Urteil des OLG Stuttgart vom 27.06.2014

OLG Stuttgart: wider besseres wissen, straftat, strafantrag, polizei, auflage, vergehen, absicht, familie, fahren, überprüfung

OLG Stuttgart Beschluß vom 27.6.2014, 5 Ss 253/14
Leitsätze
Die wahrheitswidrige Behauptung einer Straftat durch eine Person erfüllt den objektiven
Tatbestand des § 164 Abs. 1 StGB nicht, wenn schon nach dem Inhalt der ver-dächtigenden
Äußerung selbst ausgeschlossen ist, dass diese zu der beabsichtigten behördlichen Reaktion
führen kann. Ist die behauptete Straftat ein absolutes Strafantragsdelikt, so ist die falsche
Verdächtigung deshalb grundsätzlich nur strafbar, wenn der Strafantrag gestellt wird. Es genügt
allerdings auch, wenn die spätere Antragstellung zu erwarten ist und die Verfolgungsbehörde
aus diesem Grund schon vorher Verfolgungs- oder Ermittlungshandlungen vornimmt.
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Ravensburg vom 3.
Dezember 2013, soweit der Angeklagte wegen falscher Verdächtigung verurteilt wurde, im
Schuldspruch und im Übrigen im Rechtsfolgenausspruch jeweils mit den zugehörigen
Feststellungen gemäß § 349 Abs. 2, Abs. 4 StPO
a u f g e h o b e n.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Jugendschöffengerichts beim Amtsgericht
Ravensburg zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten als unbegründet
v e r w o r f e n.
Gründe
I.
1 Das Amtsgericht Ravensburg hat den zur Tatzeit 20 Jahre alt gewesenen Angeklagten mit
dem angefochtenen Urteil vom 3. Dezember 2013 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne
Fahrerlaubnis in drei Fällen und wegen falscher Verdächtigung zu der
Einheitsjugendstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung
ausgesetzt hat. Gegen das Urteil hat der Angeklagte rechtzeitig (Sprung-) Revision
eingelegt. Er erhebt die Sachrüge und eine Verfahrensrüge. Die
Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel gemäß § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet zu verwerfen.
II.
2 Die gemäß §§ 335 Abs. 1 StPO, 2 Abs. 2 JGG statthafte und auch im Übrigen zulässige
Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, soweit das Amtsgericht ihn wegen
falscher Verdächtigung verurteilt hat. Im Übrigen ist sie unbegründet.
3 1. Das Amtsgericht hat u.a. folgende Feststellungen getroffen:
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„Am 22. April 2013 gegen 17.34 Uhr fuhr der Angeklagte mit dem (…) Motorrad Yamaha
mit dem Kennzeichen … in Wangen auf der Zeppelinstraße. Er wurde von der Polizei
aufgefordert anzuhalten, damit diese eine Kontrolle durchführen konnte. Als er die Polizei
sah, entschloss sich der Angeklagte, der wusste, dass er die erforderliche Fahrerlaubnis
nicht besaß, vor der Polizei zu fliehen, was ihm auch gelang.
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Der Angeklagte wusste, dass er sich mit der Fahrt strafbar gemacht hatte. Die
Polizeibeamten hatten noch nicht den Fahrer identifiziert, jedoch als Halter des Motorrads
den Angeklagten ausgemacht und waren zum Wohnsitz von dessen Familie gefahren.
Dort trafen sie den Angeklagten nicht an, konnten ihn jedoch telefonisch über ein Handy
der Familie erreichen. Der Angeklagte sagte zu, am folgenden Tag zur Polizei zu
kommen. Dort erschien der Angeklagte auch am 23. April 2013 und gab gegenüber dem
Polizeibeamten H. wider besseres Wissen an, dass der gesondert verfolgte G. am
22.04.2013 ohne sein, dessen Angeklagten, Wissen den Schlüssel an sich genommen
habe und mit dem Motorrad gefahren sei. G. sei es gewesen, der vor der Polizei geflüchtet
sei. Mit G. hatte er zuvor diese Einlassung abgesprochen und G. war damit
einverstanden.“
6 2. Diese Feststellungen reichen zur Verurteilung des Angeklagten wegen falscher
Verdächtigung nach § 164 Abs. 1 StGB nicht aus. Nach dieser Vorschrift macht sich
insbesondere der Täter strafbar, der einen anderen bei einer Behörde oder einem zur
Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger wider besseres Wissen einer
rechtswidrigen Tat in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder andere
behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen. Die wahrheitswidrige Behauptung
einer Straftat durch eine Person erfüllt den objektiven Tatbestand des § 164 Abs. 1 StGB
daher nicht, wenn schon nach dem Inhalt der verdächtigenden Äußerung selbst
ausgeschlossen ist, dass diese zu der beabsichtigten behördlichen Reaktion führen kann.
Dies ist etwa dann der Fall, wenn es schon nach dem vom Täter dargestellten Sachverhalt
an einer Strafverfolgungsvoraussetzung fehlt und daher ein hinreichender
Anfangsverdacht nicht gegeben ist (BGH, Beschluss vom 7. November 2001 - 2 StR
417/01 - zitiert nach juris; Fischer, StGB, 61. Auflage, § 164, Rn. 5b; Ruß in Leipziger
Kommentar, StGB, 12. Auflage, § 164, Rn. 15). Das gilt nach der Auffassung des Senats
grundsätzlich auch für einen zur Strafverfolgung erforderlichen Strafantrag. Allerdings
genügt es in diesem Fall, wenn die Behebung des Mangels nach den gegebenen
Umständen zu erwarten ist und die Verfolgungsbehörde aus diesem Grund schon vorher
Verfolgungs- oder Ermittlungshandlungen vornimmt, etwa wenn der vom Anzeigeerstatter
verschiedene Strafantragsberechtigte für die behauptete Straftat nicht vor Ort ist, den
Strafantrag aber voraussichtlich stellen würde. Denn die Vorschriften der §§ 127 Abs. 3
Satz 1, 130 Satz 1, Satz 2 StPO lassen erkennen, dass Verfolgungs- und
Ermittlungshandlungen zur Aufklärung einer Straftat beim Fehlen eines erforderlichen
Strafantrags nicht völlig ausgeschlossen sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57.
Auflage, § 158, Rn. 4). Dann ist es aber sachgerecht, auch in diesem Fall vom Täter
fehlgeleitete Ermittlungshandlungen als falsche Verdächtigung nach § 164 Abs. 1 StGB zu
ahnden, wenn die weiteren Strafbarkeitsvoraussetzungen gegeben sind.
7 Nach diesen Grundsätzen tragen die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen die
Verurteilung des Angeklagten wegen falscher Verdächtigung nicht. Ausführungen dazu,
welcher Straftat der Angeklagte den angeblichen Fahrer verdächtigt hat, enthält das
angefochtene Urteil nicht. Handelte es sich um ein Vergehen des unbefugten Gebrauchs
eines Fahrzeugs nach § 248b Abs. 1 StGB, so erforderte dessen Verfolgung nach § 248b
Abs. 3 StGB einen Strafantrag des Angeklagten, der der Gebrauchsberechtigte für das
Motorrad war (vgl. Fischer, a.a.O., § 248b, Rn. 10, Rn. 2). Ob der Angeklagte diesen
Strafantrag gestellt hat, ergibt sich aus dem Urteil nicht und folgt auch nicht aus seinem
Gesamtzusammenhang. Im Gegenteil spricht der Umstand, dass die wahrheitswidrige
Behauptung des Angeklagten mit G. abgesprochen war, gegen einen vom Angeklagten
gegen seinen Helfer gestellten Strafantrag. Hatte der Angeklagte den Strafantrag bei
seiner Vernehmung am 23. April 2013 nicht gestellt, dann fehlt es nach den
Urteilsfeststellungen auch an Anhaltspunkten dafür, dass die spätere Behebung des
Mangels zu erwarten war.
8 Darüber hinaus hat das Amtsgericht nicht festgestellt, ob der Angeklagte seinen Helfer im
Sinne von § 164 Abs. 1 StGB in der Absicht verdächtigt hat, ein behördliches Verfahren
oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen (vgl. hierzu Fischer,
a.a.O., § 164, Rn. 13).
9 Die Würdigung der Tat des Angeklagten als ein Vergehen des Vortäuschens einer Straftat
nach § 145d StGB würde gleichermaßen voraussetzen, dass der für die Verfolgung der
behaupteten Tat erforderliche Strafantrag gestellt wurde, zumindest aber die Behebung
des Mangels zu erwarten war (Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., §
145d, Rn. 7 a.E.).
10 Eine andere vom Angeklagten behauptete Straftat des G., insbesondere ein Diebstahl
oder Fahren ohne Fahrerlaubnis, lässt sich den Feststellungen des Amtsgerichts nicht
entnehmen.
11 3. Hinsichtlich des Schuldspruchs bei den Taten Nrn. 1 - 3 des angefochtenen Urteils,
nämlich dreier Vergehen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, hat die
Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung dagegen keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Rechtsmittel ist deshalb
insoweit gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
12 4. Jedoch bedürfen der Vorwurf der falschen Verdächtigung gegen den Angeklagten, die
Bestimmung der Rechtsfolgen und die Entscheidung über die Kosten der Revision des
Angeklagten erneuter Verhandlung und Entscheidung durch eine andere Abteilung des
Jugendschöffengerichts beim Amtsgericht Ravensburg (§ 354 Abs. 2, S. 1, 1. Alternative
StPO). Die Entscheidung des Senats ergeht gemäß § 349 Abs. 2, Abs. 4 StPO einstimmig.
Die allein gegen die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung gerichtete
Verfahrensrüge des Beschwerdeführers bedarf keiner Entscheidung mehr.