Urteil des OLG Stuttgart vom 14.12.2015

materielle rechtskraft, anfechtung, rückbau, berufungskläger

OLG Stuttgart Beschluß vom 14.12.2015, 3 W 80/15
Tenor
Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigen der Klägerin zu 1, des
Prozessbevollmächtigten der Streithelferin und des Prozessbevollmächtigten der
Beklagten gegen den Streitwertbeschluss in dem Urteil der 10. Zivilkammer des
Landgerichts Stuttgart vom 17.06.2015 wird zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Kläger zu 3 und 4 vom 17.07.2015 wird als unzulässig verworfen,
soweit eine Neufestsetzung des Streitwerts geltend gemacht worden ist.
Gründe
I.
1 Gegenstand des Berufungsverfahrens vor dem Landgericht Stuttgart war die
Anfechtung eines Beschlusses der verklagten Wohnungseigentümergemeinschaft,
wonach der Kläger zu 5 die im Bereich seines Sondernutzungsrechts
vorgenommenen baulichen Veränderungen zurückzubauen und den
ursprünglichen Zustand wiederherzustellen habe. Das Landgericht hat das
klagabweisende Urteil des Amtsgerichts bestätigt und den Streitwert für das
Berufungsverfahren auf 3.000 EUR festgesetzt. Hiergegen wenden sich die
Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu 1, der Streithelferin und der Beklagten
aus eigenem Recht. Sie bringen vor, das Interesse des Klägers zu 5, die bauliche
Veränderung nicht zurückbauen zu müssen, sei mit den Rückbaukosten zu
veranschlagen, welche etwa 10.000 EUR betrügen. Ein etwaiger Abschlag auf
diese Kosten wegen des Umstands, dass der Aufforderungsbeschluss weniger
weitreichende Rechtsfolgen habe als etwa eine Klage auf Rückbau, könne
entsprechend dem Verhältnis einer Feststellungs- zur Leistungsklage
vorgenommen werden. Nach § 49a GKG sei noch das Interesse der
Mehrheitseigentümer an der Beseitigung dieser baulichen Veränderungen
hinzuzurechnen und sodann die Hälfte der Summe festzusetzen. Auf dieser
Grundlage ergebe sich ein Berufungsstreitwert von mindestens 6.500 EUR.
2 Die im Berufungsverfahren nicht beteiligten Kläger zu 3 und 4 haben vorgebracht,
der Streitwert solle neu festgesetzt werden.
II.
3 Die aus eigenem Recht erhobene sofortige Beschwerde der
Prozessbevollmächtigten ist statthaft (§ 68 Abs. 1 GKG, § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG)
und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Das Landgericht hat den
Berufungsstreitwert zutreffend mit 3.000 EUR bemessen.
4 1. Die Beschwerdebegründung geht zutreffend davon aus, dass sich der Streitwert
gemäß § 49a Abs. 1 Satz 1 GKG im Ausgangspunkt mit 50 % der Summe der
Interessen der Parteien bemisst. Hiervon ist das Landgericht in seiner
Nichtabhilfeentscheidung auch ausgegangen.
5 2. Entgegen der Auffassung der Beschwerden kann das Interesse der
Berufungskläger am Erfolg ihrer Berufung nicht mit den Kosten des Rückbaus der
streitgegenständlichen baulichen Veränderungen unter Abzug eines
Feststellungsabschlags von 20 % bemessen werden.
6 a) Das Interesse an der Anfechtung von Beschlüssen, durch welche ein
Wohnungseigentümer zu einem Tun oder Unterlassen unter Androhung
gerichtlicher Maßnahmen aufgefordert wird, kann nicht mit dem Interesse des
betroffenen Wohnungseigentümers gleichgesetzt werden, dieser Aufforderung
nicht Folge leisten zu müssen. Auch ein Abschlag, welcher demjenigen einer
Feststellungsklage gegenüber dem Leistungsinteresse vergleichbar ist, erscheint
zu gering bemessen. Denn eine Feststellungsklage schafft lediglich keinen
Vollstreckungstitel, die materielle Rechtskraft eines Feststellungsurteils erfasst den
Streitgegenstand aber nicht weniger weitgehend als ein Urteil über eine
Leistungsklage. Demgegenüber unterliegt die Anfechtung eines Beschlusses der
Wohnungseigentümergemeinschaft, durch welchen ein Wohnungseigentümer zu
einem bestimmten Verhalten aufgefordert worden ist, nur einer beschränkten
gerichtlichen Kontrolle im Hinblick auf die Frage, ob ein solcher Beschluss
ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht. Soll ein Vollstreckungstitel geschaffen
werden, so bedarf es einer Klage der Mehrheitseigentümer, deren Ausgang durch
die Entscheidung im Verfahren der Beschlussanfechtung nicht präjudiziert wird
(vgl. BGH, Urteil vom 30.11.2012 - V ZR 234/11, NJW-RR 2013, 335 Rn. 15). Dies
rechtfertigt es, das Interesse des betroffenen Wohnungseigentümers an der
Anfechtung eines Aufforderungsbeschlusses mit einem Drittel des Interesses zu
bemessen, welches der Wohnungseigentümer daran hat, der Aufforderung nicht
folgen zu müssen.
7 b) Es kann hier offen bleiben, ob das Interesse der Berufungskläger an der
Anfechtung des im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Beschlusses
höher zu bewerten wäre, wenn die verklagten Mehrheitseigentümer für sich in
Anspruch genommen hätten, mit diesem Mehrheitsbeschluss eine eigenständige
Rechtsgrundlage für den von ihnen verlangten Rückbau geschaffen zu haben.
Denn ein solcher Sachverhalt lag nicht vor.
8 Die Beklagte hat bereits in erster Instanz in der Klageerwiderung vom 17.12.2013
ausgeführt, dass der angefochtene Beschluss nichtig wäre, wenn hierdurch
konstitutiv eine Pflicht zum Rückbau hätte begründet werden sollen. Zugleich hat
die Beklagte die Auffassung vertreten, der Beschluss sei dahingehend
auszulegen, dass nicht Ansprüche begründet werden sollten, sondern lediglich die
Aufforderung ausgesprochen werden solle, bestehenden Ansprüchen
nachzukommen. Ob diese Ansprüche tatsächlich bestünden, sei nicht in dem
Verfahren über den Aufforderungsbeschluss, sondern erst in einem etwaigen
Folgeprozess zu klären. Nachdem der Beschluss nicht die Androhung gerichtlicher
Schritte für den Fall beinhalte, dass der Aufforderung nicht nachgekommen werde,
gleiche dieser einem „zahnlosen Tiger“.
9 Gegenstand des Berufungsverfahrens war demnach lediglich die Frage, ob der
angefochtene Beschluss wegen fehlender Beschlusskompetenz der
Mehrheitseigentümer nichtig ist oder wegen seines Aufforderungscharakters zwar
zulässig ist, aber letztlich keinerlei Rechtswirkungen hervorbringt.
10 3. Gegen die Bemessung des Interesses der beklagten Eigentümergemeinschaft
an der Wirksamkeit des angefochtenen Beschluss mit 2.500 EUR sind
Einwendungen im Beschwerdeverfahren weder vorgebracht noch sonst ersichtlich.
11 4. Wie das Landgericht im Nichtabhilfebeschluss zutreffend ausgeführt hat, ist das
Interesse der Berufungskläger demnach mit 3.500 EUR und dasjenige der
Berufungsbeklagten mit 2.500 EUR zu bemessen, woraus sich ein
Berufungsstreitwert von 3.000 EUR errechnet.
III.
12 Der Antrag der Kläger zu 3 und 4 in ihrem Beschwerdeschriftsatz vom 17.07.2015,
den Streitwert neu festzusetzen, ist als Beschwerde gegen die
Streitwertfestsetzung unzulässig.
13 Sofern der Antrag der Kläger zu 3 und 4 als Beschwerde gegen die Festsetzung
des Berufungsstreitwerts auszulegen sein sollte, fehlt es hierfür an einer Beschwer,
weil den Klägern zu 3 und 4 im Berufungsurteil keine Kostentragung auferlegt
worden ist, so dass diese durch die Streitwertfestsetzung für das
Berufungsverfahren nicht berührt werden. Sollten die Kläger zu 3 und 4 sich gegen
die Festsetzung des Streitwerts für das erstinstanzliche Verfahren durch das
Amtsgericht wenden wollen, so kann dies dem Schriftsatz vom 17.07.2015 nicht
mit der erforderlichen Deutlichkeit entnommen werden.
IV.
14 Die Entscheidung ergeht gemäß § 68 Abs. 3 GKG gebührenfrei, Kosten werden
nicht erstattet.