Urteil des OLG Stuttgart vom 17.06.2016

zulässigkeit der auslieferung, vollstreckung der strafe, republik, konvention

OLG Stuttgart Beschluß vom 17.6.2016, 1 Ausl 6/16
Leitsätze
Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Rumänien zur dortigen Strafvollstreckung ist nicht zulässig, da
(derzeit) nicht gewährleistet ist, dass der Verfolgte dort Haftbedingungen vorfindet, die den Vorgaben der
Europäischen Konvention zum Schutz von Menschenrechten und Grundfreiheiten und den Europäischen
Strafvollzugsgrundsätzen entsprechen. Die von den rumänischen Behörden in Aussicht gestellte Unterbringung
in einer Haftzelle, die " 2 qm oder 3 qm persönlichen Raum, einschließlich Bett und entsprechende Möbel"
gewährleiste, genügt den entsprechenden Anforderungen nicht.
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Rumänien zur dortigen Vollstreckung
der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Radauti („Nr. 227“) vom 30. Juni 2014 - geändert und rechtskräftig
geworden durch Urteil des Berufungsgerichts Suceava vom 28. Oktober 2015 („Nr. 844“) -
n i c h t z u l ä s s i g
ist.
Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 29. März 2016 wird
a u f g e h o b e n
.
Gründe
I.
1
1.
Durch Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) und Übermittlung eines Europäischen
Haftbefehls des Amtsgerichts Radauti vom 5. November 2015 - Nr. 276/2014 - ersuchen die Justizbehörden
der Republik Rumänien um Festnahme und Auslieferung des rumänischen Staatsangehörigen P. zum Zweck
der Strafvollstreckung. Im Hinblick darauf hat der Senat am 29. März 2016 angeordnet, dass der Verfolgte in
Auslieferungshaft zu nehmen ist. Am 7. April 2016 wurde P. festgenommen; er befindet sich seither in
Auslieferungshaft.
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2.
Mit Schreiben vom 28. April 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die in Rede stehende
Auslieferung des Verfolgten unter Anordnung der Haftfortdauer für zulässig zu erklären.
3 Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 17. Mai 2016 die Aufrechterhaltung des
Auslieferungshaftbefehls und Haftfortdauer angeordnet; die Entscheidung über die Zulässigkeit der
Auslieferung wurde zurückgestellt. Darüber hinaus wurde die Generalstaatsanwaltschaft ersucht, die
rumänischen Behörden um zusätzliche, spätestens bis zum 15. Juni 2016 abzugebende, Informationen zu
der Frage zu bitten, ob dem Verfolgten für den Fall seiner Auslieferung die Unterbringung in einer
(rumänischen) Haftanstalt zugesichert wird, die den Anforderungen der Europäischen Konvention zum
Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 bzw. den Europäischen
Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entspricht. Der Senat sah sich zu diesem Vorgehen
veranlasst, da konkrete Anhaltspunkte für die Annahme bestanden (und bestehen), dass die
Haftbedingungen in der Republik Rumänien (aktuell) nicht den Anforderungen der bezeichneten Abkommen
entsprechen.
4 Mit Schreiben vom 23. Mai 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft das Amtsgericht Radauti über diesen
Sachstand in Kenntnis gesetzt und zur Erläuterung u. a. Folgendes ausgeführt:
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„(…) Anlass (…) ist die Auskunft der Direktorin Dr. O. des Justizministeriums der Republik Rumänien -
Abteilung für Völkerrecht und Gerichtliche Zusammenarbeit - vom 19. April 2016 (…) in einer anderen
Auslieferungssache. Diese Auskunft lautete, dass nur zugesichert werden könne, dass der Betroffene die
Strafe in einer untergeordneten Einheit absitzen werde, die ihm, je nach der ihm zugeordneten
Vollstreckungsweise, 2 m2 oder 3 m2 persönlichen Raum, einschließlich Bett und entsprechende Möbel,
gewährleiste. Hafträume dieses Zuschnitts genügen nicht den europäischen Vorgaben der Europäischen
Konvention zum Schutz von Menschenrechten und Grundfreiheiten (…) und den Europäischen
Strafvollzugsgrundsätzen (…). Ich bitte daher um Stellungnahme, ob dem Verfolgten P. für den Fall seiner
Auslieferung die Unterbringung in einer (rumänischen) Haftanstalt zugesichert wird / werden kann, die den
Anforderungen der Europäischen Konvention zum Schutz von Menschenrechten und Grundfreiheiten (…)
und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen (…) und die jederzeitige Kontaktaufnahme zu deutschen
Konsularbeamten gewährleistet. Da das Oberlandesgericht insoweit eine Frist gesetzt hat, wird um
Stellungnahme bis spätestens zum 14. Juni 2016 gebeten.“
6 Mit Schreiben vom 10. Juni 2016, bei der Generalstaatsanwaltschaft eingegangen am 14. Juni 2016, haben
die rumänischen (Justiz-) Behörden (u. a.)
7 folgende Erklärung abgegeben:
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„(…) Die Nationale Verwaltung der Justizvollzugsanstalten behält ihren (…) dargelegten Standpunkt bei, in
dem Sinne, dass sie die Justizvollzugsanstalt, welcher der Häftling (…) zugeteilt werden wird, nicht konkret
benennen kann, jedoch garantiert, dass die besagte Person die Strafe in einer untergeordneten Einheit
verbüßen wird, die ihm (…) einen persönlichen Raumanteil von 2 oder 3 Quadratmetern, der das Bett und
die zugehörigen Möbelstücke einschließt, zusichert. (…)“
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3.
Mit Schreiben vom 16. Juni 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft (erneut) beantragt, die Auslieferung
des Verfolgten für zulässig zu erklären und die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen.
II.
10 Den von der Generalstaatsanwaltschaft gestellt Anträgen kann nicht entsprochen werden.
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1.
Die Auslieferung des Verfolgten ist nicht zulässig; im Einzelnen ist hierzu lediglich Folgendes zu
bemerken:
12 Bei Inblicknahme der Darlegungen in dem bezeichneten Schreiben der rumänischen (Justiz-) Behörden vom
10. Juni 2016 ist (derzeit) nicht gewährleistet, dass der Verfolgte für den Fall seiner Auslieferung und
Inhaftierung in der Republik Rumänien Haftbedingungen vorfindet, die den Vorgaben der Europäischen
Konvention zum Schutz von Menschenrechten und Grundfreiheiten und den Europäischen
Strafvollzugsgrundsätzen entsprechen.
13 Eine Haftzelle mit einem „persönlichen Raumanteil von 2 oder 3 Quadratmetern“ (einschließlich
Bett/Möblierung), genügt, wie der Senat unter Hinweis auf die (verfassungsgerichtliche) Rechtsprechung
(vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.3.2016, Az. 2 BvR 566/15 - zu inländischen Haftbedingungen) bereits in anderer,
ebenfalls ein Auslieferungsersuchen der Republik Rumänien betreffenden Sache (Az.: 1 Ausl. 326/15) mit
Beschluss vom 29. April 2016 klargestellt hat, diesen Anforderungen nicht. Dass die entsprechenden
„Einkerkerungszimmer“ in Rumänien ausweislich der weiteren Mitteilungen im genannten Schreiben vom
10. Juni 2016 über eine „Lüftung und natürliche Beleuchtung“ verfügen und die „Heizung der Räume“ dort
„eine optimale Temperatur“ gewährleisten ändert hieran nichts. Schließlich führt auch das bestätigte
(jederzeitige) Besuchsrecht deutscher Konsularbeamter zu keiner anderen Beurteilung.
14 Unter Berücksichtigung der beschrieben Abläufe und Festlegung(en) der rumänischen (Justiz-) Behörden ist
eine (verbindliche) individuelle Zusicherung besserer Haftbedingungen nicht (mehr) zu erwarten und die in
Rede stehende Erklärung vom 10. Juni 2016 vielmehr als abschließende Stellungnahme der Nationalen
Verwaltung der Justizvollzugsanstalten in Rumänien zu beurteilen.
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2.
Allem nach bleibt somit (auch) für die Aufrechterhaltung des Auslieferungshaftbefehls kein Raum.