Urteil des OLG Stuttgart vom 18.12.2014

adhäsionsverfahren, vergütung, rechtskräftiges urteil, auflage

OLG Stuttgart Beschluß vom 18.12.2014, 2 Ws 74/14
Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts im Strafverfahren: Vertretung des
Angeklagten gegen die Adhäsionsklagen mehrerer Geschädigter
Leitsätze
Wenn ein beigeordneter Rechtsanwalt den Angeklagten gegen die Adhäsionsklagen
mehrerer Geschädigter in einem Strafverfahren vertritt, sind für die Vergütung des
Rechtsanwalts die Gegenstandswerte der Adhäsionsklagen zusammenzurechnen,
weil die Adhäsionsverfahren eine gebührenrechtliche Angelegenheit im Sinne von §
22 Abs. 1 RVG bilden.
Tenor
Die Beschwerde des Verteidigers Rechtsanwalt G. gegen den Beschluss des
Landgerichts Stuttgart vom 18. März 2014 wird als unbegründet
v e r w o r f e n.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1 Der Mandant des Beschwerdeführers wurde durch rechtskräftiges Urteil des
Landgerichts - Jugendkammer - Stuttgart vom 15. Oktober 2012 wegen
gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher
gefährlicher Körperverletzung in sechs tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu
der Jugendstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Auf die Adhäsionsklagen
dreier Nebenkläger wurde er zusammen mit 17 Mitangeklagten als
Gesamtschuldner verurteilt, an die Nebenkläger 90.000 Euro bzw. zwei Mal 9.250
Euro abzüglich der im Verfahren erbrachten Zahlungen zu leisten und weiter einem
der Nebenkläger eine monatliche Rente von 120 Euro zu bezahlen. Darüber hinaus
wurde festgestellt, dass er und die 17 Mitangeklagten als Gesamtschuldner
verpflichtet sind, den drei Nebenklägern in Zukunft aus der Tat erwachsende
Schäden zu ersetzen. Hinsichtlich der Adhäsionsklagen der drei Nebenkläger hatte
das Landgericht dem Angeklagten den Beschwerdeführer gemäß § 404 Abs. 5
Satz 2 StPO auch zu seiner Verteidigung gegen die Adhäsionsklagen beigeordnet.
Der Beschwerdeführer verteidigte ihn im Verfahren und war von seinem Mandanten
auch für die Adhäsionsverfahren bevollmächtigt worden. Die Gegenstandswerte für
die Adhäsionsverfahren bezifferte das Landgericht Stuttgart mit 158.000 Euro sowie
zwei Mal 13.250 Euro.
2 Durch Beschluss vom 26. Februar 2013 setzte die Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle auf den Antrag des Beschwerdeführers die diesem aufgrund der
o.a. Bestellungen aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung für die drei
Adhäsionsverfahren auf 930,58 Euro fest. Die Vergütung setzte sich nach § 49 a.F.
i.V.m. VV Nr. 4143 RVG aus zwei Verfahrensgebühren aus einem
Gegenstandswert von 184.500 Euro (158.000 Euro + 2 Mal 13.250 Euro), also 782
Euro zuzüglich 148,58 Euro Umsatzsteuer, zusammen. Die Urkundsbeamtin
rechnete die Gegenstandswerte der drei Adhäsionsklagen nach § 22 Abs. 1 RVG
zusammen, weil sie die drei Adhäsionsverfahren als dieselbe Angelegenheit im
Sinne der Vorschrift ansah. Auf die Erinnerung des Beschwerdeführers änderte die
Jugendkammervorsitzende durch den angefochtenen Beschluss vom 18. März
2014 den Beschluss der Urkundsbeamtin dahin ab, dass die Vergütung des
Beschwerdeführers für die drei Adhäsionsverfahren auf 954,38 Euro erhöht wurde.
Auch nach der Auffassung der Jugendkammervorsitzenden handelte es sich bei
den drei Adhäsionsverfahren um eine Angelegenheit. Allerdings seien einerseits die
Abwehr der Adhäsionsklagen und andererseits die Verteidigung des Angeklagten
im Strafverfahren verschiedene Angelegenheiten im Sinne von § 22 Abs. 1 RVG,
weshalb dem Beschwerdeführer in den Adhäsionsverfahren eine weitere
Kostenpauschale in Höhe von 20 Euro zzgl. 3,80 Euro Umsatzsteuer zustünde. Mit
seiner rechtzeitig eingelegten Beschwerde vom 8. April 2014 macht der
Beschwerdeführer geltend, jedes der drei Adhäsionsverfahren sei jeweils eine
Angelegenheit im Sinne von § 22 Abs. 1 RVG, weshalb sich seine Vergütung
hierfür nach § 49 a.F. RVG i.V.m. Nr. 4143 VV RVG auf 2.153,90 Euro (782 Euro +
514 Euro + 514 Euro + Umsatzsteuer aus dem Gesamtbetrag) belaufe.
II.
3 Die zulässige fristgebundene Beschwerde, über die gemäß § 56 Abs. 2 i.V.m. 33
Abs. 8 Satz 1 RVG der Einzelrichter beim Senat zu entscheiden hat und bei der der
Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt (§§ 56 Abs. 2 i.V.m. 33
Abs. 3 Satz 1 RVG), ist unbegründet. Die Tätigkeiten des Beschwerdeführers zur
Abwehr der drei Adhäsionsklagen der Nebenkläger betrafen dieselbe
Angelegenheit im Sinne von § 22 Abs. 1 i.V.m. §§ 15ff. RVG. Dem
Beschwerdeführer stehen deshalb nach § 49 a.F. i.V.m. VV Nr. 4143 RVG nur die
von der Urkundsbeamtin im Beschluss vom 26. Februar 2013 berechnete
Vergütung von 930,58 Euro und die von der Jugendkammervorsitzenden gewährte
weitere einfache Kostenpauschale für die drei Adhäsionsverfahren nach VV Nr.
7002 RVG von 23,80 Euro, die auch nach der Auffassung des Senats angefallen ist
(a.A. OLG Düsseldorf, ARS 2014, 176ff.), zu. Damit beläuft sich seine Vergütung für
die drei Adhäsionsverfahren auf die 954,38 Euro, die die
Jugendkammervorsitzende im angefochtenen Beschluss festgesetzt hat.
4 Nach § 22 Abs. 1 RVG werden in derselben Angelegenheit die Werte mehrerer
Gegenstände zusammengerechnet. In der Rechtsprechung ist bei
Adhäsionsklagen mit mehr als zwei Parteien umstritten, unter welchen
Voraussetzungen von einer gebührenrechtlichen Angelegenheit im Sinne des § 22
Abs. 1 RVG auszugehen ist, wenn ein Rechtsanwalt mit mehreren Klagen befasst
ist. Die Oberlandesgerichte Düsseldorf (AGS 2014, 176ff.) und Brandenburg (AGS
2009, 325 f.) nehmen regelmäßig dann eine Angelegenheit an, wenn die Klagen in
einem gerichtlichen Verfahren verhandelt und entschieden werden. Das
Kammergericht Berlin (AGS 2009, 484) geht jedenfalls dann von mehreren
Angelegenheiten aus, wenn den Adhäsionsklagen mehrere Taten des Angeklagten
im materiell-rechtlichen Sinn der §§ 52 ff. StGB zugrunde liegen. Der Senat folgt der
Auffassung der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Brandenburg (a.a.O.). Nach §
403 StPO kann der Verletzte oder sein Erbe im sog. Adhäsionsverfahren gegen
den Beschuldigten einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen
Anspruch, der zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehört, im Strafverfahren
geltend machen. Die Entscheidung über die strafrechtlichen und bürgerlich-
rechtlichen Folgen einer Straftat in einem Verfahren dient der Durchsetzung der
berechtigten Interessen des Opfers der Straftat und der Prozessökonomie (Hilger in
Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, vor § 403, Rn. 8). Gleichwohl ist für solche
bürgerlich-rechtlichen Ansprüche nach §§ 23, 71 GVG regelmäßig die
Zuständigkeit der Zivilgerichte gegeben. Zur Vermeidung von
Bewertungswidersprüchen stellt der Senat deshalb auf die im Zivilrecht gefundene
Lösung für die vorliegende Frage ab. Danach kommt es auf den strafrechtlichen
Tatbegriff, der im Zivilrecht keine Bedeutung hat, nicht an.
5 In der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur (OLG Bamberg, JurBüro 1978,
696; OLG Hamburg JurBüro 1979, 533 jeweils zum früheren, gleichlautenden § 7
Abs. 2 BRAGO; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage, VV Nr. 3100
RVG, Rn. 33; Bischof in Bischof u.a., RVG, 6. Auflage, § 22, Rn. 19; Enders in
Hartung/Schons/Enders, RVG, 2. Auflage, § 15, Rn. 7, 15, 26 f.; dagegen auf den
Einzelfall abstellend Schneider in AnwaltKommentar RVG, 7. Auflage, § 15, Rn. 35)
entspricht es herrschender Meinung, dass im Falle subjektiver wie objektiver
Klagehäufung in einem gerichtlichen Verfahren eine Angelegenheit vorliegt, wenn
ein Rechtsanwalt mehrere Klagen vertritt oder auf der Beklagtenseite abwehrt.
Dabei wird die einheitliche Angelegenheit im Sinne von § 22 Abs. 1 i.V.m. §§ 15ff.
RVG in der Weise umschrieben, dass sie gegeben ist, wenn ein einheitlicher
Auftrag des Rechtsanwalts vorliegt, seine Tätigkeit sich im gleichen Rahmen hält
und zwischen den einzelnen Handlungen des Rechtsanwalts ein innerer
Zusammenhang besteht (vgl. Mayer in Gerold/Schmidt, a.a.O., § 15, Rn. 6ff.). Diese
Voraussetzungen werden im Fall subjektiver und objektiver Klagehäufung, die in §§
15ff. RVG keine ausdrückliche gesetzliche Regelung gefunden hat, zu Recht als
gegeben angesehen (Müller-Rabe, a.a.O., VV Nr. 3100 RVG, Rn. 33; Mayer, a.a.O.,
§ 15, Rn. 5). Wären die drei Adhäsionsklagen in der vorliegenden Sache als
bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten geführt worden, so hätte ein Fall subjektiver
Klagehäufung vorgelegen, weil mehrere Personen als Kläger auftraten. Zugleich
wäre ein Fall der objektiven Klagehäufung gegeben gewesen, weil mehrere
Klageansprüche (Zahlung, Feststellungsklage und Rentenanspruch) verfolgt
wurden. Beides hätte für den Beschwerdeführer nicht zum Vorliegen mehrerer
gebührenrechtlicher Angelegenheiten geführt. Für das Adhäsionsverfahren gilt
deshalb des Gleiche. Dafür spricht im vorliegenden Fall im Übrigen auch der
Gesichtspunkt, dass alle drei Adhäsionsklagen in materiell-rechtlicher Hinsicht von
der Beteiligung des vom Beschwerdeführer vertretenen Adhäsionsbeklagten an der
vorgeworfenen Tat abhingen. Wesentliche Tätigkeiten des Beschwerdeführers wie
etwa die von der Verteidigung vorgetragene Einlassung des Angeklagten zur
Sache am 157. Verhandlungstag wirkten sich damit unmittelbar und zugleich in
allen drei Adhäsionsverfahren aus.
6 Die Annahme einer Angelegenheit hat für den beigeordneten Rechtsanwalt zur
Folge, dass sich nach § 49 a. F. RVG die Gebühr für Gegenstandswerte über
30.000 EUR nicht mehr über den Betrag von 391 Euro hinaus erhöht, obwohl sich
der Betrag, mit dem der Rechtsanwalt im Falle nicht ordnungsgemäßer Tätigkeit
haftet, weiter erhöhen kann und auch ein Mehraufwand denkbar ist. Konkretes
hierzu hat der Beschwerdeführer jedoch nicht vorgetragen. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2008, 1063) ist die
getroffene Regelung trotz dieser Folgen jedenfalls dann verfassungsgemäß, wenn
der Rechtsanwalt seine Bereitschaft zur Übernahme des Mandats als
beigeordneter Rechtsanwalt erklärt hat. Das war hier der Fall.
7 Das Rechtsmittel ist deshalb als unbegründet zu verwerfen. Das Verfahren über die
Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2,
Satz 3 RVG).