Urteil des OLG Stuttgart vom 11.12.2014

ordnungswidrigkeit, auflage, naturschutzgebiet, befreiung

OLG Stuttgart Beschluß vom 11.12.2014, 4 Ss 569/14
Ordnungswidrigkeit im Naturschutz: Verbot des Abschneidens und auf den
Stock Setzens von Bäumen
Leitsätze
Das nach § 69 Abs. 3 Nr. 13 BNatSchG bußgeldbewehrte Verbot des Abschneidens
und auf den Stock Setzens (§ 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG) erfasst nicht das
vollständige Beseitigen des Landschaftselements, wie beispielsweise das vollständige
Entfernen eines Baumes aus dem Erdreich mitsamt den Wurzeln.
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts
Stuttgart vom 14. Mai 2014 wie folgt
a b g e ä n d e r t:
„Der Betroffene wird wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des
Entnehmens und Zerstörens von Pflanzen aus einem Naturschutzgebiet zu
der Geldbuße von 1.500 EUR verurteilt.
Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens.“
Die Liste der angewandten Vorschriften wird wie folgt neu gefasst:
„§ 23 Abs. 2, § 69 Abs. 7 BNatSchG, § 26 Abs. 3, § 80 Abs. 1 Nr. 2 NatSchG
Baden-Württemberg, § 4 Abs. 1, 2 Nr. 7, § 8 Verordnung des
Regierungspräsidiums Stuttgart über das Naturschutzgebiet „Weidach- und
Zettachwald“ vom 30. November 1990“
2. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil als
unbegründet
v e r w o r f e n
3. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
I.
1
Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte den Betroffenen „wegen einer vorsätzlichen
Ordnungswidrigkeit des Entfernens von Obstbäumen entgegen § 4 Abs. 1, 2 Nr. 7
und 9 der Naturschutzgebietsverordnung „Weidach- und Zettachwald“ auf
geschützten Streuobstwiesen in Tateinheit mit vorsätzlicher Entfernung von
Bäumen innerhalb des Zeitraums 1.3. - 30.09. entgegen § 39 Abs. 5 Nr. 2
BNatSchG“. Es verhängte eine Geldbuße von 1.900 EUR.
2
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er rügt die
Verletzung materiellen Rechts und greift mit der Sachrüge insbesondere die
Beweiswürdigung des Amtsgerichts an. Die Generalstaatsanwaltschaft hat
beantragt, das Urteil unter Aufrechterhaltung der Feststellung aufzuheben und zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsfolgen an eine andere
Abteilung des Amtsgerichts Stuttgart zurückzuverweisen.
3
Der Einzelrichter hat die Sache zur Fortbildung des Rechts auf den Bußgeldsenat
in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG).
II.
1.
4
Hinsichtlich der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen ist die
Rechtsbeschwerde aus den von der Generalstaatsanwaltschaft dargelegten
Erwägungen unbegründet im Sinne der § 79 Abs. 3 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO. Die
Nachprüfung des Urteils aufgrund der Begründung der Rechtsbeschwerde hat
insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Die
Rechtsbeschwerde unternimmt lediglich den unbehelflichen Versuch, die eigene
Beweiswürdigung an Stelle der rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung des
Amtsgerichts zu setzten, was im Rechtsbeschwerdeverfahren keinen Erfolg haben
kann.
2.
5
Hingegen erweisen sich die rechtliche Würdigung und die Begründung des
Rechtsfolgenausspruchs durch das Amtsgerichts als rechtsfehlerhaft. Da der
Senat angesichts der umfänglichen und rechtsfehlerfreien Beweisaufnahme und -
würdigung ausschließen kann, dass bei einer Zurückverweisung weitere
Feststellungen getroffen werden könnten, würdigt er den rechtsfehlerfrei
festgestellten Sachverhalt (a) wie im Tenor geschehen selbst (b) und kann
angesichts ausreichender Feststellungen gemäß § 79 Abs. 6 OWiG auch selbst
die angemessene Rechtsfolge festsetzten (Göhler, OWiG, 16. Auflage, § 79 Rn.
45 bis 45e) (c).
a)
6
Das Amtsgericht hat rechtsfehlerfrei folgenden Sachverhalt festgestellt:
7
Der Betroffene ist Landwirt. In der Nacht vom 31. März auf den 1. April 2010 gegen
ca. 22:00 Uhr entfernte er auf insgesamt acht verschiedenen, mit
Flurstücknummern näher bezeichneten Grundstücken auf
Streuobstwiesenflächen in drei näher bezeichneten Gewannen in Stuttgart
insgesamt 13 Bäume (Obstbaumhochstämme) dergestalt, dass er jeweils mit
seinem Traktor diese mittels der Traktorschaufel „umdrückte“, so dass die Bäume
mitsamt Wurzeln aus ihrer Verankerung gerissen wurden. Er transportierte sie
dann ab, brachte sie zu einem Verladeplatz und verwertete das Holz teilweise für
sich selbst. Die im Urteil festgestellten Grundstücke liegen alle im
Naturschutzgebiet „Weidach- und Zettachwald“. Dem Betroffenen war bei seinem
Tun bekannt, dass eine Gestattung oder Befreiung der Naturschutzbehörde für die
Baumbeseitigung nicht vorlag. Ihm war auch bekannt, dass er für die Beseitigung
der Bäume eine solche Gestattung oder Befreiung bedurft hätte. Ihm war bewusst,
dass es sich bei den Örtlichkeiten, wo die Bäume standen, um ein
Naturschutzgebiet handelte. Eine Befreiung von dem Fällverbot hatte er nicht
beantragt, da er von Kollegen wusste, dass es sehr lang daure, bis über eine
solche Befreiung entschieden werde.
b)
8
Dieser Sachverhalt trägt nur eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit
nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 NatSchG Baden-Württemberg i. V. m. § 4 Abs. 1, 2 Nr. 7, §
8 der Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart über das Naturschutzgebiet
„Weidach- und Zettachwald“ vom 29. Januar 1991 (bekannt gemacht im
Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1991, S. 22; im Folgenden: VO), nicht jedoch
wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 69 Abs. 3 Nr. 13, § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2
BNatSchG.
9
aa) (1) Die vom Betroffenen entfernten Obstbäume standen alle auf Parzellen, die
innerhalb des in § 2 VO anhand der einzelnen Flurstücknummern abgegrenzten
Naturschutzgebietes „Weidach- und Zettachwald“ liegen. Nach § 4 Abs. 1 VO sind
dort Handlungen verboten, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder
Veränderung des Schutzgebietes oder seiner Bestandteile führen können. Nach §
4 Abs. 2 Nr. 7 VO ist es insbesondere verboten, Pflanzen oder Pflanzenteile zu
entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Ordnungswidrig handelt nach § 8
VO, wer in dem Naturschutzgebiet vorsätzlich oder fahrlässig eine der nach § 4 in
Verbindung mit § 5 VO verbotenen Handlungen vornimmt. Dies hat der
Betroffenen mit dem festgestellten „Umdrücken“ und Abtransportieren der 13
Bäume getan.
10 Der Betroffene kann sich auch nicht darauf berufen, dass nach § 5 Nr. 2 VO die
Verbote des § 4 VO für ihn als Landwirt nicht gelten. Zwar mag er möglicherweise -
auch wenn das Urteil sich hierzu nicht verhält - die Entfernung der Bäume „im
Rahmen einer ordnungsmäßigen landwirtschaftlichen Nutzung in der bisherigen
Art und in bisherigem Umfang“ (s. § 5 Nr. 2 VO) vorgenommen haben. Eine
Ausnahme vom Verbot würde jedoch nur dann greifen, wenn er die abgängigen
Obstbäume innerhalb eines Jahres durch hochstämmige Obstbäume ersetzt
hätte. Dies ist ausweislich der ausdrücklichen Feststellungen bisher nicht
geschehen. Der Betroffene hat Derartiges lediglich vor der Hauptverhandlung
angekündigt.
11 (2) Hingegen hat der Betroffene nicht ordnungswidrig nach § 8 VO i. V. m. § 4 Abs.
2 Nr. 9 gehandelt. Danach ist es verboten, die Art der bisherigen
Grundstücksnutzung zu ändern, mit Ausnahme der Umwandlung von Äckern in
Grünland. Weder ist im Urteil festgestellt, dass der Betroffene die
Grundstücksnutzung änderte, noch dass er dies vorgehabt oder in Kauf
genommen hätte. Beim Entfernen von 13 Exemplaren einzelner Bäume von
Streuobstwiesen auf acht Flurstücken, die dazu noch in drei verschiedenen
Gewannen liegen, ist angesichts des durch lockere Bepflanzung mit Obstbäumen
geprägten und charakterisierten Naturraums „Streuobstwiese“ - zumindest ohne
weitere Feststellungen - nicht die Art der bisherigen Grundstücksnutzung
geändert. „Grundstücksnutzung“ meint mehr als das Verändern der Stellen des
jeweiligen Pflanz-/Wurzelbereichs des einzelnen Baumes und des Schaffens von
Baumlöchern, auf denen dann auf Grund des Tuns des Betroffenen
möglicherweise zukünftig nur noch Wiese wächst. Die Nutzung der Grundstücke
als Streuobstwiese ist dadurch noch nicht im Rechtssinne geändert, da
Streuobstwiesen ohnehin durch einen hohen Anteil Wiesenfläche geprägt sind
und, da die Bäume locker stehen, die Flächen in der Regel traditionell zugleich als
Grünland - entweder als Mähwiese zur Heugewinnung oder direkt als Viehweide -
dienten. Der Senat geht sicher davon aus, dass diesbezüglich keine ergänzenden
Feststellungen mehr getroffen werden können. Der entsprechende Ausspruch im
Tenor durch die Nennung von § 4 Abs. 2 Nr. 9 VO hat daher zu entfallen.
12 bb) Das festgestellte Tun des Betroffenen unterfällt nicht dem Bußgeldtatbestand
des § 69 Abs. 3 Nr. 13 i. V. m. § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG.
13 § 69 Abs. 3 Nr. 13 BNatSchG sanktioniert denjenigen, der entgegen § 39 Abs. 5
Satz 1 Nr. 2 BNatSchG - somit in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September -
„einen Baum abschneidet oder auf den Stock setzt“. Das vollständige Entfernen
eines Baumes aus dem Erdreich mitsamt den Wurzeln - wie es hier festgestellt ist -
ist von § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG und § 69 Abs. 3 Nr. 13 BNatSchG nicht
umfasst; es ist weder ein „Abschneiden“ noch ein „auf den Stock Setzen“. Unter
das Verbot des § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG fällt das vollständige
Beseitigen der in der Vorschrift aufgeführten Landschaftselemente nicht
(Egner/Fuchs, Naturschutz- und Wasserrecht 2009, § 39 BNatSchG Rn. 18;
Stöckel/Müller-Walter in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, ErgLfg
Januar 2013, § 39 BNatSchG Rn. 26; Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-
Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, 3. Auflage, § 39 Rn. 26; aA Gellermann in
Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 61. EL, § 39 BNatSchG, Rn. 23; aA wohl auch
OVG Berlin-Brandenburg, BauR 2014, 1354; Kratsch in Schumacher/Fischer-
Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, 2. Auflage, § 39 Rn. 28).
14 (1) Der strenge Gesetzesvorbehalt des Artikel 103 Abs. 2 GG verbietet es der
rechtssprechenden Gewalt, Tatbestände im Wege richterlicher Rechtsfortbildung
etwa durch die Bildung von Analogien oder die Verschleifung von
Tatbestandsmerkmalen zu begründen oder zu verschärfen (BGH, Beschluss vom
11. September 2014 - 4 ARs 12/14 -, juris unter Bezugnahme u. a. auf BVerfGE
71, 108 ff.). Die Auslegung eines Gesetztes findet ihre Grenze in dem - aus Sicht
des Bürgers - noch möglichen Wortsinn (Göhler, OWiG, 15. Auflage, § 3 Rn. 6;
Fischer, StGB, 61. Auflage, § 1 Rn. 24, jeweils m. w. N.). Soweit auf den Willen des
Gesetzgebers abgestellt werden soll, muss dieser im Gesetz einen hinreichend
bestimmten Ausdruck gefunden haben. Artikel 103 Abs. 2 GG enthält die
Verpflichtung des Gesetzgebers, die Voraussetzungen eines
Bußgeldtatbestandes so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und
Anwendungsbereich sowie Rechtsfolgen eines Verstoßes zu erkennen sind und
sich durch Auslegung ermitteln lassen (BVerfGE 47, 109 ff.). Diese Verpflichtung
dient einem doppelten Zweck, einerseits dem rechtsstaatlichen Schutz des
Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten
verboten und mit Strafe oder der Auferlegung eines Bußgeldes bedroht ist. Im
Zusammenhang damit soll andererseits sichergestellt werden, dass der
Gesetzgeber über die Strafbarkeit oder die Bußgeldvoraussetzungen entscheidet.
Insoweit enthält Artikel 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es
der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, über die
Voraussetzungen einer Bestrafung oder der Auferlegung eines Bußgeldes selbst
zu entscheiden (BVerfGE 71, 108 ff.). Gegenstand der Auslegung gesetzlicher
Bestimmungen kann immer nur der Gesetzestext sein. Der mögliche Wortsinn des
Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation.
Dieser Wortsinn ist aus der Sicht des Bürgers zu bestimmen (BVerfG, aaO).
15 (2) Das vollständige Entfernen eines Baumes aus dem Erdreich mitsamt den
Wurzeln durch „Umdrücken“ mit Hilfe einer Maschine als „abschneiden“ zu
bezeichnen, widerspricht bereits dem allgemeinen Wortsinn. „Schneiden“ bedeutet
mit einem Messer, einem anderen Schneidewerkzeug oder etwas ähnlich
Scharfem durch einen oder mehrere Schnitte „zerteilen“, „zerkleinern“ oder
„zerlegen“, von etwas „abtrennen“, „ablösen“ bzw. „kürzen“ und so in eine
bestimmte Form bringen, wie bei „beschneiden“ und „stutzen“ (vgl. Duden Das
Bedeutungswörterbuch, 3. Auflage; Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch,
1980). „Abschneiden“ bedeutet durch Schneiden etwas abtrennen oder entfernen
(Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch, 1980) bzw. kürzer schneiden, durch
Schneiden von etwas trennen, bis zum Ansatzpunkt wegschneiden, entfernen,
beseitigen (vgl. Duden Das Bedeutungswörterbuch, 3. Auflage; Duden Deutsches
Universalwörterbuch, 7. Auflage). Als Synonyme zu „abschneiden“ können u. a.
verwendet werden „absägen“, „abspalten“, „abtrennen“, „abmachen“,
„herunterschneiden“, „abrasieren“, „abscheren“, „beschneiden“, „kürzen“,
„wegschneiden“, „stutzen“ oder „kupieren“ (vgl. Duden Das Synonymwörterbuch,
5. Auflage). Alle mit diesen Synonymen beschriebenen Tätigkeiten entsprechen
nicht der hier festgestellten Handlung. Für diese hat die deutsche Sprache
treffendere und präzisere Begriffe wie z. B. „roden“, „entfernen“, „beseitigen“
„ausreißen“ oder „herausreißen“. So wird das Entfernen einer Pflanze mit den
Wurzelstöcken im Sinne einer endgültigen Beseitigung als „roden“ bezeichnet
(OLG Karlsruhe, NVwZ-RR 2003, 109 unter Hinweis auf BVerwGE 114, 226 ff.,
dort: „Ausreißen samt Hauptwurzel“).
16 (3) Auch im Kontext der gärtnerischen Behandlung von Pflanzen bedeutet
„abschneiden“ das Entfernen der Pflanze bis zum Ansatzpunkt; „abschneiden“ ist
dabei ein Terminus, der sich auf Gebüsche und Hecken bezieht und weniger auf
Bäume, die auch nach diesem Sprachgebrauch „gefällt“ werden (Egner/Fuchs,
aaO, Rn. 17; Frenz/Müggenborg; BNatSchG, 2011, § 69 Rn. 33). Auch das in § 39
Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG alternativ erwähnte „auf den Stock Setzen“
bedeutet abschneiden bis zum Ansatzpunkt und zwar in einer solchen Weise, die
dazu bestimmt und geeignet ist, einen verstärkten Neuaustrieb der Pflanze
anzuregen (Egner/Fuchs, aaO).
17 (4) Es gibt dazuhin keinen Anhaltspunkt, dass der Gesetzgeber die Bezeichnung
„abschneiden“ in einem weiter gefassten, über den normalsprachlichen Gebrauch
hinausgehenden Sinn verwendet wissen wollte. Vielmehr spricht er im Entwurf
zum Bundesnaturschutzgesetz in den Erläuterungen zu § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2
(BR-Drucks. 278/09, S. 212; BT-Drucks. 16/12274, S. 67) ebenfalls nur von einem
„Schneideverbot“, welches dem allgemeinen Schutz aller Arten, die auf die
genannten Gehölze angewiesen sind, dient. Hinweise, dass er das Wort
„abschneiden“ in einem den Wortsinn deutlich verändernden und ausdehnenden
Umfang gebraucht hat, finden sich darin nicht. Der Gesetzgeber verwendet
vielmehr im Gegenteil in derselben Vorschrift (§ 69 BNatSchG) an anderen Stellen
abweichende Begrifflichkeiten, die andersartige Tätigkeiten verbieten, und zeigt
so, dass er „abschneiden“ nicht als Oberbegriff verstanden hat. So finden sich in §
69 Abs. 2 BNatSchG die Begriffe „aus der Natur entnimmt“, „beschädigt“ oder
„zerstört“. Aus § 69 Abs. 3 Nr. 14 BNatSchG kann gefolgert werden, dass der
Gesetzgeber um sogar eine möglichst präzise Benennung der verschiedenen
(verbotenen) Tätigkeiten bemüht war, wenn er dort das Wort „zurückschneiden“
statt in Nr. 13 „abschneiden“ verwendet.
18 (5) Dass der Gesetzgeber auch im Bereich des Naturschutzrechts dem
Bestimmtheitsgebot genügende Begrifflichkeiten verwenden kann, zeigt darüber
hinaus der Vergleich mit den durch die Inanspruchnahme der konkurrierenden
Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich des Artenschutzrechts
unwirksam gewordenen früheren landesrechtlichen Regelungen. Gleichartige
Regelungen der Bundesländer sollten durch das neue Bundesnaturschutzgesetz
in eine nun einheitliche Bundesregelung überführt werden (BR-Drucks. 278/09, S.
125), ohne dass der Bundesgesetzgeber dabei jedoch die in den Ländergesetzen
verwendeten etablierten Begrifflichkeiten übernommen hat. So verwendet das
Naturschutzgesetz Baden-Württemberg in § 80 Abs. 2 Nr. 8 bzw. § 43 Abs. 2 die
Begriffe „roden, abschneiden oder auf andere Weise zerstören“. § 43 Abs. 2
NatSchG Baden-Württemberg kennt auch das „Fällen“ von Bäumen. Auch die
Vorgängervorschrift (Naturschutzgesetz Baden-Württemberg v. 21.10.1975)
verbot in § 29 Abs. 3 Nr. 1 „zu roden“ und „abzuschneiden“ und zeigte so durch
diese gleichwertige Aufzählung, dass in den bisherigen Regelungen
unterschiedliche tatsächliche Handlungen auch mit diesen unterschiedlichen
Worten erfasst wurden und somit „abschneiden“ auch im Naturschutzrecht nicht
als Oberbegriff für „roden“, „fällen“ oder „entfernen“ zu verstehen ist. Auch andere
Bundesländer kannten in ihren Naturschutzgesetzen (s. Übersicht bei
Lütkes/Ewer, BNatschG, 2011, § 39 Rn. 10) diese präzisere und differenziertere
Terminologie (z. B. § 29 Abs. 1 Nr. 5 Gesetz über Naturschutz und
Landschaftspflege von Berlin in der Fassung vom 3. November 2008: „fällen,
roden, auf andere Weise zu beseitigen“; § 48 Abs. 1 Nr. 5 Naturschutzgesetz des
Landes Sachsen-Anhalt vom 23. Juli 2004: „Bäume zu fällen“ und in Nr. 6: „zu
roden, abzuschneiden oder zu zerstören“; § 25 Abs. 1 Nr. 5 Sächsisches Gesetz
über Naturschutz und Landschaftspflege in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. Oktober 1994: „Bäume abzuschneiden, zu roden oder auf sonstige Weise
zu zerstören“; § 32 Abs. 3 Nr. 2 Naturschutzgesetz des Saarlandes in der
Fassung vom 21.11.2007: „Bäume … zu fällen, zu roden, ab- oder
zurückzuschneiden oder auf sonstige Weise zu beseitigen“).
19 (6) Der Schutzzweck der Vorschrift - Schutz der Vegetation während der
Vegetationsperiode zum Erhalt von Lebensstätten von Tieren - ist damit im
Ergebnis nur unzureichend erfüllt (Egner/Fuchs, aaO; Stöckel/Müller-Walter in
Erbs/Kohlhaas, aaO). Dies führt jedoch nicht zu einer erweiternden, analogen
Auslegung des „Abschneidens“. Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob und in
welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich
(und notwendig) erscheint, gerade mit den Mitteln des Ordnungswidrigkeitenrechts
verteidigen will (BVerfG, aaO). Den Gerichten ist es verwehrt, seine Entscheidung
zu korrigieren. Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift
hinausgehende „Interpretation" zu dem Ergebnis der Ordnungswidrigkeit eines
Verhaltens, so darf dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen. Die Gerichte müssen
daher in Fällen, die vom Wortlaut einer Straf- oder Ordnungswidrigkeitennorm nicht
mehr erfasst sind, zum Freispruch gelangen. Dies gilt auch dann, wenn als Folge
der wegen des Bestimmtheitsgebots möglichst konkret abzugrenzenden
Bußgeldnorm besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines
Bußgeldgesetzes herausfallen, mag auch das Verhalten in ähnlicher Weise
sanktionierungswürdig erscheinen. Insoweit muss sich der Gesetzgeber beim
Wort nehmen lassen. Es ist seine Sache zu entscheiden, ob er die sich aus einer
möglichen Lücke ergebende Lage bestehen lassen oder eine neue Regelung
schaffen will. Den Gerichten jedenfalls ist es durch Art. 103 Abs. 2 GG verboten,
dieser Entscheidung vorzugreifen (BVerfG, aaO). Gleichwohl bedurfte es hier
keines (Teil)Freispruchs, da das Handeln - wie oben ausgeführt - nach § 80 Abs. 1
Nr. 2 NatSchG Baden-Württemberg i. V. m. § 4 Abs. 1, 2 Nr. 7, § 8 VO
ordnungswidrig war.
20 cc) Das Entfernen der Bäume innerhalb des Zeitraums 1. März bis zum 30.
September kann auch nicht (mehr) über § 80 Abs. 2 Nr. 8 NatSchG Baden-
Württemberg sanktioniert werden. Seit Inkrafttreten des
Bundesnaturschutzgesetzes vom 29. Juli 2009 finden die früheren
landesrechtlichen Regelungen keine Anwendung mehr. Im Rahmen der
Föderalismusreform hat der Bund durch Artikel 74 Abs. 1 Nr. 29 GG die
konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis auf dem Gebiet des Naturschutzes und
der Landschaftspflege erhalten. Das Bundesnaturschutzgesetzes vom 29. Juli
2009, das am 1. März 2010 in Kraft getreten ist, hat dazu geführt, dass das frühere
Landesrecht insoweit teilweise unwirksam geworden ist. Im Bereich der
konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder nach Artikel 72 Abs. 1 GG
Befugnis zur Gesetzgebung (nur) solange und soweit der Bund von seiner
Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch macht. Der Erlass des
neuen Bundesnaturschutzgesetzes hatte daher zur Folge, dass landesrechtliche
Normen, die denselben Sachbereich regeln, wegen der Sperrwirkung des
konkurrierenden Bundesrechts und des damit verbundenen Wegfalls der
Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers unzulässig und nichtig
werden (s. Bayerischer Verfassungsgerichtshof, NUR 2011, 133 ff. mwN). Der
Bundesgesetzgeber hat ausdrücklich die Regelungen in Kapitel 5 des
Bundesnaturschutzgesetzes, zu denen § 39 BNatSchG gehört, als
abweichungsfesten Bereich angesehen, da in ihm der Artenschutz (s. Art. 72 Abs.
3 Satz 1 Nr. 2 GG) geregelt ist (BR-Drucks. 278/09, S. 125).
21 dd) Für weitere Ordnungswidrigkeitentatbestände aus dem BNatschG (z.B. § 69
Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG) fehlt es an ausreichenden
Feststellungen. Solche sind angesichts des Zeitablaufs auch nicht mehr zu
erwarten.
c)
22 Der Rechtsfolgenausspruch kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil das
Amtsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt folgerichtig - das tateinheitliche
Zusammentreffen zweier Bußgeldtatbestände zu Lasten des Betroffenen gewertet
hat. Die Begründung des Rechtsfolgenausspruchs begegnet aber auch im
Übrigen rechtlichen Bedenken.
23 aa) Nach § 17 Abs. 3 OWiG ist Grundlage für die Zumessung der Geldbuße die
Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft; auch die
wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters kommen in Betracht. Damit hat
Ausgangpunkt für die Bemessung der Geldbuße zu sein, welche Bedeutung das
ordnungswidrige Tun des Betroffenen, hier der Eingriff in ein Naturschutzgebiet, für
das durch die Vorschrift geschützte Rechtsgut hat. Dabei verbietet sich jede
schematische Betrachtung und Berechnung allein anhand der Anzahl entfernter
Bäume. Die Ausführungen des Tatrichters lassen allerdings befürchten, dass
gerade ein derartiger Schematismus hier den Blick für eine Gesamtabwägung
verstellt haben könnte.
24 bb) Da die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zur Zumessung der
Geldbuße nach § 17 OWiG allerdings ausreichend sind, kann der Senat gem. § 79
Abs. 6 OWiG selbst in der Sache entscheiden und die Geldbuße neu zuerkennen.
25 § 80 Abs. 3 NatSchG BW sieht eine Höchstgeldbuße von bis zu 50.000 EUR vor.
Entscheidend für die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit ist das Gesamtgewicht
des Eingriffs des Betroffenen im Schutzkontext des Naturschutzgebiets. Auch
wenn das Amtsgericht - wegen unzureichend genauer Beschreibung dessen, auf
das Bezug genommen werden soll - nicht wirksam nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO
i. V. m. § 46 OWiG auf die Lichtbilder und Pläne verwiesen hat, lässt sich anhand
der übrigen Feststellungen und des aus öffentlich zugänglichen Quellen
Ersichtlichen Umfang und Bedeutung der Ordnungswidrigkeit zureichend dem
Urteil entnehmen. Der Senat kann angesichts der festgestellten Anzahl entfernter
Bäume und der konkret benannten Gewanne und Flurstücknummern im
Verhältnis zur Gesamtausdehnung des Naturschutzgebiets selbst die Bedeutung
der Ordnungswidrigkeit beurteilen. Das Naturschutzgebiet „Weidach- und
Zettachwald“ liegt mitten im dicht besiedelten Großraum Stuttgart in direkter Nähe
zur Messe, zum Flughafen und zu einer Bundesautobahn und einer Bundesstraße
und ist daher besonders schutzbedürftig und eingriffsanfällig. Die entfernten
Bäume waren insgesamt weder auffällig morsch noch krank. Sie waren vielmehr
alle in der Lage, noch Knospen auszutreiben. Der Betroffene bewirtschaftet als
Landwirt sämtliche betroffenen Grundstücke. Es war weiter positiv zu
berücksichtigen, dass der Betroffene seine Täterschaft von Anfang an eingeräumt
hat, obwohl er von keinem der Zeugen unmittelbar identifiziert wurde. Für ihn
spricht auch, dass er vor der Hauptverhandlung sich dazu bereit erklärt hat,
Nachpflanzungen vorzunehmen. Die lange zurückliegende Tatzeit hat der Senat
ebenfalls zu seinen Gunsten berücksichtigt. Bei Würdigung all dieser Umstände
erachtet der Senat eine Geldbuße von 1.500 EUR nach der Bedeutung der
Ordnungswidrigkeit und dem Vorwurf, der den Betroffenen trifft, auch angesichts
seiner wirtschaftlichen Verhältnisse für angemessen.
3.
26 Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO i. V. m. § 46 OWiG. Die
Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte nur einen geringen Teilerfolg.
Angesichts der Ausführung in der Rechtsbeschwerdebegründung ist auch nicht
anzunehmen, dass die Einlegung des Rechtsmittels unterblieben wäre, wenn
schon das Urteil des Amtsgerichts so wie das des Rechtsbeschwerdegerichts
gelautet hätte (s. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage, § 473 Rn. 26; Göhler,
aaO, vor § 105 Rn. 128a).