Urteil des OLG Stuttgart vom 21.10.2015

berufliche tätigkeit, befreiung, zeugnisverweigerungsrecht, stiftung

OLG Stuttgart Entscheidung vom 21.10.2015, 14 U 4/14
Leitsätze
1. Ein Notar hat eine Information auch dann im Hinblick auf seine berufliche Tätigkeit
im Sinne von § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO und § 18 Abs. 1 BNotO erlangt, wenn er die
Information von einer nicht unmittelbar an dem notariellen Geschäft beteiligten Person,
die hierbei auf die Amtsstellung des Notars vertraut, erhält.
2. Unter diesen Umständen bedarf es für eine Befreiung von der
Verschwiegenheitspflicht nach § 18 Abs. 2 BNotO nicht nur des Einverständnisses der
Auftraggeber des Notars bzw. der an dem notariellen Geschäft unmittelbar beteiligten
Personen, sondern auch des Dritten.
Zwischenurteil
Tenor
1. Die Weigerung des Zeugen Prof. Dr. X., Fragen zum Inhalt seines Telefonats mit
Rechtsanwalt Dr. Z. aus dem Jahr 2003 zu beantworten, ist berechtigt und der Zeuge
daher nicht verpflichtet, Urkunden zum Inhalt dieses Gesprächs vorzulegen.
2. Die Weigerung des Zeugen Prof. Dr. Y., Fragen zum Inhalt des Telefonats von Prof.
Dr. X. mit Rechtsanwalt Dr. Z. aus dem Jahr 2003 zu beantworten, ist berechtigt und
der Zeuge daher nicht verpflichtet, Urkunden zum Inhalt dieses Gesprächs
vorzulegen.
3. Die Kosten dieses Zwischenstreits trägt der Kläger.
4. Das Zwischenurteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1 Zwischen dem Kläger und den Zeugen Prof. Dr. X. und Prof. Dr. Y. steht die Frage
der Berechtigung der Zeugnisverweigerung der Zeugen im Termin zur
Beweisaufnahme vor dem Senat am 30.09.2015 und - daran anschließend - die
Verpflichtung zur Vorlage eines Aktenvermerks im Streit.
2 Die Zeugen sind Notare bzw. ehemalige Notare in H.. Sie waren im Jahr 2003 von
den Beklagten und der Zeugin Dr. A. wegen stiftungsrechtlicher Fragestellungen
im Zusammenhang mit der geplanten Aufhebung der ... Stiftung kontaktiert worden.
Der Kläger hat die Zeugen zum Beweis der Tatsache, dass es zwischen den fünf
Stiftungsvorständen eine verbindliche Vereinbarung über die Beteiligung des
Klägers an der ... Beteiligungs-GmbH gegeben habe, benannt. Der Senat hat die
Zeugen hierauf nach § 273 Abs. 2 ZPO zur Vernehmung über dieses
Beweisthema auf den 30.09.2015 geladen. Im Vorfeld der Vernehmung haben die
Beklagten und die Zeugin Dr. A. erklärt, die Zeugen Prof. Dr. X. und Prof. Dr. Y. von
ihrer beruflichen Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich des Beweisthemas zu
entbinden.
3 Bei der Vernehmung hat zunächst der Zeuge Prof. Dr. Y. darauf hingewiesen, dass
ihm ein Aktenvermerk vorliege, in dem Anmerkungen von Prof. Dr. X. zu einem
Telefonat mit Rechtsanwalt Dr. Z. von der Sozietät C. enthalten seien. Über den
Inhalt des Vermerks dürfe er aber in Ansehung seiner beruflichen
Verschwiegenheitspflicht nichts aussagen und den Vermerk auch nicht an das
Gericht herausgeben. Dieser Sachverhalt ist durch den Zeugen Prof. Dr. X.
bestätigt worden. Ergänzend hat der Zeuge ausgeführt, dass Rechtsanwalt Dr. Z.
ihn kontaktiert habe, da die Sozietät C. erfahren hatte, dass der Kläger sich an der
Stiftungsaufhebung und dem Erwerb der Gesellschaftsanteile beteiligen wolle.
Diesbezüglich habe Rechtsanwalt Dr. Z. weitere Ausführungen gemacht, die
jedoch der beruflichen Verschwiegenheitspflicht unterlägen. Bezüglich
weitergehender Auskünfte und der Herausgabe des Aktenvermerks hat sich der
Zeuge Prof. Dr. X. ebenfalls auf sein Zeugnisverweigerungsrecht als Notar
berufen. Auf Nachfrage des Senats hat der im Gerichtssaal anwesende
Rechtsanwalt Dr. Z. erklärt, die beiden Zeugen bezüglich des Inhalts des
Telefonats nicht von ihrer beruflichen Verschwiegenheitspflicht als Notare zu
entbinden.
4 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die beiden Zeugen sich nicht auf ein
Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen könnten, weil sie
von ihren Auftraggebern und sämtlichen an der Beratung beteiligten Personen von
der Verschwiegenheitspflicht befreit worden seien. Da zu Rechtsanwalt Dr. Z.
keine Mandatsbeziehung bestanden habe, treffe die Zeugen insofern keine
Verschwiegenheitspflicht.
5 Der Beklagte Ziffer 2 ist der Auffassung des Klägers entgegengetreten. Der
Beklagte Ziffer 1 hat sich nicht geäußert.
II.
6 Der Senat hat gemäß § 387 ZPO durch Zwischenurteil über die Rechtmäßigkeit
der Zeugnisverweigerungen zu entscheiden, wobei Parteien des
Zwischenverfahrens der Kläger als Beweisführer sowie die die Aussage
verweigernden Zeugen sind (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 387 Rn.
3) .
7 Die Weigerung der Zeugen Prof. Dr. X. und Prof. Dr. Y., Fragen zum Inhalt des
Telefongesprächs mit Rechtsanwalt Dr. Z. zu beantworten, ist nach § 383 Abs. 1
Nr. 6 ZPO berechtigt. Die Zeugen haben die Umstände, die das
Zeugnisverweigerungsrecht begründen, im Vernehmungstermin nach § 386 Abs. 1
ZPO glaubhaft gemacht.
8 Insoweit kann dahinstehen, ob die Fragen des Klägers zum Inhalt des Telefonates
des Zeugen Prof. Dr. X. mit Rechtsanwalt Dr. Z. und dem darauf fußenden
Aktenvermerk angesichts des Beweisthemas überhaupt zulässig waren (§ 397
Abs. 3 ZPO). Denn es erscheint jedenfalls zweifelhaft, inwieweit der Inhalt eines
Telefonats aus dem Sommer/Herbst 2003 zwischen den an der
streitgegenständlichen Transaktion nicht unmittelbar beteiligen Dr. Z. und Prof. Dr.
X. belastbare Rückschlüsse auf die durch den Kläger behauptete Vereinbarung mit
den Beklagten und den übrigen Stiftungsvorständen zulassen würde oder auch
nur relevante Indizien für die Beweistatsache beinhalten könnte. Allein der durch
den Klägervertreter angeführte Umstand, der Inhalt des Telefonats und des
Aktenvermerks seien relevant, um den Kenntnisstand des Zeugen Prof. Dr. X. bei
Abfassung seines Schreibens vom 24.09.2003 beurteilen zu können, erscheint
hierfür nicht ausreichend. Insbesondere könnte mit dieser Begründung letztlich
jedes vor einem bestimmten Zeitpunkt liegende Ereignis, solange es nur einen
entfernten Bezug zum Gegenstand des Rechtsstreits hat, über das Beweisthema
hinaus zum Gegenstand der Beweiserhebung gemacht werden.
9 Den Zeugen Prof. Dr. X. und Prof. Dr. Y. steht aber nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO in
Verbindung mit § 18 Abs. 1 BNotO ein Zeugnisverweigerungsrecht wegen einer
beruflichen Verschwiegenheitspflicht zu, auf welches sich beide Zeugen wirksam
berufen haben. Für den Zeugen Prof. Dr. Y. als ehemaligen Notar folgt der
Fortbestand seiner Verschwiegenheitspflicht auch nach seinem Ausscheiden aus
dem Notariat aus § 18 Abs. 4 BNotO.
10 Da § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO keine eigenen Voraussetzungen für eine berufliche
Verschwiegenheitspflicht konstituiert, ergeben sich deren Voraussetzungen und
Grenzen im konkreten Fall aus § 18 BNotO (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2004 - IX
ZB 279/03 = NJW 2005, 1948; OLG Frankfurt, Urteil vom 19.11.2003 - 9 U 70/98,
zitiert nach Juris). Nach § 18 Abs. 1 S. 2 BNotO bezieht sich die
Verschwiegenheitspflicht des Notars auf alles, was ihm bei Ausübung seines
Amtes bekannt geworden ist. Hierfür ist es ohne Relevanz, ob die dem Notar
bekannt gewordenen Informationen diesem anvertraut oder nur sonst in Ausübung
seines Amtes bekannt geworden sind (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2004 - IX ZB
279/03 = NJW 2005, 1948). Entscheidend ist vielmehr allein die Tatsache, dass er
die jeweilige Information im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit als
Notar erlangt hat (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 19.11.2003 - 9 U 70/98, zitiert
nach Juris; für Steuerberater bereits: BGH, Urteil vom 20.04.1983 - VIII ZR 46/82 =
ZIP 1983, 735). Hiervon ist nach den Angaben des Zeugen Prof. Dr. X.
auszugehen. Denn danach rief ihn Rechtsanwalt Dr. Z. deswegen an, weil diesem
bekannt geworden war, dass die Zeugen Prof. Dr. X. und Prof. Dr. Y. im
Zusammenhang mit der beabsichtigen Stiftungsauflösung der ... Stiftung und der
Veräußerung der Geschäftsanteile an der ... Beteiligungs-GmbH beratend tätig
waren. Allein im Hinblick auf diese berufliche Tätigkeit der Zeugen teilte
Rechtsanwalt Dr. Z. dem Zeugen Prof. Dr. X. weitere Informationen mit, die dieser
in einem Aktenvermerk niederlegte und seinem Sozius Prof. Dr. Y. weitergab.
Mithin sind diese Informationen den Zeugen bei Ausübung ihres Amtes bekannt
geworden.
11 Entgegen der Auffassung des Klägers liegt auch keine wirksame Entbindung der
Zeugen von ihrer beruflichen Verschwiegenheitspflicht im Sinne des § 385 Abs. 2
ZPO vor. Dies würde nach § 18 Abs. 2 BNotO voraussetzen, dass die Beteiligten
hiervon Befreiung erteilt haben. Da die notarielle Verschwiegenheitspflicht nicht
allein den Interessen des jeweiligen Auftraggebers des Notars dient, sondern vor
allem auch die besondere öffentliche Stellung des Notars schützen soll, ist der
Begriff des Beteiligten im Sinne dieser Vorschrift weit auszulegen (vgl. Eylmann in
Eylmann/Vaasen, BNotO, 3. Aufl. 2011, § 18 Rn. 3; Kanzleiter in Schippel/Bracker,
BNotO, 9. Aufl. 2011, § 18 Rn. 6; Schwipps in Diehn, BNotO, 2015, § 18 Rn. 6).
12 Er umfasst daher nicht nur die eigentlichen Auftraggeber im gebührenrechtlichen
Sinn, sondern auch dritte Personen, wenn diese dem Notar in Ausübung dessen
Amtes Informationen mitgeteilt haben (vgl. BGH, Urteil vom 31.01.2013 - V ZB
168/12 = NJW-RR 2013, 697 und Urteil vom 09.12.2004 - IX ZB 279/03 = NJW
2005, 1948). Unter diesen Umständen bedarf es aber gerade auch einer Befreiung
des Notars von der beruflichen Schweigepflicht durch den Dritten (vgl. Sandkühler
in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 7. Aufl. 2012, § 18 Rn. 98 f.; Kanzleiter in
Schippel/Bracker, BNotO, 9. Aufl. 2011, § 18 Rn. 7; Schwipps in Diehn, BNotO,
2015, § 18 Rn. 24). Eine solche Befreiung hat Rechtsanwalt Dr. Z. jedoch nicht
erteilt.
13 Aus denselben Gründen ist es den Zeugen auch gemäß § 142 Abs. 2 ZPO
unzumutbar, den bezüglich des Inhalts des Telefonats gefertigten Aktenvermerk
herauszugeben (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 13.11.2006 - 6 U 165/06 = NJW-RR
2007, 250), so dass es nicht darauf ankommt, ob sonst Gründe für die Anordnung
der Urkundenvorlage vorliegen.
III.
14 Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 30.
Aufl. 2014, § 387 Rn. 5).
15 Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO
entnommen (vgl. Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2014, § 387 Rn. 26).
16 Die Voraussetzungen der Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2
ZPO liegen nicht vor, weil dem vorliegenden Zwischenstreit keine grundsätzliche
Bedeutung zukommt und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts erfordern.