinem der Verbraucher
binnen zwei Wochen widerrufen wird (Staudinger/Sibylle Kessal-Wulf (2012) BGB § 495, Rn. 19). Umgekehrt
ist auch anzunehmen, dass ein Darlehensnehmer, der die vertraglichen Pflichten aus dem Darlehensvertrag
nicht allein übernehmen will, nicht bereit ist, den Vertrag fortzuführen, wenn ein weiterer
Mitdarlehensnehmer sich innerhalb der Frist von zwei Wochen von diesem löst.
43 Soweit durch den Widerruf des einen Vertragspartners in die Entscheidungsfreiheit des anderen
Verbrauchers eingegriffen wird, fallen dessen Belange nicht unter den eigentlichen Schutzzweck des
Verbraucherrechts, das darauf abzielt, den Verbraucher, der sich in einer strukturell schlechteren
Verhandlungsposition befindet, vor unüberlegten Vertragsschlüssen zu schützen. Deshalb gebührt dem im
Gesetz verankerten Schutz des Widerrufenden Vorrang. Grenzen der Ausübung des Widerrufsrechts im
Hinblick auf die Belange des Mitdarlehensnehmers können sich allenfalls aus Treu und Glauben ergeben (§
242 BGB).
44 Im vorliegenden Fall enthält der streitgegenständliche Vertrag vom 19.5.2008 unter Nr.6 („Annahme dieses
Vertragsangebots“) zudem die ausdrückliche Regelung, dass der Darlehensvertrag insgesamt unwirksam
wird, wenn einer von mehreren Darlehensnehmern von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht. Da die
Belehrung der Beklagten zu den Widerrufsfolgen insoweit auch keine Modifikation enthält, bringt sie
hinreichend zum Ausdruck, dass der Darlehensvertrag danach insgesamt rückabzuwickeln ist.
45 bb) Die Belehrung zur Ausübung des Widerrufsrecht bei mehreren Darlehensnehmern verstößt auch nicht
gegen das Deutlichkeitsgebot. Danach ist nicht schlechthin jeglicher Zusatz zur Belehrung untersagt. Dem
Zweck der Belehrung entsprechend sind Ergänzungen vielmehr als zulässig anzusehen, soweit sie die
Belehrung verdeutlichen. Lediglich Erklärungen, die einen eigenen Inhalt aufweisen und weder für das
Verständnis noch für die Wirksamkeit der Widerrufsbelehrung von Bedeutung sind und die deshalb von ihr
ablenken, sind mit dem Deutlichkeitsgebot nicht zu vereinbaren (BGH v. 4.7.2002 - I ZR 55/00). Gemessen
daran, ist der Zusatz, den die Beklagte in die Belehrung eingefügt hat, unschädlich. Er ist vielmehr geeignet,
die naheliegende Frage zu klären, ob die Kläger den Widerruf notwendig gemeinsam erklären müssen, und
dient damit der Verdeutlichung der Belehrung über das Widerrufsrecht.
d)
46 Die Kläger wurden von der Beklagten folglich ordnungsgemäß belehrt, sodass die Frist für ihr Widerrufsrecht
gemäß § 355 Abs. 2 BGB bereits abgelaufen war, als sie den Widerruf erklärt haben.
III.
47 Keinen Erfolg hat die Berufung der Beklagten soweit sie sich gegen die Feststellung des Landgerichts
wendet, dass sich die Fernabsatzverträge vom 2.6.2008 in Rückabwicklungsschuldverhältnisse gewandelt
haben.
48 Auch insoweit ist die Feststellungsklage zulässig. Sie ist auch begründet, weil der unstreitig von den Klägern
erklärte Widerruf gemäß § 355 Abs. 2 BGB noch rechtzeitig erfolgte.
1.
49 Die Widerrufsbelehrung der Beklagten ist nicht gemäß § 14 Abs. 1 BGB-InfoV als gesetzeskonform zu
behandeln, weil die Beklagte die maßgeblichen Musterbelehrungen (sowohl in der ab 1.4.2008 als auch in
der davor geltenden Fassung) in Bezug auf den Fristbeginn einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung
unterzogen hat.
50 Soweit in der Belehrung ausgeführt wird, die Frist beginne einen Tag nachdem die im Belehrungstext in vier
Unterpunkten erläuterten Ereignissen eingetreten sind, war dies von Gesetzes wegen zwar nicht
erforderlich, weil das Gesetz vom Unternehmer lediglich verlangt, das den Fristablauf auslösende Ereignis zu
nennen, ohne dass die weitere Fristberechnung gemäß §§ 187 ff. BGB erläutert werden müsste (BGH v.
27.4.1994 - VIII ZR 223/93 Tz. 21). Der Bundesgerichtshof sieht in einer solchen Belehrung aber lediglich
eine unschädliche Anpassung an die Regelung des § 187 BGB (BGH v. 20.11.2012 - II ZR 264/10; v.
18.3.2014 - II ZR 109/13).
51 Hier liegt aber deshalb keine bloße Anpassung der Belehrung zum Fristbeginn an die Regelung des § 187
BGB vor, weil die Belehrung gerade insoweit gegen das Deutlichkeitsgebot verstößt, wie unten näher
auszuführt ist. Hinzukommt, dass der Fristbeginn in Bezug auf den Vertragsschluss als weitere Bedingung
gerade abweichend vom Muster erläutert wird. Nach dem Gestaltungshinweis (3) des Musters - den Beginn
der Widerrufsfrist bei Fernabsatzverträgen betreffend - soll bei der Erbringung von Dienstleistungen
hinzugefügt werden: „jedoch nicht vor Vertragsschluss“. Demgegenüber lautet die Belehrung der Beklagten
insoweit wie folgt: “(…) nicht jedoch vor dem Tag des Abschlusses des Darlehensvertrages“.
52 Angesichts dieser Abweichungen vom Muster kann sich die Beklagte nicht auf die Schutzwirkung gemäß §
14 Abs. 1 BGB-InfoV berufen (Senat v. 14.4.2015 – 6 U 66/14; v. 29.9.2015 – 6 U 21/15; v. 6.9.2016 – 6 U
207/15).
2.
53 Die Belehrung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung.
54 Der mit dem Widerrufsrecht bezweckte Schutz des Verbrauchers erfordert eine unmissverständliche und für
den Verbraucher eindeutige Belehrung. Der Verbraucher soll dadurch nicht nur von seinem Widerrufsrecht
Kenntnis erlangen, sondern auch in die Lage versetzt werden, dieses unter Ausschöpfung der Widerrufsfrist
auszuüben. Er ist deshalb (auch) über den Beginn der Widerrufsfrist unmissverständlich zu informieren (BGH
v. 13.01.2009 - XI ZR 118/08; v. 10.03.2009 - XI ZR 33/08).
55 Belehrt der Darlehensgeber hinsichtlich der Voraussetzungen des Beginns der Widerrufsfrist gemäß § 312 d
Abs. 2 BGB aber dahin, dass die Frist "einen Tag nachdem" die in der Belehrung beschriebenen Ereignisse
eingetreten sind, beginne, " jedoch nicht vor dem Tag des Abschlusses des Darlehensvertrages", verstößt
dies gegen das Deutlichkeitsgebot, weil dadurch der Fehlvorstellung Vorschub geleistet wird, in Bezug auf
den Abschluss des Darlehensvertrages sei die Widerrufsfrist im Gegensatz zu den weiteren genannten
Ereignissen unter Einschluss des Tages des Vertragsschlusses zu berechnen (Senat v. 14.4.2015 – 6 U 66/14;
v. 29.9.2015 – 6 U 21/15; v. 6.9.2016 – 6 U 207/15).
a)
56 Soweit das Gesetz in § 312 d Abs. 2 BGB den Beginn der Widerrufsfrist bei Fernabsatzverträgen an den
Vertragsschluss knüpft, ist die Frist auch insoweit gemäß § 187 Abs. 1 BGB zu berechnen mit der Folge, dass
der Tag des Vertragsschlusses nicht mitzurechnen ist.
57 aa) Allerdings kann dies dem Wortlaut des Gesetzes wegen der negativen Fassung des Tatbestandes („nicht
vor dem Tage des Vertragsschlusses“) nicht unmittelbar entnommen werden. Entgegen der Auffassung der
Beklagten ist durch diese negative Formulierung aber nicht ausgeschlossen, dass das Gesetz den Fristlauf an
das Ereignis des Vertragsschlusses knüpft. Die negative Formulierung ändert nichts daran, dass der
Gesetzgeber den Beginn der Widerrufsfrist bei Fernabsatzverträgen vom Vertragsschluss abhängig gemacht
und damit eine weitere Bedingung für den Fristlauf statuiert hat. Die negative Formulierung lässt lediglich
offen, ob für die Fristberechnung der Beginn des Tages des Vertragsschlusses (§ 187 Abs. 2 BGB) oder
letzterer als Ereignis maßgebend sein soll (§ 187 Abs. 1 BGB).
58 bb) Die Gesetzgebungsgeschichte gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber in Bezug auf den
Vertragsschluss eine Tagesanfangsfrist gemäß § 187 Abs. 2 BGB regeln wollte. Die Formulierung, dass die
Frist für den Widerruf eines Fernabsatzvertrages bei der Lieferung von Waren nicht vor dem Tag ihres
Eingangs beim Empfänger, bei der wiederkehrenden Lieferung gleichartiger Waren nicht vor dem Tag des
Eingangs der ersten Teillieferung und bei Dienstleistungen nicht vor dem Tag des Vertragsabschlusses
beginnt, geht auf das Gesetz über Fernabsatzverträge vom 27.6.2000 (BGBl. I, S. 897) zurück. Dem
Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 9.2.2000 lässt sich zu der Regelung über den Beginn der
Widerrufsfrist in § 3 Abs. 1 S. 2 FernAbsG entnehmen, dass die Vorschrift Artikel 6 Abs. 1 Unterabsatz 2 und
4 FARL in redaktionell gestraffter Form zusammenfasse, wonach die Frist nämlich mit Erfüllung der
Informationspflichten, bei der Lieferung von Waren jedoch nicht vor deren Eingang beim Empfänger und bei
der Erbringung von Dienstleistungen nicht vor Abschluss des Vertrages beginne (BT-Drucks. 14/2658, S. 43).
Dass § 3 Abs. 1 S. 2 FernAbsG eine Tagesanfangsfrist gemäß § 187 Abs. 2 BGB regeln könnte, wurde
offensichtlich nicht erwogen, vielmehr ist in dem Entwurf nur von den Ereignissen als fristauslösenden
Umständen die Rede.
59 Durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie vom 29.7.2009 (BGBl. 2009, 2355) wurde
§ 312 d Abs. 2 BGB dahingehend geändert, dass die Widerrufsfrist unter anderem „nicht vor
Vertragsschluss“ beginnt, sodass das Gesetz nunmehr schon dem Wortlaut nach eindeutig eine Ereignisfrist
geregelt hat. Begründet wurde die Neufassung des § 312 d Abs. 2 BGB lediglich mit der redaktionellen
Anpassung der Verweisungen und einer Vereinfachung des Wortlauts (Gesetzesentwurf der
Bundesregierung vom 5.11.2008, BT-Drucks. 16/11643, S. 69). Eine Änderung des Regelungsgehalts der
Norm sollte damit offenbar nicht verbunden sein. Der Gesetzgeber ging also ersichtlich davon aus, dass auch
§ 312 d Abs. 2 BGB in der hier anwendbaren Fassung insgesamt unter § 187 Abs. 1 BGB falle. Dem
entspricht auch der Text der Musterbelehrung, der - wie oben ausgeführt - den Vertragsschluss im
Gestaltungshinweis (3) eindeutig als fristauslösendes Ereignis beschreibt.
60 cc) Europarechtliche Vorgaben bestanden für den Gesetzgeber insoweit nicht. Soweit sich die Beklagte auf
die Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG vom 20.5.1997 (FARL) bezieht, ergibt sich daraus nicht, dass nur die
Regelung einer Tagesanfangsfrist richtlinienkonform wäre. Zwar besagt Art 6 Abs. 1 FARL u.a., dass die
Widerrufsfrist bei Dienstleistungen „mit dem Tag des Vertragsschlusses“ beginne. Zum einen fallen aber
Finanzdienstleistungen und damit auch Verbraucherkredite gar nicht in den Anwendungsbereich der
Richtlinie (Art. 3 Abs. 1 FARL) und zum anderen regelt die Richtlinie lediglich eine Mindestharmonisierung
(Art. 14 FARL). So gibt die Richtlinie nur das Recht des Verbrauchers vor, sich von dem Vertrag innerhalb
einer Frist von mindestens 7 Werktagen zu lösen (Art. 6 Abs. 1 FARL). Entsprechend war der deutsche
Gesetzgeber auch frei, eine längere Widerrufsfrist von 2 Wochen zu regeln und diese zugunsten des
Verbrauchers insgesamt als Ereignisfrist auszugestalten.
61 Auch der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen – umgesetzt durch das Gesetz zur
Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen vom 2. Dezember 2004
(BGBl I, 2004, 3102) ist nicht zu entnehmen, dass dem deutschen Gesetzgeber eine Tagesanfangsfrist
vorgegeben wäre.
62 Art. 6 der Richtlinie bestimmt, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass der Verbraucher innerhalb
einer Frist von 14 Kalendertagen den Vertrag widerrufen kann, wobei die Widerrufsfrist „am Tag des
Abschlusses des Fernabsatzvertrags“ oder an dem Tag beginnen soll, an dem der Verbraucher die
Vertragsbedingungen und die zu erteilenden Informationen erhält, wenn dieser Zeitpunkt nach dem
Vertragsschluss liegt. Dem kann die Anordnung einer Tagesanfangsfrist nicht entnommen werden. Die Frist
soll „am“ Tag des Vertragsschlusses und nicht „mit“ dem Tag des Vertragsschlusses beginnen. Auch im
Übrigen können der Richtlinie keine Vorgaben entnommen werden, wie der nationale Gesetzgeber die
Fristberechnung zu regeln hat.
63 dd) Da der deutsche Gesetzgeber danach frei war, eine Tagesanfangs- oder eine Ereignisfrist zu regeln und
weder dem Wortlaut des Gesetzes noch der Gesetzgebungsgeschichte eindeutige Anhaltspunkte für die
Annahme einer Tagesanfangsfrist entnommen werden können, fällt entscheidend ins Gewicht, dass der
Schutzzweck des Gesetzes für die Anwendung des § 187 Abs. 1 BGB spricht.
64 Auch die in § 355 BGB geregelten allgemeinen Bedingungen des Fristbeginns sind als Ereignisse im Sinne
des § 187 Abs. 1 BGB ausgestaltet. Die verlängernde Fristberechnung gemäß § 187 Abs. 1 BGB stellt den
gesetzlichen Regelfall dar. Ihre Anwendung ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn einer gesetzlichen
Frist - wie der Widerrufsfrist - eine Schutzfunktion zukommt (Repgen in Staudinger, BGB (2014), § 187 Rn.
2). Eine verkürzende Fristberechnung, wie sie § 187 Abs. 2 BGB vorsieht, entspricht danach nicht dem
Zweck der gesetzlichen Regelung in § 312 d Abs. 2 BGB. Ein sachlicher Grund, die Frist insoweit abweichend
von den allgemeinen Voraussetzungen des Fristbeginns gemäß § 355 BGB verkürzend zu berechnen,
besteht nicht.
65 ee) Die Berechnung der Widerrufsfrist gemäß § 312 d Abs. 2 BGB richtet sich deshalb nach § 187 Abs. 1
BGB (Wendehorst in Münchner Kommentar, BGB, 6. Aufl., § 312 d Rn. 86; Grüneberg in Palandt, BGB, 68.
Aufl., § 312 d Rn. 6; Palm in Erman, BGB 11. Aufl., § 187 Rn. 1; Repgen in Staudinger, BGB (2014), § 187
Rn.6).
b)
66 Gemessen daran, fehlt der Belehrung der Beklagten die notwendige Eindeutigkeit, weil darin zwar für die in
einer Aufzählung zunächst genannten Bedingungen des Fristbeginns (Erhalt der Widerrufsbelehrung, der
Vertragsurkunde bzw. des schriftlichen Antrags, der AGB sowie der Verbraucherinformationen) ein Hinweis
zur Fristberechnung gemäß § 187 Abs.1 BGB erteilt wird, für den Vertragsschluss als weitere Bedingung des
Fristbeginns ein solcher Hinweis zur Fristberechnung aber fehlt. Der erste Halbsatz der Belehrung über den
Fristbeginn macht deutlich, dass die Frist erst einen Tag nach den in den folgenden Unterpunkten
aufgezählten Ereignissen beginnt. Eine solche Klarstellung erfolgt im zweiten Halbsatz für den
Vertragsschluss als weitere Voraussetzung nicht. Der gewählte Satzbau lässt auch nicht erkennen, dass sich
die einleitende Wendung „einen Tag nachdem“ auch auf das Erfordernis des Vertragsschlusses beziehen soll.
Vielmehr lässt die Wendung „nicht vor dem Tag des Abschlusses des Darlehensvertrages“ auch die Deutung
zu, bei der Fristberechnung sei gemäß § 187 Abs. 2 BGB der Beginn des Tages des Vertragsschlusses
maßgebend.
67 Die gewählte Formulierung ist deshalb geeignet, beim Verbraucher die Fehlvorstellung hervorzurufen, dass
der Tag des Vertragsschlusses bei der Fristberechnung mitzuzählen ist. Es wird nicht hinreichend deutlich,
dass die Frist auch in Bezug auf den Vertragsschluss gemäß § 187 Abs. 1 BGB zu berechnen ist und der Tag
des Vertragsschlusses nicht gemäß § 187 Abs. 2 BGB in die Frist einzurechnen ist.
c)
68 Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, der festgestellte Mangel der Belehrung beruhe ausschließlich auf
der Unklarheit des Gesetzes und könne ihr deshalb nicht angelastet werden.
69 Der Mangel der Belehrung hat seinen Grund nicht allein in der Übernahme des Gesetzestextes, sondern
beruht entscheidend darauf, dass die Beklagte ergänzende Erläuterungen zur Fristberechnung für alle
fristauslösenden Umstände bis auf den Vertragsschluss erteilt hat, und dadurch den unzutreffenden Eindruck
erweckt hat, dass die Frist unterschiedlich zu berechnen sei. Das wäre vermeidbar gewesen, wenn die
Beklagte - dem Vorschlag der Musterbelehrung folgend - allein den Vertragsschluss als weiteres für den
Fristbeginn notwendiges Ereignis beschrieben hätte, oder - sollte sie insoweit über die Rechtslage im
Unklaren gewesen sein - den Hinweis zur Fristberechnung insgesamt unterlassen hätte. Durch die
vorgenommene Differenzierung hat sie aber den unzutreffenden Eindruck erweckt, die für den Fristbeginn
maßgeblichen Ereignisse seien in Bezug auf die Fristberechnung unterschiedlich zu behandeln.
3.
70 Die Ausübung des Widerrufsrechts verstößt nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der Herleitung von
Rechten des Verbrauchers aus einem wegen eines Belehrungsfehlers möglichen Widerruf eines vor langer
Zeit abgeschlossenen Verbraucherdarlehensvertrages kann der Einwand der Verwirkung oder des Verstoßes
gegen Treu und Glauben nicht generell und nicht allein wegen des Zeitablaufs und der Erfüllung der
vertraglichen Pflichten des Verbrauchers in Unkenntnis der fortbestehenden Widerruflichkeit
entgegengehalten werden. Eine Treuwidrigkeit kommt vielmehr nur wegen Besonderheiten im Einzelfall in
Betracht (OLG Stuttgart v. 6.9.2016 – 6 U 207/15), die hier nicht gegeben sind.
a)
71 Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, der Widerruf des Darlehensvertrages sei rechtsmissbräuchlich (§
242 BGB).
72 Selbst wenn der Widerruf des Verbrauchers von dem Motiv getragen ist, sich nach langer Zeit wegen des
gegenwärtig niedrigen Zinsniveaus von dem Darlehensvertrag zu lösen, steht das der Ausübung des
Widerrufsrechts nicht entgegen. Da das Gesetz es dem freien Willen des Verbrauchers überlässt, ob und aus
welchen Gründen er seine Vertragserklärung widerruft, kann aus dem Schutzzweck der das Widerrufsrecht
gewährenden gesetzlichen Regelung grundsätzlich nicht auf eine Einschränkung des Widerrufsrechts nach §
242 BGB geschlossen werden (BGH v. 12.7.2016 – XI ZR 501/15 Rn. 23).
73 Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, wie gravierend der Mangel der
Widerrufsbelehrung war und ob er sich im Fall der Kläger überhaupt konkret ausgewirkt hat, denn nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Wirksamkeit des Widerrufs nicht voraus, dass der Mangel
der Belehrung ursächlich dafür war, dass der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch
gemacht hat. Das Gesetz knüpft unabhängig davon, ob der Verbraucher durch die unzureichende Belehrung
tatsächlich einer Fehlvorstellung über das Bestehen und die Modalitäten der Ausübung eines
Widerrufsrechts unterlag, allein an die objektive Gesetzeswidrigkeit der Widerrufsbelehrung die Sanktion
eines nicht befristeten Widerrufsrechts des Verbrauchers. Entscheidend ist, dass die erteilte Belehrung
generell – ohne Rücksicht auf die Schutzwürdigkeit des Verbrauchers im Einzelfall – geeignet ist, den
Verbraucher von der Ausübung seines gegen den Darlehensvertrag gerichteten Widerrufsrechts abzuhalten
(BGH v. 23.6.2009 - XI ZR 156/08 Tz.25). Das Widerrufsrecht besteht selbst dann, wenn feststeht, dass der
Widerruf auch bei ordnungsgemäßer Belehrung nicht rechtzeitig ausgesprochen worden wäre, weil
andernfalls das Ziel des Gesetzes unterlaufen würde, den Unternehmer zu einer ordnungsgemäßen
Belehrung über das Widerrufsrecht anzuhalten (BGH v. 13.1.1983 – III ZR 30/82).
74 Es stellt danach keinen Rechtsmissbrauch dar, sondern ist von der Ausgestaltung des Widerrufsrechts durch
das Gesetz und die Rechtsprechung gedeckt, wenn ein Verbraucher dieses Recht nach längerer Zeit ausübt,
obwohl er nicht konkret durch den Mangel der Belehrung an der fristgerechten Ausübung gehindert war.
Genauso wenig handelt er missbräuchlich, wenn er, nachdem er von seinem Widerrufsrecht Kenntnis
erlangt hat, eine mittlerweile eingetretene Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum
Anlass nimmt, sich durch Widerruf von dem nachteilhaft gewordenen Vertrag zu lösen (zuletzt Senat v.
24.11.2015 – 6 U 140/14; 6.10.2015 – 6 U 148/14).
75 Unter Berücksichtigung des beiderseitigen Parteivortrags und umfassender Abwägung der Parteiinteressen
sieht der Senat im hier zu entscheidenden Einzelfall keine Konstellation, bei der die Einrede aus § 242 BGB
begründet wäre.
b)
76 Die Kläger haben ihr Widerrufsrecht auch nicht verwirkt, weil die Würdigung der gesamten Umstände des
Falles ergibt, dass das für den Verwirkungseinwand erforderliche Umstandsmoment nicht gegeben ist.
77 aa) Bei der Verwirkung handelt es sich um einen Fall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB), die in
der illoyal verspäteten Geltendmachung eines Rechts liegt. Dieser Einwand kommt auch gegenüber dem
Widerruf eines Verbraucherdarlehens in Betracht. Allerdings gelten insoweit keine Besonderheiten. Der
Einwand ist also nur unter den von der Rechtsprechung anerkannten Voraussetzungen berechtigt, dass seit
dem Zustandekommen des Verbrauchervertrags längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere
Umstände hinzutreten, die auf dem Verhalten des Berechtigten beruhen (Umstandsmoment). Die
Verwirkung setzt voraus, dass sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen
gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde
sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben
verstößt. Der Verpflichtete muss aus dem Verhalten des Berechtigten bei objektiver Betrachtung entnehmen
dürfen, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner kommt eine Verwirkung nur in
Betracht, wenn sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen
Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer
Nachteil entstünde (BGH v. 12.7.2016 – XI ZR 501/15 Rn. 40; v. 23.1.2014 - VII ZR 177/13 Rn. 13; v.
7.5.2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101, Rn. 39; v. 6.3.1986 – III ZR 195/84, BGHZ 97, 212, Rn. 36).
78 bb) Es muss nicht entschieden werden, unter welchen weiteren Voraussetzungen der Einwand der
Verwirkung greift, wenn der Verbraucher sein Widerrufsrecht positiv gekannt und gleichwohl über einen
längeren Zeitraum nicht ausgeübt hat, denn dass die Kläger von dem ihnen bekannten Widerrufsrecht erst
nach unangemessen langer Zeit Gebrauch gemacht hätten, ist nicht behauptet.
79 cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der notwendige Vertrauenstatbestand auch nicht daraus
abgeleitet werden, dass die Kläger über einen längeren Zeitraum Leistungen auf den Vertrag erbracht
haben.
80 Zwar schließt die Tatsache, dass die Kläger von dem Widerrufsrecht erst im Zuge der anwaltlichen Beratung
erfahren haben, den Einwand der Verwirkung nicht von vornherein aus, weil er auch ohne Rücksicht auf die
subjektive Kenntnis und Willensrichtung des Berechtigten in Betracht kommt. Das setzt aber voraus, dass
der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung aus dem Verhalten des Berechtigten schließen durfte, dass
dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete mit einer Rechtsausübung
durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen brauchte und sich entsprechend darauf einrichten durfte
(BGH v. 16.3.2007 - V ZR 190/06; v. 27.6.1957 - II ZR 15/56). Die Vorstellung, der Gläubiger wolle seine
Rechte nicht mehr geltend machen, er unterlasse die Rechtsauübung also bewusst, bedingt die weitere
berechtigte Annahme des Verpflichteten, dass dem Gläubiger seine Rechte auch bekannt sind. An dem für
eine Verwirkung erforderlichen Vertrauenstatbestand fehlt es folglich regelmäßig, wenn der Schuldner davon
ausgehen muss, dass der Berechtigte keine Kenntnis von den ihm zustehenden Rechten hat (BGH v.
15.9.1999 – I ZR 57/97, Rn. 24).
81 Liegen keine besonderen Umstände vor, muss der Darlehensgeber, der dem Darlehensnehmer eine
fehlerhafte Widerrufsbelehrung erteilt hat, regelmäßig davon ausgehen, dass dieser von seinem
Widerrufsrecht keine Kenntnis hat. Die gesetzliche Regelung geht davon aus, dass der Verbraucher über die
Modalitäten des Widerrufsrechts nicht informiert ist, und verpflichtet den Darlehensgeber deshalb dazu, den
Darlehensnehmer hierüber zu belehren. Bereits angesichts dieser Ausgangslage darf der Darlehensgeber
nicht das Wissen des Darlehensnehmers um den Mangel der Belehrung und das daran geknüpfte
unbefristete Widerrufsrecht voraussetzen. Ohne konkrete gegenteilige Anhaltspunkte muss der
Darlehensnehmer vielmehr unterstellen, dass der Verbraucher zunächst keine Kenntnis von seinem
unbefristeten Widerrufsrecht hat, so dass der Widerruf auch noch nach langer Zeit erfolgen kann, sollte der
Verbraucher später von der Rechtslage Kenntnis erlangen. Aufgrund des Umstandes, dass der
Darlehensvertrag über lange Zeit erfüllt wird, darf der Darlehensnehmer folglich nicht darauf vertrauen, der
Verbraucher werde sein Widerrufsrecht nicht ausüben. Auch die vollständige Abwicklung des Darlehens
ändert grundsätzlich nichts daran, dass für den Darlehensgeber kein Anlass besteht anzunehmen, der
Verbraucher kenne sein - trotz der vollständigen Vertragserfüllung fortbestehendes - Widerrufsrecht. Auch
bei dem beendeten Vertrag müssen deshalb weitere Umstände hinzutreten, die für die Schutzwürdigkeit des
Darlehensgebers sprechen.
82 dd) Ein schutzwürdiges Vertrauen kann der Unternehmer in Fällen wie dem vorliegenden auch deshalb
regelmäßig nicht für sich in Anspruch nehmen, weil er den mit dem unbefristeten Widerrufsrecht
verbundenen Schwebezustand selbst herbeigeführt hat, indem er eine fehlerhafte Belehrung erteilt hat
(BGH v. 24.2.2016 – IV ZR 142/15, Rn. 16; v. 7.5.2014 - IV ZR 76/11, Rn. 39 zum Versicherungsvertrag).
Die mit der unterlassenen oder nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung verbundenen Nachteile hat
grundsätzlich der Geschäftspartner des Verbrauchers zu tragen (BGH v. 18.10.2004 - II ZR 352/02).
Verstößt der Unternehmer gegen seine Pflicht, dem Verbraucher eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung
zu erteilen, darf er nicht darauf vertrauen, er habe durch seine Belehrung die Widerrufsfrist in Lauf gesetzt.
Er muss erkennen, dass dem Verbraucher nach dem Gesetz ein zeitlich nicht befristetes Widerrufsrecht
zusteht. Gegen die Schutzwürdigkeit des Unternehmers spricht zudem, dass er den dadurch entstandenen
Schwebezustand durch eine Nachbelehrung beenden kann, dies zumindest in Fällen, in denen der
Darlehensvertrag – wie hier – noch nicht vollständig abgewickelt ist (BGH v. 12.7.2016 – XI ZR 501/15 Rn.
41).
83 Es ist zwar denkbar, dass den Interessen des Darlehensgebers im Einzelfall Vorrang gebührt und er
schutzwürdig ist, obwohl er eine Belehrung erteilt hat, die nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen hat
und er auch nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, eine Nachbelehrung zu erteilen (BGH v.
12.7.2016 – XI ZR 501/15 Rn. 41). Im vorliegenden Fall sind aber keine besonderen Umstände gegeben, die
eine entsprechende Wertung rechtfertigen würden. Insbesondere war der Vertrag im Zeitpunkt des
Widerrufs nicht seit längerer Zeit abgewickelt (dazu BGH v. 12.7.2016 – XI ZR 501/15 Rn. 41), was
allerdings für sich genommen regelmäßig auch kein hinreichender Grund ist, die vorrangige
Schutzwürdigkeit des Unternehmers zu bejahen, denn nach dem Gesetz gilt das Widerrufsrecht auch bei
abgewickelten Verträgen und verliert auch nach diesem Zeitpunkt für den Verbraucher seine wirtschaftliche
Bedeutung nicht.
84 ee) Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte im Vertrauen darauf, dass ein Widerruf
unterbleiben würde, so eingerichtet hat, dass ihr durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein
unzumutbarer Nachteil entstanden wäre.
4.
85 Da der Widerruf danach wirksam war, hat das Landgericht der Feststellungsklage insoweit zu Recht
stattgegeben.
IV.
86 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 S.1 und 2 ZPO. Angesichts des beiderseitigen
Obsiegens und unter Berücksichtigung der jeweils mit den Darlehensverträgen verbundenen monatlichen
Belastungen der Kläger waren die Kosten gegeneinander aufzuheben. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
87 Die Revision wird insgesamt zugelassen. Die Rechtssache hat bereits wegen der Frage, ob bei Abschluss des
Verbraucherdarlehensvertrages mit mehreren Darlehensnehmern der Widerruf nur gemeinsam erklärt
werden kann, grundsätzliche Bedeutung. Zudem hat der Bundesgerichtshof in einem gleich liegenden
Parallelverfahren die Revision zugelassen.
88 Der Streitwert ist mit den von den Klägern behaupteten Leistungen auf die Darlehensverträge (144.431,-
EUR; Bl. 171) zu bemessen.