Urteil des OLG Stuttgart vom 07.08.2014

OLG Stuttgart: abstraktes gefährdungsdelikt, organisation, geldstrafe, gefahr, überprüfung, nacht, provokation, bewaffnung, anschluss, auflage

OLG Stuttgart Beschluß vom 7.8.2014, 2 Ss 444/14
Leitsätze
Gruppe im Sinne des § 127 StGB kann auch eine spontan gebildete Gruppierung sein, die
aufgrund ihrer inneren Struktur zu koordiniertem Handeln fähig ist.
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird die im Urteil des Amtsgerichts Ulm vom 31. März 2014
ausgesprochene Geldstrafe auf 90 Tagessätze zu je 5 Euro
h e r a b g e s e t z t .
2. Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil als
unbegründet
v e r w o r f e n .
3. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
I.
1 Das Amtsgericht Ulm verurteilte den Angeklagten am 31. März 2014 wegen Bildung
bewaffneter Gruppen zu der Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 5 Euro. Nach den
Feststellungen des Urteils hielt sich der Angeklagte in der Nacht vom 22. auf 23. März
2013 in einem von einem Mitglied der Black Jackets - einer rockerähnlichen Gruppierung -
betriebenen Prostitutionsbetrieb in U. auf, als es zu Provokationen durch die in Rivalität zu
den Black Jackets stehenden Mitglieder der Red Legions kam, die sich zu diesem
Zeitpunkt in einem gegenüberliegenden Gebäude befanden. Als sich eine Gruppe von ca.
30 Mitgliedern der Red Legions dem Prostitutionsbetrieb näherte, bewaffneten sich dort
der Präsident der U. Black Jackets, vier weitere Personen, darunter der ebenfalls zu den
Black Jackets zählende Bruder des Angeklagten, und der Angeklagte, der nicht zu den
Black Jackets gehört, gemeinsam aus dem in dem Prostitutionsbetrieb vorhandenen
Waffenarsenal, wobei u.a. der Angeklagte einen Baseballschläger und der Präsident der
Black Jackets eine geladene Pistole nahm. Anschließend stellten sich diese Personen
unter der Führung des Präsidenten der Black Jackets, der mehrere Schüsse auf die
entgegenkommenden Mitglieder der Red Legions abgab, dieser Personengruppe
entgegen, um die Macht der Black Jackets zu demonstrieren.
2 Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision. Er rügt die
Verletzung materiellen Rechts und ist der Auffassung, dass sich die Gruppe, zu der er
gehörte, spontan gebildet habe und deswegen keine Gruppe im Sinne des § 127 StGB
sei.
3 Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, wie geschehen zu erkennen.
II.
4 Die Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
5 Der Rechtsfolgenausspruch hält der auf die Sachrüge gebotenen rechtlichen Überprüfung
nicht stand. Der Senat kann jedoch ohne Zurückverweisung des Verfahrens nach § 354
Abs. 1a Satz 2 StPO eine eigene Entscheidung treffen. Im Übrigen ist die Revision des
Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils
aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben hat.
6 1. Die Feststellungen im Urteil vom 31. März 2014 tragen den Schuldspruch. Insbesondere
rechtfertigen die Urteilsfeststellungen die Annahme einer Gruppe im Sinne des § 127
StGB.
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a. Für den Begriff „Gruppe“ gibt es keine gesetzliche Definition. Nach dem Wortsinn ist
eine Gruppe - im Gegensatz zu einer bloßen Ansammlung von Einzelpersonen - eine
Mehrheit von Personen, die durch ein gemeinsames Merkmal verbunden sind und sich
insbesondere zu einem gemeinsamen Zweck zusammengeschlossen haben (so der
erfolgreiche Änderungsvorschlag des Bundesrates zum 6. StrRG, BT-Drucks 13/8587 S.
57; Leipziger Kommentar-Krauß, StGB, § 127 Rn. 6; Münchner Kommentar-Schäfer,
StGB, 2. Aufl., § 127 Rn. 10; Lenckner, Gedächtnisschrift Keller, S. 151, 156).
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Der gemeinsame Zweck war hier die gemeinsame Machtdemonstration gegenüber den
Mitgliedern der Red Legions.
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b. Aus welcher Personenzahl diese Personenmehrheit bestehen muss, um eine Gruppe
im Sinne des § 127 StGB zu sein, kann nicht allgemeingültig festgelegt werden und ist
unter Berücksichtigung des Normzwecks und nach den Umständen des Einzelfalls zu
bestimmen (LK-Krauß, a.a.O., Rn. 10; MK-Schäfer, a.a.O., Rn. 13; Lenckner, GS Keller, S.
151, 156). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers kann bereits die Zahl von drei
Personen reichen (zustimmende Stellungnahme des Bundestages zum
Änderungsvorschlag des Bundesrates, BT-Drucks. 13/8587 S. 80). Bei einer räumlich
verteilten Gruppe ist hingegen eine höhere Personenanzahl notwendig
(Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 127 Rn. 2; BeckOK-von
Heintschel-Heinegg, Ed. 23, StGB, § 127 Rn. 2).
10 Der hier festgestellte Zusammenschluss von sechs Personen reicht insoweit jedenfalls
aus.
11 c. Auch das erforderliche Mindestmaß an Organisation ist gegeben.
12 Einer militärischen Organisation der Gruppe mit Befehls- oder Kommandostrukturen
bedarf es nicht (MK-Schäfer, a.a.O., Rn. 10). Jedoch ist bei Fehlen einer räumlichen
Zusammenfassung der zugehörigen Personen ein gewisses Maß an Organisation
erforderlich, wohingegen bei einer räumlichen Versammlung der Personen ein loser
Zusammenschluss ohne besondere Organisationsform genügt (Lenckner, GS Keller, S.
151, 157; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, a.a.O., Rn. 2; Fischer, StGB, 61. Aufl., §
127 Rn. 3; LK-Krauß, a.a.O., Rn. 7). Der Zusammenschluss der Personen zu einer
Gruppe muss auch nicht auf Dauer angelegt sein (LK-Krauß, a.a.O., Rn. 8; Lenckner, GS
Keller, S. 151, 156; MK-Schäfer, a.a.O., Rn. 14; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben,
a.a.O., Rn. 2), schon das Zusammenfinden für eine einmalige Aktion reicht aus (MK-
Schäfer, a.a.O., Rn. 14; LK-Krauß, a.a.O., Rn. 8).
13 Der Senat ist mit der überwiegenden Meinung der Auffassung, dass eine Gruppe im
Sinne des § 127 StGB auch spontan gebildet werden kann (Lenckner, GS Keller, S. 151,
156; LK-Krauß, a.a.O., Rn. 8; Schönke/ Schröder/Sternberg-Lieben, a.a.O., Rn. 2; MK-
Schäfer, a.a.O., Rn. 14). Der Auffassung, reine Ad-hoc-Gruppierungen würden wegen der
fehlenden Möglichkeit, sie befehligen zu können, nicht § 127 StGB unterfallen (so
Fischer, StGB, 61. Aufl., § 127 Rn. 3; NK-Ostendorf, StGB, 4. Auflage, § 127 Rn. 8), kann
nicht gefolgt werden. Zwar ist in § 127 StGB das Befehligen als eine der möglichen
Tathandlungen genannt. Jedoch kommt es nach der Vorstellung des Gesetzgebers
gerade nicht auf einen bestimmten Grad von Organisation an (Gesetzentwurf der
Bundesregierung zum 6. StrRG, BT-Drucks. 13/8587 S. 28). Auch der Gesetzeszweck
spricht dafür, spontan gebildete Gruppierungen § 127 StGB unterfallen zu lassen. § 127
StGB schützt als abstraktes Gefährdungsdelikt den inneren Rechtsfrieden und das
staatliche Gewaltmonopol vor Gefahren, die von bewaffneten Personenmehrheiten
ausgehen (MK-Schäfer, a.a.O., Rn. 1; LK-Krauß a.a.O., Rn. 1; Schönke/Schröder/
Sternberg-Lieben, a.a.O., Rn. 1; NK-Ostendorf, a.a.O., Rn. 1). Für diese Rechtsgüter kann
aber nicht nur von organisierten Gruppierungen Gefahr ausgehen, sondern auch von
spontan gebildeten Gruppierungen, die über ein Mindestmaß an Organisation verfügen,
das zur gemeinsamen Zweckverfolgung und Aktion erforderlich ist. § 127 StGB soll das
Handeln solcher Personenmehrheiten erfassen, die aufgrund innerer Struktur,
Willensbildung oder sonstiger Umstände in der Lage sind, gezielt, abgestimmt und
einheitlich oder arbeitsteilig handelnd einen bestimmten Zweck zu verfolgen, und die so
eine höhere Gefährlichkeit im Hinblick auf die geschützten Rechtsgüter entwickeln
können als eine Mehrzahl einzeln und nicht koordiniert handelnder Personen. Eine
solche zur koordinierten Vorgehensweise befähigende innere Struktur kann sich auch
aus faktischen Autoritätsverhältnissen innerhalb der Gruppierung ergeben. Demgemäß
ist es nicht von Bedeutung, ob die zu einer solchen Handlungsweise fähige
Personenmehrheit mit festen Strukturen organisiert oder spontan gebildet ist.
14 Nach diesem Maßstab begegnet hier die Einordnung dieser auf die Provokation durch
die Mitglieder der Red Legion spontan gebildeten Gruppe als Gruppe im Sinne des § 127
StGB keinen Bedenken. Der Angeklagte hat gemeinsam mit den in den Feststellungen
genannten Personen unter Führung des Präsidenten der Black Jackets K. A. unter
gemeinsamer Bewaffnung eine solche Personenmehrheit gebildet, die sich den
gegnerischen Mitgliedern der Red Legion gemeinsam entgegengestellt hat, um die Macht
der Black Jackets zu demonstrieren.
15 2. Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Rechtsfolge halten indes rechtlicher
Überprüfung nicht stand. Das Amtsgericht hat strafschärfend gewertet, dass der
Angeklagte durch seinen bewussten Anschluss an die bewaffnete Gruppe ein erhebliches
Maß an Aggressionsbereitschaft zeigte. Damit hat es das Verbot der Doppelverwertung
gemäß § 46 Abs. 3 StGB verletzt und zu Lasten des Angeklagten einen Umstand
berücksichtigt, der bereits Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes ist. Dies ist
rechtsfehlerhaft. Die weitere Erwägung, dass der Angeklagte damit die Gefahr einer nicht
mehr kontrollierbaren gewalttätigen Auseinandersetzung heraufbeschwor, bringt hingegen
den Feststellungen entsprechend den Eintritt einer konkreten Gefährdung zum Ausdruck
und ist deswegen nicht zu beanstanden.
16 Nach § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO kann der Senat aufgrund des im Übrigen fehlerfrei und
vollständig festgestellten Strafzumessungssachverhalts eine eigene Entscheidung treffen.
Innerhalb des Strafrahmens des § 127 StGB erscheint unter Beachtung des im Urteil
geschilderten konkreten Tatablaufes, der aufgrund der Verwendung von zumindest einer
scharfen Distanzwaffe von hoher Gefährlichkeit geprägt war, eine Geldstrafe von 90
Tagessätzen angemessen. Die Tagessatzhöhe beträgt, wie vom Amtsgericht zutreffend
festgesetzt, 5 Euro.
III.
17 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 473 Abs. 1 und Abs. 4 StPO. Gemessen an dem Ziel
der Revision ist der erzielte Erfolg weniger gewichtig, so dass es nicht unbillig ist, den
Angeklagten mit den entstandenen Kosten zu belasten.