Urteil des OLG Stuttgart vom 21.05.2014

OLG Stuttgart: weisung, vollstreckung der strafe, empfehlung, übertragung, anschluss, mitarbeit, zumutbarkeit, rüge, entlassung, bestimmtheitsgebot

OLG Stuttgart Beschluß vom 21.5.2014, 4 Ws 158/14
Leitsätze
Den Unsicherheiten hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang der Verurteilte
Nachsorgemaßnahmen zur Stabilisierung der Suchtmittelabstinenz bedarf und welche Art der
Maßnahme am zweckmäßigsten erscheint, kann nicht durch eine in jeder Hinsicht offene
Weisung, die bei genauer Betrachtung nur ein Ziel, aber keine konkrete Handlungsvorgabe
enthält, Rechnung getragen werden. Vielmehr muss sich das bewährungsaufsichtsführende
Gericht die hierzu benötigten Erkenntnisse - notwendigerweise unter Mitarbeit des Verurteilten,
zu der er im Weisungswege angehalten werden darf - verschaffen, um im Anschluss hinreichend
präzise Vorgaben machen zu können, die dem Bewährungshelfer nur noch in organisatorischen
Detailfragen eine Konkretisierungsberechtigung überlassen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - 16. Große
Strafkammer - Stuttgart vom 14. April 2014 zu Ziffer 4.
a b g e ä n d e r t
und wie folgt
neu gefasst
4. Der Verurteilte wird angewiesen, bis spätestens 29. August 2014 Kontakt zu einer der
nachgenannten Suchtberatungsstellen aufzunehmen, dort mindestens drei Beratungsgespräche
durchzuführen, dem bewährungsaufsichtsführenden Gericht deren Durchführung nachzuweisen
und ihm darüber hinaus eine Stellungnahme der Suchtberatungsstelle zu der Frage vorzulegen,
welche Nachsorgemaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Suchtmittelabstinenz des Verurteilten
zweckmäßig erscheinen, wie diese - insbesondere hinsichtlich der Frequenz / Häufigkeit -
ausgestaltet sein und bis zu welchem Zeitpunkt sie voraussichtlich andauern sollten:
… (es folgen sechs konkret benannte Suchtberatungsstellen)
Weitergehende Weisungen in Bezug auf Nachsorgemaßnahmen zur Erhaltung der
Suchtmittelabstinenz für den Bewährungszeitraum nach dem 29. August 2014 bleiben
ausdrücklich vorbehalten.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels; allerdings wird die Gerichtsgebühr
um ein Drittel ermäßigt.
Gründe
I.
1 Der Beschwerdeführer wurde am 4. November 2011 vom Landgericht Stuttgart wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen
und wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren drei Monaten verurteilt. Im Urteil wurde
festgestellt, dass er die Taten aufgrund einer eigenen Betäubungsmittelabhängigkeit
beging. Nach teilweiser Vollstreckung der Strafe und Zurückstellung der weiteren
Strafvollstreckung gem. § 35 BtMG absolvierte der Verurteilte im Zeitraum vom 8. Juli bis
18. Dezember 2013 eine stationäre Drogenentwöhnungsbehandlung in der Fachklinik V.,
die er regulär beendete.
2 Mit Beschluss vom 14. April 2014 hat das Landgericht Stuttgart die Reststrafe gem. § 36
Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung ausgesetzt, eine dreijährige Bewährungszeit
festgesetzt, den Verurteilten der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt
und ihn angewiesen, jeden Wohnsitzwechsel unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen.
Darüber hinaus hat die Kammer unter Ziffer 4. folgende Anordnung getroffen:
3
„Der Verurteilte hat sich nach näherer Weisung seines Bewährungshelfers einer
ambulanten Drogentherapie-Nachsorgebehandlung zu unterziehen oder sich einer
geeigneten Selbsthilfegruppe anzuschließen und dort regelmäßig teilzunehmen.
Nachweise hierüber sind dem Bewährungshelfer unaufgefordert vorzulegen.“
4 Mit seiner „sofortigen Beschwerde“ wendet sich der Verurteilte gegen diese Anordnung
und beantragt ihre ersatzlose Aufhebung.
II.
5 Da der Verurteilte lediglich die Ausgestaltung der ihm gewährten Strafaussetzung angreift,
ist das Rechtsmittel gemäß § 300 StPO als (einfache) Beschwerde im Sinne des § 304
Abs. 1 StPO zu qualifizieren. Diese ist gemäß §§ 36 Abs. 5 Satz 4 BtMG, 454 Abs. 4 Satz
1, 453 Abs. 2 Satz 1 StPO statthaft, in der Sache jedoch nur teilweise begründet. Die
angegriffene Bewährungsanordnung konnte in ihrer bisherigen Fassung mangels
hinreichender Bestimmtheit keinen Bestand haben. Sie war - entgegen dem Antrag auf
ersatzlose Aufhebung - entsprechend der erkennbaren und nicht zu beanstandenden
Zielrichtung der vom Landgericht formulierten Bewährungsweisung neu zu fassen.
6 1. Gemäß §§ 36 Abs. 5 Satz 4 BtMG, 454 Abs. 4 Satz, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann die
angefochtene Entscheidung lediglich auf ihre Gesetzeswidrigkeit überprüft werden. Eine
solche ist gegeben, wenn die gerichtliche Anordnung im Gesetz nicht vorgesehen,
unverhältnismäßig, unzumutbar oder zu unbestimmt ist (KG Berlin, Beschluss vom 11. Juli
2000 – 1 AR 791/00 - 5 Ws 501/00, 1 AR 791/00, 5 Ws 501/00 –, juris, mwN.) bzw. wenn
das eingeräumte Ermessen überschritten wurde (Meyer-Goßner, StPO, 57. Auflage, § 453
Rn. 12 mwN.). Eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Entscheidung der Strafkammer
findet im Beschwerdeverfahren hingegen nicht statt.
7 Die Anordnung, wonach sich der Verurteilte einer ambulanten Drogentherapie-
Nachsorgebehandlung zu unterziehen oder einer geeigneten Selbsthilfegruppe
anzuschließen hat, stützt sich auf § 56c Abs. 1 Satz 1 StGB. Es handelt sich unzweifelhaft
um eine Weisung, die spezialpräventiv darauf abzielt, den Verurteilten durch weitere
Stabilisierung seiner Suchtmittelabstinenz zu einem straffreien Leben anzuhalten, und
somit keine unzulässigen Ziele ohne Resozialisierungsbezug verfolgt. Ein
Einwilligungserfordernis nach § 56c Abs. 3 StGB besteht nicht. Aus den Gründen der
Entscheidung ergibt sich, dass sich die Kammer bei der Anordnung von einer
ausdrücklichen Empfehlung der Therapieeinrichtung leiten ließ. Ermessensfehlerhafte
Erwägungen sind insoweit nicht ersichtlich und auch nicht dargetan. Vielmehr legen der
langjährige intensive Konsum von verschiedenartigen Betäubungsmitteln, der - wie in der
verfahrensgegenständlichen Verurteilung festgestellt - zur Begehung schwerer Straftaten
geführt hat, und das angesichts der ausgesprochen problembehafteten Vergangenheit und
Lebensverhältnisse des Verurteilten auf der Hand liegende Rückfallrisiko nahe,
entsprechende Vorsorgemaßnahmen im Rahmen der Bewährungsgestaltung zu ergreifen.
Worauf sich die Einschätzung des Verurteilten, er müsse sich keiner
Nachsorgebehandlung unterziehen, stützt, wird in der Beschwerde nicht ausgeführt.
Soweit er sich auf die Meinung „seiner Therapeutin“ beruft, bleibt vollkommen unklar, wer
damit gemeint ist. Sollte es sich um eine Therapeutin aus der Fachklinik V. handeln, steht
die Beschwerdebehauptung in eindeutigem Widerspruch zum Entlassungsbericht vom 11.
März 2014. Dass sich der Verurteilte nach seiner Entlassung bereits in eine ambulante
Nachsorge begeben hätte mit dem Ergebnis, die Empfehlung der Therapieeinrichtung
wäre nunmehr überholt, trägt er jedenfalls nicht vor, geschweige denn, dass er Belege
hierzu vorgelegt hätte. Damit lässt sich dem pauschalen Vortrag, eine
Nachsorgebehandlung sei aus Sicht der Therapeutin überflüssig, keine inhaltliche
Substanz, die über eine - allerdings unbeachtliche - Rüge der Unzweckmäßigkeit der
Anordnung hinausginge, entnehmen. Bedenken hinsichtlich der Zumutbarkeit des
angewiesenen Verhaltens ergeben sich nicht.
8 2. In der vom Landgericht Stuttgart vorgenommenen Fassung entspricht die Weisung
jedoch nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot, dem insbesondere im
Zusammenhang mit Weisungen nach § 56c Abs. 1 StGB freiheitsgewährleistende
Funktion zukommt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 24. September 2011 –
2 BvR 1165/11 –, juris). Bewährungsweisungen müssen klar, bestimmt und in ihrer
Einhaltung überprüfbar sein, um einem Verurteilten unmissverständlich vor Augen zu
führen, wann ihm der Widerruf der Strafaussetzung droht, und um Weisungsverstöße
einwandfrei feststellen zu können (OLG Frankfurt, Beschluss vom 07. Mai 2003 – 3 Ws
528/03 –, juris). Die inhaltliche Ausgestaltung von Bewährungsweisungen und -auflagen
ist dem Gericht übertragen. In Bezug auf angewiesene Heilbehandlungen hat der Richter
möglichst präzise zu bestimmen, welche Maßnahme durchgeführt werden soll sowie in
welcher Einrichtung und innerhalb welchen Zeitraums die Behandlung zu erfolgen hat
(OLG Rostock, Beschluss vom 06. Dezember 2011 – I Ws 373/11 –, juris, mwN.). Ebenso
bedarf es hinsichtlich der Häufigkeit der wahrzunehmenden Termine einer näheren
Ausgestaltung der Weisung durch das Gericht (OLG Frankfurt, Beschluss vom 07. Mai
2003 – 3 Ws 528/03 –, juris). Soweit die Behandlungsdauer zum Zeitpunkt der Anordnung
noch nicht bestimmbar ist, hat das Gericht einen Prüfungstermin festzulegen, an welchem
der Richter über den Fortbestand der Weisung zu entscheiden hat (OLG Rostock aaO.).
Die Übertragung der Ausgestaltung dieser Vorgaben auf Dritte - sei es auf einen
Bewährungshelfer oder einen Therapeuten - verbietet sich angesichts des bei einem
Weisungsverstoß drohenden Bewährungswiderrufs und Freiheitsentzugs (BVerfG aaO.;
OLG Frankfurt aaO.; OLG Dresden, Beschluss vom 06. September 2007 – 2 Ws 423/07 –,
juris). Lediglich gewisse Konkretisierungen, die bei Beschlussfassung im Hinblick auf
organisatorische Gegebenheiten oder Flexibilitätserfordernisse des Verurteilten nicht
sinnvoll praktikabel festgelegt werden können, dürfen dem Bewährungshelfer überlassen
bleiben.
9 Diesen Vorgaben wird die vom Landgericht Stuttgart gewählte Fassung der Weisung in
mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die Kammer hat schon die Festlegung der Art der vom
Verurteilten erwarteten Maßnahme und damit den Kern der Weisung auf den
Bewährungshelfer übertragen. Dabei wird auch nicht hinreichend deutlich, was sie unter
einer „ambulanten Drogentherapie-Nachsorgebehandlung“ verstanden wissen will. Zur
Einrichtung, bei der die Maßnahme durchgeführt werden soll, und zu ihrer Dauer verhält
sich die gerichtliche Anordnung allenfalls insoweit, als entsprechende Vorgaben ebenfalls
der näheren Weisung durch den Bewährungshelfer anheimgestellt werden. Ebenso wenig
ist die angewiesene „regelmäßige“ Teilnahme an der Maßnahme hinreichend bestimmt.
Den Unsicherheiten hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang der Verurteilte ca. fünf
Monate nach Beendigung der stationären Entwöhnungsbehandlung
Nachsorgemaßnahmen zur Stabilisierung der Suchtmittelabstinenz bedarf und welche Art
der Maßnahme am zweckmäßigsten erscheint, kann nicht durch eine in jeder Hinsicht
offene Weisung, die bei genauer Betrachtung nur ein Ziel, aber keine konkrete
Handlungsvorgabe enthält, Rechnung getragen werden. Vielmehr muss sich das
bewährungsaufsichtsführende Gericht die hierzu benötigten Erkenntnisse -
notwendigerweise unter Mitarbeit des Verurteilten, zu der er im Weisungswege angehalten
werden darf - verschaffen, um im Anschluss hinreichend präzise Vorgaben machen zu
können, die dem Bewährungshelfer nur noch in organisatorischen Detailfragen eine
Konkretisierungsberechtigung überlassen.
10 3. Da trotz unbestimmter Formulierung die Zielrichtung der vom Landgericht erteilten
Weisung offen zu Tage tritt und auch ausreichend angedeutet ist, auf welchem Weg die
Kammer dieses Ziel weiterverfolgt wissen will, konnte der Senat - ohne Eingriff in die
Ermessenshoheit des bewährungsaufsichtsführenden Gerichts - eine Neufassung der
Weisung selbst vornehmen. Die Unbestimmtheit der bisherigen Fassung und die
unzulässige Übertragung der Konkretisierung auf den Bewährungshelfer beruhen
ersichtlich auf den dargestellten Unsicherheiten in Bezug auf Art und Ausgestaltung
geeigneter Nachsorgemaßnahmen. Um diese auszuräumen, bestehen zu der vom Senat
vorgenommenen Weisungsgestaltung keine grundsätzlichen Vorgehensalternativen. Die
nunmehrige Weisung stellt lediglich ein Weniger hinsichtlich des Regelungszeitraums und
der Handlungsvorgabe dar. Eine bloße Aufhebung der Weisung zum Zwecke der
Neufassung durch das Landgericht entsprechend den Vorgaben der
Beschwerdeentscheidung erscheint angesichts des Umstands, dass zunächst die
Rahmenbedingungen für die eigentliche Maßnahme mit Resozialisierungszweck
festgestellt werden müssen und dem damit verbundenen weiteren Zeitablauf, nicht
sachgerecht. Die getroffenen Festsetzungen sind aus Sicht des Senats geboten, um eine
Beurteilungsgrundlage für eine weitergehende Weisung zu erlangen.
III.
11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 StPO; die Abänderung
der angegriffenen Weisung stellt nur einen in entsprechendem Umfang zu
berücksichtigenden Teilerfolg der Beschwerde dar. Hierbei war einerseits dem Umstand
Rechnung zu tragen, dass die vorgenommene Neufassung hinsichtlich ihres
Regelungszeitraums erheblich hinter der bisherigen Anordnung zurücksteht. Andererseits
eröffnet sich erst durch die Abänderung die Möglichkeit, die Weisung als Grundlage für
einen Bewährungswiderruf heranziehen zu können. Im Übrigen handelt es sich bei dem
verkürzten Regelungszeitraum aller Voraussicht nach nur um einen vorläufigen Erfolg, da
nach dessen Ablauf mit einer - nunmehr hinreichend bestimmten - Weisung in Bezug auf
konkret zu absolvierende Nachsorgemaßnahmen zu rechnen ist. Im Hinblick hierauf
erschien es - nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass das eigentliche
Beschwerdevorbringen ersichtlich neben der Sache lag - nicht unbillig, von einer auch nur
teilweisen Übernahme der notwendigen Auslagen durch die Staatskasse abzusehen.