Urteil des OLG Stuttgart vom 22.09.2015

rechtskräftiges urteil, versorgung, altersrente, splitting

OLG Stuttgart Beschluß vom 22.9.2015, 16 UF 124/15
Leitsätze
1) Die fiktive Ausgleichsforderung gegen den verstorbenen ausgleichspflichtigen
Ehegatten, die den Teilhabeanspruch nach § 25 Abs. 3 Satz 1 VersAusglG begrenzt,
ist ohne Abzug anteiliger Sozialversicherungsabgaben oder vergleichbarer Abgaben
und damit als Bruttobetrag zu bemessen. § 20 Abs. 2 Satz 1 findet hier keine
Anwendung.
2) Haben sich die Ehegatten vergleichsweise auf eine schuldrechtliche Netto-
Ausgleichsrente geeinigt, die unter dem gesetzlichen Ausgleichswert des Anrechts
liegt, begrenzt der vereinbarte Betrag nach § 25 Abs. 3 Satz 1 VersAusglG den
Teilhabeanspruch nach Versterben des Ausgleichspflichtigen. Der Nettobetrag ist
allerdings auf seinen Brutto-Wert hochzurechnen.
Die Rechtsbeschwerde wurde zugelassen. Eingang Rechtsbeschwerde beim
Bundesgerichtshof: 14.10.2015
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beteiligten V. B. wird der Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Böblingen vom 7. Mai 2015 (Az. 14 F 1161/14)
a b g e ä n d e r t
und wie folgt neu gefasst:
Die I. GmbH wird verpflichtet, zum Ausgleich der betrieblichen Versorgung
des M. B. (Vers.-Nr. 00...) an die Antragstellerin ab Juni 2014 eine monatlich
im Voraus fällige Ausgleichsrente in Höhe von 303,21 Euro brutto bzw. ab
Januar 2015 in Höhe von 303,95 Euro brutto als Teilhabeanspruch an der
Hinterbliebenenversorgung zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde der Beteiligten V. B.
z u r ü c k g e w i e s e n .
3. In beiden Rechtszügen haben die Beteiligten die Gerichtskosten zu gleichen Teilen
zu tragen. Seine außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
5. Der Verfahrenswert wird für beide Instanzen auf 2.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1 Die Antragstellerin macht gegen die I. GmbH (nachfolgend: I. GmbH)
Teilhabeansprüche an einer Hinterbliebenenversorgung geltend.
2 Am 2X.0X.1971 heiratete die Antragstellerin (geb. am 2X.1X.19...) Herrn M. B.
(geb. am 0X.0X.19...). Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts -
Familiengericht - Pankow/Weißensee (Az. 11 F 12/01) vom 22.08.2001 wurde die
Ehe geschieden, eine Entscheidung über den Versorgungsausgleich blieb
vorbehalten. Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht -
Pankow/Weißensee vom 01.07.2002 wurde dann der öffentlich-rechtliche
Versorgungsausgleich zugunsten der Antragstellerin durchgeführt, indem ihr bei
einer Ehezeit vom 01.03.1971 bis 31.12.2000 (§ 1587 Abs. 2 BGB a.F.) 106,80
Euro durch Rentensplitting (§ 1587a Abs. 1 BGB a.F.) und weitere 45,81 Euro
durch erweitertes Splitting (§ 3b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG a.F.) übertragen wurden,
jeweils bezogen auf den 31.12.2000 als dem gesetzlichen Ehezeitende. Im
Übrigen behielt das Amtsgericht - Familiengericht - den schuldrechtlichen
Versorgungsausgleich vor. Gegenstand des erweiterten Splittings und des
Vorbehalts schuldrechtlicher Ausgleichsansprüche war ein betriebliches Anrecht
des damaligen Antragsgegners M. B. bei der I. GmbH, dessen stichtagsbezogener
Ehezeitanteil 3.087,-- DM betrug (dynamisiert nach der Barwert-Verordnung
1.033,32 DM = 528,32 Euro).
3 Seit dem 01.01.1993 erhielt M. B. eine vorgezogene Altersrente der I. GmbH. Ab
Dezember 2008 bezog auch die Antragstellerin eine Altersrente. Darauf begehrte
sie im Juni 2009 die Durchführung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs
beim Amtsgericht - Familiengericht - Pankow/Weißensee. Im anschließenden
Beschwerdeverfahren schlossen die Beteiligten auf Vorschlag des
Kammergerichts (Az. 13 UF 51/10) folgende Vereinbarung im schriftlichen
Verfahren (Feststellungsbeschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO vom 24.11.2010):
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Der Antragsgegner tritt beginnend ab dem 1. Januar 2011 die fälligen monatlichen
Betriebsrentenansprüche gegenüber der I. GmbH, Personalnummer 003..., in
Höhe von 250 EUR an die Antragstellerin ab. Die Antragstellerin nimmt die
Abtretung an.
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Bei dem Betrag von 250 EUR handelt es sich um einen statisch gleich bleibenden
Betrag. Er wird von der Nettorente abgezogen,
... (Regelung betreffend Rückständen).
6 Vorausgegangen waren Auseinandersetzungen der Beteiligten über Gegenrechte
der Antragstellerin und mögliche Härten bei der Durchführung des Ausgleichs. Den
Ehezeitanteil des betrieblichen Anrechts bei der I. GmbH hatte das Kammergericht
mit 1.151,66 Euro bemessen.
7 Der ausgleichspflichtige M. B., der am 22.08.2008 die Beteiligte V. B. geheiratet
hatte, verstarb am 21.04.2014. Im Juni 2014 beantragte die Antragstellerin als
geschiedene Ehefrau des Verstorbenen beim Amtsgericht - Familiengericht -
Böblingen die Festsetzung eines Teilhabeanspruchs an der nach §§ 26 ff. der
maßgeblichen Versorgungsordnung ("Versorgungswerk der I. GmbH gültig ab
01.07.1969") bestehenden Hinterbliebenenversorgung der I. GmbH. Nach der
Auskunft des Versorgungsträgers vom 15.10.2014 betrug der Ehezeitanteil des
Anrechts bei Versterben des Bezugsberechtigten (2.180,92 Euro : 399 Monate x
262 Monate =) 1.431,99 Euro.
8 Durch Beschluss vom 07.05.2015 regelte das Amtsgericht - Familiengericht - den
Teilhabeanspruch wie folgt:
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Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an die Antragstellerin ab Juni 2014 eine
monatliche Ausgleichsrente in Höhe von 664,10 Euro (brutto), zahlbar jeweils zum
1. eines Monats zu bezahlen.
10 Seiner Entscheidung hat das Amtsgericht - Familiengericht - den schuldrechtlichen
Ausgleichanspruch nach § 20 VersAusglG zugrunde gelegt, den die
Antragstellerin bei Fortbestand der Ehe zuletzt gegen den Rentenberechtigten M.
B. gehabt hätte.
11 Den Ausgleichswert hat das Familiengericht mit (1.431,99 Euro : 2 =) 716 Euro
bemessen. Abzüglich des infolge erweiterten Splitting nach § 3b Abs. 1 Nr. 1
VAHRG a.F. bereits ausgeglichenen und auf den Entscheidungszeitpunkt
aktualisierten Betrags von 51,90 Euro errechnete es einen noch bestehenden
Anspruch von 664,10 Euro monatlich. Sozialversicherungsbeiträge hat es für die
Bestimmung des Teilhabeanspruchs aus § 25 VersAusglG nicht abgezogen, da
sich der Anspruch direkt gegen den Versorgungsträger richte und die
Sozialversicherungsbeiträge von der Antragstellerin zu leisten seien. Für die
weitere Begründung wird auf den Beschluss vom 07.05.2015 Bezug genommen.
12 Mit ihrer gegen den Beschluss vom 07.05.2015 gerichteten Beschwerde möchte
die Beteiligte V. B. die vollständige Zurückweisung des Antrags nach § 25
VersAusglG erreichen. Sie ist der Auffassung, durch den vor dem Kammergericht
geschlossenen Vergleich vom 24.11.2010 seien Teilhabeansprüche der
geschiedenen Ehefrau an der Hinterbliebenenversorgung ausgeschlossen.
13 Für den weiteren Vortag der Beteiligten wird auf die in beiden Instanzen
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
14 Nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG hat der Senat von einer mündlichen Anhörung
der Beteiligten abgesehen. Diese hatten Gelegenheit, schriftlich zur
Rechtsauffassung des Senats Stellung zu nehmen.
II.
15 Die zulässige Beschwerde der Beteiligten V. B. ist teilweise begründet. Der
Antragstellerin steht ab Juni 2014 gegen die I. GmbH aus § 25 VersAusglG ein
Teilhabeanspruch an der Hinterbliebenenversorgung nach dem Tode des
Versicherten M. B. zu. Für den Zeitraum Juni bis Dezember 2014 beträgt der
monatliche Rentenanspruch indessen nur 303,21 Euro brutto, ab Januar 2015 hat
die I. GmbH 303,95 Euro brutto an die Antragstellerin zu zahlen.
16 1.) Die Voraussetzungen nach § 25 Abs. 1 und 2 VersAusglG für den
Teilhabeanspruch der Antragstellerin liegen dem Grunde nach vor.
17 a) Der verstorbene M. B. war Berechtigter eines betrieblichen Anrechts bei der I.
GmbH, das bei seinem Tode noch nicht vollständig schuldrechtlich ausgeglichen
war. Auch sieht die hier maßgebliche Versorgungsordnung mit der Bezeichnung
"Versorgungswerk der I. GmbH gültig ab 01.07.1969" eine
Hinterbliebenenversorgung von grundsätzlich 60% der bislang geleisteten
Altersrente vor (§ 27 der Versorgungsordnung). Zudem erfüllt die
ausgleichsberechtigte Antragstellerin mit dem Bezug einer Altersrente die
Voraussetzungen, an die nach der Versorgungsordnung der Bezug einer
Hinterbliebenenversorgung geknüpft ist.
18 b) Die Teilhabeansprüche der Antragstellerin aus § 25 Abs. 1 VersAusglG sind
auch nicht deshalb dem Grunde nach ausgeschlossen, weil die geschiedenen
Ehegatten im Verfahren vor dem KG Berlin am 24.11.2010 eine Vereinbarung zum
schuldrechtlichen Versorgungsausgleich getroffen haben.
19 aa) Zunächst steht dem Anspruch nicht § 25 Abs. 2 VersAusglG entgegen. Denn
die geschiedenen Ehegatten haben das betriebliche Anrecht des Mannes nicht
durch Vereinbarung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VersAusglG dem
schuldrechtlichen Versorgungsausgleich unterworfen. Eine solche Vereinbarung
wäre zwar ein unzulässiger Vertrag zu Lasten des Versorgungsträgers als Drittem.
Indessen unterlag das betriebliche Anrecht bei der I. GmbH nach dem bei
Ehezeitende geltenden § 1587 f BGB a.F. schon kraft Gesetzes dem
schuldrechtlichen Ausgleich. In diesem Fall ist das Anrecht einer Vereinbarung der
Ehegatten zugänglich, ohne dass spätere Teilhabeansprüche gegen den
Versorgungsträger grundsätzlich ausgeschlossen wären (vgl. OLG Hamm FamRZ
2013, 789; AG Bayreuth FamRZ 2012, 1726 mit Anm. Borth; Wick, Der
Versorgungsausgleich, 3. Aufl. Rn. 738).
20 bb) Es sind keine Umstände ersichtlich, dass die geschiedenen Ehegatten mit der
Vereinbarung vom 24.11.2010 einen späteren Teilhabeanspruch der
Antragstellerin vollständig ausschließen wollten. Dagegen spricht, dass der
Ausgleichsanspruch gegen den geschiedenen Ehegatten (§ 20 VersAusglG) und
der spätere Teilhabeanspruch gegen den Versorgungsträger (§ 25 VersAusglG)
grundsätzlich voneinander unabhängige Ansprüche sind. So erstreckt sich etwa
die Rechtskraft eines zu Lebzeiten gegen den ausgleichspflichtigen Ehegatten
erwirkten Beschlusses, der bestimmte Ausgleichzahlungen festlegt, nicht auf den
materiell am Vorverfahren nicht beteiligten Versorgungsträger (vgl. OLG Hamm
FamRZ 2013, 1985; zum früheren Recht siehe BGH FamRZ 1991, 175, 177).
Entsprechend haben auch die Antragstellerin und der verstorbene M. B. objektiv
nur eine Regelung der vom damaligen Antragsgegner zu leistenden
Ausgleichszahlung gewollt. An den Tod des Ausgleichspflichtigen und die
Verpflichtung des (am Verfahren nicht beteiligten) Versorgungsträgers aus § 25
Abs. 1 VersAusglG haben sie noch gar nicht gedacht.
21 2.) Allerdings ist die Höhe des Teilhabeanspruchs der Antragstellerin nach § 25
Abs. 3 Satz 1 VersAusglG auf diejenige Ausgleichsrente beschränkt, die der
geschiedene Ehemann bei seinem Weiterleben nach § 20 Abs. 1 VersAusglG zu
leisten hätte. Entgegen der angefochtenen Entscheidung ist für diese Wertgrenze
hier nicht der nach §§ 1 Abs. 2 Satz 1, 5, 39 ff. VersAusglG zu bestimmende
Ausgleichswert des Anrechts maßgeblich, sondern der aufgrund des gerichtlichen
Vergleichs vom 24.11.2010 geschuldete Rentenbetrag. Jedoch ist diese
vereinbarte Nettorente von 250 Euro monatlich auf einen Bruttobetrag von 303,21
Euro bzw. ab Januar 2015 von 303,95 Euro hochzurechnen. Denn anders als
nach § 20 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG ist für den Teilhabeanspruch aus § 25
VersAusglG auf den Brutto-Ausgleichsbetrag abzustellen.
22 a) Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 VersAusglG ist die Höhe des Teilhabeanspruchs an
der Hinterbliebenenversorgung auf den Betrag beschränkt, den die
ausgleichsberechtigte Person nach § 20 Abs. 1 VersAusglG als schuldrechtliche
Ausgleichsrente von dem verstorbenen Ehegatten verlangen könnte. Der
Teilhabeanspruch darf also nicht höher sein als die schuldrechtliche
Ausgleichsrente, die von der ausgleichspflichtigen Person unter Berücksichtigung
relevanter Wertanpassungen ohne den Todesfall zu zahlen wäre. Anderenfalls
wäre der geschiedene Ehegatte durch den Tod des Ausgleichspflichtigen besser
gestellt, was nicht der Ratio des § 25 VersAusglG entspricht. Letztlich leitet sich
nämlich auch der Teilhabeanspruch aus den familienrechtlichen Beziehungen der
Ehegatten ab, weshalb der Berechtigte aus § 25 VersAusglG keinen
weitergehenden Anspruch haben kann, als ihm nach § 20 VersAusglG insgesamt
zustünde (Borth, Versorgungsausgleich, 7. Aufl. Rn. 829). Entsprechend darf sich
der in Anspruch genommene Versorgungsträger auch auf alle Einwendungen
berufen, die bereits dem verstorbenen Ausgleichspflichtigen zustanden (Borth,
aaO., Rn. 820 u. 829; vgl. zu § 3a VAHRG a.F. BGH FamRZ 1996. 1465).
23 aa) Rechnerisch ergäbe sich ohne den Todesfall nach der nicht zu
beanstandenden Auskunft der I. GmbH vom 15.10.2014 ein auf den vorliegenden
Antragszeitpunkt bezogener schuldrechtlicher Ausgleichsanspruch der
Antragstellerin von monatlich 664,11 Euro: Der Ehezeitanteil der Betriebsrente
beträgt 1.431,99 Euro, der hälftige Ausgleichswert 716 Euro brutto. Hiervon
abzuziehen sind die bereits durch erweitertes Splitting im öffentlich-rechtlichen
Versorgungsausgleich ausgeglichenen 45,81 Euro, die nach § 53 VersAusglG
anhand der Entwicklung des aktuellen Rentenwertes auf den
verfahrensgegenständlichen Zeitraum zu aktualisieren sind. Es ergibt sich ein
bereits ausgeglichener Betrag von (45,81 Euro : 24,84 Euro x
28,14 =) 51,89 Euro. Mithin verbliebe - bezogen auf
Zeitpunkt der Antragstellung - ein Ausgleichsanspruch von (716 Euro ./. 51,89 Euro
=) 664,11 Euro brutto.
24 bb) Durch den vor dem Kammergericht geschlossenen Vergleich vom 24.11.2010
(Az. 13 UF 51/10) haben sich die geschiedenen Ehegatten indessen dahin
geeinigt, dass der Antragstellerin zum Ausgleich des verfahrensgegenständlichen
Anrechts bei der I. GmbH eine statische Ausgleichsrente von 250 Euro als
Nettobetrag zusteht. Mit diesem niedrigeren als vom Versorgungsträger selbst
errechneten Ausgleichswert wurde behaupteten Gegenrechten des
ausgleichspflichtigen Ehemanns und Einwendungen nach § 27 VersAusglG
wegen grober Unbilligkeit Rechnung getragen. An diese dauerhafte
vergleichsweise Herabsetzung ihrer schuldrechtlichen Ausgleichsrente ist die
Antragstellerin weiterhin gebunden, und zwar auch nach dem Tode des
Ausgleichspflichtigen im Verfahren über schuldrechtliche Teilhabeansprüche
gegen den Versorgungsträger (vgl. für die Berücksichtigung von Vereinbarungen
zwischen dem Ausgleichspflichtigen und dem Versorgungsträger OLG Hamm
FamRZ 2008, 2124; Erman/Norpoth, BGB 14. Aufl., § 25 Rn. 14). Anderenfalls
würde der Teilhabeanspruch aus § 25 VersAusglG die schuldrechtliche
Ausgleichsrente nach § 20 Abs. 1 VersAusglG übersteigen, was unzulässig ist
(s.o., Ziff. I. 2. lit.a).
25 b) Die fiktive Ausgleichsforderung gegen den verstorbenen ausgleichspflichtigen
Ehegatten, die den Teilhabeanspruch nach § 25 Abs. 3 Satz 1 VersAusglG
begrenzt, ist jedoch ohne Abzug anteiliger Sozialversicherungsabgaben oder
vergleichbarer Abgaben und damit als Bruttobetrag zu bemessen.
26 aa) Bei der Bemessung der schuldrechtlichen Ausgleichsrente sind gem. § 20 Abs.
1 Satz 2 VersAusglG die auf den Ausgleichswert entfallenden
Sozialversicherungsbeiträge oder vergleichbare Aufwendungen des
ausgleichspflichtigen Ehegatten abzuziehen. Grund dieses „Nettoprinzips“ ist, dass
die auszugleichende Versorgung beim Pflichtigen in vollem Umfang der
Sozialversicherungspflicht unterliegt, während der Ausgleichsberechtigte auf die
schuldrechtliche Ausgleichsrente keine Kranken- und Pflegeversicherung zu
entrichten hat. Mit dem Vorwegabzug der auf die Ausgleichsrente entfallenden
Beiträge auf Seiten des Verpflichteten soll eine angemessene Teilhabe beider
Ehegatten an der ehezeitanteiligen Versorgung erreicht werden (Wick, aaO., Rn.
675; BT-Drucks. 16/10144 S. 64).
27 Anders als bei der schuldrechtlichen Ausgleichsrente fallen beim
Teilhabeanspruch an der Hinterbliebenenversorgung (§ 25 VersAusglG) Kranken-
und Pflegeversicherungsbeiträge erst beim ausgleichsberechtigten Ehegatten
selbst an. Dieser ist regelmäßig nach § 229 SGB V in eigener Person verpflichtet,
diesen Aufwand an den Träger der gesetzlichen Krankenkasse abzuführen (Borth,
aaO. Rn. 820). Von einem Teilhabeanspruch in Höhe eines Zahlbetrages von 250
Euro hätte die Antragstellerin etwa in 2014 an die Techniker Krankenkasse (TKK)
15,5 % Kranken- und 2,05 % Pflegeversicherungsbeiträge leisten müssen. Ihre
vom geschiedenen Ehemann bis zu dessen Tode geleistete Ausgleichsrente von
250 Euro war hingegen eine Nettoversorgung, die nicht mehr der
Sozialversicherungspflicht unterlag. Mit dem Wechsel von einem schuldrechtlichen
Ausgleichsanspruch aus § 20 Abs. 1 VersAusglG auf einen Teilhabeanspruch
nach § 25 VersAusglG wäre sie damit wirtschaftlich schlechter gestellt, denn nach
Abzug vorstehender Sozialversicherungsbeiträge blieben ihr von der monatlichen
Brutto-Ausgleichsrente von 250 Euro netto lediglich 206,13 Euro.
28 bb) Der unterschiedlichen Auswirkung der Sozialversicherungspflicht bei
Ansprüchen nach § 20 VersAusglG und § 25 VersAusglG lässt sich nur dadurch
begegnen, dass für die Bemessung des Teilhabeanspruchs aus § 25 VersAusglG
grundsätzlich auf die Brutto-Versorgung ohne Anwendung des § 20 Abs. 1 Satz 2
VersAusglG abzustellen ist.
29 Bereits unter der Geltung des alten Rechts hatte der BGH den Grundsatz
aufgegeben, auf die auszugleichende Versorgung entfallende
Sozialversicherungsbeiträge bei der Bemessung einer Ausgleichsrente generell
unberücksichtigt zu lassen. Entsprechend waren zuletzt auch ohne ausdrückliche
gesetzliche Regelung bei der Ermittlung der schuldrechtlichen Versorgungsrente
nach § 1587g BGB die vom Ausgleichspflichtigen auf die auszugleichende
Versorgung zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge abzuziehen (BGH
FamRZ 2011, 706 Rn. 45 ff.; Aufgabe von BGH FamRZ 2007, 1545 Rn. 20 f.
). Entscheidendes Kriterium war für den BGH die
Wahrung der Halbteilung und die Vermeidung unbefriedigender Ergebnisse, die
dadurch entstanden, dass der Ausgleichspflichtige auch für denjenigen Teil seiner
Versorgung zum Beitrag herangezogen wurde, den er in Form der
schuldrechtlichen Ausgleichsrente an den ausgleichsberechtigten Ehegatten zu
zahlen hatte, während der Ausgleichsberechtigte die Ausgleichsrente
grundsätzlich in ungeschmälerter Form behielt (BGH FamRZ 2011, 706 Rn. 46).
30 Auch in der vorliegenden Konstellation kann die Beitragspflicht zur Kranken- und
Pflegeversicherung zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Stirbt der
ausgleichspflichtige Ehegatte, so muss der Ausgleichsberechtigte die Beiträge bei
einem möglichen Teilhabeanspruch nach § 25 Abs. 1 VersAusglG nun selbst
übernehmen, obwohl sie im Rahmen des § 20 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG bislang
vom ausgleichspflichtigen Ehegatten getragen wurden. Auch wenn die Höhe der
nach der Versorgungsordnung geschuldeten Hinterbliebenenversorgung noch
nicht erreicht wäre (was regelmäßig der Fall ist, vgl. Wick, aaO., Rn. 738
Glockner/Hoeneß/Weil, § 10 Rn. 48 Fn. 44), müsste der ausgleichsberechtigte
Ehegatte im Rahmen des § 25 VersAusglG eine Minderung seiner
Nettoversorgung und damit eine Schlechterstellung hinnehmen. Sinn und Zweck
der Regelung in § 25 Abs. 3 VersAusglG ist jedoch lediglich, eine Besserstellung
des Ausgleichsberechtigten infolge des Versterbens des ausgleichspflichtigen
Ehegatten zu vermeiden (s.o.).
31 Entsprechend dem Sinn und Zweck der Regelung und zur Wahrung des
Halbteilungsgrundsatzes ist der Verweis in § 25 Abs. 3 Abs. 1 VersAusglG somit
dahin auszulegen, dass für die Bemessung der (fiktiven) geschuldeten
Ausgleichsrente § 20 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG keine Anwendung findet und auf
den Ausgleichswert als Brutto-Betrag ohne Abzug anteiliger
Sozialversicherungsbeiträge abzustellen ist (idS. Wick, aaO., § 25 VersAusglG Rn.
15; Ruland, Versorgungsausgleich, 3. Aufl. Rn. 770; Palandt/Brudermüller, BGB,
74. Aufl., § 25 VersAusglG Rn. Borth, Versorgungsausgleich, 7. Aufl. Rn. 820;
Soergel/Ahrens, BGB [Stand 2012], § 25 VersAusglG Rn. 17); Soergel/Ahrens,
BGB [Stand 2012], § 25 VersAusglG Rn. 17; Johannsen/Henrich/Holzwarth,
Familienrecht, 6. Aufl., § 25 Rn. 8; eine andere Auffassung wird - soweit das hier
relevante Problem überhaupt gesehen wird, in Rspr. und Lit. nicht vertreten). Diese
Auslegung stellt sicher, dass der ausgleichsberechtigte Ehegatte einen
Teilhabeanspruch erhält, dessen wirtschaftlicher Wert der bisher gezahlten
Ausgleichsrente entspricht. § 20 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG findet auf
Teilhabeansprüche somit keine entsprechende Anwendung, weil die Beiträge nicht
beim Versorgungsträger sondern beim Ausgleichspflichtigen selbst anfallen.
32 Auch die amtliche Begründung zu § 25 VersAusglG bestätigt die Zulässigkeit
vorstehender Betrachtung. Dort heißt es im Hinblick auf den Ausschluss
geringfügiger Ausgleichswerte, dass für die Bestimmung der Wertgrenze nach § 18
Abs. 2 u. 3 VersAusglG keine Sozialversicherungsbeiträge abzuziehen seien, weil
sie erst bei der ausgleichsberechtigten Person selbst anfielen (BT-Drucks.
16/10144 S. 67).
33 cc) Zwar haben die Ehegatten den verminderten (statischen) Ausgleichswert von
250 Euro zulässig im Vergleichswege vereinbart. Allerdings haben sie ihn
ausdrücklich als Nettowert bezeichnet und sind damit objektiv von der Geltung des
§ 20 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG ausgegangen. Für die Behandlung der
Krankenversicherungsbeiträge bei der Bemessung des Teilhabeanspruchs kann
damit nichts anderes gelten, als wenn der Ausgleichswert nach den gesetzlichen
Regelungen in §§ 1, 5, 39 ff. VersAusglG bestimmt worden wäre.
34 dd) Die Außerachtlassung des § 20 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG bei der Bemessung
des Teilhabeanspruchs geht auch nicht zu Lasten des Versorgungsträgers. Dieser
hatte bereits dem Ausgleichspflichtigen eine Bruttorente gezahlt und lediglich die
vom Versicherten gesetzlich geschuldeten Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge an die zuständige Krankenkasse abgeführt. Im
Rahmen des § 25 VersAusglG muss der Versorgungsträger nun die Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge nicht mehr abführen. Vielmehr leitet er den
Bruttobetrag an den Ausgleichsberechtigten weiter, der sich selbst um die
Verbeitragung zu kümmern hat. Dabei ist die Leistungspflicht des
Versorgungsträgers nach § 25 Abs. 3 Satz 1 VersAusglG durch die Höhe der
Brutto-Hinterbliebenenversorgung beschränkt, die er nach seiner
Versorgungsordnung bei Fortbestand der Ehe der ausgleichsberechtigten Person
geschuldet hätte. Mithin kann der Bruttowert des Teilhabeanspruchs nie höher sein
als die satzungsgemäß geschuldete Hinterbliebenenversorgung, was eine
Entscheidung zum Nachteil des Versorgungsträges verhindert.
35 c) Die Antragsgegnerin ist bei der TKK pflichtversichert. Für einen Rentner beliefen
sich dort im Jahr 2014 die Beitragssätze auf 15,5 % Kranken- und 2,05 %
Pflegeversicherung. Seit Januar 2015 beträgt der Beitragssatz 14,6 % + 0,8 % für
die Kranken- und 2,35 % für die Pflegeversicherung. Rechnet man den
vereinbarten Ausgleichswert von netto 250 Euro anhand der genannten
Beitragssätze hoch, so ergibt sich ein ab Juli 2014 geschuldeter Teilhabeanspruch
von brutto 303,21 Euro. Ab Januar 2015 hat die Antragsgegnerin brutto 303,95
Euro zu zahlen.
36 Diese Beträge liegen deutlich unter der Hinterbliebenenversorgung, die der
Versorgungsträger bei Fortbestand der Ehe der Antragstellerin nach §§ 26 ff.
seiner Versorgungsordnung geschuldet hätte. Nach der Mitteilung des
Versorgungsträgers bezog er zuletzt eine Betriebsrente von brutto 2.180,92 Euro
monatlich; 60% hiervon wären 1.308,55 Euro brutto.
III.
37 Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 VersAusglG. Die Festsetzung des
Verfahrenswertes beruht auf §§ 40, 50 Abs. 1 Satz 2 FamGKG.
38 Nach § 70 Abs. 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG war die Rechtsbeschwerde wegen
grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da die Auslegung des § 25 Abs. 3 Satz 1
VersAusglG und die Behandlung der Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen von
schuldrechtlichen Teilhabeansprüchen ungeklärt ist und die Frage in einer
unbestimmten Vielzahl von Fällen wieder auftreten kann.