Urteil des OLG Stuttgart vom 27.11.2013

OLG Stuttgart: erfüllungs statt, unterbrechung, ex nunc, verwirkung, firma, gemeinschuldner, überprüfung, zivilprozessordnung, grundstück, grundbuch

OLG Stuttgart Urteil vom 27.11.2013, 4 U 137/13
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.06.2013 (Az.:
7 O 144/12) mit dem zugrunde liegenden Verfahren für die Zeit ab dem 05.03.2013
aufgehoben
Die Sache wird an das Landgericht
zurückverwiesen
2. Es wird festgestellt, dass das Verfahren seit dem 05.03.2013 unterbrochen ist.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 127.822,97 EUR
Gründe
1 Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises für ein
Grundstück geltend.
1.
2 Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und das Vorbringen in erster Instanz
einschließlich der Antragstellung wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils
verwiesen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
3 Ergänzend:
4 Entgegen der Annahme des Landgerichts (LGU S. 3 vierter Absatz) hat das AG Stuttgart
als Insolvenzgericht bereits mit Beschluss vom 05.03.2013 (8 IN 734/05, vorgelegt als Anl.
BKK 5, Bl. 455) hinsichtlich der Klagforderung die Nachtragsverteilung nach § 203 Abs. 1
Nr. 1, Abs. 2 InsO angeordnet.
2.
5 Das Landgericht hat zunächst am 25.02.2013 ein der Klage stattgebendes Anerkenntnis-
Vorbehaltsurteil im Urkundsprozess erlassen (Bl. 61 f. - vorgeheftet), in dem es der
Beklagten die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten hat.
6 Mit Urteil vom 24.06.2013 hat es im Nachverfahren das Anerkenntnis-Vorbehaltsurteil
aufgehoben und die Klage abgewiesen.
7 Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
8 Die zulässige Klage habe in der Sache keinen Erfolg.
9 Der Kläger sei aktivlegitimiert, da über den Antrag des Insolvenzverwalters auf Anordnung
der Nachtragsverwaltung noch nicht entschieden worden sei; er sei auch weiterhin
prozessführungsbefugt.
10 Ihm stehe gegen die Beklagte aber kein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises für den
Grundstücksanteil in Dresden gemäß § 433 Abs. 2 BGB mehr zu, da der Anspruch gemäß
§ 364 Abs. 1 BGB erloschen sei.
11 Die Parteien könnten dem Schuldner die Befugnis einräumen, das Schuldverhältnis durch
eine andere als die geschuldete Leistung zum Erlöschen zu bringen; eine solche
Vereinbarung könne beim Bewirken der Leistung oder vorher zustande kommen.
12 Nach der Beweisaufnahme (Vernehmung des Zeugen F) sei das Gericht überzeugt, dass
die Parteien etwa im Zeitraum Mai/Juni 2000 vereinbart hätten, dass die Beklagte die
gemäß dem notariellen Vertrag vom 07.08.2000 geschuldeten 250.000 DM nicht zu zahlen
habe, sondern dafür das Elternhaus des Klägers renovieren sollte. Dies habe der Zeuge F
glaubhaft bestätigt.
13 Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme stehe auch zur Überzeugung des Gerichts
fest, dass die Erbringung der Werkleistungen keinen bloßen Freundschaftsdienst für den
Kläger dargestellt hätten (zur Begründung hierfür im Einzelnen siehe LGU S. 7 f. unter 3.
der Entscheidungsgründe).
14 Außer den glaubhaften Angaben des Zeugen F spreche für die Richtigkeit des
Beklagtenvortrags als Indiz auch, dass die Beklagte als Eigentümerin eingetragen worden
sei, obwohl unstreitig kein Cent des Kaufpreises bezahlt worden sei.
15 Ein weiteres Indiz für die Richtigkeit des Vortrags der Beklagten sei der Umstand, dass der
Kläger die Kaufpreisforderung im Insolvenzverfahren über sein Vermögen nicht
angegeben habe, denn bei Zugrundelegung des Beklagtenvortrages habe ihm bei dessen
Eröffnung tatsächlich auch kein Kaufpreisanspruch mehr zugestanden, da dieser durch die
erbrachten Werkleistungen bereits erloschen gewesen sei.
16 Die Formnichtigkeit der Vereinbarung der Parteien über die Renovierungsabsprache sei
durch die Eintragung des Eigentumsübergangs gemäß § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB geheilt
worden; die Heilung erstrecke sich auch auf den Vertrag im Ganzen einschließlich der
Vertragsänderungen.
17 Es könne daher dahingestellt bleiben, ob der Anspruch des Klägers auch verwirkt sei.
18 Das vom Kläger begehrte Schriftsatzrecht zu dem neuen Vortrag der Beklagten, die
Rechnungen seien Ende 2003 ausgestellt worden, sei ihm nicht einzuräumen gewesen,
da der Zeitpunkt der Rechnungsausstellung für die Entscheidung ohne rechtliche
Bedeutung sei und das Urteil auf diesem nicht beruhe.
19 Der Kläger sei in der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2013 angehört worden und sei
auch während der gesamten Verhandlung vom 10.06.2013 anwesend gewesen, auch
während und nach der Vernehmung des Zeugen. Er hätte mithin jederzeit Erklärungen
abgeben oder den Angaben des Zeugen entgegentreten können.
20 Im Übrigen sei Beweis für die klägerischen Behauptungen nicht angeboten gewesen,
auch nicht durch Parteivernehmung. Eine Parteivernehmung von Amts wegen sei nicht
geboten gewesen, da die Voraussetzungen des § 448 ZPO nicht vorgelegen hätten, da
insbesondere das Ergebnis der Beweisaufnahme zusammen mit den genannten Indizien
ausreichend erscheine.
3.
a)
21 Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger unter pauschaler Bezugnahme auf sein
erstinstanzliches Vorbringen mit seiner Berufung, mit welcher er sein Ziel der Bestätigung
des Anerkenntnis-Vorbehalts-Urteils weiter verfolgt; vorsorglich beantragt er die
Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das
Landgericht.
22 Zur Begründung bringt er im Wesentlichen vor:
23 Es bestünden konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit
der landgerichtlichen Tatsachenfeststellungen begründeten. Insofern lägen gleichzeitig
Umstände vor, aus denen sich eine Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die
angefochtene Entscheidung ergebe.
24 Das Landgericht würdige nicht, dass gemäß § 2 Nr. 2 des notariellen Vertrags vom
07.08.2000 (K 1) die Beklagte nicht nur das Entgelt von 250.000 DM zu zahlen gehabt,
sondern weiter sich verpflichtet habe, für die Zukunft die Verbindlichkeiten für die in Abt. III
Nr. 2 u. 3 im Grundbuch eingetragenen Grundschulden zu Gunsten der Stadtsparkasse
Dresden mit dem dazugehörigen Zins- und Tilgungsdienst ab sofort als alleinige
Schuldnerin zu übernehmen; eine Verpflichtung, welche die Beklagte nicht erfüllt habe.
25 Weiter habe das Landgericht zu Unrecht als Indiz für die Richtigkeit des Vortrags der
Beklagten die fehlende Angabe der Kaufpreisforderung im Insolvenzverfahren durch ihn
gewertet, obwohl diese Behauptung der Beklagten entgegen den Ausführungen im
Tatbestand des landgerichtlichen Urteils streitig gewesen sei. Das Landgericht hätte das
auf LGU S. 3 angeführte Schreiben des Insolvenzverwalter vom 19.02.2013 nicht
verwerten dürfen, nachdem keine der Parteien hierauf Bezug genommen habe.
26 Hinsichtlich der weiteren Ausführungen des Klägers dazu, warum die Feststellungen im
landgerichtlichen Urteil Zweifeln unterlägen und auf Rechtsverletzungen beruhten, wird
auf die Ausführungen auf S. 6 bis 27 der Berufungsbegründung vom 24.09.2013 unter I. 3.
u. 4. verwiesen.
27 Die Ausführungen des Landgerichts zur Formnichtigkeit der Vereinbarung der Parteien
und deren Heilung hielten einer Überprüfung nicht stand. Soweit das Landgericht
ausführe, die Heilung würde sich auf den gesamten Vertragsinhalt einschließlich
Nebenabreden, Änderungen und Ergänzungen erstrecken, würde eine solche Heilung
aber voraussetzen, dass es die von der Beklagten behauptete Parteivereinbarung
überhaupt gegeben habe und diese nicht durch Abschluss des notariellen Vertrages
aufgehoben worden sei. Der Abschluss einer Vereinbarung mit dem von der Beklagten
behaupteten Inhalt nach oder bei Abschluss des notariellen Vertrages sei aber weder
behauptet noch vorgetragen worden, so dass sich die wechselseitigen Verpflichtungen
abschließend aus dem formwirksamen notariellen Vertrag ergäben. Im Übrigen würde
jedwede Heilung nur ex nunc wirken.
28 Aufgrund dessen könne entgegen der Ansicht des Landgerichts auch nicht dahinstehen,
ob sein Anspruch gemäß § 242 BGB verwirkt sei; vielmehr sei dies
entscheidungserheblich. Von Verwirkung könne aber bereits deshalb nicht ausgegangen
werden, weil es auf die Person des Insolvenzverwalters bzw. der Insolvenzgläubiger
ankomme.
29 Unabhängig hiervon fehle es am für die Verwirkung erforderlichen Zeitmoment; nach
ständiger Rechtsprechung genüge eine Zeitspanne von etwa sieben Jahren hierfür nicht.
Überdies habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass Kaufpreisansprüche der
Verwirkung nicht unterlägen.
30 Was die Versagung des begehrten Schriftsatzrechts betreffe, so komme es entgegen der
Auffassung des Landgerichts durchaus auf den Zeitpunkt der Erstellung der Rechnungen
durch die Beklagte im Rahmen der Beweiswürdigung an. Das Landgericht hätte jedenfalls
die mündliche Verhandlung auf seinen Schriftsatz vom 19.06.2013 hin wieder eröffnen
müssen, da er in diesem seine Prozesstaktik offengelegt habe und auch sein eigentliches
Ziel, die Voraussetzungen für den Rücktritt vom notariellen Vertrag vom 07.08.2000 unter
Mehrung der Insolvenzmasse zu schaffen, damit das Grundstück in Dresden aus der
Insolvenzmasse heraus gekauft werden könne.
31 Es habe nie einen Auftrag von ihm an die Firma der Beklagten zu Renovierungsarbeiten
im Gebäude … Straße in S gegeben; diese seien vom Ehemann der Beklagten auf rein
freundschaftlicher Basis ausgeführt worden, wobei er, der Kläger, selbst ständig
mitgearbeitet habe.
32 Es erscheine insofern unwahrscheinlich, dass die jeweiligen Rechnungen zu dem dort
jeweils angegebenen Datum erstellt worden seien und noch unwahrscheinlicher, dass die
in diesen genannte Umsatzsteuer abgeführt worden sei. Es erstaune auch, dass die
vermeintliche Vereinbarung der Parteien - Abgeltung des Kaufpreises gegen Renovierung
des Hausgrundstückes in der ... Straße - von der Beklagten außergerichtlich niemals
behauptet, sondern erstmals im Rechtsstreit vorgetragen worden sei.
33 Die von der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit vorgelegten Rechnungen addierten
sich zu einem Gesamtbetrag von 212.962,79 EUR, überstiegen mithin die
Kaufpreisforderung aus dem notariellen Vertrag vom 07.08.2000 deutlich. Es sei
erstaunlich, dass die Beklagte diese Forderung niemals geltend gemacht habe.
Gleichzeitig dürfte es schlicht unmöglich gewesen sein, dass die Firma der Beklagten
darüber hinaus Aufträge der Fa. M. mit einem Volumen von 199.201 EUR im Jahr 2002
und 259.300 EUR im Jahr 2003 allein vom Ehemann der Beklagten und einem
zusätzlichen Mitarbeiter abgearbeitet haben wolle.
34 Der Kläger ist weiter der Auffassung, dass das Verfahren durch den Beschluss des
Insolvenzgerichts vom 05.03.2013 nach § 240 ZPO unterbrochen worden sei, welcher ihm
bis zum Schreiben des Insolvenzgerichts vom 27.09.2013 (Anl. BKK 4, Bl. 454) nicht
bekannt gewesen sei. Mit diesem Beschluss habe er seine Prozessführungsbefugnis
verloren, da die Bestimmung des § 240 ZPO auf die Nachtragsverteilung entsprechend
anzuwenden sei. Sein Rechtsmittel gegen das trotz der Unterbrechung ergangene
Schluss-Urteil vom 24.06.2013 sei allein schon deswegen zulässig und begründet und
führe zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht. Er sei auch trotz
Anordnung der Nachtragsverteilung nach wie vor befugt, diesen Verstoß gegen § 240
ZPO zu rügen und mittels der Berufung geltend zu machen.
35 In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war der Kläger säumig.
36 Die Beklagte beantragt:
37 Die Berufung wird zurückgewiesen;
38 im Übrigen Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache an
das Landgericht.
39 Abgesehen von einer pauschalen Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen trägt
sie zur Begründung im Wesentlichen vor:
40 Aufgrund der vom Amtsgericht Stuttgart am 05.03.2013 hinsichtlich der
streitgegenständlichen Ansprüche angeordneten Nachtragsverteilung sei der Kläger nicht
aktivlegitimiert und sei dies bereits bei Berufungseinlegung nicht gewesen.
41 Entgegen der Auffassung des Klägers bestünden auch keine konkreten Anhaltspunkte,
welche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im
angefochtenen Urteil begründeten. Hinsichtlich der Ausführungen, mit denen die Beklagte
diese Auffassung begründet, wird auf die S. 2 - 5 der Berufungserwiderung unter I. 1. (Bl.
459 - 462) verwiesen.
42 Im Übrigen hielten auch die materiell-rechtlichen Ausführungen des Landgerichts einer
Überprüfung stand.
43 Der Zeuge F habe bei seiner Vernehmung diese Vereinbarung auch glaubhaft bestätigt;
hinsichtlich der diese Einschätzung nach Auffassung der Beklagten tragenden Erwägung
wird auf die S. 7 - 10 der Berufungsbegründung (Bl. 464 ff.) verwiesen.
44 Das Landgericht habe auch in richtiger Weise festgestellt, dass die Erbringung der
Werkleistungen keinen Freundschaftsdienst für den Kläger dargestellt habe und die
Renovierung eines gesamten Hauses in derartigem Umfang weit über jeden
Freundschaftsdienst hinausgehe. Der Umfang einer bestimmten Leistung könne sehr wohl
Aufschluss darüber geben, ob ein Freundschaftsdienst vorliege oder nicht. Der Umstand,
dass der Kläger im kleinsten Umfang an den Renovierungsarbeiten beteiligt gewesen sei,
ändere daran nichts. Zum Einen handele es sich bei den Arbeiten um solche, die besser
zu zweit ausgeführt hätten werden können, zum Anderen sei es nicht unüblich, dass
Bauherren bei der Renovierung ihres Hauses Kleinstarbeiten übernähmen.
45 Darauf, dass der Zeitpunkt der Eigentumsübertragung und die Nichtangabe der
vermeintlichen Kaufpreisforderung durch den Kläger im Insolvenzverfahren als Indizien für
die Richtigkeit ihres Vortrags gewertet werden könnten, habe das Landgericht bereits in
der mündlichen Verhandlung vom 10.06.2013 (S. 2 d. Protokolls, Bl. 340) hingewiesen.
Auf diese Hinweise habe der Kläger nicht reagiert.
46 Zutreffend seien auch die Ausführungen des Landgerichts zur Heilung des formnichtigen
Notarvertrags gemäß § 311 b Abs. 1 Satz 2 BGB. Entgegen der Auffassung des Klägers
liege ein formwirksamer Verpflichtungsvertrag insofern vor, als sich die Parteien darauf
geeinigt hätten, dass die Beklagte die Zahlung des Kaufpreises an Erfüllungs statt durch
die Renovierung erfüllen könne. Diese Vereinbarung sei nicht durch den Abschluss des
Notarvertrags aufgehoben worden, vielmehr hätte diese Regelung den notariellen
Kaufvertrag ergänzt. Diese Ergänzung sei zwar nicht beurkundet worden. Dieser
Formmangel sei aber durch die Eintragung im Grundbuch geheilt worden.
47 Der Kläger habe mit der Entgegennahme der Renovierungsarbeiten zu verstehen
gegeben, dass er weiterhin an der Vereinbarung der Parteien hinsichtlich der
Renovierungsarbeiten an Erfüllungs statt festhalte. Wie der Kläger selbst zutreffend
ausführe, seien nach Auflassung, aber vor Eintragung getroffene Ergänzungen jedenfalls
formfrei gültig. Insofern habe die Vereinbarung der Parteien hinsichtlich der
Renovierungsabsprache an Erfüllungs statt formfrei geschlossen werden können und sei
durch die Annahme der Renovierungsarbeiten seitens des Klägers auch geschlossen
worden.
48 Was die Verwirkung betreffe, so komme es entgegen der Auffassung des Klägers auf die
Person des Insolvenzverwalters schon deshalb nicht an, weil er diesem gegenüber die
Forderung nicht offengelegt habe. Der vergangene Zeitraum sei auch ausreichend, um
das Zeitmoment der Verwirkung zu begründen. Die Ansicht des Klägers,
Kaufpreisansprüche unterlägen nicht der Verwirkung, sei ohnehin rechtsirrig. Im Hinblick
auf die von ihrem Ehemann erbrachten Werkleistungen könne auch durchaus Verwirkung
angenommen werden.
49 Zutreffend seien auch die Ausführungen des Landgerichts zur Versagung des klägerseits
beantragten Schriftsatzrechts und zum fehlenden Anlass für die Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung.
II.
50 Trotz Säumnis des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist über
dessen zulässige Berufung insoweit in der Sache durch unechtes Versäumnisurteil zu
entscheiden, als das trotz der bereits am 05.03.2013 angeordneten Nachtragsverteilung (§
203 InsO) ergangene Schluss-Urteil des Landgerichts einschließlich des Verfahrens ab
diesem Zeitpunkt aufzuheben und die Sache auf den von der Beklagten in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat gestellten Antrag hin an das Landgericht zurückzuverweisen
ist.
1.
51 Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung konnte entgegen den von
Beklagtenseite geäußerten Bedenken vom Kläger trotz der bereits mit Beschluss vom
05.03.2013 vom Insolvenzgericht in Bezug auf die Klagforderung angeordneten
Nachtragsverteilung wirksam eingelegt werden.
52 Der Kläger als (Gemein-)Schuldner bleibt trotz Anordnung der Nachtragsverteilung
insoweit prozessführungsbefugt, als er die Wirkungen der Unterbrechung des Verfahrens
gemäß §§ 240, 249 ZPO geltend machen kann. Dies war unter der Geltung der
Konkursordnung für die Eröffnung des Konkursverfahrens allgemein anerkannt (etwa BGH
NJW 1995, 2563 u. NJW 1997, 1445), gilt aber auch unter der Geltung der
Insolvenzordnung (BGH NZI 2009, 783 Tz. 6; OLG Hamm MDR 2011, 888 Rn. 16 in Juris;
OLG Oldenburg MDR 2005, 836 Rn. 10 Juris; OLG Brandenburg , Urteil vom 18.08.2010, 3
U 149/09 Rn. 19 in Juris). Der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gleich steht die
Anordnung der Nachtragsverteilung, soweit sie eine streitgegenständliche Forderung
betrifft: mit der Anordnung der Nachtragsverteilung tritt ein erneuter Insolvenzbeschlag
hinsichtlich der Gegenstände ein, für welche die Nachtragsverteilung angeordnet wird
(BGH NJW-RR 2012, 736 = NZI 2012, 271 Tz. 17; Münchner Kommentar zur
Insolvenzordnung-Hintzen, 2. Aufl., § 203 Rn. 21). Eine solche Anordnung der
Nachtragsverteilung ist auch im Verbraucherinsolvenzverfahren jedenfalls dann zulässig,
wenn ein Schlusstermin stattgefunden hat (BGH, a.a.O., Tz. 5 und BGH NJW-RR 2006,
262 Tz. 4). Ein solcher fand auch im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers
statt (am 12.06.2007, Bl. 169 der beigezogenen Insolvenzakten). Die Nachtragsverteilung
ist auch unabhängig davon anzuordnen, aus welchem Grund die Verwertung im
zwischenzeitlich beendet gewesenen Insolvenzverfahren unterblieben ist (BGH NJW-RR
2008, 428 Tz. 6).
2.
53 Die Berufung ist auch insoweit begründet, als sie zur Aufhebung des erstinstanzlichen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht führt, da infolge der
Anordnung der Nachtragsverteilung hinsichtlich der Klagforderung im Beschluss des
Insolvenzgerichts vom 05.03.2013 das Verfahren ab diesem Tage gemäß § 240 ZPO
unterbrochen wurde.
a)
54 Das angefochtene Urteil hätte mithin aufgrund der Unterbrechungswirkung nicht mehr
ergehen dürfen. Infolge der Anordnung der Nachtragsverteilung war der Kläger ab dem
05.03.2013 nicht mehr ordnungsgemäß vertreten. Die dennoch erfolgte Weiterführung des
Verfahrens durch das Landgericht stellte einen Verfahrensfehler i.S.v. § 538 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 ZPO dar; unerheblich ist, dass dem Landgericht die den Verfahrensfehler
auslösende Tatsache, hier die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, unbekannt war (BGH
NZI 2009, 783 Tz. 12 m.w.N.; BGH MDR 1976, 487; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 20 in Juris).
b)
55 Dieser Verfahrensfehler führt jedenfalls dann, wenn wie vorliegend von einer Partei Antrag
auf Zurückverweisung gestellt ist - wobei es genügt, wenn wie hier seitens der Beklagten
die Aufhebung und Zurückverweisung hilfsweise und nach Ablauf der
Berufungsbegründung beantragt wird (Zöller-Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 538 Rnrn. 4 und 56
m.w.N.) -, zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils einschließlich des zu Grunde
liegenden Verfahrens ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Unterbrechungswirkung und zur
Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Diese Folge der (objektiven)
Missachtung der Unterbrechungswirkung war bis zum Inkrafttreten der ZPO-Reform
allgemein anerkannt (vgl. etwa BGH NJW-RR 1990, 342, 343; BGH NJW 1997, 1445 am
Ende unter C.; OLG Köln NJW-RR 1995, 891, 892; OLG Frankfurt, OLGR 1993, 89). Nach
einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung gilt aber auch nichts anderes unter dem seit
01.01.2002 geltenden Rechtszustand (OLG Hamm, a.a.O., Rn. 22 in Juris; OLG Oldenburg
MDR 2005, 836 Rn. 10 Juris; LAG München, Urteil vom 15.03.2007, 4 Sa 54/07, BeckRS
2009, 61900, unter III. 2. der Entscheidungsgründe; aus der Lit. etwa Flöther, jurisPR-InsR
9/2005 Anm. 6).
c)
56 Es ist auch keine Heilung des Verfahrensfehlers nach § 295 ZPO eingetreten.
aa)
57 Entgegen der vom LAG München (a.a.O. unter II. 2. b) der Entscheidungsgründe)
vertretenen Auffassung ist allerdings ein Verstoß gegen die §§ 240, 249 Abs. 2, Abs. 3
ZPO grundsätzlich heilbar (BGH NJW-RR 1990, 342; OLG Brandenburg, a.a.O., Rn. 19 f.
in Juris; Zöller-Greger, a.a.O., § 295 Rn. 3; Wieczorek/Schütze-Assmann,
Zivilprozessordnung und Nebengesetze, 4. Aufl., § 295 Rn. 17; Stein/Jonas-Leipold, ZPO,
22. Aufl., § 295 Rn. 29).
bb)
58 Eine solche Heilung ist vorliegend nicht erfolgt:
(1)
59 Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 10.06.2013 verhandelt, obwohl
ihm die Unterbrechung des Verfahrens bekannt war oder ihm diese infolge Kenntnis der
Anordnung der Nachtragsverteilung bekannt gewesen sein müsste; eine Heilung nach §
295 ZPO kann dennoch nicht angenommen werden, weil - abgesehen davon, dass die
Ansicht vertreten wird, die Heilung nach § 295 ZPO könne nur für solche
Prozesshandlungen des Gerichts eintreten, die nicht in Entscheidungen bestehen (so
Wieczorek/Schütze-Gerken, Zivilprozessordnung und Nebengesetz, 4. Aufl., § 249 Rn. 23
u. Stein/Jonas-Roth, ZPO, 22. Aufl., § 249 Rn. 13 u. 15; anders aber offenbar die
Rechtsprechung, siehe neben OLG Brandenburg, ebenda, auch BGH VersR 1967, 343
sowie BSG NJW 1967, 2226) - diese lediglich die Gültigkeit und Unangreifbarkeit der
jeweiligen mangelhaften Prozesshandlung bewirkt (siehe nur Stein/Jonas-Leipold, a.a.O.,
§ 295 Rn. 17; Thomas/Putzo-Reichold, a.a.O., § 295 Rn. 7; Musielak-Huber, ZPO, 10.
Aufl., § 295 Rn. 7), so dass durch das rügelose Verhandeln des Klägers im Termin vom
10.06.2013 lediglich die trotz Unterbrechung erfolgte Terminsverfügung vom 19.03.2013
(Bl. 244) geheilt wäre, nicht aber das anschließend verkündete Urteil.
(2)
60 Darüber hinaus und insbesondere kommt es für die Heilung nach § 295 ZPO in der
vorliegenden Konstellation gar nicht auf die Person des Klägers, sondern auf die Person
des Insolvenzverwalters an (so ausdrücklich Zöller-Greger, a.a.O., § 249 Rn. 4), denn die
Prozessführungsbefugnis (mit der Ausnahme, dass auch der Gemeinschuldner die
Wirkung der Unterbrechung geltend machen kann, s. o. unter 1.) liegt infolge der Eröffnung
bzw. Anordnung der Nachtragsverteilung beim Insolvenzverwalter, so dass es für die
Erfüllung der Voraussetzungen des § 295 ZPO auf dessen Person ankommen muss (so in
der Sache auch BGH VersR 1967, 343; OLG Brandenburg, ebenda). Insoweit gilt nichts
anderes als bei der Rechtsnachfolge, bei der auch der Rechtsnachfolger den Rechtsstreit
rügelos fortsetzen muss, damit Heilung eintritt (vgl. BSG ebenda; Musielak-Stadler, a.a.O.,
§ 249 Rn. 5). Nur dieses Ergebnis wird auch dem Grundsatz gerecht, dass hinsichtlich der
Prozessführungsbefugnis eine Heilbarkeit nach § 295 Abs. 2 ZPO ausscheidet (Münchner
Kommentar zur ZPO-Prütting, ZPO, 4. Aufl., § 295 Rn. 24 m.w.N. in Fn. 33).
(3)
61 Überdies müssten die Voraussetzungen des § 295 ZPO auch bei der Beklagten gegeben
sein, da anerkannt ist, dass ein trotz Unterbrechung ergangenes, die Insolvenzmasse
betreffendes Urteil nicht nur vom Insolvenzverwalter und vom Gemeinschuldner, sondern
auch vom Prozessgegner angefochten werden kann (BGH NJW 1969, 48, 49; BGH NJW
1997, 1445 unter B. II. 1.).
62 Hinsichtlich der Beklagten kann aber zum Einen nicht angenommen werden, dass sie in
der mündlichen Verhandlung vom 10.06.2013 rügelos verhandelt hat, obwohl ihr die
infolge Anordnung der Nachtragsverteilung eingetretene Unterbrechung bekannt war oder
hätte bekannt sein müssen. Sie hat zwar Kenntnis vom Antrag des Insolvenzverwalters auf
Anordnung der Nachtragsverteilung gehabt, da der Insolvenzverwalter ihr diesen per
Telefax übersandt hat (Bl. 55). Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass ihr in der
mündlichen Verhandlung 10.06.2013 auch die Anordnung der Nachtragsverteilung mit
Beschluss vom 05.03.2013 hätte bekannt sein müssen. Die Beklagte traf insoweit keine
Erkundigungsobliegenheit; sie konnte vielmehr annehmen, dass ihr seitens des Klägers
oder des Landgerichts ein etwaig ergangener Beschluss mitgeteilt wird, zumal der
Insolvenzverwalter in dem Antrag auf Anordnung der Nachtragsverteilung angekündigt
hatte, dem Landgericht einen ggf. ergehenden Beschluss im Hinblick auf § 240 ZPO
„umgehend“ anzuzeigen (was er dann aber versäumt hat). Zum Anderen beträfe eine
Heilung durch rügeloses Verhandeln im Termin vom 10.06.2013, wie oben unter (1)
ausgeführt, ohnehin nur die Terminierung, nicht aber das im zeitlichen Nachgang
ergangene Urteil. Auch ein Verzicht der Beklagten kann nicht angenommen werden, weil
sie in der Berufungserwiderung ausdrücklich die fehlende „Aktivlegitimation“ des Klägers
rügte und - wenn auch irrig - meinte, dieser hätte gar nicht Berufung einlegen können.
c)
63 Trotz der Säumnis des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat
vom 20.11.2013 ist über die Berufung durch (unechtes Versäumnis-)Urteil in Form der
Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das
Landgericht zu entscheiden.
aa)
64 Die Zurückweisung der Berufung durch Versäumnisurteil gegen den Kläger wäre auch
nicht in Betracht gekommen, wenn die Beklagte ein solches beantragt hätte, denn dadurch
würde das Schluss-Urteil des Landgerichts, welches gar nicht hätte ergehen dürfen, in der
Sache bestätigt; eine anderslautende Entscheidung als die Aufhebung des trotz
eingetretener Unterbrechung ergangenen Urteils ist dem Berufungsgericht gar nicht
möglich (insoweit zutreffend OLG Köln NJW-RR 1995, 891, 892; ebenso OLG Frankfurt
OLGR 1993, 89).
bb)
65 Zu Unrecht meint das OLG Köln (ebenda) allerdings, es trete dann bei Säumnis des
Berufungsklägers in einem solchen Falle ein Stillstand des Verfahrens im
Berufungsrechtszug ein (so allerdings auch Feiber, EWiR 1994, 723). Dies hätte zur
Folge, dass das - ja nicht nichtige, wenn auch zwischen den Parteien relativ unwirksame -
Urteil des Landgerichts, das gar nicht hätte ergehen dürfen, für unbestimmte Zeit „in der
Welt“ bliebe. Der Senat hält es deswegen mit dem OLG Frankfurt (OLGR 1993, 89) auch
bei Säumnis des Berufungsklägers für geboten, in der hier gegebenen Konstellation durch
Aufhebung des zu Unrecht ergangenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zu
entscheiden, jedenfalls wenn wie vorliegend der Berufungsbeklagte dies beantragt.
Dadurch kann das Verfahren in das Stadium zurückversetzt werden, in welchem es sich
bei ordnungsgemäßem Ablauf, also bei Beachtung der Unterbrechung, befunden hätte,
ohne dass eine der Parteien schlechter gestellt wäre als bei einem Erscheinen auch des
(Berufungs-)Klägers in der mündlichen Verhandlung; auch dann hätte nur eine auf
Aufhebung des angefochtenen Urteils lautende Entscheidung ergehen können (OLG
Frankfurt, ebenda).
d)
66 Zur Klarstellung hat der Senat weiter deklaratorisch die Unterbrechung des Verfahrens
festgestellt (vgl. LAG München, a.a.O., unter II. 2 b letzter Abs. der Entscheidungsgründe).
3.
a)
67 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 2 ZPO, dessen Anwendbarkeit auch beim
Ausspruch einer Zurückverweisung anerkannt ist (BGH NJW 1997, 1007; OLG München
MDR 2012, 117 Rn. 11 in Juris; Zöller-Herget, a.a.O., § 97 Rn. 12).
68 Dem Kläger sind die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen, weil er die fehlende
Verfügungsbefugnis und die Unterbrechungsfolge so rechtzeitig kannte oder zumindest
infolge Fahrlässigkeit nicht kannte, dass er diese bereits in erster Instanz hätte geltend
machen können (ebenso OLG Hamm, a.a.O., Rn. 24 in Juris, bei einem vergleichbaren
Sachverhalt). Aus der beigezogenen Insolvenzakte ergibt sich nämlich, dass der
Beschluss des Insolvenzgerichts vom 05.03.2013 nicht nur den Rechtsanwälten, welche
den Kläger im Insolvenzverfahren vertraten, zugestellt worden ist (siehe die
Empfangsbekenntnisse vom 12.03.2013, Bl. 371 f. der Insolvenzakte), sondern darüber
hinaus bereits am 13.03.2013 auch dem Kläger persönlich (Zustellungsurkunde Bl. 373
der Insolvenzakte)
69 Der Umstand, dass nicht feststeht, dass die Berufung des Klägers ohne das neue
Vorbringen, d. h. die Mitteilung, das Verfahren sei infolge Anordnung der
Nachtragsverteilung unterbrochen, erfolglos gewesen wäre, steht der Anwendung des §
97 Abs. 2 ZPO nicht entgegen (BGH NJW-RR 2005, 866, 867; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 25
in Juris).
b)
70 Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
c)
71 Die Revision ist gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO aufgrund der bestehenden
Divergenzen zu der Frage, ob bei der hier gegebenen Konstellation der Säumnis des
Berufungsklägers das entgegen §§ 240, 249 ZPO ergangene erstinstanzliche Urteil
aufzuheben ist oder nicht (s. o. 2. c) bb)), zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung zuzulassen.
72 Die Zulassung ist auch nicht mangels Beschwer der Parteien entbehrlich, denn selbst
dann, wenn eine Partei - wie hier die Beklagte - selbst einen Antrag auf Aufhebung und
Zurückverweisung gestellt hat, ist sie dadurch, dass die primär begehrte
Sachentscheidung (hier: Zurückweisung der Berufung des Klägers) nicht ergeht,
beschwert (so schon RGZ 14, 355, 356 f.; ferner BGH NJW 1965, 441).