Urteil des OLG Stuttgart vom 09.11.2015

juristische person, rechtshilfe in strafsachen, herausgabe von gegenständen, ermittlungsverfahren

OLG Stuttgart Beschluß vom 9.11.2015, 1 ARs 54/15
Leitsätze
Antragsteller nach § 61 Abs. 1 Satz 2 IRG kann nur ein Dritter, nicht aber der
Betroffene sein, gegen den sich das ausländische (Ermittlungs-)Verfahren richtet; es
kommt insoweit allein auf die Stellung des Antragstellers im (Ermittlungs-)Verfahren
des ersuchenden Staates an.
Tenor
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 61 Abs. 1 Satz 2, 66 IRG vom 17.
September 2015 wird als unzulässig
z u r ü c k g e w i e s e n .
Gründe
I.
1
Die Staatsanwaltschaft Wien führt gegen die Antragstellerin als juristische Person
und weitere Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des dringenden
Verdachts der „betrügerischen Krida“ und des gewerbsmäßig schweren Betrugs.
Die Antragstellerin soll im Dezember 2003 die D. GmbH mit Sitz in G. gekauft und
als nunmehr alleinige Gesellschafterin deren Sitz nach L. verlegt und im
September 2004 den Firmennamen in L. GmbH geändert haben. Die L. GmbH soll
in Deutschland Immobilien erworben haben, die unter anderem mit Anleihen der L.
GmbH ausfinanziert wurden. Über ein kompliziertes Finanzierungskonstrukt sollen
die Beschuldigten schließlich Vermögenswerte in Höhe von insgesamt
74.946.199,00 Euro beiseite geschafft haben, wovon sie 58.465.874,20 Euro
betrügerisch erlangt haben sollen. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens hat
die Staatsanwaltschaft Wien mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2014 bei der
Staatsanwaltschaft Ravensburg ein Rechtshilfeersuchen gestellt, in dem sie um
die Durchführung einer - vom Landesgericht für Strafsachen Wien bewilligten -
Anordnung der Auskunftserteilung hinsichtlich der Konten der Antragstellerin bei
der I. AG mit Sitz in F. (im folgenden: I. AG) samt Sicherstellung der darauf
befindlichen Guthaben bat. Das Oberlandesgericht Wien hat mit Beschluss vom
20. Januar 2015 den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen insoweit
aufgehoben, als dieser die „Bewilligung der Anordnung der Erteilung der Auskunft
über Kontoverdichtungen und Herausgabe von Buchungsbelegen jener
Geschäftskonten“ betraf, bei denen die Beschuldigten nicht Inhaber waren. Im
Übrigen blieb der Beschluss „unberührt“.
2
Mit Schreiben vom 24. Februar 2015 hat die Staatsanwaltschaft Ravensburg die I.
AG zur entsprechenden Auskunftserteilung aufgefordert. Nachdem die I. AG dem
nachgekommen war, übersandte die Staatsanwaltschaft Ravensburg der
Staatsanwaltschaft Wien am 25. März 2015 einen Zwischenbericht. Dabei wurde
eine von der I. AG überlassene Depot-/Kontenaufstellung beigefügt und mitgeteilt,
dass auf diesen Konten keine nennenswerten Vermögenswerte vorhanden seien.
Die Staatsanwaltschaft Ravensburg sei aber im Rahmen der Bankauskunft von
der I. AG darauf hingewiesen worden, dass die Antragstellerin Beteiligungen an
weiteren Firmen habe, die unter Umständen werthaltig seien. Die
Staatsanwaltschaft Ravensburg bat daher die Staatsanwaltschaft Wien
mitzuteilen, ob das Bankauskunftsersuchen sich auch auf diese Beteiligungen
beziehen und deren Werthaltigkeit beauskunftet werden solle. Dies hat die
Staatsanwaltschaft Wien mit Schreiben vom 3. April 2015 bejaht, woraufhin die
Staatsanwaltschaft Ravensburg mit Schreiben vom 18. Mai 2015 der
Staatsanwaltschaft Wien zusätzlich zu den bisherigen Unterlagen eine CD-ROM
mit Unterlagen über Beteiligungen der Antragstellerin zusandte.
3
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 17. September 2015 beantragt die Antragstellerin
festzustellen, dass die Leistung von Rechtshilfe aufgrund des
Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Wien durch die Staatsanwaltschaft
Ravensburg im Verfahren 31 ARH 33/15 unzulässig war. Sie konkretisiert ihren
Antrag in diesem Schriftsatz dahingehend, dass er sich auf „sämtliche Auskünfte
und Unterlagen, die die Staatsanwaltschaft Ravensburg mit Schreiben vom 18.
Mai 2015 an die Staatsanwaltschaft Wien übersandte“ beziehe. Insoweit habe
weder eine Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien noch eine Bewilligung eines
österreichischen Gerichts vorgelegen. Weiter beantragt die Antragstellerin die
Rückforderung der unzulässig mitgeteilten Informationen bei der
Staatsanwaltschaft Wien bzw. die Anordnung eines Verwertungsverbotes
hinsichtlich der erlangten Informationen aufgrund der Unzulässigkeit von deren
Einholung und Weitergabe sowie eine entsprechende Mitteilung an die
Staatsanwaltschaft Wien.
4
Die Staatsanwaltschaft Ravensburg hat mit Schriftsatz vom 29. September 2015
Stellung genommen. Die Antragstellerin hatte hierzu wiederum Gelegenheit zur
Stellungnahme.
II.
1.
5
Der Antrag nach §§ 61 Abs. 1 Satz 2, 66 IRG ist unzulässig, da die Antragstellerin
insoweit jedenfalls nicht antragsbefugt ist.
6
Die Zulässigkeit der Rechtshilfe richtet sich nach §§ 59, 66 IRG und nach Art. 3 ff.
EuRhÜbk, da sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Republik
Österreich Vertragsstaaten des Europäischen Übereinkommens vom 20. April
1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen - EuRhÜbk - sind. Des Weiteren sind das
Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 (ZP-EuRhÜbk) und der bilaterale
Ergänzungsvertrag vom 31. Januar 1972 zwischen der Republik Österreich und
der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des EuRhÜbK und die
Erleichterung seiner Anwendung zu beachten (vgl.
Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechthilfe in Strafsachen, 5.
Auflage, Vertragstabellen zum EuRhÜbk, S. 716 ff. und zum ZP-EuRhÜbk
,
S. 732
ff., sowie zum Ergänzungsvertrag S. 805 ff.).
7
Es entspricht herrschender Meinung, dass im Fall des § 61 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2
IRG antragsbefugt nur ein Dritter sein kann, der geltend macht, er würde durch die
Herausgabe von Gegenständen nach § 66 Abs. 2 Nr. 3 IRG in seinen Rechten
verletzt, nicht jedoch der Betroffene selbst (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom
04.09.2012, 1 OLG Ausl 166/11, juris Rn. 13; Johnson in Grützner/Pötz/Kreß,
Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 61 IRG, Rn. 12; a.A.
Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O, IRG § 61 Rn. 14). Für die
Frage, wer Dritter im Sinne des § 66 Abs. 2 Satz 3 IRG ist, kommt es allein darauf
an, gegen wen sich das ausländische Ermittlungsverfahren richtet. Danach ist
Dritter jeder, der nicht Verfolgter in dem ausländischen Strafverfahren ist, in dem
das Rechtshilfeersuchen gestellt wurde (OLG Köln, Beschluss vom 27. Juli 2004,
Ausl 92/04, juris Rn. 1). Die Antragstellerin wird aber im Ermittlungsverfahren der
Staatsanwaltschaft Wien ausdrücklich - wegen des eine
Verbandsverantwortlichkeit begründenden Verdachts im Sinne des § 3 des
österreichischen Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes, VbVG - als Beschuldigte
geführt und ist damit nicht „Dritter“ im Sinne des § 66 Abs. 2 Nr. 3 IRG. Unerheblich
ist dabei, dass eine juristische Person im deutschen Strafrecht nicht Beschuldigter
sein kann, da es allein auf ihre Stellung im Ermittlungsverfahren des ersuchenden
Staates ankommt.
8
Der Antrag ist ferner unzulässig, da es sich bei den von der Staatsanwaltschaft
Ravensburg übersandten Unterlagen um Auskünfte handelte, deren Erteilung im
Rechtshilfeverkehr von § 59 IRG erfasst wird und hinsichtlich derer kein
Antragsrecht nach § 61 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. IRG besteht. Eine „Herausgabe“ im
Sinne des § 66 IRG, die für den Antrag nach § 61 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. IRG
erforderlich wäre, liegt nicht vor. Unter Auskunft ist - in Abgrenzung zur
Herausgabe - nicht nur die direkte Beantwortung schriftlicher oder mündlicher
Anfragen zu verstehen, sie umfasst vielmehr auch den Fall, dass das Ergebnis
von Erkundigungen mitgeteilt wird (Grützner/Pötz/Kreß, a.a.O, § 59 IRG Rn. 17).
Vorliegend sollten - so ausdrücklich der o.g. Beschluss des Oberlandesgerichts
Wien vom 20. Januar 2015 - durch die angeordnete Auskunft Unterlagen für das
Ermittlungsverfahren erschlossen werden, aus denen sich zum einen
Zahlungsflüsse des vernetzten Konzernsystems ergeben, zum anderen die
Vorwürfe gegen die Beschuldigten überprüft werden könnten. Die Antragstellerin
selbst spricht in allen ihren Schriftsätzen ausdrücklich nur von einer
Auskunftserteilung; dem Antrag ist auch im Übrigen nicht zu entnehmen, dass es
sich um Unterlagen gehandelt hätte, die als Beweismittel im österreichischen
Ermittlungsverfahren in Betracht kämen oder die die Ermittlung von unmittelbaren
Beweismitteln erst ermöglichten (vgl. hierzu Lagodny in
Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O, § 66 IRG Rn. 12). Im
Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Wien vom 31. Oktober 2014 ist
insoweit ebenfalls nur von einer Auskunftserteilung die Rede; §§ 116, 109 Nr. 3
österreichische StPO - auf die die Staatsanwaltschaft Wien Bezug nimmt - regeln
ausdrücklich die Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte. Es ist daher
davon auszugehen, dass es sich vorliegend um Informationen handelte, die dem
Fortgang des österreichischen Ermittlungsverfahrens dienen sollten.
9
Weiter bestehen erhebliche Zweifel, ob nach der Erteilung der Auskünfte und
Erledigung des Rechtshilfeersuchens ein Feststellungsinteresse der
Antragstellerin besteht, das für die Zulässigkeit des Antrages nötig wäre. Ein
solches Feststellungsinteresse ist nur in Ausnahmefällen gegeben (vgl. hierzu
eingehend BGHSt 33, 196, juris Rn. 33 ff.). Der Vortrag der Antragstellerin, die
Staatsanwaltschaft Wien könne die ihr zugegangenen Auskünfte möglicherweise
für eine Beschlagnahme in Deutschland von Konten der Gesellschaften nutzen,
an denen die Antragstellerin beteiligt sei bzw. die Staatsanwaltschaft Wien werde
weitere Maßnahmen in Deutschland durchzuführen versuchen, ist unsubstantiiert
und vage und enthält lediglich unbelegte Vermutungen.
2.
10 Ein Anspruch der Antragstellerin auf Rückforderung der der Staatsanwaltschaft
Wien überlassenen Unterlagen bzw. auf Anordnung eines Verwertungsverbots
besteht nach dem oben Gesagten erst recht nicht. Ungeachtet dessen regelt das
IRG grundsätzlich nur die sogenannte Leistungsermächtigung, d.h. das
Oberlandesgericht hat nach § 61 IRG über das „Ob“ der Leistung von Rechtshilfe
nach außen zu entscheiden (Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner,
a.a.O., vor § 59 IRG, Rn. 6; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. Januar 2012, 1 Ausl
S 184/11, juris Rn. 19). Die Vorschrift begründet keine allgemeine
Entscheidungszuständigkeit des Oberlandesgerichts für alle im Zusammenhang
mit einem internationalen Rechtshilfeersuchen auftretenden Rechtsfragen
(Grützner/Pötz/Kreß, a.a.O., § 61 IRG, Rn. 3; OLG Hamm NStZ 1984, 417).
11 Im Übrigen richtet sich die Verwertbarkeit mittels Rechtshilfe eines ausländischen
Staates gewonnener Beweise nach der Rechtsordnung des um diese Rechtshilfe
ersuchenden Staates, hier also nach der Rechtsordnung Österreichs (BGH,
Beschluss vom 09.04.2014, 1 StR 39/14, zitiert nach juris). Die Anordnung eines
Verwertungsverbots wäre - ungeachtet dessen, ob eine solche vorliegend
überhaupt in Betracht käme - ein Eingriff in die Souveränität des ersuchenden
Staates.