Urteil des OLG Stuttgart vom 05.03.2014

OLG Stuttgart: ordre public, ungarn, übereinkommen über die zivilrechtlichen aspekte, anerkennung, aufenthalt im ausland, wohl des kindes, mitgliedstaat, formelle rechtskraft, vollstreckung

OLG Stuttgart Beschluß vom 5.3.2014, 17 UF 262/13
Leitsätze
1. Zu den Voraussetzungen, nach denen die Anerkennung und Vollstreckung einer in einem EU-
Mitgliedstaat erlassenen einstweiligen Anordnung unter die Art. 21 ff. Brüssel IIa VO fällt.
2. Zur Prüfung der Anerkennungshindernisse gemäß Art. 23, 31 Abs. 2 Brüssel IIa VO.
3. Zur Ausübung des Ermessens durch das Beschwerdegericht im Hinblick auf eine etwaige
Aussetzung des Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahrens gemäß Art. 27 Abs. 1, 35
Abs. 1 Brüssel IIa VO.
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Stuttgart vom 15.11.2013, Az. 25 F 1677/13, wird
zurückgewiesen
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses wird angeordnet.
4. Der Antrag des Antragsgegners auf Aussetzung des Verfahrens wird
zurückgewiesen
5. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin
…, ratenfrei Verfahrenskostenhilfe bewilligt.
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind miteinander verheiratet. Aus ihrer Ehe ist
das Kind …, geboren am …., hervorgegangen.
2
Die Antragstellerin hat die ungarische, der Antragsgegner die deutsche und das Kind …
hat sowohl die deutsche als auch die ungarische Staatsangehörigkeit.
3
Am 04.09.2013 hat das Kreisgericht Dunakezsi/Ungarn im Wege der einstweiligen
Anordnung (Geschäftszeichen 1.20.865/2012/38) das Sorgerecht für das Kind … auf die
Antragstellerin übertragen. Weiter wurde der Antragsgegner verpflichtet, das Kind …
innerhalb von zwei Tagen an die Antragstellerin heraus zu geben.
4
Die Antragstellerin begehrt die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der
Entscheidung des Kreisgerichts Dunakezsi.
5
Das Amtsgericht - Familiengericht Stuttgart - hat mit Beschluss vom 15.11.2013
entschieden, dass die im Beschluss des Kreisgerichts Dunakezsi getroffene Regelung
der elterlichen Sorge und die Verpflichtung des Antragsgegners, das Kind an die Mutter
herauszugeben, anzuerkennen sei. Weiter hat das Amtsgericht beschlossen, dass der
Beschluss des Kreisgerichts Dunakezsi hinsichtlich der Herausgabeverpflichtung mit der
Vollstreckungsklausel für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu versehen sei.
6
Gegen den ihm am 27.11.2013 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit am
05.12.2013 beim Amtsgericht Stuttgart eingegangenem Schriftsatz, der nach
Weiterleitung durch das Amtsgericht am 09.12.2013 beim Oberlandesgericht Stuttgart
eingegangen ist, Beschwerde eingelegt.
7
Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Antragsgegner vor, dass das Kreisgericht
Dunakezsi gar nicht zuständig gewesen sei. Zuständig für den Sorgerechtsantrag der
Antragstellerin sei das Amtsgericht - Familiengericht - Leonberg gewesen, da zum
Zeitpunkt der Einreichung des Sorgerechtsantrags am 22.7.2013 der gewöhnliche
Aufenthalt des Kindes noch in Leonberg gewesen sei.
8
Das Kreisgericht Dunakezsi sei auch deshalb nicht international zuständig für eine
Entscheidung über den Antrag der Antragstellerin gewesen, da nach Art. 10 Brüssel IIa
VO bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes die Gerichte des
Mitgliedstaats, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zuständig bleiben. Auszugehen sei in diesem
Zusammenhang davon, dass das Kind … am 17.06.2012 gegen den Willen des
Antragsgegners durch die Antragstellerin nach Ungarn entführt worden sei.
9
Der Antragsgegner habe sich auf das Verfahren vor dem Kreisgericht Dunakezsi auch
nicht eingelassen. Eine Ladung zu dem dortigen Verhandlungstermin am 29.08.2013 sei
ihm nicht zugestellt worden.
10 Die Entscheidung des Kreisgerichts Dunakezsi widerspreche der öffentlichen Ordnung
Ungarns, zu der auch die Regelungen über die internationale Zuständigkeit der Gerichte
in Entführungsfällen gehören.
11 Die Entscheidung des Kreisgerichts sei auch unverhältnismäßig, weil es ausgereicht
hätte, nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu regeln, ohne eine Entscheidung über das
Sorgerecht insgesamt zu treffen. Im Übrigen entspreche es dem Kindeswohl, wenn das
Kind bei dem Vater, der eine enge persönliche Beziehung zu dem Kind habe, verbleibe.
Zu akzeptieren sei hierbei der Wille des Kindes, das sich nach dem zwischen den Eltern
vereinbarten Umgang in den Sommerferien 2013 geweigert habe, zur Mutter
zurückzukehren, so dass es danach beim Antragsgegner in der ehemaligen
ehegemeinschaftlichen Wohnung in Leonberg geblieben sei.
12 Die Entscheidung des Kreisgerichts Dunakeszi könne auch gemäß Art. 23 Ziff. e und f
Brüssel IIa VO nicht anerkannt werden, da der Antragsgegner beim Amtsgericht -
Familiengericht - Leonberg den Antrag gestellt habe, ihm einstweilen das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für … zu übertragen. Jedenfalls sei bis zu einer
Entscheidung des Amtsgerichts Leonberg das Beschwerdeverfahren auszusetzen.
13 Auszusetzen sei das Verfahren auch gemäß Art. 27 Brüssel IIa VO im Hinblick auf eine in
Ungarn seitens des Antragsgegners eingelegte Nichtigkeitsklage.
14 Einer Anerkennung und Vollstreckbarerklärung stünde auch entgegen, dass die
Antragstellerin eine gemäß Art. 37 Abs. 2 a Brüssel IIa VO erforderliche Urkunde nicht
vorgelegt habe.
15 Der Antragsgegner
beantragt:
16
Der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 15.11.2013 wird aufgehoben.
17
Hilfsweise
beantragt
auszusetzen.
18 Die Antragstellerin
beantragt,
19
die Beschwerde des Antragsgegners als unzulässig zu verwerfen,
20
hilfsweise für den Fall der Zulässigkeit der Beschwerde diese zurückzuweisen.
21 Weiter
beantragt
22
- den Antrag des Antragsgegners, das Verfahren gemäß Art. 27 Abs. 1 VO (EG
2201/2003) aussetzen, abzuweisen.
23 Die Antragstellerin geht davon aus, dass die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen
sei, da sie nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung formgerecht eingelegt worden
sei. Die Rüge der internationalen Zuständigkeit der ungarischen Gerichte hält die
Antragstellerin für unzulässig, da die Zuständigkeit des Gerichts des
Ursprungsmitgliedstaat im Anerkennungsverfahren nicht überprüft werden dürfe. Im
Übrigen bestünden keine Zweifel über die internationale Zuständigkeit des ungarischen
Gerichts.
24 Das Verfahren sei auch nicht auszusetzen, da der Beschluss des Kreisgerichts
Dunakeszi rechtskräftig geworden sei, nachdem das Landgericht Budapest mit
Beschluss vom 05.12.2013 die durch den Antragsgegner eingelegte Berufung
zurückgewiesen habe.
II.
25 Die Beschwerde des Antragsgegners ist statthaft gemäß Art. 33 Abs. 1 der Verordnung
(EG) Nr. 2201/2203 (im Folgenden: Brüssel IIa-VO), §§ 24 Abs. 1, 32 Abs. 1, 1 Nr. 1
IntFamRVG.
26 Die Beschwerde ist auch in zulässiger Form, insbesondere fristgerecht eingelegt. Gemäß
Art. 33 Abs. 5 Brüssel IIa-VO, § 24 Abs. 3 Ziff. 1 IntFamRVG ist die Beschwerde innerhalb
eines Monats nach Zustellung und zwar beim Oberlandesgericht (§ 24 Abs. 1 S. 2
IntFamRVG) einzulegen.
27 Der angefochtene Beschluss wurde dem Antragsgegner am 27.11.2013 zugestellt. Die
Beschwerde vom 03.12.2013 wurde zwar beim Amtsgericht Stuttgart eingelegt. Nach
Weiterleitung durch das Amtsgericht Stuttgart an das Oberlandesgericht Stuttgart ging die
Beschwerde dann aber am 09.12.2013 und damit fristgerecht beim Oberlandesgericht
Stuttgart ein. Dass die Beschwerde statt bei dem Oberlandesgericht bei dem Gericht des
ersten Rechtszugs eingelegt worden ist, berührt die Zulässigkeit der Beschwerde gemäß
§ 24 Abs. 2 IntFamRVG nicht.
III.
1.
28 Gemäß Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO, die gemäß Art. 1 Abs. 2 Ziff. a Brüssel IIa-VO auf
Entscheidungen, die das Sorgerecht betreffen, Anwendung findet, werden die in einem
Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt,
ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Ungeachtet dessen kann ein
Beteiligter, der ein Interesse hieran hat, gemäß Art. 21 Abs. 3 Brüssel IIa-VO eine
Entscheidung über die Anerkennung der Entscheidung beantragen.
29 Gemäß Art. 28 Brüssel IIa-VO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen
Entscheidungen über die elterliche Verantwortung für ein Kind in einem anderen
Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag der berechtigten Partei für vollstreckbar
erklärt werden.
2.
a)
30 Entscheidungen über Eilmaßnahmen, die im Wege einer einstweiligen Anordnung
getroffen worden sind, fallen nicht ohne weiteres unter die Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO.
31 Denn der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden (Urteil vom 15. Juli 2010,
FamRZ 2010, 1521), dass die Vorschriften der Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO nicht auf
einstweilige Maßnahmen hinsichtlich des Sorgerechts nach Art. 20 dieser Verordnung
anwendbar sind.
b)
32 Zu unterscheiden sind zwei Konstellationen:
33 Ein nach Art. 3 ff. Brüssel IIa-VO zuständiges Gericht ist nicht nur für die Entscheidung in
der Hauptsache zuständig, sondern auch für den Erlass einstweiliger Maßnahmen (BGH,
FamRZ 2011, 542 Rn. 15).
34 Ist das Gericht für die Entscheidung in der Hauptsache nicht nach Art. 3 ff. Brüssel IIa-VO
international zuständig, kann die Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen
auch nicht auf die Art. 3 ff. Brüssel IIa-VO gestützt werden.
35 Ein nach Art. 3 ff. Brüssel IIa-VO unzuständiges Gericht kann jedoch Eilmaßnahmen
treffen, auf die Art. 20 Brüssel IIa-VO anwendbar ist. Bei Art. 20 Brüssel IIa-VO handelt es
sich um eine Öffnungsklausel. Sie lässt unter den dort genannten Voraussetzungen für
die Begründung einer Zuständigkeit für den Erlass von Eilmaßnahmen den Rückgriff
auch auf an sich gegenüber der Brüssel IIa-VO nachrangige Übereinkommen und
gegebenenfalls auf das nationale Recht zu (BGH, FamRZ 2011, 542 Rn. 18).
c)
36 Nach den durch die Rechtsprechung des EuGH aufgestellten Grundsätzen, die vom BGH
angewandt und umgesetzt worden sind, ist - jedenfalls für den Bereich des Sorgerechts -
folgende Differenzierung hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung einstweiliger
Anordnungen angezeigt:
37 Erlässt ein nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO in der Hauptsache zuständiges Gericht eine
einstweilige Maßnahme, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung dieser
Maßnahme in anderen Mitgliedstaaten nach Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO (BGH, FamRZ
2011, 542 Rn. 16).
38 Erlässt demgegenüber ein nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO unzuständiges Gericht eine
einstweilige Maßnahme auf der Grundlage des Art. 20 Brüssel IIa-VO, sind die Art. 21 ff.
Brüssel IIa-VO nicht anwendbar, da keine Entscheidung getroffen worden ist, die ihre
Zuständigkeit auf die Brüssel IIa-VO gestützt hat und da eine auf der Grundlage des Art.
20 Brüssel IIa-VO getroffene Entscheidung nur auf territoriale Wirkungen im Staat des sie
erlassenden Gerichts abzielt. Hieraus ergibt sich allerdings noch nicht, dass eine von
dem Gericht eines Mitgliedstaates auf der Grundlage des Art. 20 Brüssel IIa-VO
erlassene einstweilige Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat generell nicht
anerkannt und vollstreckt werden kann. Denn der durch Art. 20 Brüssel IIa-VO unter den
dort genannten Voraussetzungen ermöglichte Rückgriff auch auf an sich nachrangige
Übereinkommen und gegebenenfalls auf das nationale Recht bedeutet nicht nur, dass
sich die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen unter den Voraussetzungen des Art.
20 Brüssel IIa-VO aus nachrangigen Übereinkommen und dem nationalen Recht
ergeben kann, sondern auch, dass die Anerkennung und Vollstreckung solcher
Maßnahmen auf der Grundlage der dort enthaltenen Rechtsinstrumente in Betracht
kommt (EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 92; BGH, FamRZ 2011, 542 Rn. 18).
d)
39 Aus den vorstehend erläuterten Grundsätzen folgt, dass es für die Prüfung der
Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung einer einstweiligen Maßnahme
von entscheidender Bedeutung ist, auf welcher Grundlage sie beruht.
40 Maßgebend für die Abgrenzung, ob eine auf die internationale Zuständigkeit gemäß Art.
8 ff. Brüssel IIa-VO gestützte einstweilige Anordnung eines Gerichts vorliegt, ist nicht, ob
das die einstweilige Maßnahme erlassende Gericht tatsächlich in der Hauptsache
international zuständig war. Vielmehr ist der Anwendungsbereich der Art. 21 ff. Brüssel
IIa-VO danach abzugrenzen, ob das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit auf Art. 8 ff.
Brüssel IIa-VO gestützt hat. Das Gericht des Anerkennungsstaats kann hierbei - ohne
eine formelle Beschränkung durch Art. 24 Brüssel IIa-VO - anhand der in der
Entscheidung des Ausgangsgerichts enthaltenen Ausführungen prüfen, ob dieses seine
Zuständigkeit auf eine Vorschrift der Brüssel IIa-VO stützen wollte (EuGH, FamRZ 2010,
1521 Rn. 75; BGH, FamRZ 2011, 542 Rn. 22).
41 Dass das Ausgangsgericht seine Entscheidung auf eine Vorschrift der Brüssel IIa-VO
stützen wollte, kann sich wiederum entweder aus einer eindeutigen Bezugnahme auf die
Zuständigkeitsnormen der Art. 8 - 14 der Verordnung ergeben oder wenn sich die
Annahme einer Hauptsachezuständigkeit nach der Brüssel IIa-VO offensichtlich aus der
erlassenen Entscheidung ergibt (BGH, FamRZ 2011, 542 Rn. 24).
42 Ergibt die vorzunehmende Prüfung, dass die zu vollstreckende Entscheidung keine
eindeutige Begründung für die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts in der Hauptsache
unter Bezugnahme auf eine der in den Art. 8 bis 14 Brüssel IIa-VO genannten
Zuständigkeiten enthält, und ergibt sich die Hauptsachezuständigkeit auch nicht
offensichtlich aus der erlassenen Entscheidung, so ist davon auszugehen, dass die zu
vollstreckende Entscheidung nicht nach den Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel IIa-
VO ergangen ist. In diesem Fall ist in einem nächsten Schritt anhand von Art. 20 Brüssel
IIa-VO zu prüfen, ob die einstweilige Maßnahme unter diese Öffnungsklausel fällt und auf
der Grundlage nachrangiger Abkommen bzw. des nationalen Rechts anerkannt werden
kann (EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 76; BGH, FamRZ 2011, 542 Rn. 24).
3.
43 Bei Anwendung der vom EuGH und dem BGH aufgestellten Grundsätze für die
vorzunehmende Prüfung ist festzustellen, dass das Kreisgericht Dunakezsi seine
Entscheidung als gemäß Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO international zuständiges Gericht treffen
wollte.
44 Zwar hat das Kreisgericht Dunakezsi in seinem Beschluss vom 04.09.2013 nicht
ausdrücklich auf die Zuständigkeitsnormen der Brüssel IIa-VO Bezug genommen. Unter
Berücksichtigung der Gründe des Beschlusses ergibt sich indes die
Hauptsachezuständigkeit gemäß Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO „ersichtlich“ (siehe auch BGH,
FamRZ 2011, 959 Rn. 10) aus der erlassenen Entscheidung.
45 Ausweislich der Gründe der Entscheidung kann kein Zweifel daran bestehen, dass das
Amtsgericht Dunakezsi von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes … in Ungarn
ausging, wodurch die allgemeine internationale Zuständigkeit der ungarischen Gerichte
gemäß Art. 8 Brüssel IIa-VO für Entscheidungen über die elterliche Verantwortung
begründet wurde.
46 Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts, der in der Brüssel IIa-VO nicht definiert ist, ist
nach verordnungsautonomen Kriterien zu bestimmen. Damit es sich um einen
gewöhnlichen Aufenthalt handelt, muss der Aufenthalt der Ausdruck einer gewissen
Integration des Kindes in ein soziales und familiäres Umfeld sein. Letztlich geht es um
die Feststellung des Lebensmittelpunkts des Kindes. Der gewöhnliche Aufenthalt muss
objektiv von gewisser Dauer sein oder subjektiv auf gewisse Dauer angelegt sein.
47 Ausweislich der Gründe des Beschlusses des Kreisgerichts Dunakezsi befand sich das
Kind …. schon für einen längeren Zeitraum in Ungarn. Bereits am 12.10.2012 hatte die
Antragstellerin in Ungarn Klage auf Ehescheidung eingereicht. Am 07.02.2013 hatten die
Beteiligten bis zum rechtskräftigen Abschluss des offensichtlich auch bezüglich des
Kindes …. streitigen Verfahrens eine Vereinbarung über ein Umgangsrecht des
Antragsgegners geschlossen, wonach dieser das Kind …. zu bestimmten Zeiten vom
jeweiligen Wohnort der Antragstellerin (in Ungarn) abholen durfte und wieder
zurückbringen musste.
48 Dass der Lebensmittelpunkt des Kindes sich ausweislich des Beschlusses tatsächlich in
Ungarn befand, kann auch den Ausführungen des Beschlusses entnommen werden,
wonach die Beteiligten sich in der Vereinbarung vom 07.02.2013 darauf geeinigt haben,
„dass das Kind bei der Antragstellerin leben soll“, was später nochmals durch die
Erklärung des Anwalts des Antragsgegners bei der Verhandlung vom 29.8.2013 bestätigt
worden sei. Weiter lässt sich dem Beschluss entnehmen, dass das Kind ... für den
02.09.2013 für einen Kindergarten in Budapest angemeldet war und dass die Beteiligten
das Umgangsrecht des Antragsgegners mit …. auch für die ab September 2013
anfallenden Kindergartenferien bereits geregelt haben, woraus zu entnehmen ist, dass
eine soziale Integration des Kindes in Ungarn erfolgt war.
49 Dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in Ungarn lag und damit die ungarischen
Gerichte international zuständig waren, wurde ausweislich der Gründe des Beschlusses
von dem anwaltlich vertretenen Antragsgegner auch in keiner Weise angegriffen. Auch
findet sich dementsprechend in den Gründen des Beschlusses auch kein Hinweis darauf,
dass etwa ein Fall einer Entführung des Kindes durch die Antragstellerin von
Deutschland nach Ungarn vorausgegangen sei, wodurch gemäß Art. 10 Brüssel IIa-VO
die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Kind unmittelbar vor einer Entführung seinen
gewöhnlichen Aufwand hatte, d.h. hier die deutschen Gerichte, international zuständig
bleiben.
50 Dass der Antragsgegner das Kind ausweislich des Beschlusses des Kreisgerichts
Dunakezsi entgegen der von den Beteiligten getroffenen Umgangsvereinbarung nach
Ausübung seines Umgangsrechts nicht zurückgebracht hat und die Antragstellerin
deshalb seit dem 19.07.2013 keinen Kontakt mehr mit dem Kind aufnehmen konnte, ließ
den Fortbestand des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in Ungarn zum Zeitpunkt der
Antragstellung durch die Antragstellerin am 22.07.2013 unberührt. Abgesehen davon,
dass ausweislich der Gründe des Beschlusses noch zum Zeitpunkt der Entscheidung am
04.09.2013 unklar war, ob das Kind sich noch in Ungarn oder schon außer Landes, z.B.
in Deutschland befand, fiele ein zunächst vorhandener gewöhnlicher Aufenthalt in
Ungarn nicht innerhalb von wenigen Tagen dadurch weg, dass der Umgangsberechtigte
das Kind nicht zurückbringt, selbst, wenn er es sofort ins Ausland verbracht hätte.
Insbesondere würde durch eine solche Vorgehensweise nicht sofort ein neuer
gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland begründet.
51 Von der Annahme des Fortbestehens des gewöhnlichen Aufenthalts in Ungarn durch das
Kreisgericht Dunakeszi ist angesichts der Vorgeschichte nach den Gründen des
Beschlusses wohl auch noch zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung am
04.09.2013 auszugehen. Die Annahme eines späteren Wegfalls des gewöhnlichen
Aufenthalts nach Antragstellung wäre allerdings für die Begründung der internationalen
Zuständigkeit gemäß Art. 8 Brüssel IIa-VO auch unerheblich, da ein Wechsel des
gewöhnlichen Aufenthalts nach Antragstellung die weitere Zuständigkeit des
angerufenen Gerichts unberührt ließe (BGH, NJW 2010, 1351 Rn. 9).
IV.
1.
52 Nachdem somit ein nach Art. 8 Brüssel IIa-VO in der Hauptsache zuständiges Gericht
eine einstweilige Maßnahme erlassen hat, sind für die Anerkennung der Entscheidung
die Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO vorliegend anwendbar.
53 Das Amtsgericht Stuttgart hat auf deren Grundlage zu Recht die Anerkennung des
Beschlusses des Kreisgerichts Dunakeszi ausgesprochen.
2.
54 Der Begriff der „Entscheidung“ gemäß Art. 2 Nr. 4 Brüssel IIa-VO setzt keine formelle
Rechtskraft nach dem Recht des Erstgerichts voraus (Hausmann, Internationales und
Europäisches Ehescheidungsrecht, 1. Aufl. 2013 J 35), so dass es für die Anwendbarkeit
der Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO nicht darauf ankommt, ob die Entscheidung des
Kreisgerichts Dunakeszi noch angegriffen werden kann.
55 Nachdem der Antragsgegner die Anerkennungsfähigkeit der ausländischen
Entscheidung im Inland bestreitet, besteht ein rechtliches Interesse der Antragstellerin an
der Klärung der Frage, ob die Voraussetzungen der Anerkennung vorliegen, gemäß Art.
21 Abs. 3 Brüssel IIa-VO (Hausmann, Internationales und Europäisches
Ehescheidungsrecht, 1. Aufl. 2013 J 59).
3.
a)
56 Nach Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO gilt der Grundsatz, dass Entscheidungen auf dem
Gebiet der elterlichen Verantwortung aus anderen Mitgliedstaaten automatisch anerkannt
werden. Die im Verfahren nach Art. 21 Abs. 3 Brüssel IIa-VO zu prüfenden
Anerkennungshindernisse für Entscheidungen betreffend die elterliche Verantwortung
sind in Art. 23 Brüssel IIa-VO abschließend aufgeführt.
b)
57 Unerheblich ist damit der Einwand des Antragsgegners, das Kreisgericht Dunakeszi sei
international gar nicht zuständig gewesen, da zum einen kein gewöhnlicher Aufenthalt
des Kindes in Ungarn begründet worden sei und zum anderen zudem das Kind zuvor
durch die Antragstellerin von Deutschland nach Ungarn entführt worden sei, weshalb
gemäß Art. 10 Abs. 1 Brüssel IIa-VO die internationale Zuständigkeit der deutschen
Gerichte gegeben gewesen sei.
58 Denn wenn das Gericht des Ursprungsstaates seine Zuständigkeit gemäß Art. 8 ff.
Brüssel IIa-VO bejaht hat, ist das Gericht des Anerkennungsstaates aufgrund des
Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens, der der Anerkennungssystematik der
Brüssel IIa-VO zugrundeliegt, nach Art. 24 Brüssel IIa-VO an die Beurteilung der
Zuständigkeit des Erstgerichts gebunden, weshalb die internationale Zuständigkeit des
Gerichts des Ursprungsmitgliedstaat nicht überprüft werden darf.
c)
59 Ebenfalls irrelevant für das Anerkennungsverfahren ist der Einwand des Antragsgegners,
es entspreche dem Wohl des Kindes … mehr, wenn es seinen Aufenthalt bei ihm, als bei
der Mutter in Ungarn habe und es sei im Anerkennungsverfahren der vom Antragsgegner
behauptete Wille des Kindes zu berücksichtigen. Denn Art. 26 Brüssel IIa-VO verbietet
eine inhaltliche Nachprüfung der anzuerkennenden Entscheidung betreffend die
elterliche Verantwortung. Ausgeschlossen ist damit auch die vom Antragsgegner
vorgenommene Prüfung, ob das Gericht des Ursprungsstaats die Tatsachen richtig
festgestellt und gewürdigt hat.
d)
60 Soweit der Antragsgegner annimmt, dass die Entscheidung des Kreisgerichts Dunakeszi
dem ordre public in Ungarn widerspreche, ist dies nicht zu prüfen. Denn gemäß Art. 23 lit
a besteht ein Anerkennungshindernis nur dann, wenn die Anerkennung der öffentlichen
Ordnung des Mitgliedstaats, in dem sie beantragt wird, d.h. dem deutschen ordre public,
widerspricht.
61 Soweit der Antragsgegner im Zusammenhang mit dem ordre public wiederum die seiner
Auffassung nach fehlende internationale Zuständigkeit der ungarischen Gerichte
thematisiert hat, ist darauf hinzuweisen, dass die Überprüfung der Vereinbarkeit mit dem
(deutschen) ordre public gemäß Art. 23 lit a sich gemäß Art. 24 S. 2 Brüssel IIa-VO
gerade nicht auf die Zuständigkeitsvorschriften der Art. 3-14 Brüssel IIa-VO erstrecken
darf.
62 Nachdem weder nach dem Vortrag des Antragsgegners noch nach dem Akteninhalt ein
sonstiger Verstoß gegen den deutschen ordre public, der nur dann anzunehmen ist,
wenn die Anerkennung der ausländischen Entscheidung gegen ein grundlegendes
Prinzip der Rechtsordnung des Anerkennungsstaats verstößt, ersichtlich ist, liegt kein
Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit a Brüssel IIa-VO vor.
e)
63 Ebenfalls nicht gegeben ist ein Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit b Brüssel IIa-
VO. Zwar wurde das Kind … durch das Kreisgericht Dunakeszi nicht angehört. Eine
Pflicht zur Anhörung des Kindes bestand aber, abgesehen davon, dass es zum
damaligen Zeitpunkt gerade … Jahre alt und zudem unbekannten Aufenthalts war, schon
deshalb nicht, da es sich um einen „dringenden Fall“, nämlich ein Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes, gehandelt hat.
f)
64 Es besteht auch kein Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit c Brüssel IIa-VO. Der
Antragsgegner hat zwar zuletzt mit Schriftsatz vom 07.02.2014 erstmals vorgetragen,
dass ihm der das einstweilige Anordnungsverfahren einleitende Antrag der
Antragstellerin nicht zugestellt worden sei. Hieran bestehen schon deshalb erhebliche
Zweifel, weil weder vorgetragen noch ersichtlich ist, auf welche Weise der
Antragsgegner, der über seinen Anwalt eine Stellungnahme in dem Verfahren vor dem
Kreisgericht Dunakeszi abgegeben hat, dann Kenntnis von dem Verfahren erlangt hat.
65 Ob eine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt ist, kann aber letztlich dahingestellt bleiben.
Denn darauf, dass ein verfahrenseinleitendes Dokument nicht ordnungsgemäß zugestellt
worden ist, kann sich ein Beteiligter gemäß Art. 23 lit c Brüssel IIa-VO nicht berufen,
wenn er sich auf das Verfahren vor dem Gericht des Ursprungsstaates eingelassen hat.
Ausreichend ist hierbei, wenn die Einlassung zur Sache durch einen von dem Beteiligten
beauftragten Rechtsanwalt erfolgt ist.
66 Als Einlassung gilt jedes Verhandeln, aus dem sich ergibt, dass der Beteiligte von dem
gegen ihn eingeleiteten Verfahren Kenntnis erlangt und die Möglichkeit der Verteidigung
gegen den Angriff des Antragstellers erhalten hat. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der
Antragsgegner sich darauf beschränkt hat, die Unzuständigkeit des Erstgerichts oder die
fehlerhafte Zustellung der Klage zu rügen (BGH, NJW 2011, 3103 Rn. 19).
67 Hiernach kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Antragsgegner sich über seinen
Rechtsanwalt auf das Verfahren „eingelassen“ hat. Denn ausweislich des Beschlusses
des Kreisgerichts Dunakeszi vom 04.09.2013 hat der Anwalt des Antragsgegners in der
Sache zum Sorgerecht und Umgangsrecht Erklärungen abgegeben und hat den
Sachverhalt erörtert.
g)
68 Auch liegt kein Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit e Brüssel IIa-VO vor. Hiernach
wird eine Entscheidung über die elterliche Verantwortung nicht anerkannt, wenn diese
mit einer späteren Entscheidung über die elterliche Verantwortung unvereinbar ist, die in
dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung beantragt wird, ergangen ist.
69 Der Antragsgegner hat vorgetragen, dass er vor dem Amtsgericht - Familiengericht -
Leonberg ein Verfahren eingeleitet hat, in dem er die Übertragung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts für … auf seine Person beantragt hat.
70 Dass ein solches Verfahren anhängig ist, begründet allerdings kein
Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit e Brüssel IIa-VO. Dass das Amtsgericht -
Familiengericht -Leonberg bereits eine entgegenstehende Entscheidung getroffen hat,
wurde seitens keines der Beteiligten vorgetragen.
71 Dass ein Sorgerechtsverfahren vor dem Amtsgericht Leonberg anhängig ist, führt auch
nicht etwa dazu, dass das Anerkennungsverfahren vor dem Senat auszusetzen ist.
h)
72 Soweit der Antragsgegner sich auch auf ein Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit f
Brüssel IIa-VO berufen hat, liegt ersichtlich kein Sachverhalt vor, der unter den dortigen
Tatbestand subsumiert werden kann.
i)
73 Da somit keine Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung über die elterliche
Verantwortung gemäß Art. 23 Brüssel IIa-VO vorliegen, verbleibt es dabei, dass gemäß
Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO die Entscheidung des Kreisgerichts Dunakeszi
anzuerkennen ist.
74 Die für das Anerkennungsverfahren erforderlichen Urkunden gemäß Art. 37 Abs. 1 a und
Art. 37 Abs. 1 b, 39 Brüssel IIa-VO wurden durch die Antragstellerin vorgelegt.
75 Soweit der Antragsgegner beanstandet hat, dass keine gemäß Art. 37 Abs. 2 Brüssel IIa-
VO erforderliche Urkunde vorgelegt worden ist, ist dieser Einwand unerheblich. Zwar
wurde in der Bescheinigung des Kreisgerichts Dunakeszi vom 22.10.2013 unter Ziff. 6.3
angekreuzt, dass die Entscheidung im Versäumnisverfahren ergangen sei. Aus der
Entscheidung selber ergibt sich jedoch, dass der Antragsgegner sich über seinen Anwalt
zur Sache eingelassen hat.
76 Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Art. 37 Abs. 2 Brüssel IIa-VO für einstweilige
Anordnungen die - unterstellt - ohne Anhörung eines Antragsgegners erlassen worden
sind, gar nicht anwendbar ist (Hausmann, Internationales und Europäisches
Ehescheidungsrecht, 1. Aufl. 2013 J 201).
V.
1.
77 Das Amtsgericht Stuttgart hat auch zu Recht und im gebotenen Umfang die
Entscheidung des Kreisgerichts Dunakeszi für vollstreckbar erklärt.
2.
78 Die nach ausländischem Recht bestehende Vollstreckbarkeit einer Entscheidung wird
nicht automatisch nach Art. 21 Brüssel IIa-VO auf das Inland erstreckt. Die
Vollstreckbarkeit für das Inland wird vielmehr erst durch die Vollstreckbarerklärung eines
deutschen Gerichts konstitutiv begründet.
79 Gemäß Art. 28 Brüssel IIa-VO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen
Entscheidungen über die elterliche Verantwortung für ein Kind in einem anderen
Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag einer berechtigten Partei für
vollstreckbar erklärt wurden.
3.
80 Die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung liegen vor.
a)
81 Es liegt eine „Entscheidung“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 Brüssel IIa-VO vor. Auf die
Ausführungen unter Ziffer III 3 wird verwiesen.
b)
82 Die Antragstellerin hat einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung gestellt.
c)
83 Die Entscheidung ist im Erststaat vollstreckbar. Dies hat die Antragstellerin durch
Vorlage einer Bescheinigung nach Artikel 39 Brüssel IIa-VO nachgewiesen.
d)
84 Es liegen keine Versagungsgründe nach Art. 23 Brüssel IIa-VO, auf den in Art. 31 Abs. 2
Brüssel IIa-VO verwiesen wird, vor. Auf die Ausführungen unter Ziffer IV 3 wird
verwiesen.
e)
85 Einer Vollstreckbarerklärung zugänglich sind Leistungs- und Unterlassungsordnungen,
also insbesondere auch Herausgabeanordnungen. Demgegenüber handelt es sich bei
Sorgerechtsregelungen um Gestaltungs- bzw. Feststellungsentscheidungen, die keinen
vollstreckungsfähigen Inhalt haben (Zöller/Geimer, ZPO, 3. Aufl., Art. 28 EuEheVO Rn.
1). Das Amtsgericht hat daher in zutreffender Weise die Vollstreckbarerklärung nur auf
die Herausgabeverpflichtung aus dem Beschluss des Kreisgerichts Dunakeszi erstreckt.
f)
86 Ist die Vollstreckung aus dem ausländischen Titel zuzulassen, hat das inländische
Gericht, wie vom Amtsgericht Stuttgart zutreffend vorgenommen, gemäß § 20 IntFamRVG
zu beschließen, dass der Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist.
VI.
87 Gemäß Art. 27 Brüssel IIa-VO kann das Gericht eines Mitgliedstaats vor dem in einem
förmlichen Anerkennungsverfahren gemäß Art. 21 Abs. 3 Brüssel IIa-VO die
Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt
wird, das Verfahren aussetzen, wenn gegen die Entscheidung des Erstgerichts ein
ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt wurde.
88 Das nach Art. 33 Brüssel IIa-VO mit einer Beschwerde gegen eine Vollstreckbarerklärung
befasste Gericht kann gemäß Art. 35 Brüssel IIa-VO auf Antrag der Partei, gegen die die
Vollstreckung erwirkt werden soll, ebenfalls das Verfahren aussetzen, wenn im
Ursprungsmitgliedstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt worden ist.
89 Der Antragsgegner hat einen entsprechenden Antrag gestellt.
90 Der Antragsgegner hatte ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Kreisgerichts
Dunakeszi vom 04.09.2013 eingelegt. Mit Beschluss des Landgerichts Budapest vom
05.12.2013 wurde dieses Rechtsmittel des Antragsgegners zurückgewiesen; das
Landgericht Budapest hat den Beschluss des Kreisgerichts Dunakeszi bestätigt.
Ausweislich des Beschluss des Landgerichts Budapest vom 05.12.2013 ist gegen diesen
Beschluss keine Berufung mehr zulässig.
91 Der Antragsgegner hat nunmehr vorgetragen, dass er in Ungarn eine „Nichtigkeitsklage“
gegen den Beschluss des Landgerichts Budapest vom 05.12.2013 eingelegt habe.
92 Es kann dahingestellt bleiben, ob eine solche Klage zulässig ist und ob hierunter ein
„ordentlicher Rechtsbehelf“ im Sinne der Art. 27, 35 Brüssel IIa-VO zu verstehen ist. Denn
die Entscheidung über die Aussetzung des Anerkennung- bzw.
Vollstreckbarerklärungsverfahrens gemäß Art. 27, 35 Brüssel IIa-VO steht im Ermessen
des Senats.
93 Der Senat hat hierbei vor allem die mutmaßlichen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs
im Erststaat und diejenigen im deutschen Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen
(Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, 1. Aufl. 2013 J 195).
94 Wie unter Ziff. IV und V ausgeführt, bestehen keine Erfolgsaussichten für den
Antragsgegner im hiesigen Beschwerdeverfahren. Ebenfalls dürften insbesondere
angesichts der Gründe in der Entscheidung des Landgerichts Budapest auch geringe
Erfolgsaussichten bezüglich einer Aufhebung der Erstentscheidung bestehen.
95 Der Antragsgegner hat darauf hingewiesen, dass die Nichtigkeitsklage damit begründet
werde, dass das ungarische Gericht nicht zuständig gewesen sei, weil sich der Wohnsitz
des Antragsgegners in Deutschland befunden habe und darüber hinaus nicht
entscheiden durfte, weil ein Verfahren auf Rückführung des Kindes beim Bundesamt für
Justiz anhängig war.
96 Hierzu ist zu bemerken, dass der Wohnsitz des Antragsgegners für die Beurteilung der
internationalen Zuständigkeit des ungarischen Gerichts in Sorgerechtsangelegenheiten
keine Rolle spielt.
97 Auch ist es irrelevant, dass der Antragsgegner einen Rückführungsantrag bezüglich des
Kindes … gemäß dem Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler
Kindesentführung vom 25.10.1980 (im Folgenden: HKÜ) beim Bundesamt für Justiz
gestellt hatte. Denn gemäß Art. 16 HKÜ tritt eine Sperrwirkung erst ein, wenn den
Gerichten oder Verwaltungsbehörden des Vertragsstaats, in den das Kind verbracht
worden sein soll (hier: Ungarn) das - vom Antragsgegner behauptete - widerrechtliche
Verbringen des Kindes mitgeteilt worden ist. Dass bereits in Ungarn ein
Rückführungsverfahren anhängig gewesen ist, wurde durch den Antragsgegner weder
vorgetragen noch belegt.
98 Angesichts dieser Umstände übt der Senat sein Ermessen dahingehend aus, dass er das
Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht aussetzt.
99 Der Senat weist darauf hin, dass ein Rechtsbehelf gegen die Ablehnung eines
Aussetzungsantrags nicht statthaft ist, weil durch diese Entscheidung des Senats nicht
„über den Rechtsbehelf“ iSv Art. 34 Brüssel IIa VO entschieden worden ist (Hausmann,
Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, 1. Aufl. 2013 J 196).
VII.
100 Der Senat entscheidet gemäß § 26 Abs. 1 IntFamRVG ohne mündliche Verhandlung.
101 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 26 Abs. 4, 20 Abs. 2 IntFamRVG, 81 Abs.1
FamFG. Der Senat berücksichtigt bei der Kostenentscheidung maßgeblich das
Unterliegen des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren.
102 Grundsätzlich wird der Beschluss des Senats gemäß § 27 Abs. 1 IntFamRVG erst mit
seiner Rechtskraft wirksam. Der Senat ordnet allerdings die sofortige Wirksamkeit des
Beschlusses über die Beschwerde gemäß § 27 Abs. 2 IntFamRVG an, um eine
unzumutbare Verzögerung der Rückgabe des Kindes zu verhindern
(MüKoFamFG/Gottwald, 2. Aufl. § 27 IntFamRVG Rn. 2).
103 Gemäß § 28 IntFamRVG findet gegen den Beschluss des Senats - mit Ausnahme der
Entscheidung über den Aussetzungsantrag - nach Maßgabe des § 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs.
2 ZPO die Rechtsbeschwerde zum BGH statt.
104 Die Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin beruht auf §§
76 Abs. 1 FamFG, 114 ff. ZPO.