Urteil des OLG Stuttgart vom 30.07.2015

auflösung, widerstand, bekanntgabe, räumung

OLG Stuttgart Urteil vom 30.7.2015, 2 Ss 9/15
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte: Zeitspanne von mehreren Stunden
zwischen Widerstandshandlung und ihrer Wirkung
Leitsätze
Ein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB kann
auch dann vorliegen, wenn bei einer voraussehbaren Vollstreckung die Zeitspanne
zwischen der Widerstandshandlung und ihrer Wirkung bei einer
Vollstreckungsmaßnahme mehrere Stunden beträgt.
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom
20. Oktober 2014
a u f g e h o b e n .
Die getroffenen Feststellungen werden
a u f r e c h t e r h a l t e n.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Stuttgart
z u r ü c k v e r w i e s e n .
Gründe
I.
1 Der Angeklagte D. B. wurde mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 16. Oktober
2012 und der Angeklagte U. L. mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 26.
November 2012 jeweils wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer
Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt. Die Höhe des einzelnen Tagessatzes
wurde beim Angeklagten B. auf 40 EUR, beim Angeklagten L. auf 10 EUR
festgesetzt.
2 Gegen diese Entscheidungen legten sowohl die beiden Angeklagten als auch die
Staatsanwaltschaft Berufung ein. In der Berufungsinstanz wurden beide Verfahren
wegen Sachzusammenhangs mit Beschluss vom 2. Mai 2014 zur gemeinsamen
Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart
vom 20. Oktober 2014 wurden die Urteile des Amtsgerichts Stuttgart vom 16.
Oktober und 26. November 2012 aufgehoben. Beide Angeklagten wurden aus
tatsächlichen und rechtlichen Gründen freigesprochen. Die Berufung der
Staatsanwaltschaft wurde jeweils verworfen.
3 Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Revision.
II.
4 Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5 Die Angeklagten B. und L. engagieren sich gegen das Bahnprojekt „Stuttgart 21“.
In der Nacht vom 14. auf den 15. Februar 2012 fand in einem Teilbereich des
Mittleren Schlossgartens in Stuttgart, der sich weitgehend mit dem zukünftigen
Baufeld deckt, eine nicht angemeldete, „Lange Nacht der Bürgerbeteiligung“
genannte Versammlung von Personen statt, die gegen die beabsichtigte Fällung
von Bäumen protestierten. An dieser Versammlung nahmen die beiden
Angeklagten ab einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt teil.
6 Bereits am 22. Dezember 2011 hatte das Amt für öffentliche Ordnung der
Landeshauptstadt Stuttgart durch sofort vollziehbare Allgemeinverfügung ein
Aufenthalts- und Betretungsverbot für Teile der Mittleren Schlossgartenanlage ab
Beginn/Bekanntgabe der Einsatzmaßnahmen der Polizei angeordnet. Die
Bekanntgabe erfolgte am selben Tag im Stuttgarter Amtsblatt. Mehrere Eilanträge
gegen diese Entscheidung wurden mit Beschluss des VG Stuttgart vom 24. Januar
2012 unter der Maßgabe zurückgewiesen, dass durch Auflagen eine Präzisierung
in zeitlicher Hinsicht erfolgte. Beschwerden gegen diesen Beschluss wurden am 1.
Februar 2012 durch den VGH Baden-Württemberg verworfen. Mit Schreiben vom
13. Februar 2012 wurde das Polizeipräsidium Stuttgart vom Amt für öffentliche
Ordnung der Landeshauptstadt Stuttgart als Ortspolizeibehörde angewiesen, den
Einsatzbeginn zur Durchsetzung der vorgenannten Allgemeinverfügung durch
vorgegebene ausführliche Lautsprecherdurchsagen bekannt zu geben. Der
Einsatzbeginn wurde zugleich auf den 15. Februar 2012, 3.00 Uhr, festgelegt. Am
15. Februar 2012, 0.00 Uhr, erließ das Amt für öffentliche Ordnung der
Landeshauptstadt Stuttgart als Versammlungsbehörde eine sofort vollziehbare
Allgemeinverfügung, mit der die Versammlung „in den Mittleren Anlagen in
Stuttgart-Mitte“ aufgelöst wurde und deren Teilnehmer aufgefordert wurden, den
Versammlungsort unverzüglich zu verlassen. Als alternativer Versammlungsort
wurde ihnen der „Bereich auf der Wiese zwischen dem Planetarium und dem
Biergarten in den Mittleren Anlagen“ zugewiesen und für den Fall, dass sie den
Versammlungsort nach entsprechender Aufforderung durch den
Polizeivollzugsdienst nicht räumen sollten, die Anwendung unmittelbaren Zwangs
durch den Polizeivollzugsdienst angedroht.
7 Ab 2.34 Uhr wandte sich die Polizei im Namen der Stadt mit vorgegebenen
Lautsprecherdurchsagen an die in großer Zahl anwesenden
Versammlungsteilnehmer. Die Kerninhalte der Durchsagen wurden mittels
Lauflichtbändern an den bis zu fünf eingesetzten Lautsprecherkraftwagen
visualisiert. Mit Durchsagen um 2.34 Uhr und um 2.42 Uhr wurden die
Demonstranten unter Hinweis auf die sofortige Vollziehbarkeit der Verfügung über
die Auflösung der Versammlung und einen alternativen Versammlungsplatz
unterrichtet, wobei der Wortlaut vom schriftlich verfassten Text der
Allgemeinverfügung der Versammlungsbehörde vom 15. Februar 2015 abwich. So
wurde mitgeteilt, dass die Versammlung „im Mittleren Schlossgarten in einem durch
die Straße Am Schlossgarten, die Schillerstraße, die Willy-Brandt-Straße sowie
eine gedachte Linie zwischen der Südfassade des Gebäudes Willy-Brandt-Straße
41 und der Ausfahrt aus dem ehemaligen Zentralen Omnibusbahnhof umgrenzten
Bereich“ aufgelöst ist und „im Mittleren Schlossgarten auf dem dahinter liegenden
Areal zwischen dem Wullesteg und dem Biergarten“ fortgesetzt werden könne.
Zugleich wurden die Demonstranten aufgefordert, den bisherigen
Versammlungsort unverzüglich zu verlassen und widrigenfalls ein Platzverweis
erteilt. Mit insgesamt 25 weiteren Durchsagen zwischen 3.05 Uhr und 7.12 Uhr -
nunmehr unter Hinweis auf das mit Allgemeinverfügung vom 22. Dezember 2011
verhängte Aufenthalts- und Betretungsverbot - forderten die Polizeikräfte die
Demonstranten weiter auf, den Versammlungsort, der im weiteren Verlauf
abgesperrt wurde, zu verlassen. Dabei wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass
Ausgänge über den Ferdinand-Leitner-Steg, durch die Klett-Passage und in
Richtung der Haltestelle Staatsgalerie benutzt werden können.
8 Die beiden Angeklagten hatten sich als Teilnehmer der Versammlung entweder
bereits im Verlauf des 14. Februar 2012 oder erst am 15. Februar 2012 zu einem
nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen 0.00 Uhr und 7.30 Uhr in das
im zu räumenden Bereich gelegene Zelt Nr. 5.4. begeben, um der von ihnen
erwarteten Räumungsaufforderung der Polizei entsprechend der
Allgemeinverfügung vom 22. Dezember 2011 nicht zu folgen. Dort hatten sie sich
nebeneinander mit der Vorderseite ihres Körpers auf den gefrorenen Boden gelegt
und jeweils einen Arm in ein PVC-Rohr mit einem Durchmesser von 100 bis 120
mm, welches am unteren Ende mit einer Stahlkette und einem Bügelschloss
einbetoniert war, gesteckt. An dem Bügelschloss fixierten sie sich mittels einer am
Handgelenk angebrachten Manschette und einer Kette.
9 Gegen 7.30 Uhr - als das Versammlungsgelände zu einem guten Teil geräumt war
- stellten Polizeikräfte fest, dass die angeketteten Angeklagten nicht aus dem Zelt
Nr. 5.4. geführt werden konnten. Daraufhin wurde die technische Einsatzeinheit,
die sich ab 0.00 Uhr in einem Raum im Stadtgebiet von Stuttgart und ab 4.00 Uhr
im Mittleren Schlossgarten bereit gehalten hatte, hinzugezogen. Zwei Beamte
trugen zunächst die hartgefrorene Erde mit einem Presslufthammer bis zu einer
Tiefe von 0,5 m ab, schnitten die PVC-Rohre mit einem Trennschleifer auf und
lösten die Stahlketten u.a. mit Zangen. Die Arbeiten dauerten beim Angeklagten B.
von 08.17 Uhr bis 10.24 Uhr, beim Angeklagten L. von 08.17 Uhr bis 10.53 Uhr.
Dabei wurden vier Pausen von jeweils bis zu fünf Minuten eingelegt, um
Pressevertretern das Fotografieren und Filmen im Zelt zu ermöglichen. Eine
weitere Pause entstand von 08.46 Uhr bis um 09.05 Uhr, weil ein Kompressor
ausgetauscht werden musste. Nach Beendigung der Maßnahmen konnten die
Angeklagten, die sich gegenüber den Einsatzkräften zu jeder Zeit kooperativ
verhielten, weggeführt werden.
10 Beide Angeklagten wussten von Anfang an, dass sie sich nicht ohne fremde Hilfe
aus dieser Lage befreien konnten, sondern dass hierzu Polizeikräfte
herangezogen werden mussten. Ihnen war die Allgemeinverfügung der Stadt
Stuttgart vom 22. Dezember 2011 bekannt. Sie rechneten mit der Räumung des
Baufeldes durch Einsatzkräfte. Hingegen konnte nicht festgestellt werden, dass sie
am 15. Februar 2012 ab ca. 2.30 Uhr von der Verfügung zur Auflösung der
Versammlung Kenntnis erlangt hatten.
11 Die Angeklagten glaubten nicht daran, mit ihren Aktionen die zeitnahe Rodung von
Bäumen im Mittleren Schlossgarten und/oder den Fortgang des Projekts „Stuttgart
21“ verhindern zu können. Vielmehr verfolgten sie einen an die Öffentlichkeit
gerichteten Kommunikationszweck. Ein messbarer Schaden entstand durch ihre
Aktion ebenso wenig, wie eine Verzögerung der Bauarbeiten oder des Rodens von
Bäumen im Mittleren Schlossgarten. Die in der Folge erlassenen
Gebührenbescheide des Polizeipräsidiums Stuttgart über jeweils 120 EUR wurden
von den Angeklagten beglichen.
III.
12 Das Landgericht hat die beiden Angeklagten aus tatsächlichen und rechtlichen
Gründen freigesprochen.
13 Eine Strafbarkeit nach § 113 StGB scheide deshalb aus, weil sich die Amtsträger
bei der zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt am 14. oder 15. Februar
2012 prophylaktisch erfolgten Widerstandshandlung nicht im „Kontaktbereich“ der
Angeklagten befunden hätten. Das Verhalten sei auch nicht nach § 240 StGB
strafbar, da es bei einzelfallbezogener Abwägung nicht rechtswidrig gewesen sei.
Zwar lässt die Strafkammer dahinstehen, ob die vorliegenden, gegen die
Angeklagten als Versammlungsteilnehmer gerichteten polizeilichen Maßnahmen
die von § 113 Abs. 3 StGB bei verfassungsgemäßer Auslegung und Anwendung
des sog. „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes“ vorausgesetzten
Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung erfüllen, kommt
im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit nach § 240 StGB jedoch zu dem
Ergebnis, diese sei mangels einer wirksamen Auflösung der Versammlung, an der
die beiden Angeklagten teilnahmen, rechtswidrig gewesen. Die
versammlungsrechtliche Auflösungsverfügung sei nicht ausreichend bestimmt
gewesen und nur unvollständig und missverständlich bekannt gegeben worden.
Außerdem sei deren Kenntnisnahme durch die beiden Angeklagten nicht
nachweisbar. Ordnungswidrigkeiten nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 VersG
sowie nach § 113 Abs. 1 OWiG lägen ebenfalls nicht vor.
14 Mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, von der
Generalstaatsanwaltschaft vertretenen Revision rügt die Staatsanwaltschaft die
Verletzung sachlichen Rechts, insbesondere die Ablehnung einer Strafbarkeit
nach § 113 StGB.
15 Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Urteil des Landgerichts Stuttgart mit
den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine
andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Die Verteidiger beantragen
jeweils, die Revision der Staatsanwaltschaft zu verwerfen.
IV.
16 Die zulässige Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
17 Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit Recht, dass das Landgericht mit nicht
tragfähiger Begründung die Erfüllung des Tatbestands des § 113 StGB verneint
hat und so bei beiden Angeklagten zu Freisprüchen gelangt ist.
18 1) Das Anketten in den einbetonierten PVC-Rohren stellt ein „Widerstand leisten“
mit Gewalt dar.
19 Unter Widerstand leisten i.S.d. § 113 StGB ist das – auch untaugliche oder
erfolglose – Unternehmen zu verstehen, den Amtsträger durch ein aktives
Vorgehen zur Unterlassung der Vollstreckungshandlung als solcher zu nötigen
oder diese zu erschweren (Fischer, StGB, 62. Aufl., § 113 Rn. 22). Die gegen das
Verbringen an einen anderen Ort gerichtete Ankettung der beiden Angeklagten
erfüllt diese Voraussetzungen. Selbst wenn man unterstellt, dass die Angeklagten
mit der Ankettungsaktion bezweckten, öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Anliegen
zu erzielen (Urteil S. 23), nahmen sie zumindest billigend in Kauf, dass dieser
Zweck nur dadurch erreicht werden konnte, dass die Polizei die Ankettung jeweils
mit technischem Gerät durchtrennen musste, um das Areal zu räumen. Diese
Erschwerung der Räumung, die vom Eventualvorsatz der beiden Angeklagten
umfasst war, genügt für die Annahme einer Widerstandsleistung.
20 2) Zutreffend hat das Landgericht das Vorgehen auch – allerdings ausdrücklich
nur im Rahmen der Ausführungen zu § 240 Abs. 1 StGB – als Ausübung von
„Gewalt“ qualifiziert (Urteil S. 31). Diese Würdigung ist aufgrund desselben
Begriffsgehalts auf den Tatbestand des § 113 StGB übertragbar. Unter Gewalt ist
ein Einsatz materieller Zwangsmittel durch tätiges Handeln gegen die Person des
Vollstreckenden zu verstehen, der geeignet ist, die Vollendung einer
Diensthandlung zumindest zu erschweren (Fischer aaO, Rn. 23 mwN). Unter
Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum
strafrechtlichen Gewaltbegriff liegt auch in solchen Fällen Gewalt vor, in denen die
Schwelle zum rein passiven Widerstand bzw. zivilen Ungehorsam überschritten
wird und über eine rein psychische Zwangswirkung hinaus ein physisch
wirkendes Hindernis zur Verhinderung einer bevorstehenden
Vollstreckungshandlung errichtet wird; auf die Entfaltung körperlicher Kraft durch
die Täter selbst kommt es insoweit nicht an (BGHSt 44, 34, 39 f.; OLG Celle, Urteil
vom 12. August 2003 - 22 Ss 86/03 -, zit. nach juris). Dass auch das mit dem Ziel
der Erschwerung von Vollstreckungsmaßnahmen vorgenommene Selbstanketten
von Personen an Sachen Gewalt darstellt, hat das Bundesverfassungsgericht
ausdrücklich als eine mit Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbarende und damit
verfassungsrechtlich zulässige Auslegung des Gewaltbegriffs angesehen
(BVerfGE 104, 92, 102; BVerfG, Beschl. vom 7. Februar 2002 - 2 BvR 1262/01 -,
zitiert nach juris; BVerfG NJW 2006, 136). Unerheblich ist dabei, dass die
Angeklagten die polizeilichen Maßnahmen zur Freilegung und Entfernung der
Fixierungsmittel ohne zusätzliche Widerstandshandlungen geschehen ließen.
21 3) Dagegen hält die Annahme der Strafkammer, das Widerstandleisten sei nicht
„bei der Vornahme einer Diensthandlung“ erfolgt, rechtlicher Prüfung nicht stand.
Der Senat hat hierzu in seinem Urteil vom 22. Dezember 2014 (2 Ss 221/14)
Folgendes ausgeführt:
22 Das Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ ist dahin
gehend zu verstehen, dass sich der Täter einer bereits begonnenen oder
unmittelbar bevorstehenden, aber noch nicht beendeten Vollstreckungshandlung
widersetzt (Fahl in SSW-StGB, 2. Aufl. 2014, § 113 Rn. 5 mwN.). Dafür reicht es
aus, dass sich die Tathandlung in dieser Zeitspanne auswirkt, mag auch die
Tathandlung selbst vorher vorgenommen worden sein (BGHSt 18, 133, 135; LG
Stuttgart, Urteil vom 25. April 2013, 102 Ns 1 Js 26695/12 Hw.; Rosenau in LK-
StGB, 12. Aufl. 2009, § 113 Rn. 20 mwN.). Es genügt, wenn der Täter eine
Widerstandshaltung einnimmt, die später auf den absehbaren Vollstreckungsakt
trifft und auf diesen abzielt (Paeffgen in NK-StGB, 4. Aufl. 2013, § 113 Rn. 26).
Dass sich der Amtsträger schon zum Zeitpunkt der vorweggenommenen
Widerstandshandlung im „Kontaktbereich“ des von der Amtshandlung Betroffenen
befinden muss, wird – anders als vom Landgericht angenommen – gerade nicht
vorausgesetzt.
23 Zu der Frage, wie weit die zeitliche Diskrepanz zwischen vorweggenommenem
Widerstand und Vollstreckungsmaßnahme reichen darf, finden sich in der
Rechtsprechung keine konkreten Vorgaben. Die Literatur verlangt – ebenfalls
ohne nähere Konkretisierung – eine zeitlich-räumliche Nähe zum bevorstehenden
Amtswalter-Handeln (Rosenau a.a.O. Rn. 20; Kühl/Heger, StGB, 28. Aufl. 2014, §
113 Rn. 4). Im Hinblick auf den Zweck des § 113 StGB, den rechtsförmlich zum
Ausdruck gebrachten Staatswillen und die zu seiner Ausführung berufenen
Organe wirksam zu schützen (Eser in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, §
113 Rn. 2), kommt nach Auffassung des Senats eine Tatbestandsverwirklichung
bei einer voraussehbaren Vollstreckung auch dann in Betracht, wenn – wie
vorliegend – die Zeitspanne bis zum Zusammentreffen von Widerstand und
Vollstreckungsmaßnahme mehrere Stunden beträgt.
24 Da die Strafkammer – rechtlich unzutreffend – von der Notwendigkeit einer
zeitlichen Koinzidenz von Vornahme der Widerstandshandlung und
Vollstreckungshandlung ausgegangen ist, hat sie die Erfüllung des
Tatbestandsmerkmals „bei Vornahme der Vollstreckungshandlung“ für das
Geschehen am 14./15. Februar 2012 und damit eine Strafbarkeit nach § 113 StGB
zu Unrecht abgelehnt. Wie sich aus den Feststellungen zum Sachverhalt ergibt,
befanden sich die Angeklagten in dem ab ca. 3.30 Uhr abgesperrten Bereich, der
bis zu ihrer Entdeckung und der Hinzuziehung der technischen Einsatzeinheit
gegen 7.30 Uhr „nahezu geräumt“ worden war (Urteil S. 22). Der durch das
Anketten vorweggenommene Widerstand traf somit auf mehrere Stunden
dauernde Vollstreckungsmaßnahmen zur Räumung des Geländes, die durch
zahlreiche Lautsprecherdurchsagen mit der Aufforderung zum Verlassen des
Versammlungsorts begleitet waren. Entgegen der von den Verteidigern auch in der
Revisionshauptverhandlung vertretenen Auffassung ergibt sich aus den
Feststellungen des Landgerichts ausreichend konkret die Diensthandlung, die sich
gerade gegen die Angeklagten richtete und gegen die Widerstand geleistet wurde.
Dass sich die dabei eingesetzten Polizeibeamten im Hinblick auf das von den
Angeklagten durch die Ankettung gebildete physische Hindernis an der Räumung
gehindert sahen, wird hier dadurch verdeutlicht, dass zu deren Befreiung die
technische Einsatzeinheit hinzugezogen werden musste (vgl. Urteil S. 22). Auch
wenn nicht auszuschließen ist, dass sich die Angeklagten bereits vor Auflösung
der Versammlung und Beginn der polizeilichen Räumungsmaßnahmen anketteten,
war ihr Handeln nach den Gesamtumständen von vornherein von der Absicht
getragen, eine von ihnen - ggfs. mehrere Stunden später - erwartete Räumung des
Geländes zumindest zu erschweren. Dieser Erfolg ist wie beabsichtigt eingetreten.
25 4) Eine Strafbarkeit nach § 113 StGB scheidet auch nicht aus, weil es an der
Rechtmäßigkeit der Amtshandlung fehlte. Zu der vom Landgericht wegen
Ablehnung des objektiven Tatbestands des § 113 StGB zunächst offen
gelassenen, bei Prüfung der Tatbestandsmerkmale des § 240 StGB letztlich aber
verneinten Frage der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Diensthandlungen gem. §
113 Abs. 3 StGB bemerkt der Senat Folgendes:
26 a) Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit gem. § 113 Abs. 3 StGB ist nach dem vom
Bundesverfassungsgericht (BVerfGK 11, 102, 109 ff.) ausdrücklich als
verfassungsgemäß angesehenen sog. „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff“
nicht darauf abzustellen, ob alle in dem jeweiligen in Bezug genommenen
Rechtsgebiet normierten Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der jeweiligen
Diensthandlung erfüllt sind, sondern ob sie formell rechtmäßig war (Fischer, aaO,
§ 113 Rn. 11; Eser in Schönke/Schröder StGB, 29. Aufl., § 113, Rn. 21 mwN).
Nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hängt die Rechtmäßigkeit von
der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Beamten zum Eingreifen sowie
von den zum Schutz des Betroffenen geltenden wesentlichen Förmlichkeiten ab,
soweit solche vorgeschrieben sind. Bei der Konkretisierung dieser Anforderungen
haben die Strafgerichte der Bedeutung der durch die Diensthandlung betroffenen
Grundrechte Rechnung zu tragen. Werden dem Amtsträger ohne Weiteres
erkennbare rechtliche Voraussetzungen seiner Befugnisse nicht beachtet,
überwiegt das in einem Rechtsstaat wichtige Interesse des Bürgers, darauf
vertrauen zu dürfen, dass die Amtsträger die allgemeinen Anforderungen an ein
rechtmäßiges Verhalten kennen und beachten. Werden entsprechende
grundlegende rechtliche Anforderungen an Grundrechtseingriffe verletzt, darf der
auf die Möglichkeit zur Ausübung seines Grundrechts gerichtete Widerstand des
Grundrechtsträgers gegen die Diensthandlung – für den kein Anlass bestanden
hätte, wenn ein verständiger Amtsträger die entsprechenden rechtlichen
Voraussetzungen eines solchen Grundrechtseingriffs beachtet und ihn deshalb
unterlassen hätte – nicht nach § 113 Abs. 1 StGB mit einer strafrechtlichen
Sanktion geahndet werden (BVerfGK 11, 102, Rn. 35 ff.).
27 Erfolgt - wie im vorliegenden Fall - die Diensthandlung durch Beamte des
Polizeivollzugsdienstes auf Weisung einer örtlich und sachlich zuständigen
Behörde, so ist der Vollzugsakt auch bei materieller Rechtswidrigkeit der
behördlichen Entscheidung rechtmäßig, wenn der jeweilige Vollzugsbeamte die
Weisung im Vertrauen auf ihre Rechtmäßigkeit in gesetzlicher Form vollzieht, es
sei denn, sie ist offensichtlich rechtswidrig oder der Beamte erkennt den Irrtum
seines Weisungsgebers (vgl. hierzu u.a. BGHSt 4, 161; KG Berlin, StraFo 2005,
435; OLG Köln, NJW 1975, 889; Eser in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 113,
Rn. 31 mwN). Dies entspricht der vorstehend dargestellten Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts.
28 b) Die polizeiliche Maßnahme, auf deren strafrechtliche Rechtmäßigkeit es
vorliegend ankommt, war die gegenüber den Versammlungsteilnehmern am 15.
Februar 2012 ergangene Anordnung, den bisherigen Versammlungsort zu
verlassen. Dabei handelte es sich um einen Platzverweis gem. § 27a Abs. 1 PolG.
Mit dieser gem. §§ 49 ff. PolG vollstreckbaren Verfügung konkretisierte der
insoweit sachlich und örtlich zuständige Polizeivollzugsdienst die aus der sofort
vollziehbaren Allgemeinverfügung des Amtes für öffentliche Ordnung der
Landeshauptstadt Stuttgart vom 15. Februar 2012 resultierende Pflicht der
Teilnehmer, sich unverzüglich zu entfernen.
29 Auf Grund der von der örtlich und sachlich zuständigen Behörde verfügten und vor
Ort bekanntgegebenen Auflösung der Versammlung durften die mit der
Durchsetzung des Platzverweises gegenüber den Angeklagten betrauten
Polizeibeamten nach den Urteilsfeststellungen davon ausgehen, dass die
Angeklagten nicht mehr unter dem Schutz des Versammlungsrechts standen.
30 Neben der Bekanntgabe der Versammlungsauflösung ist grundsätzlich von dem
ausführenden Beamten als weitere wesentliche Förmlichkeit dem jeweiligen
Betroffenen der Platzverweis zu eröffnen und - für den Fall, dass dieser nicht
befolgt wird - die Anwendung unmittelbaren Zwangs anzudrohen. Hierzu verhalten
sich die Urteilsgründe hinsichtlich der beiden Angeklagten nicht. So wurden
Feststellungen, ob der Polizeibeamte, der die Angeklagten gegen 7.30 Uhr im Zelt
Nr. 5.4 entdeckte, oder die hinzugerufenen Beamten der technischen
Einsatzeinheit den bereits im Rahmen der polizeilichen Lautsprecherdurchsagen
verkündeten Platzverweis gegenüber den Angeklagten nochmals ausdrücklich
erklärten und dessen Durchsetzung mittels unmittelbaren Zwangs androhten, nicht
getroffen. Dies kann jedoch dahinstehen, da die ausdrückliche Bekanntgabe der
Maßnahmen im konkreten Fall ausnahmsweise entbehrlich war. Die Angeklagten
hatten sich durch ihre Selbstfixierung bewusst und in Erwartung einer polizeilichen
Räumungsmaßnahme auch gezielt der Möglichkeit begeben, einen Platzverweis
zu befolgen. In Anbetracht dessen war sowohl für die Angeklagten, als auch für
die beteiligten Polizeibeamten von vornherein offensichtlich, dass in der konkreten
Situation die Angeklagten nicht selbstständig in der Lage waren, sich zu entfernen
und dass deren Fixierung nur mit technischen Mitteln zu überwinden war. Eine
ausdrückliche Erklärung des Platzverweises wäre daher ebenso wie die
Androhung unmittelbaren Zwangs sinnentleert gewesen.
31 c) Entgegen der Auffassung der Strafkammer genügte die Auflösungsverfügung in
der bekanntgegebenen Form den sich aus der Gewährleistung des Art. 8 GG
ergebenden besonderen Anforderungen an ihre Bestimmtheit. Den
Versammlungsteilnehmern wurde ausreichend bewusst gemacht, dass der
versammlungsrechtliche Schutz der Teilnahme endet (vgl. BVerfGK 11, 102 Rn.
47).
32 Bei der Auflösung handelt es sich um die Beendigung einer bereits durchgeführten
Versammlung mit dem Ziel, die Personenansammlung zu zerstreuen. Da die
Auflösungsverfügung als gestaltender Verwaltungsakt der Versammlung den im
Versammlungsgesetz konkretisierten Schutz des Art. 8 GG nimmt und die
Möglichkeit eröffnet, gegen Teilnehmer mit polizeilichen Maßnahmen vorzugehen,
muss sie eindeutig und nicht missverständlich formuliert sein und für die
Versammlungsbeteiligten als Betroffene klar zum Ausdruck bringen, dass die
Versammlung aufgelöst ist (BVerfG, NJW 2005, 353; NVwZ 2007, 1180, 1182).
Der die Auflösung erklärenden Behörde steht dabei jede Erklärungsform zur
Verfügung, die nicht bereits den unmittelbaren polizeilichen Zwang zur
Durchsetzung der Entfernungspflicht darstellt, weil die Auflösungsverfügung als
Allgemeinverfügung am Veranstaltungsort – häufig in angespannter Atmosphäre –
gegenüber einer Vielzahl von Personen ergeht. Soweit entsprechend den sich
insoweit ergebenden praktischen Bedürfnissen eine mündliche Erklärung erfolgt,
muss daraus für die Beteiligten bei verständiger Würdigung hinreichend deutlich
werden, dass die Auflösung der Versammlung gewollt und erklärt ist (OVG
Saarlouis, Beschluss vom 27. Oktober 1988 - 1 R 169/86 - zit. nach juris; OLG
Celle, NVwZ-RR 2006, 254).
33 Da es insoweit auf den Empfängerhorizont ankommt, ist vorliegend nicht auf den
Text der schriftlichen Allgemeinverfügung vom 15. Februar 2012, sondern auf den
im Rahmen der polizeilichen Lautsprecherdurchsagen gegenüber den
Versammlungsteilnehmern bekanntgegebenen Wortlaut abzustellen. Der am 15.
Februar 2012 um 02.34 Uhr und 02.42 Uhr erfolgten Lautsprechermitteilung, die
Versammlung sei aufgelöst, wie auch den folgenden Durchsagen, mit denen auf
das Aufenthalts- und Betretungsverbot hingewiesen wurde, lässt sich nach dem
objektiven Erklärungsinhalt unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts der
eindeutige behördliche Wille entnehmen, die bis dahin durchgeführte
Versammlung mit dem Ziel zu beenden, die Personenansammlung zu zerstreuen.
Vor allem dadurch, dass die Lautsprecherdurchsagen die weiteren Aussagen
enthielten, dass der detailliert bezeichnete und in der Folge abgesperrte Bereich
zu verlassen sei sowie, dass die Versammlung an anderer Stelle fortgesetzt
werden könne, konnte bei den anwesenden Demonstranten am behördlichen
Entschluss, die Fortführung der Versammlung am bisherigen Ort nicht zuzulassen,
kein vernünftiger Zweifel bestehen. Die Teilnehmer konnten erkennen, dass sie
sich nunmehr zu entfernen hatten, für die Weiterführung der Veranstaltung am
bisherigen Ort den Schutz des Versammlungsrechts nicht für sich in Anspruch
nehmen konnten und für den Fall der Nichtbefolgung mit polizeilichen
Maßnahmen zu rechnen hatten.
34 Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der Allgemeinverfügung vom 15. Februar
2012 entsprechend deren Wortlaut tatsächlich um eine Auflösung der
Versammlung handelte oder ob diese ihrem Regelungsgehalt nach lediglich eine
(auch als „Auflage“ bezeichnete) beschränkende Verfügung der
Versammlungsbehörde in Form einer örtlichen Verlagerung der Versammlung
darstellte. Letztere findet ihre Rechtsgrundlage ebenfalls in § 15 Abs. 3 VersG.
Diese Vorschrift ermächtigt nicht alleine zur Auflösung einer Versammlung, welche
regelmäßig nur das letzte, äußerste Mittel zur Gefahrenabwehr sein kann.
Vielmehr ermöglicht sie der Behörde auch den Einsatz milderer und angesichts
der konkreten Sachlage angemessener Mittel. So darf die Versammlungsbehörde
auch während einer laufenden Versammlung anstelle der Auflösung von einer
räumlichen Beschränkung Gebrauch machen, wie sich aus der in § 15 Abs. 3
VersG in Bezug genommenen Befugnis nach § 15 Abs. 1 VersG, die
Versammlung von „bestimmten Auflagen“ abhängig zu machen, ergibt. Eine
Durchsetzung beschränkender Verfügungen ist ebenso wie die Auflösung einer
Versammlung mit Mitteln des Verwaltungszwangs möglich (BVerwG, NJW 1982,
1008; VGH Mannheim, NVwZ 1989, 163; Dietel/Gintzel/Kniesel Demonstrations-
und Versammlungsfreiheit, 14. Aufl., § 15 Rn. 138f. mwN).
35 d) Auch die eingesetzten Kräfte des Polizeivollzugsdienstes hatten in Anbetracht
der im Auftrag der zuständigen Behörde unmissverständlich verkündeten
Auflösung der Versammlung und des hiermit verbundenen Platzverweises keinen
Anlass, die Rechtmäßigkeit ihrer Diensthandlung, d.h. die Räumung des
genannten Bereichs, in Frage zu stellen.
36 Insbesondere konnten die mit der Durchsetzung der Auflösungsverfügung
gegenüber den Angeklagten befassten Polizeibeamten im Zeitpunkt der
Diensthandlung auch davon ausgehen, dass diese Allgemeinverfügung gem. § 43
Abs. 1 VwVfG durch Bekanntgabe gegenüber den am Versammlungsort
verbliebenen Angeklagten wirksam geworden war. Die Bekanntgabe der
Versammlungsauflösung war durch die vor Ort eingesetzte Polizei mittels
Lautsprecherdurchsagen erfolgt, der sich die für den Erlass der Verwaltungsakte
gem. §§ 1, 2 VersGZuVO i.V.m. § 62 Abs. 3 PolG zuständige Landeshauptstadt
Stuttgart zu diesem Zweck bedienen konnte (vgl. insoweit BVerwG, Buchholz
402.44 VersG Nr. 18). Da sich eine versammlungsrechtliche Auflösungsverfügung
grundsätzlich sowohl an den Veranstalter als auch an die Teilnehmer der
Versammlung richtet (Kniesel/Poscher in Denninger/Rachor, Handbuch des
Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. K Rn. 407), konnte (und musste) die
Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt Stuttgart mittels
Lautsprecherdurchsage der Polizei am 15. Februar 2012 um 02.34 Uhr und 02.42
Uhr (auch) gegenüber den am Veranstaltungsort befindlichen Demonstranten
bekanntgegeben werden.
37 Für die strafrechtliche Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlungen gegenüber
den beiden Angeklagten ist dabei ohne Belang, ob die Auflösungsverfügung in
Anbetracht der inhaltlichen Abweichungen zwischen der schriftlichen
Allgemeinverfügung der Stadt Stuttgart vom 15. Februar 2012 und dem in den
polizeilichen Lautsprecherdurchsagen um 2.34 Uhr und 2.42 Uhr
bekanntgemachten Text unter verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkten wirksam
geworden ist. Insoweit bestehen weder Anhaltspunkte dafür, dass den mit der
Räumung befassten Beamten der genaue Text der schriftlichen
Auflösungsverfügung bekannt war noch, dass diese in der konkreten Situation
Abweichungen erkennen mussten und im Rahmen einer verwaltungsrechtlichen
Beurteilung von einer offensichtlichen Unwirksamkeit der Anordnung ausgehen
mussten.
38 Soweit das Landgericht zu der Feststellung gelangt ist, es sei nicht nachweisbar,
dass die beiden Angeklagten die Bekanntgabe der Auflösung der Versammlung
durch Lautsprecherdurchsagen und mittels Lichtlaufbändern um 2.34 Uhr und
2.42 Uhr am 15. Februar 2012 wahrgenommen haben, beeinträchtigt dies die
Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung nicht. So stellt die Erklärung der
Auflösung einer Versammlung nach § 15 Abs. 3 Versammlungsgesetz - wie auch
die einer beschränkenden Verfügung als milderer Maßnahme - mittels
Lautsprecherdurchsage die öffentliche Bekanntgabe einer personenbezogenen
Allgemeinverfügung dar, die nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbar ist.
Sie wirkt auch gegen solche Versammlungsteilnehmer, die die
Allgemeinverfügung nicht tatsächlich wahrgenommen haben (vgl.
Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 35, Rn. 279a). Das gilt insbesondere
dann, wenn diese - wie im vorliegenden Fall - erkennbar mit einer solchen
Anordnung gerechnet haben.
39 e) Ungeachtet der (gegebenenfalls höheren) verwaltungsrechtlichen
Anforderungen an die Rechtmäßigkeit waren vorliegend somit jedenfalls die
Voraussetzungen von § 113 Abs. 3 StGB erfüllt.
V.
40 Die Sache ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zu neuer
Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückzuverweisen, wobei die rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen
Feststellungen aufrecht erhalten bleiben können (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO). Dies
ist hier ausnahmsweise möglich, da die Verteidiger in der
Revisionshauptverhandlung ausdrücklich erklärt haben, dass sie einer
Aufrechterhaltung der Feststellungen nicht entgegentreten. Ungeachtet dessen
können ergänzende Feststellungen, insbesondere zur subjektiven Tatseite,
getroffen werden.