Urteil des OLG Stuttgart vom 12.07.2016

postulationsfähigkeit, vertagung, befangenheit, unparteilichkeit

OLG Stuttgart Beschluß vom 12.7.2016, 3 W 39/16; 3 W 43/16
Tenor
Auf die sofortigen Beschwerden der Klägerin werden die Beschlüsse der 2. Zivilkammer des Landgerichts
Stuttgart vom 18.04.2016 und vom 15.06.2016 abgeändert. Die Ablehnungsgesuche der Klägerin gegen
Vorsitzende Richterin am Landgericht ... werden für begründet erklärt.
Gründe
1 Die sofortigen Beschwerden der Klägerin sind zulässig und begründet.
2 I. Ein Ablehnungsgrund nach § 42 Abs. 2 ZPO liegt vor, wenn aus der Sicht der ablehnenden Partei bei
vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven
Einstellung des Richters zu zweifeln. Dafür genügt es, dass die Umstände geeignet sind, der Partei Anlass zu
begründeten Zweifeln zu geben, da es bei den Vorschriften der Befangenheit von Richtern darum geht,
bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu
vermeiden. Die Vorschriften dienen zugleich der Verwirklichung des verfassungsrechtlich gewährleisteten
Anspruchs der Parteien, nicht vor einem Richter stehen zu müssen, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt
(BGH, NJW 2012, 1890 Rn. 10).
3 II. Umstände, welche jedenfalls den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit
tragen, sind von der Klägerin glaubhaft gemacht worden.
4 II. Der vom Landgericht auf den 18.02.2016 bestimmte Verhandlungstermin fand nicht statt, obwohl die als
Klägervertreterin auftretende Rechtsreferendarin aufgrund ihrer Bestellung durch die Rechtsanwaltskammer
des Saarlandes postulationsfähig war (§ 53 Abs. 7 BRAO) und damit prozessrechtlich kein Hindernis bestand,
streitig zur Sache zu verhandeln. Erhebliche Gründe, welche gemäß § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die
Vertagung einer Verhandlung erforderlich sind, lagen folglich nicht vor.
5 II. Der Umstand, dass sich die von der abgelehnten Richterin beschlossene Vertagung als fehlerhaft erweist,
begründet allerdings für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht. Es ist nicht zu beanstanden,
dass die abgelehnte Richterin zunächst eine nähere Prüfung der Postulationsfähigkeit für erforderlich hielt,
bevor sie in die Verhandlung zur Güte und die streitige Verhandlung zur Sache eintrat, zumal die Vertretung
von Rechtsanwälten durch Rechtreferendare im Verfahren vor dem Landgericht jedenfalls im hiesigen Bezirk
nicht üblich ist. Die Klägerin hat aber glaubhaft gemacht, dass die abgelehnte Richterin bei ihrer
Entscheidung, die Verhandlung zu vertagen, den Eindruck erweckt hat, der Klägerin nicht gänzlich
unvoreingenommen gegenüber zu stehen.
6 Angesichts des Umstands, dass die Klägerin und ihre Terminsvertreterin eine Anreise von etwa drei Stunden
zurückgelegt hatten, war es geboten, die Durchführung des anberaumten Verhandlungstermins nicht
vorschnell aufzugeben. Dem wurde die anberaumte Vertagung nicht gerecht. Zwar bringt die abgelehnte
Richterin in ihrer dienstlichen Stellungnahme vor, sie habe eine Durchführung des Termins in zwei Stunden
angeboten, womit weder die Klägervertreterin noch der Beklagtenvertreter „wirklich einverstanden“
gewesen seien. Abgesehen davon, dass sich dieses Angebot einer Terminsverlegung am selben Tag nicht aus
dem Verhandlungsprotokoll ergibt und auch aus der dienstlichen Äußerung nicht nachvollziehbar wird, wie
sich denn nun die Parteien und Parteivertreter zu diesem Vorschlag erklärt haben sollen, ist auch nicht zu
ersehen, weshalb die Prüfung der Postulationsfähigkeit zwei Stunden hätte in Anspruch nehmen sollen.
Denn zum einen wurde die maßgebliche Vorschrift des § 53 BRAO in der Bestellungsurkunde der
Rechtsanwaltskammer des Saarlandes zitiert, zum anderen hatte nach dem Vorbringen der Klägerin - zu
welchem sich die abgelehnte Richterin in ihrer dienstlichen Stellungnahme gar nicht erklärt hat - auch der
Beklagtenvertreter bestätigt, dass Rechtsreferendare vor den Landgerichten aufgrund ihrer Bestellung als
Vertreter postulationsfähig sein können. Zur Vermeidung des Anscheins, den Interessen der Klägerin nicht
unvoreingenommen entgegenzustehen, hätte daher eine kurze Unterbrechung der Sitzung stattfinden
können und müssen, um in die Prüfung der Postulationsfähigkeit zumindest einmal einzusteigen. Hätte sich
die Prüfung dann als aufwendig herausgestellt, so hätte immer noch vertagt werden können.
7 Nachdem die abgelehnte Richterin nach dem Vorbringen der Klägerin, welchem die dienstliche
Stellungnahme insoweit nicht entgegen getreten ist, auf den Hinweis der Hin- und Rückreisezeit von jeweils
rund drei Stunden mit „Na und?“ reagiert hat, ist der Anschein mangelnder Unparteilichkeit gegeben.
8 III. Erweist sich bereits das erste Ablehnungsgesuch der Klägerin als begründet, so liegen auch im Hinblick auf
das zweite Gesuch Ablehnungsgründe vor, weil die Gründe des ersten Antrags fortwirken. Auf die Frage, ob -
wie behauptet - die dienstliche Stellungnahme der abgelehnten Richterin zu dem ersten Ablehnungsantrag
wahrheitswidrig gewesen ist, kommt es dabei nicht an.
9 IV. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil die Kosten der erfolgreichen Beschwerde solche des
Rechtsstreits sind.