Urteil des OLG Stuttgart vom 07.11.2013

OLG Stuttgart: treu und glauben, versicherungsnehmer, philippinen, dritte welt, organisation, tarif, versicherungsvertrag, auflage, nebenpflicht, versorgung

OLG Stuttgart Urteil vom 7.11.2013, 7 U 3/13
Leitsätze
1. Eine Klausel bei einer Auslandskrankenrücktransportversicherung, die für den
Versicherungsnehmer auch für Fälle von erheblichen Erkrankungen im Ausland nur einen
Anspruch auf Kostenerstattung gegen den Versicherer vorsieht, ist unwirksam, § 307 Abs. 1 S. 1
i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 BGB.
Ein Versicherer verstößt mit einer solch einschränkenden Klausel in erheblichem Maße gegen
den Zweck einer Rücktransportversicherung für den Fall der Erkrankung im Ausland, weil der
Vertragszweck durch Einschränkung auf die bloße - nachträgliche - Kostenerstattungspflicht
gefährdet ist (sog. Aushöhlung).
2. Eine zusätzliche Klausel bei einer Auslandskrankenrücktransportversicherung, die den
Versicherungsanspruch davon abhängig macht, dass der Transport oder dessen medizinische
Notwendigkeit von einer "ärztlichen Anordnung" oder einem "ärztlichen Attest" vor Beginn des
Rücktransports als ärztlichen Nachweis abhängig ist, benachteiligt einen Versicherungsnehmer
ebenfalls unangemessen gem. §§ 307 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 BGB (Anschluss: OLG
Saarbrücken, VersR 2002, 837 f.).
3. Die ergänzende Vertragsauslegung ergibt, dass der Versicherer im Versicherungsfall auch die
Organisation des Auslandskrankenrücktransportes schuldet.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart - 16 O 28/10 - vom
04.12.2012 wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
3. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 120 % des aus dem Urteil
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungsstreitwert: 45.000,00 EUR
Gründe
I.
1 Die Berufung des Klägers wendet sich gegen ein Urteil des Landgerichts Stuttgart, mit
dem seine Klage auf Schadensersatz wegen behaupteter Pflichtverletzung aus dem
zwischen den Parteien bestehenden Krankenversicherungsvertrag mit
Auslandskrankenrücktransportversicherung abgewiesen wurde.
2 Am 22.03.2009 erlitt der Kläger auf den Philippinen einen Motorradunfall. Er zog sich
hierbei Verletzungen am linken Bein, insbesondere eine Tibiakopffraktur am linken Knie,
im Bereich seines linken Armes und im Rumpfbereich seiner linken Körperseite zu. Der
Kläger ist mittlerweile vollständig auf die Philippinen umgezogen. In dem
Versicherungsvertrag sind die „Versicherungsbedingungen für die Kranken- und
Pflegeversicherung“ (Anlage K 5, nach Bl. 63) unter Einschluss des „Tarif VE für
ambulante, zahnärztliche und stationäre Heilbehandlung“ (Anlage K 5, nach Bl. 63)
einbezogen (AVB: „Druckstücknummer 01/2009“).
3 Die Versicherungsbedingungen unter „Tarif VE“ (Anlage K 5, nach Bl. 63) lauten
auszugsweise wie folgt:
4
4 Krankenrücktransport aus dem Ausland
5
4.1
Auslandsaufenthaltes sind die Kosten eines medizinisch notwendigen
Krankenrücktransportes einschließlich der Aufwendungen für eine Begleitperson nach
folgenden Regelungen erstattungsfähig.
...
6
4.4
und Stelle bzw. in zumutbarer Entfernung eine ausreichende medizinische Behandlung
nicht gewährleistet und dadurch eine Gesundheitsschädigung zu befürchten ist. Dies
muss durch ein vor Beginn des Krankenrücktransportes ausgestelltes ärztliches Attest
nachgewiesen werden.“
7 Der Kläger wurde am 25.03.2009 durch Dr. med. K. im Krankenhaus Capitol University
Medical City in Cagayan de Oro City auf den Philippinen am linken Bein operiert, um die
bicondyläre komplexe Tibiakopftrümmerfraktur mit mäßiger Dislokation und Impression
operativ zu verbessern. Hierbei wurde Osteosynthesematerial (unter anderem Platten) in
das linke Knie eingebracht.
8 Am 25.03.2009, nach der Operation, verständigte der Kläger telefonisch die Mitarbeiterin
der Beklagten, Frau W., vom Motorradunfall und den dadurch eingetretenen Verletzungen.
Die Beklagte schaltete daraufhin das Unternehmen R. A. mit dem Auftrag ein, die
medizinische Notwendigkeit eines Rücktransports zu prüfen. R. A. wiederum schaltete den
„M. Rückholdienst“ mit der weiteren Prüfung ein. Beim M. Rückholdienst wurde die
Prüfung der Auslandsrückholung mittels eines Krankenrücktransportes vom dortigen
ärztlichen Leiter des Rückholdienstes, dem Zeugen Dr. med. H., bearbeitet.
9 Auf der Grundlage weiterer Telefongespräche von Dr. med. H. vom M. Rückholdienst mit
Dr. K. berichtete Dr. med. H. der Beklagten per Telefax am 31.03., 01.04., 03.04., 06.04.
und 07.04.2009 über den gesundheitlichen Zustand des Klägers. Dr. med. H. bezeichnete
die medizinische Versorgung des Klägers weiterhin als adäquat (Anlagen B 2 bis B 7,
nach Bl. 45).
10 Mit Telefaxbericht vom 08.04.2009 teilte eine weitere Ärztin des M. Rückholdienstes, die
Zeugin Dr. K. (Orthopädin), der Beklagten mit, eine Repatriierung sei ab sofort möglich und
sinnvoll (Anlage B 8, nach Bl. 45). Mit Telefax vom 15.04.2009 attestierte Dr. med. H. vom
M. Rückholdienst die medizinische Notwendigkeit eines Rücktransports nach Deutschland
und gab an, der Kläger traue sich einen Flug in der Business Class ohne medizinische
Begleitung zu (Anlage B 10, nach Bl. 45). Am 21.04.2009 flog der Kläger mit einer
Linienmaschine von den Philippinen zurück nach Deutschland und wurde am 24.04.2009
durch Prof. Dr. med. D. im Stuttgarter M.-Hospital erneut operiert. Der Operateur Prof. Dr.
med. D. hat nach der Operation die Einschätzung geäußert, die Tibiakopfosteosynthese
vom 25.03.2009 sei auf den Philippinen unzureichend durchgeführt worden, der
medizinische Standard habe den Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland nicht
entsprochen und es wäre besser gewesen, den Kläger unmittelbar nach dem
Unfallereignis nach Deutschland auszufliegen (Anlage K 1, Bl. 10 ff.).
11 Der Kläger hat im ersten Rechtszug behauptet, für die Beklagte sei ersichtlich gewesen,
dass er sofort hätte ausgeflogen werden müssen. Die Beklagte habe lediglich die hohen
Kosten für einen individuellen Spezialtransport mit einem Spezialflugzeug nach
Deutschland vermeiden wollen, weil die Kosten für ein solches Spezialflugzeug mit
entsprechendem Personal rund 100.000,00 EUR betragen hätten. Dem Kläger sei es ohne
ausdrückliche Kostenübernahmeerklärung der Beklagten unmöglich gewesen, den
medizinischen Rücktransport in einem Spezialflugzeug zu veranlassen und die Kosten
hierfür aus Eigenmitteln im Voraus zu verauslagen.
12 Der Kläger habe durch den verspäteten Rücktransport nach Deutschland nicht mehr
korrigierbare Dauerschäden am linken Knie erlitten, welche sich noch hätten vermeiden
lassen, wenn die Beklagte am 26.03.2009 - nach dem Gespräch von Dr. med. H. mit Dr. K.
- sofort die Übernahme der Kosten eines Spezialtransports nach Deutschland zugesagt
hätte und aufgrund einer zeitnahen Repatriierung des Klägers die orthopädische
Nachoperation im M.-Hospital in Deutschland hätte früher stattfinden können.
13 Die Beklagte hat im ersten Rechtszug behauptet, ein Rücktransport habe schon deshalb
nicht stattfinden können, weil eine Kontraindikation für einen Krankentransportrückflug
bestanden habe. Nach dem 25.03.2009 habe eine Gefahr des Eintritts eines
Kompartmentsyndroms bestanden. Erst wieder ab dem 15.04.2009 habe die
Kontraindikation nicht mehr bestanden und erst ab diesem Zeitpunkt sei die Rückführung
des Klägers medizinisch möglich gewesen.
14 Das Landgericht hat Beweis erhoben (mündliche Verhandlung vom 12.10.2010, Bl. 111 ff.)
durch die Vernehmung der Zeugen Dr. K. (freie Mitarbeiterin des M. Rückholdienstes), Dr.
med. H. (Leiter M. Rückholdienst), W. (Sachbearbeiterin bei R. A. GmbH) und M.
(Teamleiterin R. A. GmbH). Die philippinischen Zeugen Dr. K. und Dr. V. wurden im Wege
der Rechtshilfe vernommen (Bl. 201 ff., 218 ff.).
15 Das
Landgericht
Notwendigkeit der vom Versicherungsnehmer begehrten Kosten vorab zu prüfen und die
Übernahme der Kosten zuzusagen, bestehe ausnahmsweise, weil ein durchschnittlicher
Versicherungsnehmer nicht in der Lage sei, die immensen Kosten eines Spezialtransports
mit einem Spezialflugzeug aus Asien selbst vorzufinanzieren.
16 Die Beklagte habe jedoch die sie treffende Nebenpflicht zur pflichtgemäßen Prüfung einer
Kostenübernahmeerklärung dadurch bereits erfüllt, indem sie den M. Rückholdienst
beauftragt und dessen Empfehlung gefolgt sei. Die Beklagte habe keinen Anhaltspunkt
gehabt, an der Verlässlichkeit der Einschätzung der Ärzte des M. Rückholdienstes zu
zweifeln. Sollte das tatsächliche Vorbringen des Klägers zutreffend sein, so wäre die
Prüfung durch den M. Rückholdienst zwar pflichtwidrig gewesen. Eine pflichtwidrige
Verletzung der Nebenpflicht müsse sich die Beklagte jedoch nicht zurechnen lassen, weil
der M. Rückholdienst nicht Erfüllungsgehilfe der Beklagten gem. § 278 BGB gewesen sei.
Die Beklagte sei vertraglich auch nicht verpflichtet gewesen, selbst Kontakt mit den
behandelnden Ärzten auf den Philippinen aufzunehmen.
17 Die
Berufung
beantragtes Sachverständigengutachten zur Prüfung, ob die von der Beklagten
eingeschalteten Stellen und Rückholdienste nicht hätten medizinisch erkennen können,
dass der Kläger sofort hätte ausgeflogen werden müssen, nicht eingeholt. Die Prüfung
durch die Ärzte des M. Rückholdienstes sei grob falsch gewesen. Das Ergebnis des M.
Rückholdienstes, dass eine Behandlung auf den Philippinen für den Kläger möglich
gewesen sei, ohne dass hierdurch Gefahren für die Gesundheit des Klägers entstanden
seien, sei falsch gewesen. Das Landgericht habe zutreffend eine Nebenpflicht der
Beklagten angenommen, jedoch eine Zurechnung der von der Beklagten beauftragten
Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB verneint. Es gebe keine Anhaltspunkte, weshalb die
von der Beklagten beauftragten Stellen, insbesondere der M. Rückholdienst, nicht
Erfüllungsgehilfe gem. § 278 BGB gewesen seien. Die Beklagte habe für die von ihr
beauftragten Stellen einzustehen. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Berufungsbegründung des Klägers Bezug genommen (Bl. 284 ff.).
18 Der Kläger beantragt:
19 1. Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 4. Dezember 2012 mit dem Aktenzeichen 16
O 28/10 wird aufgehoben.
20 2. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von
mindestens 25.000,00 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen hieraus über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen. Die genaue Höhe des
Schmerzensgeldes wird ins Ermessen des Gerichts gestellt.
21 3. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger weitere 20.000,00 EUR nebst 5
Prozentpunkten Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu
bezahlen.
22 Die Beklagte beantragt:
23 Die Berufung wird zurückgewiesen.
24 Die Beklagte wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Das Landgericht sei
zwar von einer möglichen Pflicht ausgegangen, jedoch habe die Beklagte erstmals am
25.03.2009, nach der orthopädischen Erstoperation, Kenntnis vom Verkehrsunfall des
Klägers auf den Philippinen erlangt. Zu diesem Zeitpunkt der Kenntniserlangung sei die
Erstoperation am linken Knie beim Kläger bereits durchgeführt gewesen. Der Kläger habe
gegenüber der Beklagten nicht behauptet, dass die Operation mit unrichtigem
Osteosynthesematerial durchgeführt worden sei. Die bereits durchgeführte und
medizinisch gegebenenfalls nicht optimal durchgeführte Erstoperation könne deshalb
nicht zu Lasten der Beklagten gehen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die
Berufungserwiderung Bezug genommen.
25 Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen
Sachverständigengutachtens (Beweisbeschluss vom 12.04.2013, Bl. 302 ff.). Der
Sachverständige Prof. Dr. med. S. hat ein schriftliches Gutachten erstattet (Bl. 335 - 372)
und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 17.10.2013 erläutert (Protokoll der
mündlichen Verhandlung vom 17.10.2013, Bl. 403 ff.).
II.
26 Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
27 Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch in Höhe von 25.000,00 EUR und mate-
rieller Schadensersatz von 20.000,00 EUR gem. §§ 280 Abs. 1, 249 ff., 253 Abs. 2 BGB
nebst gesetzlicher Zinsen gem. §§ 291, 288 Abs. 1 BGB zu.
28 1. Die Beklagte trifft als Krankenversicherer mit einer Komponente zur
Auslandskrankenrücktransportversicherung die Pflicht, bei einem behaupteten
Versicherungsfall (Erkrankung und Notwendigkeit der Heilbehandlung bzw. des
Krankenrücktransports) die Notwendigkeit eines Krankenrücktransports vor Durchführung
zu prüfen und die Krankenrücktransportkosten (hier: 100.000,00 EUR für einen
Spezialtransport mit einem Flugzeug) vorzuschießen oder ersatzweise die Organisation
selbst zu übernehmen (Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage, § 192 Rn. 78 ff., 82 für den Fall
hoher Krankheitskosten; Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch,
2. Aufl., § 41 Rn. 222 ff.).
29 Unter einem „medizinisch notwendigen Krankenrücktransport“ ist eine erforderliche
Behandlung im Zusammenhang mit dem Rücktransport zu verstehen, die nach den
objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der
ärztlichen Behandlung vertretbar gewesen war (vgl. BGHZ 133, 208 ff. [Rn. 16]; BGH
VersR 1979, 221; OLG Düsseldorf VersR 1996, 1402; Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage, §
192 Rn. 147; van Bühren, Versicherungsrechtshandbuch, 5. Auflage, § 17 Rn. 858 ff., 863,
279 ff.).
30 a) Die von der Beklagten verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen in Ziff. 4.1
und 4.4 des Tarifs VE (Anlage K 5) sind unwirksam, § 306 Abs. 1 BGB.
31 aa) Eine Klausel bei einer Auslandskrankenrücktransportversicherung, die den
Versicherungsanspruch davon abhängig macht, dass der Transport oder dessen
medizinische Notwendigkeit von einer ärztlichen Anordnung oder einem ärztlichen Attest
vor Beginn des Rücktransports als ärztlichen Nachweis abhängig ist, verstößt gegen die
Gebote von Treu und Glauben und benachteiligt einen Versicherungsnehmer
unangemessen gem. §§ 307 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 BGB.
32 Die Beklagte geht davon aus, dass es einem Arzt, in dessen Behandlung der
Versicherungsnehmer im Ausland gelangt, am besten möglich sein wird zu beurteilen, ob
eine Weiterbehandlung an Ort und Stelle im Ausland erfolgen kann oder ob es aus
medizinischen Gründen nötig ist, den Patienten zur weiteren Behandlung in sein
Heimatland zurückzutransportieren.
33 Zum einen kann es jedoch nicht auf die subjektive Sicht eines Arztes im Ausland
ankommen, insbesondere in Dritte-Welt-Ländern o.Ä., und zum anderen ist nach der von
der Beklagten vorgenommenen Auslegung ihrer Klausel davon auszugehen, dass sie
dieser selbst zugrunde legt, berechtigt zu sein, im Nachhinein überprüfen zu lassen, ob die
Beurteilung des Arztes im Ausland vertretbar gewesen ist oder nicht.
34 Eine solche Klausel ist mit wesentlichen Rechten oder Pflichten einer
Auslandskrankenrücktransportversicherung nicht vereinbar, weil sie gem. § 307 Abs. 1 S.
1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 BGB die Rechte eines Versicherungsnehmers so einschränkt, dass
die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet ist (Aushöhlung). Der Senat schließt sich
insoweit hinsichtlich der Unwirksamkeit der Notwendigkeit einer schriftlichen ärztlichen
Anordnung vor einem Krankenrücktransport der obergerichtlichen Rechtsprechung an
(Saarländisches Oberlandesgericht, VersR 2002, 837 f.).
35 Die Beklagte als redlicher Versicherer hätte ausreichend Anlass und Zeit gehabt, die seit
2002 für unwirksam erklärten Klauseln 7 Jahre später nicht mehr zu verwenden.
36 bb) Auch die Klausel in Ziff. 4.1 und 4.4 des Tarifs VE (Anlage K 5), wonach dem Kläger
als Versicherungsnehmer auch für Fälle von schweren Erkrankungen und teuren
Krankenrücktransportkosten lediglich ein Anspruch auf Kostenerstattung zusteht, ist
unwirksam, § 306 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 BGB.
37 Die Beklagte als Versicherer verstößt mit dieser einschränkenden Klausel in erheblichem
Maße gegen den Zweck einer Transportversicherung für den Fall der Erkrankung im
Ausland, weil der Vertragszweck durch Einschränkung auf die bloße - nachträgliche -
Kostenerstattungspflicht gefährdet ist.
38 Die Klausel, die nur eine Kostenerstattungspflicht für aufgewendete
Krankenrücktransportkosten vorsieht, führt zu einem faktischen Ausschluss des
Versicherungsschutzes, sobald ein Versicherungsnehmer im Ausland etwa einen
schweren Verkehrsunfall erleidet und mangels Kenntnis von medizinischen
Rückholdiensten nicht in der Lage ist, einen Krankenrücktransport selbst zu organisieren
oder ein Krankenrücktransport aus einem weiteren Land zurück nach Deutschland
erhebliche Kosten verursacht und diese von einem durchschnittlichen
Versicherungsnehmer nicht im Voraus verauslagt werden können. Für einen ärztlich
begleiteten Rücktransport in einem Spezialflugzeug entstehen ohne weiteres Kosten bis
100.000,00 EUR oder mehr.
39 Bereits bei Kosten von 1.500,00 EUR ist es einem durchschnittlichen
Versicherungsnehmer, der im Ausland einen Unfall oder sonst eine akute Krankheit
erleidet, nicht möglich, einen solchen Geldbetrag innerhalb kürzester Zeit vor Ort im
Ausland zur Verfügung zu haben. Selbst vermögende Versicherungsnehmer, die über
einen Vermögensstamm - auch über Vermögen bis zu 100.000,00 EUR - verfügen, werden
nicht innerhalb weniger Stunden oder innerhalb eines Tages über die Liquidität eines
Betrages von bis zu 100.000,00 EUR verfügen oder innerhalb einer solch kurzen Zeit eine
entsprechende Bankbürgschaft beibringen können, ungeachtet des Umstandes, ob
ausländische Banken eine solche Bankbürgschaft einer für sie fremden Bank überhaupt
entgegennehmen würden.
40 Ein Versicherungsschutz, der nur auf Kostenerstattung und auf keine Hilfe bei der
Organisation des Krankenrücktransports ausgerichtet ist, würde deshalb leerlaufen.
Anderenfalls würde das in Nr. 4.1 und 4.4 Tarif VE gegebene Leistungsversprechen der
Beklagten als Versicherer ausgehöhlt. Eine Gefährdung des Vertragszwecks liegt bereits
dann vor, wenn die Einschränkung den Versicherungsvertrag seinem Gegenstand nach
aushöhlt und in Bezug auf das zu versichernde Risiko (nahezu) zwecklos oder sinnlos
macht (vgl. BGH VersR 2013, 232 f. m.w.N.; BGH VersR 2011, 1005 Rn. 17 f.; BGH VersR
2009, 533 Rn. 19 m.w.N.; BGHZ 137, 174, 176 m.w.N.).
41 Ein ausgehöhlter Versicherungsschutz, wie hier, widerspricht aber den Geboten von Treu
und Glauben, wonach ein Versicherungsnehmer nicht unangemessen zu benachteiligen
ist, § 307 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 BGB. Die Klausel in der
Auslandskrankenrücktransportversicherung, die lediglich eine nachträgliche
Kostenerstattung des Versicherers vorsieht, ist deshalb ebenfalls unwirksam, § 306 BGB.
42 b) Der Versicherungsvertrag zwischen den Parteien ist ergänzend auszulegen.
43 Die ergänzende Vertragsauslegung ergibt, dass die Beklagte als Versicherer bei
mittelschweren und schweren Erkrankungen oder Unfällen im Ausland die Organisation
des Auslandskrankenrücktransportes schuldet und ebenso das Vorliegen einer
medizinischen Notwendigkeit und die Kostendeckungsübernahme für einen
Krankenrücktransport aus dem Ausland, der einen Betrag von 1.500,00 EUR übersteigt,
prüft.
44 Eine ergänzende Vertragsauslegung ist notwendig, weil mit der Unwirksamkeit der
Klausel Ziff. 4.1 und 4.4 des Tarifs VE der Erstattungsanspruch, der sich erst aus §§ 1, 4
Abs. 1 AVB i.V.m. Ziff. 4 Tarif VE ergibt, wegfällt. Bei ersatzlosem Wegfall der Klausel
wäre die Kostenerstattung und somit die Versicherungsleistung des Versicherers nicht
mehr vereinbart und völlig entfallen. Dispositives Gesetzesrecht steht für eine
Auslandskrankenrücktransportversicherung nicht zur Verfügung, weil die Kosten eines
Rücktransports aus dem Ausland für den Bereich der privaten Krankenversicherung
gesetzlich nicht geregelt ist. Aus diesem Grund ist es geboten, die entstandene Lücke in
den Allgemeinen Versicherungsbedingungen im Wege der ergänzenden
Vertragsauslegung zu schließen (BGHZ 117, 92 ff.). Danach kommt es darauf an, welche
Gestaltung die Parteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach
Treu und Glauben redlicherweise gewählt hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der
Klausel bekannt gewesen wäre (BGHZ 117, 92 ff.).
45 Die Berücksichtigung der Interessen beider Vertragspartner ergibt, dass der Versicherer
bei mittelschweren und schweren Erkrankungen oder Unfällen im Ausland berechtigt und
verpflichtet ist, zu prüfen, ob die medizinische Notwendigkeit für einen
Krankenrücktransport besteht und eine Deckungszusage gegenüber den spezialisierten
und regelmäßig dem Versicherungsnehmer nicht bekannten Spezialunternehmen
(Rückholdienste) zum Rücktransport von Kranken aus dem Ausland durchzuführen sowie
den Auslandskrankenrücktransport zu organisieren.
46 Im Übrigen hat die Beklagte sich vor dem Rechtsstreit nicht darauf berufen, nur eine
Kostenerstattung zu schulden. Sie hat vielmehr in der Weise, wie der Senat die
ergänzende Vertragsauslegung vorgenommen hat, die Rückholung des Klägers geprüft,
betreut und organisiert.
47 2. Die Beklagte hat die aus der ergänzenden Vertragsauslegung resultierende Pflicht, den
Rücktransport zu organisieren, für den Fall der medizinischen Notwendigkeit eines
Krankenrücktransports und der Notwendigkeit einer Kostendeckungszusage gegenüber
einem Spezialflugzeugunternehmen, nicht verletzt.
48 Als medizinisches notwendig im Sinne des Versicherungsvertrages haben die Parteien
vereinbart, dass eine ausreichende medizinische Versorgung an Ort und Stelle
beziehungsweise in zumutbarer Entfernung nicht gewährleistet ist und dadurch eine
Gesundheitsbeschädigung zu befürchten ist (Nr. 4.4 Tarif VE, Anlage K 5).
49 a) Die von der Beklagten eingesetzten Unternehmen zur Organisation oder Überprüfung
der Notwendigkeit eines Krankenrücktransportes, R. A. GmbH und M. Rückholdienst, sind
der Beklagten gem. § 278 ZPO zuzurechnen.
50 b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts unterscheidet sich der Pflichtenkatalog nicht
danach, ob die Beklagte selbst tätig wird oder Rückholdienste einschaltet.
51 c) Für die Beklagte und deren Erfüllungsgehilfen war zum Zeitpunkt nach der
orthopädischen Erst-Operation am 25.03.2009 nicht erkennbar, dass der Kläger hätte für
eine orthopädische Nach-Operation oder für eine Wundversorgung oder Ähnliches sofort
ausgeflogen werden müssen.
52 aa) Der Senat ist aufgrund der einsichtigen und plausiblen Ausführungen des
Sachverständigen Prof. Dr. med. S. davon überzeugt, dass der Kläger nach der
orthopädischen Erst-Operation am 25.03.2009 auf den Philippinen nicht ausgeflogen
werden musste, mithin keine medizinische Notwendigkeit für eine Weiterbehandlung in
Deutschland bestand. Der Kläger konnte nach der orthopädischen Erst-Operation vor Ort
einer ausreichend medizinischen Behandlung unterzogen werden. Der Kläger ist für die
von ihm behauptete Pflichtverletzung darlegungs- und beweisbelastet. Er konnte seiner
Beweislast nicht genügen, § 286 ZPO.
53 aaa) Aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. S. in
seinem schriftlichen Gutachten vom 18.07.2013 (Bl. 335 - 372) ist bereits zutreffend
festgestellt, dass nach der durchgeführten Erst-Operation vom 25.03.2009 auf den
Philippinen ein Auslandskrankenrücktransport mit einem Spezialflugzeug mit
voraussichtlichen Kosten von rund 100.000,00 EUR medizinisch nicht notwendig war.
54 … (wird ausgeführt)
55 Ein Schadensersatzanspruch nebst Nebenforderungen scheidet - unter Berücksichtigung
des Versicherungsvertrages mit der vom Senat vorgenommenen ergänzenden
Vertragsauslegung - mangels konkreter Pflichtverletzung aus.
III.
56 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
57 Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 711
S. 2 i.V.m. § 709 S. 2 ZPO.
58 Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor. Die Sache hat
keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern die Entscheidung des
Revisionsgerichts.