Urteil des OLG Stuttgart vom 21.07.2008

OLG Stuttgart (grobe fahrlässigkeit, ausschluss der haftung, eintritt des schadens, beherrschung des fahrzeugs, haftung, veranstalter, zpo, versicherungsschutz, veranstaltung, höhe)

OLG Stuttgart Beschluß vom 21.7.2008, 5 U 44/08
Schadenersatz wegen Motorradunfall: Haftungsausschluss bei einem Fahrsicherheitstraining
Leitsätze
1. Bei einer Fahrveranstaltung zur Verbesserung der Fahrsicherheit, die keine Rennveranstaltung darstellt und bei
der Versicherungsschutz über die Kfz-Pflichtversicherung besteht, ist von einem stillschweigenden
Haftungsausschluss der Teilnehmer untereinander nicht auszugehen.
2. Ein Haftungsausschluss über die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Veranstalters ist unwirksam.Es
handelt sich um einen Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO, auf den hin die Berufung zurückgenommen
wurde.
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Einzelrichterin des Landgerichts
Stuttgart vom 29. Februar 2008 - Geschäftsnummer: 26 O 397/06 - gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Die Beklagten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von 14 Tagen
.
Gründe
1
Die Berufung hat nach einstimmiger Überzeugung des Senats keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat
keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
I.
2
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadenersatz auf Grund eines Motorradunfalls in Anspruch.
3
Der Kläger und der Beklagte Ziff. 1 nahmen als Motorradfahrer am 13.5.2006 an einer von der … GmbH
organisierten Trainingsveranstaltung zur Verbesserung der Fahrsicherheit auf der Grand Prix-Strecke in B.
/Tschechoslowakei teil.
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Im Rahmen des Trainings kollidierten sie in einer Rechtskurve miteinander, wobei das Motorrad des Klägers
und seine Motorradbekleidung beschädigt wurden, der Kläger jedoch unverletzt blieb. Der Kläger wirft dem
Beklagten Ziff. 1 vor, den Unfall verschuldet zu haben und hat ihn und die Bekl. Ziff. 2 als
Haftpflichtversicherer auf Schadenersatz in Höhe von insgesamt 10.162,18 Euro in Anspruch genommen.
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In den Teilnahmebedingungen des Veranstalters, die beide Fahrer unterzeichnet haben, finden sich unter der
Überschrift „Haftungsverzicht“ u. a. folgende Regelungen:
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1. Ich nehme auf eigene Gefahr an der Veranstaltung „ … -Trainings“ teil, die Gefahren durch das
Befahren von Rennstrecken mit dem Motorrad sind mir bewusst.
2. Der Veranstalter … GmbH haftet nicht für durch Dritte zugeführte Personen- bzw. Sachschäden.
Eine Haftung durch den Veranstalter und deren Mitarbeiter wird nur in Fällen der groben Fahrlässigkeit
und Vorsatz übernommen.
3. Ich hafte selbst für durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit verursachte Personen- bzw.
Sachschäden an Dritten.
4. ...
5. ...
5. ...
6. Jeder Teilnehmer hat sich so zu verhalten, dass andere Teilnehmer nicht gefährdet werden.
...
7
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme über den Unfallhergang und die Höhe des Schadens die Beklagten
als Gesamtschuldner zur Zahlung von 4.091,93 EUR nebst Zinsen sowie vorgerichtlichen Anwaltskosten in
Höhe von 374,90 Euro verurteilt. Es ist von einem Schaden in Höhe von 8.183,86 EUR ausgegangen und hat
eine 50-%ige Haftung der Beklagten angenommen. Der Unfallhergang und die Verantwortlichkeit habe nicht
geklärt werden können. Da keine der Parteien den Unabwendbarkeitsbeweis nach § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG
habe erbringen können, hafteten gem. §§ 7, 17, 18 StVG, die auch auf Lehrgangsveranstaltungen auf
Rennstrecken außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums Anwendung fänden, beide Seiten zu gleichen Teilen.
8
Entgegen dem Verständnis der Beklagten sei ein Haftungsausschluss im Vertrag mit dem Veranstalter nicht
vereinbart bzw. erfasse er die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien nicht. Auch ein stillschweigender
Haftungsausschluss wegen gemeinsamer Teilnahme an einem motorsportlichen Wettbewerb mit nicht
unerheblichem Gefahrenpotenzial liege nicht vor.
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Die Beklagten verfolgen mit ihrer Berufung wie in 1. Instanz das Ziel der Klageabweisung. Das Landgericht
habe zu Unrecht einen Haftungsausschluss verneint.
II.
10 Das Landgericht hat das Unfallgeschehen zutreffend beurteilt und die Parteien auf der Grundlage der
angeführten gesetzlichen Vorschriften zu Recht zu gleichen Teilen als für das Unfallgeschehen verantwortlich
angesehen. Dies wird von der Berufung auch nicht beanstandet, ebenso wenig die Ausführungen zur Höhe des
Schadens. Die Angriffe der Berufung beschränken sich darauf, das Landgericht habe zu Unrecht einen
ausdrücklichen oder konkludenten Haftungsausschluss verneint.
11 Auch insoweit ist dem Landgericht jedoch zu folgen.
12 1) Für die Frage, ob von einem konkludenten Ausschluss der Haftung der Beklagten auszugehen ist, ist nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (VI ZR 98/07- Urteil vom 29.1.2008) vor allem die
versicherungsrechtliche Seite von mitentscheidender Bedeutung:
13 Dort, wo der Schädiger haftpflichtversichert ist, insbesondere eine Pflichtversicherung besteht, entspricht es
weder dem gesetzlichen Anliegen der Versicherungspflicht noch dem Willen der Beteiligten, eine Haftung
auszuschließen. Ein solcher Ausschluss läge ausschließlich im Interesse des Versicherers, nicht hingegen in
dem der Beteiligten und ist deshalb im Zweifel nicht gewollt. Dies zumal der Versicherungsschutz beiden
zugutekommt und vor dem Schadensereignis offen ist, wer ggfs. bei Eintritt des Schadens Geschädigter und
wer Schädiger sein wird.
14 Ein Ausschluss des Versicherungsschutzes käme hier gem. §§ 4 Nr. 4, 5 Abs. 1 Nr. 2 KfzPflVV, § 2 b Abs. 3b
AKB nur dann in Betracht, wenn es sich bei der Veranstaltung um eine Fahrveranstaltung, bei der es auf die
Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankommt oder um eine dazu gehörende Übungsfahrt gehandelt hätte,
wobei der Haftungsausschluss nur bei Beteiligung an behördlich genehmigten Fahrveranstaltungen gilt (weil
dann vom Vorliegen einer besonderen Rennversicherung ausgegangen werden kann; vgl. Stiefel/Hofmann,
Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl. § 2 b AKB Rdnr. 154 ff).
15 Diese Voraussetzungen für einen Haftungsausschluss sind von den Beklagten nicht schlüssig dargetan und
bewiesen.
16 Nach den ausdrücklichen Teilnahmebedingungen des Veranstalters handelt sich es sich gerade nicht um eine
Veranstaltung zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten im Sinne dieser Vorschriften, sondern um eine
Trainingsveranstaltung zur Perfektionierung der Beherrschung des Fahrzeugs im Interesse der Fahrsicherheit,
gerade auch in Gefahrsituationen. Dies entspricht auch der Schilderung beider Parteien in der mündlichen
Verhandlung vor dem Landgericht am 31.10.2006.
17 Vor diesem Hintergrund kann von einem stillschweigenden Haftungsausschluss, der allein im Interesse der
Versicherung läge, nicht ausgegangen werden.
18 2) Dem Landgericht ist auch darin zu folgen, dass die Teilnahmebedingungen des Veranstalters keinen
Ausschluss auf Ansprüche des Klägers beinhalten.
19 Zum einen beinhaltet die Klarstellung des Bestehens einer Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit in Ziff.
3 der Teilnahmebedingungen schon vom Wortlaut her keinen Verzicht auf Ansprüche gegen Dritte, schon gar
nicht im Blick auf eine gesetzlich bestehende Haftung. Die Klausel spricht nur von der Eigenhaftung, nicht aber
von einem Verzicht auf etwaige Ansprüche gegen Dritte, auch wenn dies - spiegelbildlich betrachtet - vielleicht
logische Konsequenz sein mag. Jedenfalls unter Heranziehung der Unklarheitenregelung des § 305 c Abs. 2
BGB und unter Beachtung des Transparenzgebots kann in dieser Regelung mit dem Landgericht ein
Haftungsausschluss in dem von den Beklagten vertretenen Sinne nicht gesehen werden.
20 Die Überschrift „Haftungsverzicht“ kann nach dem übrigen Inhalt der Regelungen auch nur auf das Verhältnis
zum Veranstalter bezogen verstanden werden, zumal die Teilnehmer der Veranstaltung untereinander nicht in
vertraglichen Beziehungen stehen und nach dem Verständnis der Beklagten den Teilnahmebedingungen je
nach Konstellation eines Unfallgeschehens der Charakter eines Vertrags zu Gunsten oder zu Lasten der
Mitteilnehmer zukäme, eine sehr ungewöhnliche Rechtskonstruktion.
21 Auch kann es aus den bereits genannten Gründen nicht Wille des Veranstalters sein, bestehenden
Versicherungsschutz der Teilnehmer ohne Not auszuschließen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass der
Veranstalter selbst an anderer Stelle der Teilnahmebedingungen - unmittelbar über der mit Haftungsverzicht
überschriebenen Passage - gerade den Abschluss einer Unfallversicherung ausdrücklich verlangt und zur
Bedingung der Teilnahme macht. Damit stünde ein Verzicht auf etwaige Ansprüche aus einer bestehenden
Haftpflichtversicherung in eklatantem Widerspruch.
22 Vor diesem Hintergrund müsste eine anderweitige Auslegung auch als überraschend im Sinne von § 305 c
Abs. 1 BGB verstanden werden.
23 Auch unter Berücksichtigung dessen kann die Klausel nicht in dem von den Beklagten vertretenen Sinn eines
Verzichts auf Ansprüche trotz bestehenden Versicherungsschutzes verstanden werden. Auch dabei sind die
angeführten Auslegungsgrundsätze des Bundesgerichtshofs mit zu berücksichtigen.
24 Auch unabhängig davon erscheint zweifelhaft, ob ein etwaiger Haftungsausschluss wirksam wäre.
25 Ein Verzicht stünde in krassem Widerspruch zur Intention des Pflichtversicherungsschutzes, der zum
Abschluss einer Versicherung zwingt und die Benutzung von Kraftfahrzeugen ohne Versicherungsschutz gar
unter Strafe stellt. Damit erschiene es schwer vereinbar, es Teilnehmern an einer Veranstaltung, für die
Versicherungsschutz besteht, freizustellen, auf diesen Schutz ohne weiteres zu verzichten, jedenfalls wenn
dies wie hier durch Vereinbarung Allgemeiner Geschäftsbedingungen geschehen soll.
26 In der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur wird deshalb gem. §§ 307, 309 Nr. 7 BGB u.a ein
Haftungsausschluss für die Gefährdungshaftung nach § 7 StVG in Allgemeinen Geschäftsbedingungen wegen
Widerspruchs zu der im öffentlichen Interesse liegenden gesetzlichen Risikozurechnung für unwirksam
gehalten (OLG Karlsruhe NJW-RR 1989, 1333 = DB 1989,2 1065; Staudinger/Coester-Waltjen, BGB, § 309 Nr.
7 Rdnr. 39; Münchner Kommentar/Kieninger, BGB § 309 Nr. 7 Rdnr. 8; Ulmer/Brandner/Hensen/Wolf, AGB-
Gesetz, § 11 Nr. 7 Rdnr. 39; Wolf/Lindacher/Stein, AGB-Gesetz, § 11 Rdnr. 72).
III.
27 Nachdem der Berufung aus diesen Gründen keine Erfolgsaussicht eingeräumt werden kann, wird den
Beklagten - auch unter Kostengesichtspunkten - anheim gestellt, die Berufung zurückzunehmen.
28 Die Anschlussberufung des Klägers verliert in diesem Falle - ebenso wie bei einer Zurückweisung der Berufung
gem. § 522 Abs. 2 ZPO - gem. § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung.
29 Auf die Anschlussberufung ist im derzeitigen Stadium daher nicht näher einzugehen.