Urteil des OLG Stuttgart vom 06.10.2015

treu und glauben, widerrufsrecht, verbraucher, verzinsung

OLG Stuttgart Urteil vom 6.10.2015, 6 U 148/14
Verbraucherkreditvertrag: Umfang der Rückabwicklung nach wirksamer
Widerrufserklärung; Anspruch des Darlehensnehmers auf Herausgabe
geleisteter Zinsen und gezogener Nutzungen; Anrechnung von Steuervorteilen;
Einwand der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs
Leitsätze
1. Liegt kein Fall verbundener Verträge gemäß § 358 BGB vor, erstreckt sich die
Rückabwicklung des wirksam widerrufenen Verbraucherdarlehens nicht auf
Leistungen des Darlehensnehmers, die dieser zur Tilgung des Darlehens erbracht
hat. Dementsprechend kann der Darlehensnehmer nicht die Herausgabe aus der
Tilgung gezogener Nutzungen verlangen.
2. Die an den Darlehensgeber geleisteten Zinsen sind einschließlich tatsächlich
gezogener Nutzungen an den Darlehensnehmer herauszugeben. Soweit nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichthofs zu vermuten ist, dass eine Bank aus
eingenommenen Geldern Nutzungen im Wert des üblichen Verzugszinses gezogen
hat, beträgt der Zinssatz bei Immobiliardarlehensverträgen 2,5 Prozentpunkte über
dem Basiszinssatz für das Jahr.
3. Eine Anrechnung von Steuervorteilen des Darlehensnehmers findet nicht statt. Die
Grundsätze über die Vorteilsausgleichung gelten in Bezug auf Steuervorteile beim
Widerruf eines Verbraucherdarlehens nur im Falle verbundener Verträge
entsprechend. Steuervorteile sind auch nicht als Nutzungen im Sinne der §§ 346 Abs.
1, 100 BGB zu qualifizieren.
4. Zum Einwand der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts
Stuttgart vom 2.9.2014 wird zurückgewiesen.
2. Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil aufgehoben und die Klage
abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.
4. Dieses Urteil und im Umfang der Zurückweisung der Berufung auch das
angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn
nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 95.000 EUR
Gründe
I.
1 Die Parteien streiten um die Wirksamkeit und die Folgen des vom Kläger erklärten
Widerrufs eines Darlehensvertrages.
1.
2 Aufgrund Vertrages vom 23.12.2005 (K1) gewährte die Beklagte dem Kläger ein
durch Grundschulden gesichertes Darlehen in Höhe von 580.000,00 Euro. Der
Zinssatz betrug 3,6 % und war bis 30.11.2015 fest vereinbart. Dem Kläger waren
Sondertilgungen bis zu einem Betrag von 35.000,00 EUR jährlich erlaubt. Mit dem
Kredit finanzierte der Kläger drei Eigentumswohnungen in einem Mehrfamilienhaus
in L., die er aufgrund eines Bauträgervertrages von der M. Bau- und
Handelsgesellschaft mbH (nachfolgend M. GmbH) zum Zwecke der Vermietung
erwarb. Der Kläger gehörte zu den Gesellschaftern der M. GmbH und war zudem
einer der Geschäftsführer.
3 Dem Darlehensvertrag war folgende Widerrufsbelehrung beigefügt:
4 Bevor das Darlehen vollständig zurückbezahlt war, erklärte der Kläger mit
Anwaltsschreiben vom 25.4.2013 den Widerruf seiner dem Darlehensvertrag
zugrunde liegenden Willenserklärung. Am 14.5.2013 übersandte der Kläger der
Beklagten eine Abrechnung der wechselseitigen Ansprüche. Dem ist die Beklagte
mit Schreiben vom 5.8.2013 entgegengetreten. In der Zeit nach dem Widerruf zog
die Beklagte bis zum 27.8.2014 weitere 15 Monatsraten, insgesamt 52.500,00
Euro ein.
5 Der Kläger hat daraufhin zunächst Klage mit dem Ziel der Feststellung der
Wirksamkeit des Widerrufs erhoben. Nachdem das Landgericht Bedenken gegen
die Zulässigkeit einer Feststellungsklage erhoben hat, hat er einen bezifferten
Leistungsantrag gestellt. Nach Verrechnung der im Zeitpunkt des Widerrufs am
25.4.2013 offenen Darlehensvaluta in Höhe von 88.583,13 EUR mit den von der
Beklagten aus Zins- und Tilgungsleistungen gezogenen Nutzungen in Höhe von
119.811,10 EUR schulde die Beklagte ihm noch 31.227,97 EUR. Dabei sei zu
vermuten, dass die Beklagte Nutzungen gezogen habe, die einer Verzinsung mit
einem Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
entspreche. Ferner habe sie die nach dem Widerruf bis zum 27.8.2014 weiter
eingezogenen monatlichen Darlehensraten in Höhe von jeweils 3.500,00 EUR,
insgesamt 52.500,00 EUR nebst daraus gezogener Nutzungen in Höhe von
919,20 EUR zu erstatten.
6 Die Beklagte hat eingewendet, der Kläger habe nicht als Verbraucher gehandelt.
Selbst wenn dem Kläger ein Widerrufsrecht zustehen würde, habe der Kläger
dieses zu spät ausgeübt, da die Widerrufsbelehrung der zum Zeitpunkt des
Vertragsschlusses geltenden Musterbelehrung in den maßgeblichen Punkten
entspreche. Jedenfalls aber habe der Kläger ein Widerrufsrecht verwirkt. Eine
Vermutung, dass sie aus Zins- und Tilgungsleistungen Nutzungen gezogen habe,
deren Wert einer Verzinsung mit dem gesetzlichen Verzugszinssatz entspreche,
bestehe nicht.
7 Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf die
tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
2.
8 Das Landgericht hat dem Kläger lediglich 483,16 EUR zugesprochen und die
Klage im Übrigen abgewiesen. Der Widerruf des Darlehensvertrages sei zwar
wirksam, nach Verrechnung der wechselseitigen Ansprüche verbleibe aber
lediglich der ausgeurteilte Betrag.
9 Bei dem Darlehensvertrag handle es sich um ein Verbraucherdarlehen. Die
Finanzierung der drei Eigentumswohnungen sei dem Bereich der privaten
Vermögensverwaltung zuzurechnen und habe deshalb keinen berufs- oder
gewerbsmäßigen Charakter. Danach habe dem Kläger ein Widerrufsrecht
zugestanden, das er angesichts der nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung
auch rechtzeitig ausgeübt habe. Da die erteilte Belehrung in mehreren
Formulierungen von dem Belehrungsmuster in Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV
abweiche, genieße die Beklagte keinen Vertrauensschutz. Der in der Belehrung
erteilte Hinweis, die Frist für den Widerruf beginne „frühestens mit Erhalt dieser
Belehrung“ widerspreche dem Deutlichkeitsgebot. Der Kläger habe sein
Widerrufsrecht auch nicht verwirkt. Die Beklagte habe nicht darauf vertrauen
dürfen, dass dem Kläger die Fehlerhaftigkeit der Widerrufsbelehrung und sein
daraus folgendes unbefristetes Widerrufsrecht bekannt gewesen sei.
10 Infolge des Widerrufs habe die Beklagte dem Kläger die erbrachten Zins- und
Tilgungsleistungen in Höhe von 577.500,00 EUR zu erstatten. Da bei Zahlungen
an eine Bank eine tatsächliche Vermutung dafür bestehe, dass sie aus erlangten
Geldern Nutzungen im Wert des üblichen Verzugszinses in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ziehe, schulde die Beklagte den vom
Kläger berechneten Nutzungsersatz in Höhe von 119.811,10 EUR.
Demgegenüber sei der Kläger zur Rückzahlung der Darlehensvaluta in Höhe von
580.000,00 EUR verpflichtet. Darüber hinaus schulde er eine Verzinsung zu den
Bedingungen des Darlehensvertrages. Unter Berücksichtigung des Umstandes,
dass dem Kläger infolge der ratenweisen Tilgung das Darlehen nicht während der
gesamten Zeit in vollem Umfang zur Verfügung gestanden habe, betrage die vom
Kläger geschuldete Verzinsung 81.673,83 EUR. Nach Verrechnung der genannten
Positionen und dem unstreitig zur Rückzahlung noch offenen Darlehen in Höhe
von 88.583,31 EUR zugunsten der Beklagten einerseits und der vom Kläger weiter
gezahlten Raten in Höhe von 52.500,00 EUR sowie des darauf entfallenden
Nutzungsersatz in Höhe von 929,20 EUR zugunsten des Klägers andererseits
verbleibe nur ein Zahlungsanspruch des Klägers über 483,16 EUR.
3.
11 Mit seiner Berufung greift der Kläger die ganz überwiegende Abweisung seiner
Klage an. Er macht geltend, dem Landgericht sei ein Rechenfehler unterlaufen,
weil es die im Zeitpunkt des Widerrufs offene Darlehensvaluta von 88.583,31 EUR
zu seinem Nachteil doppelt berücksichtigt habe. Im Übrigen habe das Landgericht
den Widerruf zu Recht für wirksam erachtet und sei auch zutreffend davon
ausgegangen, dass die Beklagte Nutzungen aus den Zins- und
Tilgungsleistungen im Wert einer Verzinsung mit dem gesetzlichen Verzugszins
gemäß § 288 Abs. 1 BGB gezogen habe. Die Beklagte habe die insoweit geltende
Vermutung nicht widerlegt. Bestätigt werde die Vermutung durch den Umstand,
dass die Beklagte im Jahr 2014 eine Dividende von 5,6 % an ihre Mitglieder
ausgeschüttet habe.
12 Der Kläger beantragt:
13 Das Urteil des Landgerichts Stuttgart 21. Zivilkammer vom 2.9.2014 - 21 O6
190/13 - wird abgeändert und die Beklagte verurteilt:
14 1. Die Beklagte wird verurteilt, einen Betrag in Höhe von 31.227,97 EUR zuzüglich
Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
seit dem 25.4.2013 zu bezahlen.
15 2. Die Beklagte wird verurteilt, einen Betrag in Höhe von 52.500,00 EUR an den
Kläger zu bezahlen.
16 3. Die Beklagte wird verurteilt, einen Betrag in Höhe von 919,20 EUR an den
Kläger zu bezahlen.
17 Die Beklagte hat gegen das am 3.9.2014 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom
6.10.2014 - bei Gericht eingegangen am selben Tag - ebenfalls Berufung eingelegt
(Bl. 132). Mit Schriftsatz vom 20.11.2014 hat sie zudem Anschlussberufung
eingelegt.
18 Zur Begründung trägt sie vor, das Landgericht habe den Widerruf zu Unrecht für
wirksam erachtet. Dem Kläger habe bereits kein Widerrufsrecht zugestanden, weil
er als Unternehmer gehandelt habe. Zudem sei ein Widerruf jedenfalls verspätet,
weil die Belehrung ordnungsgemäß gewesen sei. Dabei sei insbesondere zu
berücksichtigen, dass die Vertragsunterzeichnung in Anwesenheit der Parteien in
der Filiale der Beklagten in L. erfolgt sei. Dabei sei der Kläger über sein
Widerrufsrecht und den Beginn der Frist zusätzlich mündlich belehrt worden,
sodass seitens des Klägers keine Unklarheit über sein Widerrufsrecht bestanden
haben könne. Erfolge das Vertragsangebot zeitgleich mit dessen Annahme, führe
die Formulierung, die Widerrufsfrist beginne frühestens mit Erhalt der Belehrung,
nicht zu Unklarheiten, weil ein anderer Zeitpunkt für den Fristbeginn als der
Vertragsschluss nicht ernsthaft in Betracht komme. Dass der Kläger als versierter
Kaufmann angesichts der günstigen Darlehenskonditionen bei Abschluss des
Vertrages bei ordnungsgemäßer Belehrung den Widerruf erklärt hätte, sei
vollkommen ausgeschlossen.
19 Die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger sei rechtsmissbräuchlich und
erfülle den Tatbestand der Verwirkung. Dem Verbraucher sei das gesetzliche
Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen zu dem Zweck eingeräumt
worden, den Vertragsschluss zu überdenken und sich innerhalb einer kurzen Frist
von dem Vertrag wieder zu lösen. Zwar dürfe der Verbraucher das Widerrufsrecht
ohne Begründung ausüben, nicht aber aus sachfremden Motiven. Übe der
Darlehensnehmer sein Widerrufsrecht - wie der Kläger hier - erkennbar allein
deswegen aus, um sich wirtschaftlich günstigere Darlehenskonditionen zu sichern,
stehe dies in keinerlei Zusammenhang mehr mit der Vertragsabschlusssituation, in
der die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers anzuerkennen sei. Dass der
Widerruf missbräuchlich erfolgt sei, zeige sich auch daran, dass sich der
Prozessbevollmächtigte des Klägers vor dem Widerruf mit Schreiben vom
10.4.2013 an die Beklagte gewandt habe und mitgeteilt habe, er wolle angesichts
des Widerrufsrechts des Klägers eine einvernehmliche Lösung erreichen. Darüber
hinaus habe der - im Kern zutreffend belehrte - Kläger sein Widerrufsrecht verwirkt,
nachdem er das Darlehen länger als sieben Jahre anstandslos bedient habe und
zudem Sondertilgungen geleistet habe.
20 Die Berechnung der zu verrechnenden Forderungen sei insoweit fehlerhaft, als
das Landgericht zugunsten des Klägers einen Anspruch auf Nutzungsersatz auf
die von ihm erbrachten Leistungen im Wert einer Verzinsung mit dem gesetzlichen
Verzugszinssatz in die Berechnung eingestellt habe. Angesichts der
Zinsentwicklung der letzten Jahre könne die vom Bundesgerichtshof bei anderen
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angenommene tatsächliche Vermutung für
Nutzungen in dieser Höhe nicht gelten. Wenn überhaupt schulde sie ohnehin nur
den Ersatz von tatsächlich gezogenen Nutzungen aus Zinszahlungen des Klägers
nicht aber aus dessen zur Tilgung geleisteten Zahlungen. Nach dem Zuschnitt
ihrer Geschäftstätigkeit sei die Anwendung der Vermutung nicht gerechtfertigt.
Zinsgünstige Immobiliardarlehen an ihre Mitglieder, die im Wesentlichen durch
Kundeneinlagen refinanziert würden, machten einen Großteil ihrer Bilanzsumme
aus; im Jahr 2013 81,39 %. Dabei sei aber weiter zu berücksichtigen, dass sie
Nutzungen allenfalls im Umfang des Rohgewinns gezogen habe, der sich aus der
Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten Zins und dem
Refinanzierungszins ergebe. Diese Marge betrage zwischen 0,3 % und 0,5 %. Der
Margenbarwert sei negativ. Der Kläger müsse sich zudem die Steuervorteile
anrechnen lassen, die er im Zusammenhang mit dem finanzierten
Grundstückserwerb erzielt habe.
21 Die Beklagte beantragt,
22 1. das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen;
2. die Berufung zurückzuweisen
23 Hilfsweise,
24 das Verfahren wegen der Feststellung der Höhe des Nutzungsersatzes an die I.
Instanz zurückzuverweisen.
25 Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in zweiter Instanz wird auf die
eingereichten Schriftsätze verwiesen.
26 Mit Beschluss vom 11.8.2015 hat der Senat das schriftliche Verfahren angeordnet
und als Termin, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden dürfen, den 28.8.2015
bestimmt.
II.
27 Die eingelegten Rechtsmittel sind zulässig; das der Beklagten ist als
Anschlussberufung zu behandeln.
28 Zwar hat die Beklagte ihre Berufung nicht innerhalb der Frist des § 517 BGB
eingelegt, jedoch ging innerhalb der Frist, die der Beklagten zur Erwiderung auf die
Berufung des Klägers gesetzt war, ihre als Anschlussberufung bezeichnete
Begründung ein. Die unzulässige Berufung der Beklagten ist danach in eine
gemäß § 524 ZPO zulässige Anschlussberufung umzudeuten. In der Regel will
eine Partei ihre unzulässige Hauptberufung als zulässige Anschlussberufung
weiterführen (BGH v. 30.10.2008 - III ZB 41/08). Nur über diese ist neben der
Berufung des Klägers zu befinden.
III.
29 Die Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat
zwar zutreffend entschieden, dass der Widerruf des Darlehensvertrages wirksam
ist. Unabhängig vom zu Recht gerügten Fehler in der Berechnung des Landgericht
verbleibt jedoch nach Verrechnung der aus dem Widerruf folgenden
Zahlungsansprüche, die der Kläger zum Gegenstand seiner Klage gemacht hat,
mit den Gegenansprüchen der Beklagten kein Saldo zugunsten des Klägers. Auf
die Anschlussberufung hin war das angefochtene Urteil deshalb abzuändern und
die Klage insgesamt abzuweisen.
1.
30 Maßgeblich sind die bei Abschluss des Vertrages geltenden Bestimmungen des
Bürgerlichen Gesetzbuches über Verbraucherverträge nach den Änderungen
durch das OLG - Vertretungsänderungsgesetz vom 23.7.2002 (BGBl. I S. 2850) in
der bis zum 10.6.2010 gültigen Fassung (Art 229 § 9 Abs.1 Nr.2 EGBGB).
2.
31 Der Kläger hat sein Widerrufsrecht gemäß § 495 BGB wirksam und ohne Verstoß
gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeübt. Ob die Beklagte die Wirksamkeit
des Widerrufs im Schreiben vom 8.5.2013 anerkannt hat, kann offen bleiben.
a)
32 Dem Kläger stand gemäß §§ 495, 355 BGB ein Widerrufsrecht zu. Das
Landgericht hat den entgeltlichen Darlehensvertrag, den die Parteien geschlossen
haben, zutreffend als Verbraucherdarlehen im Sinne des § 491 Abs. 1 BGB
eingeordnet, weil der Kläger den Vertrag als Verbraucher (§ 13 BGB) geschlossen
hat.
33 Verbraucher ist gemäß § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft
zu einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer
selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Die Tatsache, dass
der Kläger mit dem Kredit drei Eigentumswohnungen finanziert hat, um aus deren
Vermietung Einnahmen zu erzielen, rechtfertigt nicht den Schluss, er habe einen
gewerblichen oder beruflichen Zweck verfolgt. Der Erwerb eines oder mehrerer
Mietobjekte fällt in den Bereich der Verwaltung des eigenen Vermögens, die auch
dann grundsätzlich dem privaten und nicht dem unternehmerischen Bereich
zugerechnet wird, wenn es sich um die Anlage beträchtlichen Kapitals handelt.
Berufsmäßigen oder gewerblichen Charakter erlangt die Vermögensverwaltung
erst dann, wenn die mit ihr verbundenen Geschäfte einen Umfang annehmen, der
einen planmäßigen Geschäftsbetrieb, wie etwa die Unterhaltung eines Büros oder
einer Organisation erfordert (BGH v. 23. 10. 2001 - XI ZR 63/01). Dafür, dass die
Verwaltung der Eigentumswohnungen des Klägers einen solchen Umfang
angenommen hat, bietet der Sachvortrag der Parteien keinen Anhaltspunkt.
34 Der Verbrauchereigenschaft des Klägers steht auch nicht entgegen, dass die
Immobilien von der M. GmbH veräußert wurden, deren Gesellschafter und
Geschäftsführer der Kläger war. Zwar mag dem Kläger mittelbar am
Umsatzinteresse der Gesellschaft gelegen gewesen sein. Der primäre Zweck des
Kredits war aber privater Natur. Ein Gesellschafter und Geschäftsführer einer
GmbH, der persönlich eine vertragliche Verpflichtung eingeht, ist selbst dann als
Verbraucher zu behandeln, wenn dies zum Vorteil der Gesellschaft und zur
Förderung von deren Unternehmenstätigkeit geschieht (BGH v. 28.6.2000 - VIII ZR
240/99; Micklitz/Purnhagen in Münchener Kommentar, BGB, 7. Aufl., § 13 Rn. 60).
b)
35 Der Widerruf erfolgte noch innerhalb der Widerrufsfrist, weil der Kläger nicht
ordnungsgemäß belehrt wurde.
36 aa) Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, die erteilte Widerrufsbelehrung
müsse gemäß § 14 der BGB-Informationspflichten-Verordnung (BGB-InfoV) als
ordnungsgemäß behandelt werden, weil sie eine dem Muster entsprechende
Belehrung verwendet habe.
37 Ein Unternehmer kann die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV nach
ständiger Rechtsprechung nur dann mit Erfolg geltend machen, wenn er
gegenüber dem Verbraucher ein Formular verwendet hat, das dem Muster der
Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV in der jeweils maßgeblichen Fassung sowohl
inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht. Greift der
Unternehmer hingegen in das ihm zur Verfügung gestellte Muster durch eigene
Bearbeitung ein, tritt die Wirkung des § 14 Abs.1 BGB-InfoV nicht ein und zwar
unabhängig vom konkreten Umfang der vorgenommenen Änderungen. Mit
Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit möglicher individueller Veränderungen des
Musters lässt sich keine verallgemeinerungsfähige bestimmte Grenze ziehen, bei
deren Einhaltung eine Schutzwirkung noch gelten und ab deren Überschreitung
sie bereits entfallen soll (BGH v. 28.06.2011 - XI ZR 349/10 Tz. 37 ff.; v. 9.12.2009
- VIII ZR 219/08; v. 1.3.2012 - III ZR 83/11; v. 18.3.2014 - II ZR 109/13).
38 Wie das Landgericht im Einzelnen dargelegt hat, weist die Belehrung der
Beklagten im Wortlaut deutliche Abweichungen von der Musterbelehrung auf,
sodass die Beklagte sich nicht auf die die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-
InfoV berufen kann. Dies gilt insbesondere für den Hinweis auf die Monatsfrist,
sofern „nicht taggleich mit dem Vertragsabschluss“ belehrt werde.
39 bb) Die von der Beklagten erteilte Belehrung war in Bezug auf den Beginn der
Widerrufsfrist nicht ordnungsgemäß. Eine Widerrufsbelehrung genügt nicht den
Anforderungen nach § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB, wenn sie den Hinweis enthält, dass
die Frist für den Widerruf "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" beginne. Die
Verwendung des Wortes "frühestens" ermöglicht es dem Verbraucher nicht, den
Fristbeginn ohne weiteres zu erkennen; er vermag der Belehrung lediglich zu
entnehmen, dass die Widerrufsfrist "jetzt oder später" beginnen, der Beginn des
Fristablaufs also gegebenenfalls noch von weiteren Voraussetzungen abhängen
soll. Der Verbraucher wird jedoch im Unklaren gelassen, welche etwaigen weiteren
Umstände dies sind (BGH v. 9.12.2009 - VIII ZR 219/08 Tz. 13, 15; v. 29.04.2010 -
I ZR 66/08 Tz. 21; v. 1.12.2010 - VIII ZR 82/10 Tz. 12; v. 2.2.2011 - VIII ZR 103/10
Tz. 14; v. 28.06.2011 - XI ZR 349/10 Tz. 34).
40 cc) Soweit die Beklagte meint, dieser Mangel sei angesichts der konkreten
Umstände des Vertragsschlusses nicht erheblich, weil der Kläger bei der
Vertragsunterzeichnung in der Filiale der Beklagten in L. über sein Widerrufsrecht
und den Beginn der entsprechenden Frist auch mündlich belehrt worden sei,
verfängt dies nicht.
41 Mündliche Erläuterungen zum Widerrufsrecht des Verbrauchers können schon
deshalb die Widerrufsfrist nicht in Lauf setzen, weil die Belehrung gemäß § 355
Abs. 2 S. 1 BGB eine Unterrichtung in Textform verlangt. Auch die Annahme,
angesichts der mündlichen Erläuterung könne sich der Belehrungsmangel nicht
ausgewirkt haben, steht dem Widerrufsrecht des Klägers nicht entgegen. Für den
Lauf der Widerrufsfrist kommt es nicht darauf an, ob der Mangel der Belehrung
ursächlich dafür war, dass der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht keinen
Gebrauch gemacht hat. Entscheidend ist vielmehr, dass die erteilte Belehrung
durch ihre nicht gesetzeskonforme Fassung generell geeignet ist, den Verbraucher
von der Ausübung seines gegen den Darlehensvertrag gerichteten
Widerrufsrechts abzuhalten (BGH v. 23.6.2009 - XI ZR 156/08 Tz.25; Senat v.
29.5.2015 - 6 U 110/14).
42 Selbst wenn unterstellt wird, dass dem Kläger am Tag der Vertragsunterzeichnung
in der Filiale der Beklagten die Vertragsurkunde oder sein Darlehensantrag im
Original oder in Abschrift samt Widerrufsbelehrung ausgehändigt worden ist, die
Widerrufsfrist also gemäß § 355 Abs.2 S.3 BGB an diesem Tag begonnen hat,
ändert dies nichts daran, dass die Belehrung zum Fristbeginn durch den Zusatz
„frühestens“ unklar ist, weil der Eindruck erweckt wird, die Frist könne auch zu
einem späteren Zeitpunkt beginnen, ohne dass klargestellt wäre, unter welchen
Voraussetzungen dies der Fall sein soll.
c)
43 Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, der Widerruf der Darlehensverträge sei
rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB), weil nicht davon auszugehen sei, dass die
beanstandeten Belehrungsmängel beim Kläger tatsächlich eine Fehlvorstellung
hervorgerufen haben, der Widerruf vielmehr ausschließlich durch das allgemein
gesunkene Zinsniveau motiviert sei.
44 Wie bereits ausgeführt, setzt die Wirksamkeit des Widerrufs nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht voraus, dass der Mangel der
Belehrung ursächlich dafür war, dass der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht
keinen Gebrauch gemacht hat. Das Gesetz knüpft unabhängig davon, ob der
Verbraucher durch die unzureichende Belehrung tatsächlich einer Fehlvorstellung
über das Bestehen und die Modalitäten der Ausübung eines Widerrufsrechts
unterlag, allein an die objektive Gesetzeswidrigkeit der Widerrufsbelehrung die
Sanktion eines nicht befristeten Widerrufsrechts des Verbrauchers. Das
Widerrufsrecht besteht selbst dann, wenn feststeht, dass der Widerruf auch bei
ordnungsgemäßer Belehrung nicht rechtzeitig ausgesprochen worden wäre, weil
andernfalls das Ziel des Gesetzes unterlaufen würde, den Unternehmer zu einer
ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerrufsrecht anzuhalten (BGH v.
13.1.1983 - III ZR 30/82). Wie bei anderen Gestaltungsrechten kommt es
grundsätzlich auch nicht auf die Motive des Verbrauchers an. Es soll seinem freien
Willen überlassen bleiben, ob er seine Vertragserklärung wirksam werden lassen
will oder nicht (BGH v. 19.2.1986 - VIII ZR 113/85). Entsprechend bedarf der
Widerruf auch keiner Begründung.
45 Es stellt danach keinen Rechtsmissbrauch dar, sondern ist von der beschriebenen
Ausgestaltung des Widerrufsrechts durch das Gesetz und die Rechtsprechung
gedeckt, wenn ein Verbraucher dieses Recht ausübt, obwohl er nicht konkret
durch den Mangel der Belehrung an der fristgerechten Ausübung gehindert war.
Genauso wenig handelt er missbräuchlich, wenn er, nachdem er von seinem
Widerrufsrecht Kenntnis erlangt hat, eine mittlerweile eingetretene Veränderung
der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Anlass nimmt, sich durch Widerruf
von dem Vertrag zu lösen. Es entspricht vielmehr dem Zweck des Widerrufsrechts,
dass der Verbraucher von dem Vertrag Abstand nehmen kann, wenn er innerhalb
der Widerrufsfrist am Markt ein günstigeres Kreditangebot erhält oder das Darlehen
aus anderen Gründen nicht mehr benötigt. Soweit der Gesetzgeber das
Widerrufsrecht zeitlich unbefristet einräumt, verstößt der Verbraucher deshalb nicht
gegen Treu und Glauben, wenn er aus solchen, überdies nicht sachfremden
Erwägungen den Vertrag auch nach längerer Zeit widerruft.
d)
46 Der Kläger hat sein Widerrufsrecht auch nicht verwirkt.
47 aa) Bei der Verwirkung handelt es sich um einen Fall der unzulässigen
Rechtsausübung (§ 242 BGB), die in der illoyal verspäteten Geltendmachung
eines Rechts liegt. Der Einwand ist berechtigt, wenn seit der Möglichkeit der
Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere
Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen
Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall,
wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des
Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen
werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des
Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die
verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (BGH
v. 23.1.2014 - VII ZR 177/13; v. 7.5.2014 - IV ZR 76/11).
48 bb) Ein in dem Sinne illoyales Verhalten des Klägers, dass dieser in Kenntnis
seines unbefristeten Widerrufsrechts über lange Zeit an dem Darlehensvertrag
festgehalten und den Widerruf erst angesichts gefallener Zinsen erklärt hätte, kann
nicht festgestellt werden. Es ist nicht behauptet, dass der Kläger vor der
Inanspruchnahme anwaltlicher Beratung wusste, dass ihm noch ein Widerrufsrecht
zusteht. Dass der Kläger vor der Widerrufserklärung vom 25.4.2013 die Beklagte
durch seinen Anwalt mit Schreiben vom 10.4.2013 auf das bestehende
Widerrufrecht hinweisen ließ, um eine gütliche Einigung zu erreichen, vermag die
Verwirkung nicht zu begründen. Angesichts des engen zeitlichen
Zusammenhangs zwischen der Widerrufserklärung und dem Schreiben, mit dem
der Widerruf gerade in Aussicht gestellt wurde, konnte die Beklagte kein
schutzwürdiges Vertrauen bilden, der Kläger werde von seinem Widerrufsrecht
keinen Gebrauch machen.
49 cc) Zwar ist eine Verwirkung auch ohne Rücksicht auf die subjektive Kenntnis und
Willensrichtung des Berechtigten möglich, wenn der Verpflichtete bei objektiver
Beurteilung aus dem Verhalten des Berechtigten schließen durfte, dass dieser sein
Recht nicht mehr geltend machen wolle, sodass der Verpflichtete mit einer
Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen brauchte und sich
entsprechend darauf einrichten durfte (BGH v. 16.3.2007 - V ZR 190/06; v.
27.6.1957 - II ZR 15/56). Diese Voraussetzungen sind aber im Falle des
unbefristeten Widerrufsrechts regelmäßig nicht gegeben.
50 Der Umstand, dass dem Berechtigten der ihm zustehende Anspruch unbekannt
war, steht der Verwirkung jedenfalls dann entgegen, wenn die Unkenntnis des
Berechtigten in den Verantwortungsbereich des Verpflichteten fällt. Die mit der
unterlassenen oder nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung verbundenen
Nachteile hat aber grundsätzlich der Geschäftspartner des Verbrauchers zu tragen
(BGH v. 18.10.2004 - II ZR 352/02). Ein schutzwürdiges Vertrauen kann der
Unternehmer regelmäßig schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil er den mit
dem unbefristeten Widerrufsrecht verbundenen Schwebezustand selbst
herbeigeführt hat, indem er eine fehlerhafte Belehrung erteilt hat (BGH v. 7.5.2014 -
IV ZR 76/11 Tz.30). Der Unternehmer, der gegen seine Pflicht verstoßen hat, dem
Verbraucher eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung zu erteilen, darf nicht
darauf vertrauen, er habe durch seine Belehrung die Widerrufsfrist in Lauf gesetzt.
Er muss erkennen, dass dem Verbraucher nach dem Gesetz ein zeitlich nicht
befristetes Widerrufsrecht zusteht, und darf folglich allein aus dem Umstand, dass
der Darlehensvertrag über lange Zeit erfüllt wird, nicht schließen, der Verbraucher
werde sein Widerrufsrecht nicht ausüben. Ohne konkrete gegenteilige
Anhaltspunkte ist vielmehr zu unterstellen, dass der Verbraucher zunächst keine
Kenntnis von seinem unbefristeten Widerrufsrecht hat, sodass der Widerruf auch
noch nach langer Zeit erfolgen kann, sollte der Verbraucher später von der
Rechtslage Kenntnis erlangen. Gegen die Schutzwürdigkeit des Unternehmers
spricht zudem, dass er den Schwebezustand durch eine Nachbelehrung beenden
kann.
51 Danach scheidet eine Verwirkung auch hier aus. Die Tatsache, dass der Kläger
das Darlehen bedient hat und dabei auch Sondertilgungen geleistet worden sind,
berechtigte die Beklagte nicht dazu, darauf zu vertrauen, der Kläger werde das ihm
zustehende Recht nicht mehr ausüben. Zudem hat die Beklagte nicht aufgezeigt,
in welcher Weise sie sich darauf eingerichtet hat, dass der Kläger nicht widerrufen
werde, und welcher unzumutbare Nachteil ihr aus dem jetzt erklärten Widerruf
entstehen soll.
52 Soweit in der Rechtsprechung eine Verwirkung in Fällen bejaht worden ist, in
denen der widerrufene Vertrag beiderseits bereits vollständig erfüllt war und dem
Verbraucher eine im Kern zutreffende, gleichwohl in einem Punkt fehlerhafte
Belehrung erteilt wurde, deren Mangel aber nicht geeignet war, den Verbraucher
von dem Widerruf abzuhalten (OLG Köln v. 25.1.2012 - 13 U 30/11; KG v.
16.08.2012 - 8 U 101/12), kann offen bleiben, ob dem zu folgen ist, denn hier war
der Darlehensvertrag im Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht abgewickelt.
3.
53 Infolge der Widerrufserklärung vom 25.4.2013 stand dem Kläger zu diesem
Zeitpunkt gemäß den §§ 357 Abs. 1, 346 Abs. 1 BGB ein Zahlungsanspruch in
Höhe von 98.319,76 EUR zu. Daneben war die Beklagte verpflichtet, die weiteren
mit der Klage geltend gemachten Zahlungen bis 27.8.2014 in Höhe von 52.500,00
EUR zu erstatten. Insgesamt belief sich die Forderung des Klägers demnach auf
150.819,76 EUR.
a)
54 Seit der Einführung des § 361a BGB durch das Gesetz über Fernabsatzverträge
vom 27.6.2000 (BGBl. 2000 Teil I, S. 897) hat der Gesetzeber das Widerrufsrecht
als besonderes Rücktrittsrecht ausgestaltet (BGH v. 13.4.2011 - VIII ZR 220/10; v.
17.3.2004 - VIII ZR 265/03). Wie der Rücktritt bewirkt auch der Widerruf nicht die
Aufhebung des Vertrages, vielmehr besteht das durch den Vertrag begründete
Rechtsverhältnis in umgewandelter Form mit dem sich aus den §§ 357, 346, 347
BGB ergebenden Inhalt fort (BGH v. 17.3.2004 - VIII ZR 265/03; v. 10.7.1998 - V
ZR 360/96; v. 14.3.2000 - X ZR 115/98). Dass die Vertragsbindung erst mit dem
Widerruf des Verbrauchers ex nunc endet und der Vertrag nach der Vorstellung
des Gesetzgebers bis zum Widerruf „schwebend wirksam“ sein soll (BT-Drucks.
14/2658), ändert nichts daran, dass die Rückabwicklung nach den Regeln des
Rücktrittsrechts grundsätzlich alle nach Abschluss des Vertrages ausgetauschten
Leistungen erfasst (Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 6. Aufl., § 495 Rn. 46).
55 Daraus folgt im Grundsatz, dass der Darlehensgeber gemäß § 346 Abs. 1 BGB
verpflichtet ist, die Leistungen, die der Darlehensnehmer in Erfüllung des
Darlehensvertrages erbracht hat, zu erstatten und daraus gezogene Nutzungen
herauszugeben. Der Darlehensnehmer hat die an ihn ausbezahlte
Darlehensvaluta zurückzuzahlen (§ 346 Abs. 1 BGB). Da es ihm nach der Natur
des Leistungsgegenstandes unmöglich ist, die mit der Kapitalüberlassung auf Zeit
empfangene Leistung des Darlehensgebers herauszugeben, schuldet er darüber
hinaus gemäß § 346 Abs.2 S. 1 Nr. 1 BGB Wertersatz und zwar in Form einer
Verzinsung des ihm überlassenen Darlehenskapitals zu dem im Darlehensvertrag
vereinbarten Zinssatz, es sei denn der Darlehensnehmer weist einen niedrigeren
Marktzins nach (§ 346 Abs. 2 S. 2 BGB).
b)
56 Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 358 BGB erstreckt sich die
Rückabwicklung des wirksam widerrufenen Verbraucherdarlehens nach Sinn und
Zweck des § 346 BGB allerdings nicht auf Leistungen des Darlehensnehmers, die
dieser zur Tilgung des Darlehens erbracht hat. Der Kläger hat demnach lediglich
Anspruch auf Erstattung der Zinsen in Höhe von 86.083,13 EUR, die er nach der
Aufstellung in Anlage K9 unstreitig geleistet hat.
57 aa) Der Senat hält insoweit an seiner bereits im Hinweisbeschluss vom 17.2.2015
geäußerten Rechtsauffassung fest (so auch LG Stuttgart v. 9.4.2015 - 12 O
293/14; Schnauder NJW 2015, 2689; Piekenbrock/Rodi WM 2015, 1085;
Hölldampf/Suchowerskyj WM 2015, 999). Demgegenüber wird bislang in der
obergerichtlichen Rechtsprechung nicht zwischen Zins und Tilgung differenziert
(KG Berlin v. 22.12.2014 - 24 U 169/13 Tz. 49; OLG Düsseldorf v 17.1.2013 - 6 U
64/12 Tz. 34; Maihold in Nobbe, Kommentar zum Kreditrecht, 2. Aufl., § 357 Rn.3
ff.). Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die in diesem Zusammenhang
angeführt werden, nach denen der Darlehensgeber die Rückgewähr der vom
Darlehensnehmer erbrachten Zins- und Tilgungsraten schulde (BGH v. 10.3.2009 -
XI ZR 33/08; v. 24.4.2007 - XI ZR 17/06), betreffen Fälle verbundener Verträge (§
358 BGB oder § 9 VerbrKrG), bei denen der Anspruch des Darlehensgebers auf
Rückzahlung der Valuta anderen Regeln unterliegt. Für die vorliegende
Fragestellung lässt sich daraus nichts ableiten.
58 bb) Ob eine Vermögensmehrung nach § 346 Abs. 1 BGB rückabzuwickeln ist,
lässt sich anhand der begrifflichen Einordnung als Leistung nicht abschließend
beurteilen.
59 Eine Einschränkung macht die Rechtsprechung insbesondere bei Leistungen des
Darlehensnehmers, die nicht aus dessen Vermögen stammen. So muss etwa die
kreditgewährende Bank im Falle einer finanzierten Fondsbeteiligung die direkt an
sie geflossene Fondsausschüttungen nicht erstatten (BGH v. 24.4.2007 - XI ZR
17/06; v. 10.3.2009 - XI ZR 33/08). Obwohl es sich rein begrifflich um Leistungen
des Darlehensnehmers handelt, weil dieser die Fondsgesellschaft angewiesen
hat, die nach dem Gesellschaftsvertrag ihm zustehenden Ausschüttungen an die
Bank auszuzahlen, findet insoweit keine Rückabwicklung statt, da es sich um
keine Leistungen aus dem von der finanzierten Beteiligung unabhängigen
Vermögen des Darlehensnehmers handelt und der Bank die Ausschüttungen nach
den Regeln des Vorteilsausgleichs im Rahmen der Rückabwicklung ohnehin
zustehen (Kessal-Wulf in Staudinger, BGB (2012), § 358 Rn. 67; Habersack in
Münchener Kommentar, BGB, 6. Aufl., § 358 Rn.85).
60 cc) An einer Leistung aus eigenen Mitteln fehlt es auch, soweit es bei einem
Gebrauchsüberlassungsvertrag um die Rückgewähr des überlassenen
Gegenstandes selbst geht. Ist diese im Zeitpunkt des Widerrufs bereits erfolgt,
findet insoweit keine Rückabwicklung nach § 346 Abs. 1 BGB statt.
61 Ist zum Beispiel im Falle des Widerrufs eines Finanzierungsleasingvertrages der
Leasinggegenstand im Zeitpunkt des Widerrufs bereits zurückgegeben, kann der
Leasinggeber aus § 346 Abs. 1 BGB nicht verpflichtet sein, dem Leasingnehmer
die Leasingsache erneut zu übergeben. Der gesetzliche Zweck des
Rücktrittsrechts, in Bezug auf die Zuordnung ausgetauschter
Vermögensgegenstände den Zustand vor Erbringung der wechselseitigen
Leistungen wiederherzustellen, ist bereits erfüllt, wenn schon das vertragliche
Pflichtenprogramm vorsieht, eine im Rahmen der Vertragsdurchführung erfolgte
Vermögensverschiebung rückabzuwickeln und dies bereits erfolgt ist. Es besteht
keine Notwendigkeit das Rückabwicklungsverhältnis auf eine Leistung zu
erstrecken, mit der dem Empfänger ein Gegenstand zugewendet wurde, der
seinem Vermögen und nicht dem des Leistenden zuzurechnen ist und der ihm
sowohl nach dem Vertrag als auch nach § 346 Abs. 1 BGB ohnehin gebührt.
62 dd) Diese Betrachtung ist auf den Darlehensvertrag übertragbar, der in Form des
Kapitalnutzungsrechts, das dem Darlehensnehmer eingeräumt wird, ebenfalls eine
Gebrauchsüberlassung auf Zeit zum Gegenstand hat. Der Umstand, dass die
Erstattungspflicht beim Darlehensvertrag auf Geld gerichtet ist und der
Darlehensnehmer das überlassene Kapital nicht gegenständlich, sondern nur
wertmäßig zu erstatten hat, rechtfertigt keine unterschiedliche Behandlung.
Rechtlich und wirtschaftlich betrachtet liegt in der Rückzahlung des Darlehens eine
Rückgewähr dessen, was dem Darlehensnehmer aus dem Vermögen des
Darlehensgebers überlassen war und was ihm auch aufgrund der Rückabwicklung
gemäß § 346 Abs.1 BGB zusteht. Umgekehrt wäre es auch nicht sachgerecht
anzunehmen, der Darlehensnehmer schulde trotz seiner mit entsprechendem
Tilgungswillen erbrachten Zahlungen im Rahmen der Rückabwicklung die
Erstattung des vollen Nettokreditbetrages samt Verzinsung gemäß § 346 Abs. 2 S.
2 BGB. Die bereits erfolgte Tilgung ist deshalb nicht mehr rückgängig zu machen.
63 Diese Überlegung gilt hingegen nicht für die geleisteten Darlehenszinsen, die nicht
aus dem Kapital des Darlehensgebers stammen, sondern vom Darlehensnehmer
als Gegenleistung für die Kapitalüberlassung aus seinem eigenen Vermögen
aufgebracht wurden. Dass der Darlehensgeber für die Gewährung des Darlehens
gemäß § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB Wertersatz verlangen kann, ändert nichts
daran, dass die bis zum Widerruf gezahlten Darlehenszinsen und die daraus
gezogenen Gebrauchsvorteile dem Vermögen des Darlehensnehmers
zuzuordnen sind und nach dem Gesetz der Rückabwicklung unterliegen, denn der
Wertersatzanspruch des Darlehensgebers gemäß § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB
entsteht erst infolge des Widerrufs und liefert für die Zahlungen bis zum Widerruf
keinen Behaltensgrund.
64 Ob die Nichtberücksichtigung der Tilgungen auch damit begründet werden kann,
dass der Anspruch des Darlehensgebers auf Rückzahlung der Darlehensvaluta
nicht in das vertragsspezifische Austauschverhältnis gehöre und deshalb dem
Rückabwicklungsverhältnis gemäß § 346 Abs. 1 BGB insgesamt entzogen sei,
sondern auch im Falle des wirksamen Widerrufs auf § 488 Abs.1 S.2 BGB gestützt
werden könne (Schnauder NJW 2015, 2689; Piekenbrock/Rodi WM 2015, 1085),
muss nicht entschieden werden.
65 ee) Für die Rückabwicklung nach Widerruf eines Verbraucherdarlehens folgt
daraus, dass der Darlehensnehmer nach § 346 Abs. 1 BGB keinen Anspruch auf
die Erstattung erbrachter Tilgungsleistungen hat. Umgekehrt kann der
Darlehensgeber gemäß § 346 Abs. 1 BGB nicht den vollen Nettokreditbetrag
verlangen, den er ausbezahlt hat, sondern nur die im Zeitpunkt des Widerrufs
offene Darlehensrestschuld.
66 Zwar besteht bei saldierender Betrachtung kein Unterschied zu der Annahme, der
Darlehensnehmer könne die Erstattung seiner Tilgungsleistungen verlangen,
müsse seinerseits aber den vollen Nettokreditbetrag erstatten. Wirtschaftlich
bedeutsame Folgen ergeben sich aber für die weiteren Ansprüche: Da der
Darlehensgeber Tilgungsleistungen behalten darf, ist er auch nicht nach § 346
Abs. 1 BGB verpflichtet, daraus gezogene Nutzungen herauszugeben, es handelt
sich vielmehr um Früchte seines Vermögens. Und im Rahmen der Bemessung des
Wertersatzes, den der Darlehensnehmer gemäß § 346 Abs.2 S. 1 Nr. 1 BGB für
die ihm überlassene Kapitalnutzung schuldet, ist zu berücksichtigen, dass er das
Darlehen bereits ganz oder teilweise zurückgeführt hat. Bemessungsgrundlage der
Verzinsung ist demnach nur die jeweils offen Darlehensrestschuld.
c)
67 Daneben schuldet die Beklagte gemäß § 346 Abs. 1 BGB die Herausgabe von
Nutzungen im Wert von 12.236,63 EUR, die sie aus den Zinszahlungen des
Klägers tatsächlich gezogen hat.
68 aa) Weist die kreditgebende Bank keinen geringeren Wiederanlagezins nach und
der Darlehensnehmer keinen höheren, ist der insoweit geschuldete
Nutzungsersatz bei Immobiliardarlehen anhand einer Verzinsung mit 2,5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu bemessen. Eine Kürzung wegen des
Refinanzierungsaufwandes der Bank für den Kredit findet nicht statt.
69 (1) Es besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Bank aus
eingenommenen Geldern Nutzungen im Wert des üblichen Verzugszinses
gezogen hat (BGH v. 28.10.2014 - XI ZR 348/13; v. 24.4.2007 - XI ZR 17/06; v.
10.3.2009 - XI ZR 33/08; v. 12.5.1998 - XI ZR 79/97). Bei
Immobiliardarlehensverträgen liegt der übliche Verzugszins gemäß § 497 Abs.1
S.2 BGB bei 2,5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr, sodass
dieser Zinssatz für die Bemessung des geschuldeten Nutzungsersatzes
maßgeblich ist.
70 Soweit der Bundesgerichtshof in den zitierten Entscheidungen, die keine
Immobiliardarlehen betreffen, den Wert der gezogenen Nutzungen mit Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz bemessen hat, ist das auf
Immobiliardarlehensverträge nicht zu übertragen. Die vom Bundesgerichtshof
aufgestellte Beweisregel knüpft nicht an eine vom Gericht konkret festgestellte
Vermutungsbasis zu den tatsächlichen Marktbedingungen an, unter denen eine
Bank allgemein Nutzen aus ihren Einnahmen zieht, sondern beruht auf einer
Übertragung der im Gesetz verankerten Regeln über die abstrakte Berechnung
des Verzugsschadens (BGH v. 12.5.1998 - XI ZR 79/97 Tz.24).
71 Sie geht von der Prämisse aus, dass der mit dem Verzug verbundene Nachteil, der
sich aus der Vorenthaltung von Geldern ergibt, dem entgangenen Vorteil der
Nutzung dieser Gelder entspricht. Bei abstrakter Betrachtung ist danach sowohl für
den Verzugsschaden als auch die Bemessung des Nutzungsvorteils der
Wiederanlagezins maßgebend, den die Bank erzielt. Zur Höhe des üblichen
Wideranlagezinses trifft der Bundesgerichthof keine eigenen Feststellungen,
sondern übernimmt insoweit die im gesetzlichen Verzugszins liegende Bewertung
des Gesetzgebers. Nachdem der Gesetzgeber diesen Zinssatz - zwar ausgehend
von dem Refinanzierungszins - im Ergebnis aber so bemessen hat, dass er dem
nach der Rechtsprechung maßgeblichen Wiederanlagezins nahekommt (BT-
Drucks. 11/5462, S. 25 f.), legt der Bundesgerichtshof diesen Zinssatz der
abstrakten Schadensberechnung zugrunde, wenn hinreichende Angaben zur
Berechnung der durchschnittlichen Wiederanlagezinsen fehlen (BGH v. 8.10.1991
- XI ZR 259/90).
72 Für grundpfandrechtlich gesicherte Kredite, die erfahrungsgemäß in der Regel
niedriger verzinslich sind als andere Verbraucherkredite, sind diese Regeln der
abstrakten Schadensberechnung aber nicht anwendbar (BGH v. 18.2.1992 - XI ZR
134/91). Der Bemessung des Nutzungsersatzes kann deshalb nicht ohne weiteres
ein Zinssatz von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zugrunde gelegt
werden (BGH v. 19.9.2006 - XI ZR 242/05 zu § 3 HWiG). Zu Lasten des
Darlehensgebers kann nach den gesetzlichen Wertungen vielmehr nur vermutet
werden, dass er Nutzungen gezogen hat, deren Wert einer Verzinsung mit dem
gesetzlichen Verzugszins gemäß § 497 Abs.1 S.2 BGB in Höhe von 2,5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz entspricht (Schnauder NJW 2015, 2689).
73 (2) Zu verzinsen sind die vollen Zinszahlungen des Darlehensnehmers. Der
Refinanzierungsaufwand des Darlehensgebers für den Kredit ist dabei nicht in
Abzug zu bringen. Der Anspruch gemäß § 346 Abs. 1 BGB ist nicht auf die
Herausgabe des Gewinns gerichtet, den die Bank aus dem Kreditgeschäft mit dem
Darlehensnehmer erzielt hätte, sondern auf die Abschöpfung der Mehrung des
Vermögens der Bank, die infolge der Leistungen des Darlehensnehmers
eingetreten ist.
74 Bemessungsgrundlage für den Nutzungsersatz sind deshalb die Vermögenswerte,
die der Bank zugeflossen sind und die sie wirtschaftlich nutzen konnte (BGH v.
12.5.1998 - XI ZR 79/97). Angesichts der oben dargestellten Vermutungsbasis ist
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu unterstellen, dass die
kreditgewährende Bank die Zinszahlungen uneingeschränkt im Aktivgeschäft
nutzen konnte, sodass bei diesem Ansatz für eine Berücksichtigung des
Refinanzierungsaufwandes kein Raum besteht. Entgegen Stimmen in der Literatur
(Hölldampf/Suchowerskyj WM 2015, 999; Schnauder NJW 2015, 2689) besteht
demgegenüber keine Vermutung dafür, dass eine Bank im Rahmen eines
bestimmten Kreditgeschäfts eingenommene Gelder im Einzelfall gerade dafür
verwendet, die Refinanzierung des konkreten Kreditverhältnisses zurückzuführen.
Es kann nicht unterstellt werden, dass sich eine Bank bezogen auf jedes einzelne
Kreditverhältnis laufzeitkongruent refinanziert (was letztlich auch
Hölldampf/Suchowerskyj WM 2015, 999, 1004 konzedieren). Das zeigt sich
gerade auch im Falle der Beklagten, die sich nach eigenem Vortrag im
Wesentlichen aus den Einlagen ihrer Kunden und damit nicht in Kongruenz mit
dem im Einzelfall ausgegebenen Kredit refinanziert. Die Ausgaben, die die Bank
zur Refinanzierung tätigt, stehen deshalb nicht in einer Weise in Zusammenhang
mit den Zinseinnahmen, dass es gerechtfertigt wäre anzunehmen, die Bank habe
diese nicht in vollem Umfang wirtschaftlich nutzen können.
75 Die Sachlage ist insofern nicht mit dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall
(Urt. v. 12.5.1998 - XI ZR 79/97) vergleichbar, in dem eine Bank von einem Kunden
georderte Optionsscheine unter Einsatz eigener Mittel erworben hatte. Dort
bestand eine unmittelbare innere Verknüpfung zwischen den Ausgaben der Bank
für den Erwerb der Optionsscheine und dem von ihrem Kunden vereinnahmten
Kaufpreis, der von der Bank letztlich an den Verkäufer nur durchgereicht wurde,
sodass sich ihr wirtschaftlich nutzbares Vermögen dadurch nicht erhöht hatte. Bei
wertender Betrachtung wird Letzteres etwa auch dann anzunehmen sein, wenn die
kreditgebende Bank das Darlehen im Auftrag einer öffentlichen Förderbank ausgibt
und die vereinnahmten Zinsen an diese weiterleitet. Eine solche Konstellation ist
vorliegend aber nicht gegeben.
76 Im Übrigen ist der Refinanzierungsaufwand, mit dem die Bank sich ihrerseits das
dem Darlehensnehmer eingeräumte Kapitalnutzungsrecht erkauft, durch ihren
Anspruch auf Wertersatz für die Kapitalüberlassung gemäß § 346 Abs.2 S. 1 Nr. 1
BGB gedeckt.
77 bb) Die Beklagte hat die Vermutung, dass sie tatsächlich Nutzungen in diesem
Umfang gezogen hat, nicht entkräftet. Wofür die Beklagte die eingenommenen
Zinsen jeweils konkret verwendet hat, kann ihrem Sachvortrag nicht entnommen
werden.
78 Soweit sie sich darauf beruft, ihre Geschäftstätigkeit bestehe weit überwiegend in
der Vergabe von Immobiliarkrediten, ist dies bereits durch die Anknüpfung an die
Sonderregelung in § 497 Abs.1 S.2 BGB berücksichtigt. Den Veränderungen des
allgemeinen Zinsniveaus ist durch Anknüpfung an den Basiszinssatz Rechnung
getragen.
79 Welchen institutsspezifischen Durchschnittszinssatz die Beklagte nach der
Zusammensetzung ihres gesamten Aktivkreditgeschäfts in dem Zeitraum erzielt
hat, in dem die Nutzungen gezogen wurden, ist nicht dargetan. Hierfür wäre eine
Darstellung erforderlich, welche Kreditarten ihr Aktivgeschäft in dieser Zeit
umfasste und welchen Anteil die einzelnen Arten am Gesamtvolumen hatten (BGH
v. 8.10.1991 - XI ZR 259/90).
80 Wie bereits ausgeführt, beschränkt sich der von der Beklagten geschuldete
Nutzungsersatz nicht auf den mit dem streitgegenständlichen Kredit erzielten
Gewinn. Der Hinweis der Beklagten auf ihre Refinanzierungsaufwendungen und
den negativen Margenbarwert führt deshalb nicht weiter.
81 Umgekehrt rechtfertigt der Hinweis des Klägers, dass die Beklagte im Jahr 2014
eine Bardividende in Höhe von 5,6 % an ihre Mitglieder ausgeschüttet hat, nicht die
Annahme einer höheren Verzinsung. Dass die Beklagte an die Anteilseigner eine
entsprechende Gewinnbeteiligung auszahlt, erlaubt nicht den Schluss, dass sie
während der Laufzeit des Kredits bis zum Widerruf eingenommene Gelder mit
einer entsprechende Rendite genutzt hat (so auch LG Stuttgart v. 9.4.2015 - 12 O
293/14).
82 cc) Wie der am Ende des Urteils abgedruckten Berechnung zu entnehmen ist,
beträgt der geschuldete Nutzungsersatz auf der Basis einer Verzinsung mit 2,5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz 12.236,63 EUR (vgl. unter V).
d)
83 Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, der Kläger müsse sich die Steuervorteile
anrechnen lassen, die er im Zusammenhang mit dem finanzierten
Grundstückserwerb erzielt habe.
84 aa) Zwar gelten die Grundsätze des Vorteilsausgleichs für die Anrechnung von
Steuervorteilen auch bei der Rückabwicklung nach Ausübung eines
kreditrechtlichen Widerrufsrechts im Falle verbundener Verträge entsprechend
(Senat vom 29.12.2011 - 6 U 79/11). Dies lässt sich aber nicht auf ein
Verbraucherdarlehen übertragen, das nicht unter § 358 BGB fällt.
85 Die Vorteilsausgleichung ist ein Prinzip der Schadensbemessung und findet im
Rücktrittsrecht grundsätzlich keine Anwendung. Soweit der Bundesgerichtshof bei
einem kreditfinanzierten Fondsbeitritt auch im Rahmen der Rückabwicklung eines
Verbraucherdarlehens eine Vorteilsausgleichung vornimmt (BGH v. 10.3.2009 - XI
ZR 33/08 Tz. 21), hat dies seine Rechtfertigung in den Besonderheiten des
verbundenen Geschäfts. Die Anwendung des § 358 BGB hat zur Folge, dass die
wirtschaftlichen Risiken des finanzierten Geschäfts auf die finanzierende Bank
abgewälzt werden. Der Kreditnehmer ist zum Schutz seiner Entscheidungsfreiheit,
ob er den Kreditvertrag widerrufen will oder nicht, bei einem verbundenen Geschäft
von den Belastungen durch das finanzierte Geschäft freizustellen (BGH v.
25.4.2006 - XI ZR 193/04 Tz. 20). Hat die Bank danach die Nachteile des
finanzierten Geschäfts zu tragen, entspricht es wie im Schadensrecht der Billigkeit,
dass sich der Darlehensnehmer auf seine Forderungen auch Vorteile anrechnen
lassen muss, die er aus dem finanzierten Geschäft gezogen hat.
86 Liegen keine verbundenen Verträge vor, gilt diese Risikoverteilung nicht mit der
Folge, dass die Regeln über die Vorteilsausgleichung nicht entsprechend
herangezogen werden können.
87 bb) Der Darlehensnehmer hat Steuervorteile, die er im Zusammenhang mit dem
finanzierten Geschäft erlangt hat, auch nicht gemäß § 346 Abs.1 BGB als
tatsächlich gezogene Nutzungen herauszugeben.
88 Dabei kann offen bleiben, ob mit dem Wertersatz, den der Darlehensnehmer für die
Kapitalüberlassung gemäß § 346 Abs.2 S. 1 Nr. 1 BGB schuldet, stets sämtliche
Gebrauchsvorteile abgegolten sind und dementsprechend daneben kein
Nutzungsersatz nach § 346 Abs. 1 BGB verlangt werden kann (dafür Gaier in
Münchener Kommentar, BGB, 6. Aufl., § 346 Rn. 20 und 22; Schmidt in BeckOK,
BGB (Stand 1.8.2015), § 346 Rn. 33). Denn möglicherweise gezogene
Steuervorteile lassen sich als bloß mittelbare Folge des finanzierten
Immobilienerwerbs nicht als Gebrauchsvorteil oder sonst als Nutzung im Sinne des
§ 100 BGB qualifizieren.
e)
89 Daneben hatte die Beklagte die weiteren, nach dem Widerruf bis 27.8.2014
erbrachten Leistungen des Klägers, die er zum Gegenstand seiner Klage gemacht
hat, in Höhe von 52.500,00 EUR zu erstatten. Dabei kann offen bleiben, ob sich
der Anspruch des Klägers aus § 346 Abs. 1 BGB oder aus ungerechtfertigter
Bereicherung (§ 812 Abs.1 BGB) ergibt. Insgesamt beliefen sich die Ansprüche
des Klägers demnach auf 150.819,76 EUR.
4.
90 Der Forderung des Klägers standen im Zeitpunkt des Widerrufs Ansprüche der
Beklagten in Höhe von 174.666,26 EUR gegenüber.
91 Da - wie dargelegt - in Bezug auf die Tilgungsleistungen des Klägers keine
Rückabwicklung stattfindet, schuldete der Kläger gemäß § 346 Abs.1 BGB die im
Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht zurückbezahlte Darlehensvaluta. Diese betrug
im Zeitpunkt des Widerrufs unstreitig 88.583,13 EUR.
92 Ferner schuldete der Kläger gemäß § 346 Abs.2 S. 1 Nr. 1 BGB Wertersatz für die
Kapitalüberlassung auf der Basis einer Verzinsung mit dem vertraglich
vereinbarten Zinssatz von 3,6 %. Zu verzinsen ist allerdings nicht der gesamte
Nettokreditbetrag bis zum Widerruf, sondern die unter Berücksichtigung der
ratenweisen Tilgung des Darlehens jeweils offene Restschuld. Das entspricht den
vom Kläger in Erfüllung des Vertrages geleisteten Zinsen in Höhe von 86.083,13
EUR.
5.
93 Nachdem der Kläger bereits in den Schreiben vom 14. und 29.5.2013 die
Aufrechnung erklärt hat, und die Beklagte ihrerseits in der Klageerwiderung eine
Verrechnung vorgenommen hat, sind die wechselseitigen Ansprüche gemäß §§
387, 389 BGB zu saldieren. Da sich dabei ein Saldo zugunsten der Beklagten
ergibt, ist die Klage insgesamt unbegründet.
IV.
94 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
95 Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Frage, welche Folgen sich
gemäß §§ 357 Abs.1, 346 Abs.1 BGB aus dem Widerruf eines
Verbraucherdarlehens ergeben und angesichts der divergierenden
obergerichtlichen Rechtsprechung zur Behandlung der Tilgungsleistungen wird die
Revision insgesamt zugelassen.
V.
96 Berechnung des von der Beklagten geschuldeten Nutzungsersatzes:
97
Zinszahlungen
Summe
Tage Zinssatz Verzinsung
30.03.2006 1.099,63 1.099,63
28.04.2006 1.609,20 2.708,83
28
3,87
3,31
30.05.2006 1.603,53 4.312,36
32
3,87
9,32
26.06.2006
4.312,36
26
3,87
12,05
30.06.2006 1.597,84 5.910,20
4
3,87
1,85
31.07.2006 1.621,23 7.531,43
30
4,45
21,92
30.08.2006 1.605,09 9.136,52
30
4,45
27,93
29.09.2006 1.599,41 10.735,93 29
4,45
32,75
30.10.2006 1.593,71 12.329,64 31
4,45
41,14
30.11.2006 1.587,99 13.917,63 30
4,45
45,72
29.12.2006 1.582,25 15.499,88 29
4,45
49,89
04.01.2007
15.499,88 5
4,45
9,58
30.01.2007 1.478,50 16.978,38 26
5,2
58,21
28.02.2007 1.465,44 18.443,82 30
5,2
73,57
30.03.2007 1.459,33 19.903,15 30
5,2
79,92
30.04.2007 1.453,21 21.356,36 30
5,2
86,25
30.05.2007 1.447,07 22.803,43 30
5,2
92,54
29.06.2007 1.440,91 24.244,34 29
5,2
95,52
30.07.2007 1.434,73 25.679,07 31
5,69
118,79
30.08.2007 1.428,54 27.107,61 30
5,69
121,76
28.09.2007 1.422,32 28.529,93 28
5,69
119,97
30.10.2007 1.416,09 29.946,02 32
5,69
144,30
30.11.2007 1.409,84 31.355,86 30
5,69
141,99
28.12.2007 1.403,57 32.759,43 28
5,69
138,77
17.01.2008
32.759,43 19
5,69
98,38
30.01.2008 1.344,78 34.104,21 13
5,82
68,85
29.02.2008 1.285,81 35.390,02 30
5,82
165,41
31.03.2008 1.279,17 36.669,19 30
5,82
171,64
30.04.2008 1.272,51 37.941,70 30
5,82
177,85
30.05.2008 1.265,83 39.207,53 30
5,82
184,02
30.06.2008 1.259,12 40.466,65 30
5,82
190,16
30.07.2008 1.252,40 41.719,05 30
5,69
191,88
29.08.2008 1.245,66 42.964,71 29
5,69
191,22
30.09.2008 1.238,89 44.203,60 31
5,69
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30.10.2008 1.232,11 45.435,71 30
5,69
209,60
28.11.2008 1.225,31 46.661,02 28
5,69
201,08
30.12.2008 1.218,48 47.879,50 32
5,69
236,00
30.01.2009 1.211,64 49.091,14 30
4,12
164,39
27.02.2009 1.204,77 50.295,91 27
4,12
151,69
30.03.2009 1.197,89 51.493,80 33
4,12
189,95
09.04.2009
51.493,80 9
4,12
53,04
30.04.2009 1.117,48 52.611,28 21
4,12
123,76
29.05.2009 1.078,83 53.690,11 29
4,12
174,61
30.06.2009 1.071,57 54.761,68 31
4,12
190,48
30.07.2009 1.064,29 55.825,97 30
2,62
119,56
31.08.2009 1.056,98 56.882,95 30
2,62
121,89
30.09.2009 1.049,65 57.932,60 30
2,62
124,19
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2,62
126,49
30.11.2009 1.034,92 60.009,82 30
2,62
128,76
30.12.2009 1.027,53 61.037,35 30
2,62
131,02
04.01.2010
61.037,35 4
2,62
17,77
29.01.2010 929,11
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2,62
111,05
26.02.2010 907,40
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2,62
121,76
30.03.2010 899,62
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2,62
155,58
30.04.2010 891,82
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2,62
139,24
31.05.2010 884,00
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2,62
141,19
30.06.2010 876,15
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2,62
143,12
30.07.2010 868,28
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2,62
145,03
30.08.2010 860,38
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2,62
146,92
30.09.2010 852,46
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2,62
148,80
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2,62
145,64
30.11.2010 836,55
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2,62
157,59
30.12.2010 828,56
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2,62
154,33
03.01.2111
71.516,20 3
2,62
15,61
31.01.2011 726,04
72.242,24 27
2,62
140,53
28.02.2011 707,23
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2,62
157,73
30.03.2011 698,85
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2,62
159,27
29.04.2011 690,44
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2,62
155,44
30.05.2011 682,02
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2,62
167,72
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2,62
163,80
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2,87
168,97
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2,87
194,80
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2,87
184,20
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2,87
185,75
30.11.2011 630,91
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2,87
187,28
30.12.2011 622,30
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2,87
188,78
30.01.2012 613,67
80.170,42 30
2,62
173,70
10.02.2012
80.170,42 10
2,62
58,35
29.02.2012 531,51
80.701,93 20
2,62
116,69
30.03.2012 491,11
81.193,04 30
2,62
176,20
30.04.2012 482,08
81.675,12 30
2,62
177,27
30.05.2012 473,03
82.148,15 30
2,62
178,32
29.06.2012 463,94
82.612,09 29
2,62
173,38
30.07.2012 454,84
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2,62
186,38
30.08.2012 445,70
83.512,63 30
2,62
181,36
28.09.2012 436,54
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2,62
170,18
30.10.2012 427,35
84.376,52 32
2,62
195,51
30.11.2012 418,13
84.794,65 30
2,62
184,22
28.12.2012 408,88
85.203,53 28
2,62
172,79
08.01.2013
85.203,53 10
2,37
56,09
30.01.2013 319,11
85.522,64 22
2,37
123,40
28.02.2013 285,07
85.807,71 30
2,37
168,91
28.03.2013 275,42
86.083,13 30
2,37
169,47
25.04.2013
86.083,13 27
2,37
153,01
Summe in EUR:
12.236,63