Urteil des OLG Stuttgart vom 08.12.2015

konstitutive wirkung, zustellung, mutwilligkeit, beteiligter

OLG Stuttgart Beschluß vom 8.12.2015, 11 WF 193/15
Leitsätze
In Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit tritt die Befasstheit mit Eingang eines
Sachantrags, welcher nicht ausdrücklich von der Bewilligung von
Verfahrenskostenhilfe abhängig gemacht wurde, beim Familiengericht ein.
Ab diesem Zeitpunkt ist im Falle der Beteiligung weiterer Beteiligter im Sinne des § 7
Abs. 2 FamFG diesen Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, soweit die weiteren
Voraussetzungen vorliegen (Erfolgsaussicht, persönliche und wirtschaftliche
Verhältnisse). Das Familiengericht kann die Beteiligung nicht durch eigene Erklärung
auf ein beabsichtigtes VKH-Prüfungsverfahren beschränken (entgegen OLG Dresden
FamRZ 2011, 1242).
Rechtsbeschwerde zugelassen
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des
Amtsgerichts - Familiengericht - Ulm vom 09.10.2015 - 4 F 1138/15 - abgeändert.
2. Dem Antragsgegner wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für den ersten Rechtszug
unter Beiordnung von Rechtsanwältin … mit Wirkung zum 11.09.2015 bewilligt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
1 Die Antragstellerin beantragte durch Anwaltsschriftsatz vom 03.08.2015, beim
Familiengericht eingegangen am 05.08.2015, die Übertragung eines Teilbereichs
der elterlichen Sorge für das Kind …, geboren am …. Im Antragsschriftsatz
beantragt sie gleichzeitig Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe. Durch Verfügung
vom 20.08.2015 veranlasste das Familiengericht die Übersendung des Gesuchs
um Verfahrenskostenhilfe zusammen mit der Antragsschrift. Zum Gesuch um
Verfahrenskostenhilfe wurde eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen
eingeräumt. Mit Anwaltsschriftsatz vom 28.08.2015, beim Familiengericht
eingegangen am 31.08.2015, beantragte der Antragsgegner Bewilligung von
Verfahrenskostenhilfe und nahm zum Gesuch um Verfahrenskostenhilfe und zur
Antragsschrift Stellung. Mit Anwaltsschriftsatz vom 10.09.2015, eingegangen beim
Familiengericht am 11.09.2015, reichte der Antragsgegner eine Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen nach. Durch
Beschluss vom 21.09.2015 lehnte das Familiengericht den Antrag der
Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe mangels hinreichender
Erfolgsaussicht ab. Durch Beschluss vom 09.10.2015 lehnte das Familiengericht
auch den VKH-Antrag des Antragsgegners mit der Begründung ab, es habe den
Antrag der Antragstellerin lediglich im VKH-Prüfungsverfahren geführt und den
Antragsgegner auch lediglich im Rahmen dieser vorgelagerten Prüfung am
Verfahren beteiligt.
2 Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsgegner seinen Antrag auf
Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die erste Instanz weiter. Die
Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten.
II.
3 Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Dem Antragsgegner
ist in dem noch nicht abgeschlossenen erstinstanzlichen Sorgerechtsverfahren
Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, da die gesetzlichen Voraussetzungen
vorliegen.
4 Die Voraussetzungen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in der
vorliegenden FG- Familiensache richten sich gemäß § 76 Abs. 1 FamFG nach den
Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe, somit nach §§
114 ff. ZPO.
5 Gemäß § 119 Abs. 1 S. 1 ZPO erfolgt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für
jeden Rechtszug, der durch die Rechtshängigkeit einer Streitsache beginnt.
Gemäß § 261 ZPO wird die Rechtshängigkeit durch die Erhebung der Klage
begründet, wobei zivilprozessual die Erhebung einer Klage gemäß § 253 Abs. 1
ZPO durch Zustellung eines Schriftsatzes erfolgt. Vor Zustellung einer Klage bzw.
eines Antrags in einer familienrechtlichen Streitsache (§ 113 FamFG) hat in
solchen Verfahren der jeweilige Rechtszug noch nicht begonnen, weshalb insoweit
auch keine Grundlage für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen
Beklagten bzw. Antragsgegner vorhanden ist. Ein Prozessrechtsverhältnis
zwischen ihm und dem Hilfe beanspruchenden Gegner wird dadurch nicht
begründet (vgl. etwa BGH FamRZ 2004, 1708; Zöller/Geimer, 31. Aufl. 2016, § 118
ZPO Rdn. 2 m.w.N.).
6 In Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, also auch in einem
Kindschaftsverfahren gemäß den §§ 151 ff. FamFG (wie hier), hat eine Zustellung
hingegen keine für die Entstehung eines Verfahrensrechtsverhältnisses
konstitutive Wirkung; Begriffe wie "Anhängigkeit" und "Rechtshängigkeit" mit dem
für ZPO-Verfahren maßgeblichen Bedeutungsunterschied verwendet das FamFG
daher in diesem Zusammenhang nicht. Der verfahrenseinleitende Antrag ist
vielmehr mit seinem Eingang beim Gericht wirksam gestellt, ohne dass es hierfür
einer Zustellung bedürfte. § 23 Abs. 2 FamFG bestimmt lediglich, dass der Antrag
den übrigen Beteiligten übermittelt werden soll; hier ist weder von einer bestimmten
Form der Übermittlung die Rede, noch hat diese den Sinn, ein Verfahrensstadium
nach "Rechtshängigkeit" von der Zeit davor zu unterscheiden. Mit Eingang eines
Antrages, der nicht ausdrücklich von der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe
abhängig gemacht wurde, ist das angerufene Familiengericht mit der
Angelegenheit befasst, was verfahrensrechtlich der zivilrechtlichen
Rechtshängigkeit entspricht (Münchener Kommentar/Ulrici, 2. Aufl. 2013, § 23
FamFG Rn. 43; Prütting/Helms/Ahn-Roth, FamFG, 3. Aufl. 2014, § 23 Rn. 22).
Beteiligt sich ein weiterer Beteiligter im Sinne des § 7 Abs. 2 FamFG ab diesem
Zeitpunkt an dem Verfahren, ist ihm bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen
(Erfolgsaussicht, persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse) auf entsprechenden
Antrag hin Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.
7 Nicht gefolgt werden kann der Auffassung des OLG Dresden (FamRZ 2011, 1242;
entsprechende unkommentierte Hinweise auf den Inhalt dieser Entscheidung auch
in Prütting/Helms/Ahn-Roth aaO und Büttner/Dürbeck, Prozess- und
Verfahrenskostenhilfe Beratungshilfe, 7. Aufl. 2014, § 5 Rn. 112) welches darauf
verweist, dass in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit den weiteren Beteiligten
Verfahrenskostenhilfe versagt werden kann, sofern das Gericht eine der
Hauptsache vorgelagerte VKH-Prüfung durchführt, wenn der Antragsteller seinen
unbedingten Antrag mit einem VKH-Gesuch verbindet und das Gericht nur das
VKH-Gesuch zur Stellungnahme übermittelt. Dies soll durch einen entsprechenden
Hinweis des Gerichts klargestellt werden können, wenn Antrag und VKH-Gesuch
in demselben verfahrenseinleitenden Schriftsatz enthalten sind und dieser
Schriftsatz formlos an weitere Beteiligte übersandt wird. Diese Auffassung hätte zur
Folge, dass es in der Hand des befassten Gerichts liegt, einen von Gesetzes
wegen eingetretenen Verfahrensstand, hier die Befasstheit des Gerichts, welche in
FG-Verfahren der Rechtshängigkeit nach der ZPO entspricht, durch eigene
Entscheidung zu verändern.
8 Solange der Gesetzgeber an die Befasstheit des Gerichts mit einem Sachantrag
keine weiteren Voraussetzungen als die Einreichung eines formlosen Antrags
knüpft, beteiligt sich ein weiterer Beteiligter im Sinne des § 7 Abs. 2 FamFG nach
Kenntnisnahme eines Antrags eines Antragstellers, von Fällen der Mutwilligkeit
abgesehen, verfahrenskostenhilferechtlich relevant am Hauptsacheverfahren und
nicht lediglich am VKH-Prüfungsverfahren.
9 Der bloße Hinweis, unabhängig davon ob eindeutig oder nicht, des befassten
Gerichts, es wolle vorab lediglich die Voraussetzungen der Verfahrenskostenhilfe
prüfen, begründet eine Mutwilligkeit nicht, da unabhängig von der Frage der
Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Antragsteller dessen unbedingt
gestellter Antrag zumindest mit einer Kostenentscheidung verfahrensabschließend
zu bescheiden ist, wenn einer der Beteiligten dies anträgt. Allein zu dieser
Problematik, welche das Hauptsacheverfahren betrifft, muss es dem
Antragsgegner gestattet sein, eine Stellungnahme abzugeben. Hinzu kommt, dass
vereinzelt in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten wird, dass das
Schweigen auf einen VKH-Antrag des antragstellenden Beteiligten als Mutwilligkeit
bei der Beurteilung des eigenen VKH-Antrags angesehen werden kann (OLG
Celle MDR 2011, 1235; OLG Köln FamRB 2012,11; JurBüro 2009, 145; OLG
Brandenburg FamRZ 2008, 70). Auch wenn die überwiegende Meinung in
obergerichtlicher Rechtsprechung und Literatur diese Auffassung nicht teilt, kann
jedenfalls vor höchstrichterlicher Klärung dieser Streitfrage die Abgabe einer
Stellungnahme auf einen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht
die Voraussetzungen der Mutwilligkeit im Sinne des § 114 ZPO erfüllen.
10 Da der Senat von der Auffassung des OLG Dresden (FamRZ 2011, 1242)
abweicht, wird die Rechtsbeschwerde zugelassen, § 70 FamFG.