Urteil des OLG Stuttgart vom 21.12.2015

einstweilige verfügung, beteiligung am verfahren, wiederholungsgefahr, beschränkung

OLG Stuttgart Beschluß vom 21.12.2015, 2 W 46/15
Tenor
Da das Beschwerdegericht die Beschwerde für begründet erachtet, wird dem
Vorsitzenden der 44. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart
übertragen, die beantragte
e i n s t w e i l i g e V e r f ü g u n g
zu erlassen.
Gründe
I.
1
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet, sie führt gemäß §
572 Abs. 3 ZPO zur ausgesprochenen Anordnung.
A
2
Der Antragsteller hat das, was er in seiner Abmahnung vom 07.08.2015 (A 4)
unter Ziff. 1 und 1.3 als Unterlassungserklärung eingefordert hatte, und welche die
Antragsgegnerin so auch abgegeben hatte (A 5), allerdings mit der Ergänzung:
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„sofern nicht - sinngemäß - darauf hingewiesen wird, dass die Aussagekraft der
festgestellten Werte schulmedizinisch umstritten ist“
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nun zum Verfügungsantrag I erhoben, jetzt seinerseits mit der Ergänzung:
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sofern dies geschieht, wie in Anlage A 3 wiedergegeben.
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Er sah im Vorbehalt in der Unterlassungserklärung der Antragsgegnerin eine
unklare Einschränkung, da über Art und Ort eines solchen Hinweises in der
Werbung nichts gesagt sei; nur diese Umstände aber könnten nach den
jeweiligen Umständen irreführungsausschließend wirken. Der allgemeine
Vorbehalt erfasse den Unterlassungsanspruch nicht so, dass die
Wiederholungsgefahr beseitigt werde.
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Das
Landgericht
wies den Verfügungsantrag zurück, da die Abmahnung nicht
auf einen konkreten Verstoß bezogen gewesen sei und der Vorbehalt aus dem
Irreführungsbereich herausführe. Insoweit werde keine unklare Grenze
geschaffen. Mit dem nun beantragten Verfügungstitel wäre „nichts gewonnen, ...“
(US 3 = Bl. 24). Dass die Einschränkung nach der Unterlassungserklärung nicht
bestimmbar sei, sei ohne Bewandtnis, „da mit der Entscheidung keine
kerngleichen Verstöße in Frage stehen“ (US 3).
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Dagegen wendet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.
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Da die Nichtabhilfeentscheidung vom Landgericht der Antragsgegnerin
zugänglich gemacht worden ist (Bl. 43), hat die Antragsgegnerin ihre Beteiligung
am Verfahren angezeigt, ihr wurde deshalb Gelegenheit zur Stellungnahme
eingeräumt, wovon sie Gebrauch gemacht hat.
B
1.
10 Dass der Verfügungsantrag - den vorprozessualen Vorgang hinweggedacht -
begründet ist, begegnet keinen Zweifeln.
a)
11 Mit „sofern dies geschieht, wie in Anlage A 3 wiedergegeben“ wird nur die
konkrete Verletzungsform zum Gegenstand des Verfügungsverfahrens gemacht
(BGH GRUR 2010, 248 [Tz. 13] - Kamerakauf im Internet), drückt aus, dass
Gegenstand des Antrags allein die konkret beanstandete Werbung sein soll (BGH
GRUR 2012, 842 [Tz. 13] - Neue Personenkraftwagen).
b)
12 Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass die dort etwa enthaltene werbliche
Angabe
13 „
Die Haar-Mineralstoff-Analyse (HMA)
14 Eingeschlossen in unser Haar finden wir zahlreiche Informationen über unsere
Lebensumstände. Ernähren wir uns ausgewogen? Leben wir in einer
schadstofffreien Umwelt? Sind wir Schwermetallen ausgesetzt? Mittels einer
Haar-Mineralstoff-Analyse finden wir Antworten auf diese Fragen, decken
Mangelerscheinungen auf und können drohende Vergiftungen feststellen.“
15 wissenschaftlich nicht gesichert sei, und ist damit der ihr insoweit obliegenden
Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast (Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG,
33. Aufl. [2015], § 5, 3.26; Dreyer in Harte/Henning, UWG, 3. Aufl. [2013], § 5, M 7;
vgl. auch BGH GRUR 2012, 647 [Tz. 33] - INJECTIO) gerecht geworden.
16 Dies sieht die Antragsgegnerin ersichtlich nicht anders, da dies ihre
Einschränkung ihrer Unterlassungserklärung aufnimmt.
2.
17 Die Wiederholungsgefahr, welche durch die Verletzungshandlung zu vermuten ist
(BGH GRUR 2014, 1120 [Tz. 30] - Betriebskrankenkasse II), ist durch die
abgegebene Unterlassungserklärung nicht entfallen.
a)
18 Galt früher die Forderung, dass eine Unterwerfungserklärung bedingungslos oder
unbedingt sein müsse (vgl. Ottofülling in MünchKomm-Lauterkeitsrecht, 2. Aufl.
[2014], § 12 UWG, 220; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und
Verfahren, 10. Aufl. [2011], Kap. 8, 8), so gelten nicht nur Beschränkungen, die
das materielle Recht widerspiegeln, als unproblematisch (Bornkamm in
Köhler/Bornkamm a.a.O. § 12, 1.126; vgl. auch Brüning in Harte/Henning a.a.O. §
12, 139 f.), vielmehr hat sich in den letzten Jahren die Rechtsprechung auch
gegenüber Einschränkungen von Unterwerfungserklärungen großzügiger gezeigt,
die keine Grundlage im materiellen Recht haben. Mit einer solchen
Unterwerfungserklärung kann freilich immer nur eine Beschränkung, niemals ein
Wegfall der Wiederholungsgefahr und damit des Unterlassungsanspruchs erreicht
werden. Die einzige Frage, die sich dabei stellt, ist die, ob die Begrenzung Zweifel
an der Ernsthaftigkeit des Unterlassungsversprechens begründen kann oder
nicht. Dies ist wiederum davon abhängig, ob der Schuldner für die Beschränkung
ein berechtigtes Interesse anführen kann oder ob es erkennbar nur darum geht,
dem Gläubiger die Verfolgung seines Anspruchs zu erschweren. Für den
Gläubiger von vornherein unzumutbar sind Beschränkungen, die zu unklaren
Grenzen und damit zu einer Grauzone führen, in der zweifelhaft ist, ob der
vertragliche oder der gesetzliche Anspruch besteht (Bornkamm a.a.O. 1.131;
Büscher in Fezer, UWG, 2. Aufl. [2010], § 8, 70; Feddersen in GK-UWG, 2. Aufl.
[2015], § 12, B, 116). Um die Wiederholungsgefahr zu beseitigen, muss die
Unterwerfungserklärung den gesetzlichen Unterlassungsanspruch nach Inhalt
und Umfang voll abdecken (BGHZ 171, 151 [Tz. 41] - Wagenfeld-Leuchte I;
Büscher in Fezer a.a.O. § 8, 69; Feddersen a.a.O. § 12, B, 116). Insofern können
Zweifel an der Reichweite der Unterlassungsverpflichtung auch nachträglich -
etwa durch entsprechende Erklärungen im Unterlassungsprozess - ausgeräumt
werden (BGH GRUR 1998, 483 [juris Tz. 27] - Der M.-Markt packt aus; Feddersen
a.a.O. 116). Eine in Teilen jedenfalls wirksame und insoweit die
Wiederholungsgefahr grundsätzlich in Wegfall bringende Teilunterwerfung liegt
aber nur vor, wenn es sich hierbei um einen sicher abgrenzbaren Teil des
gesetzlichen Unterlassungsanspruchs handelt (Feddersen a.a.O. 122). Eine
Teilunterwerfung kommt danach nur in Betracht, wenn der Teil, hinsichtlich dessen
die Einschränkung erfolgen soll, klar abgrenzbar ist, um spätere
Auslegungsschwierigkeiten und Zweifelsfragen über die Reichweite der
Unterwerfungserklärung zu vermeiden (Büscher a.a.O. § 8, 74). Bestehen am
Inhalt der Unterlassungserklärung auch nur geringe Zweifel, so ist sie
grundsätzlich nicht geeignet, ihre Funktion zu erfüllen (BGH a.a.O. [juris Tz. 27] -
Der M.-Markt packt aus; OLG Köln MMR 2002, 620). So darf sich der Schuldner
nicht die Fortsetzung des abgemahnten (irreführenden) Verhaltens unter
Hinzufügung einer nicht näher definierten Aufklärung in Sternchenform
vorbehalten (OLG Köln a.a.O.; Teplitzky a.a.O. Kap. 8, 9).
b)
19 Diesen Klarheitserfordernissen ist die von der Antragsgegnerin am 14.08.2015
abgegebene Unterlassungserklärung (A 5) nicht gerecht geworden. Zwar war die
Abmahnung ihrerseits dort abstrakt gehalten (so wie der jetzige Verfügungsantrag,
ohne allerdings die Beschränkung: „sofern dies geschieht ...“), weshalb nicht als
ausgeschlossen gelten muss, dass eine davon mit erfasste Werbung gleichwohl
keinen gesetzlichen Unterlassungsanspruch auszulösen vermag, wenn der
vorbehaltene Hinweis auf die schulmedizinische Umstrittenheit des beworbenen
Verfahrens klar und unzweifelhaft in unmittelbarem Zusammenhang mit der an
sich irreführenden werblichen Aussage platziert wird. Der Vorbehalt in der
Unterlassungserklärung („sofern nicht ... hingewiesen wird, dass ... umstritten“)
erfasst aber auch Fälle, bei denen dieser Hinweis ohne hinreichende Verbindung
mit der Aussage oder selbst zu klein oder sonstwie nicht so gehalten ist, dass die
gebotene Aufklärung damit in einer die Irreführung ausschließenden Weise
geschehen würde. Da die Grenzziehung, wann dieser vorbehaltene
unzureichende Hinweis ausreichend wäre, nach der Fassung der
Unterwerfungserklärung vom 14.08.2015 nicht geleistet wird, ist sie nicht nur
bezüglich des Hinweises, sondern im Hinblick auf ihre Unklarheit insgesamt
ungeeignet gewesen, die Wiederholungsgefahr auszuräumen.
20 Deshalb steht diese Unterwerfungserklärung dem nunmehr geltend gemachten
Unterlassungsanspruch mangels jeglicher Kongruenz nicht entgegen.
c)
21 Zwar kann - wie ausgeführt - eine solche, der Unterwerfungserklärung selbst nicht
innewohnende hinreichende Klarstellung auch noch später beigefügt werden und
so - etwa im Unterlassungsprozess - zum Wegfall der Wiederholungsgefahr
führen, was dann ein erledigendes Ereignis darstellen würde. So aber verhält es
sich vorliegend nicht. Mit ihrem Schriftsatz vom 18.12.2015, der Folge der vom
Landgericht geschaffenen Beteiligung der Antragsgegnerin am
Verfügungsantragsstadium war, und der dortigen Erläuterung, dass „die
Antragsgegnerin sich durch die Unterlassungserklärung nicht die Möglichkeit
abschneiden wollte, grundsätzlich auf die untersuchten Medikamente
hinzuweisen, selbstverständlich mit einem entsprechenden Hinweis“ (Bl. 53
unten), wird eine gebotene klare und eindeutige Art der Beschränkung nicht
geleistet. Von diesem Erfordernis entfernt sie sich im bezeichneten Schriftsatz
noch weiter, wenn dort zu lesen ist, dass „ein solcher Hinweis ... aus dem
Kernbereich der Unterlassungserklärung hinausführen [würde], ..., wenn streitig
wäre, ob den Anforderungen an die Lesbarkeit und Verständlichkeit genügt wird ...
Dies wäre jedoch, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, ein anderer
Streitgegenstand.“ (Bl. 54). Die Frage, ob ihr Vorbehalt hinreichend klar und
eindeutig umschrieben ist, um sie aus dem Irreführungs- und damit
Unterlassungs(kern-)bereich herauszuführen, hat mit der Frage des
Streitgegenstandes unmittelbar nichts zu tun. Wäre der Vorbehalt ausreichend
geschehen, so wäre der vom Streitgegenstand umfasste gesetzliche
Unterlassungsanspruch erfüllt. Dass im Falle eines neuen werblichen Auftritts mit
einem - dann - aufklärenden Zusatz sich die Frage stellt, ob der
Unterlassungsvertrag verletzt ist, ändert an dessen „Streitgegenstand“ nichts,
ebenso wenig wie die Frage, ob ein Verstoß gegen einen Unterlassungstitel
vorliegt und deshalb ein Ordnungsgeld geboten ist, diese am Streitgegenstand
des titelschaffenden Verfahrens etwas ändert.
22 Die gebotene Art des Vorbehalts, die der Senat selbst nicht formulierend vorgeben
muss, fehlt auch weiterhin, weshalb die Wiederholungsgefahr für den nun geltend
gemachten gesetzlichen Unterlassungsanspruch nicht entfallen war und dem
Verfügungsantrag deshalb zu entsprechen ist.
3.
23 Die beantragte einstweilige Verfügung ist danach zu erlassen.
24 Um einen dem herkömmlichen Verfahrensablauf gleichkommenden Vorgang zu
schaffen, macht der Senat von § 572 Abs. 3 ZPO Gebrauch (vgl. hierzu Ball in
Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. [2015], § 572, 16 bis 18; Wulf in BeckOK-ZPO, § 572
[Stand: 01.06.2015], 21; Heßler in Zöller, ZPO, 31. Aufl. [2016], § 572, 30; Lipp in
MünchKomm-ZPO, 4. Aufl. [2012], § 572, 34). Dies ist insbesondere dem
maßgeblichen Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit (vgl. hierzu Ball a.a.O. 16)
geschuldet, da ansonsten oft Zweifel über den weiteren richtigen
Verfahrensfortgang bestehen (fälschlicherweise Widerspruch beim OLG eingelegt
etc.).
II.
25 Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu Lasten der
Antragsgegnerin hat die zu erlassende einstweilige Verfügung mit aufzunehmen.
26 Mangels deren Statthaftigkeit (§ 574 Abs. 1 ZPO) ist über die Zulassung einer
Rechtsbeschwerde schon nicht zu befinden.