Urteil des OLG Stuttgart vom 11.11.2013

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OLG Stuttgart Urteil vom 11.11.2013, 102 U 1/13
Leitsätze
Wenn eine generelle Regelung, wonach Grundstücksangelegenheiten in nichtöffentlicher
Sitzung des Gemeinderats zu behandeln sind, fehlt, hat ein Gemeinderat grundsätzlich in
öffentlicher Sitzung über die Ausübung eines Vorkaufsrechts und den zu zahlenden Betrag zu
verhandeln und zu beschließen.
Entscheidet der Gemeinderat in nichtöffentlicher Sitzung, hat die Gemeinde im Prozess die
besonderen Umstände darzulegen und zu beweisen, die den Ausschluss der Öffentlichkeit im
konkreten Fall gerechtfertigt haben.
Tenor
1. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30. Januar
2013, Az. 50 O 9/12 Baul., wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollsteckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrags leistet.
Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30. Januar 2013, Az. 50 O 9/12 Baul., ist ohne
Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwerte für I. und II. Instanz: jeweils 39.000,00 EUR
Gründe
I.
1 Die Antragsgegnerin, eine Gemeinde mit 9.300 Einwohnern, hat von ihrem durch Satzung
vom 28.07.2009 geschaffenen Vorkaufsrecht nach § 25 BauGB im Hinblick auf einen
Kaufvertrag zwischen dem Antragsteller und dem Käufer Gebrauch gemacht und den
Kaufpreis anstatt der vereinbarten 48.000,00 EUR auf 9.000,00 EUR festgesetzt. Dagegen
wendet sich der Verkäufer.
2 Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Antragsgegnerin ihr Vorkaufsrecht rechtzeitig
ausgeübt hat und der Beschluss über die Ausübung des Vorkaufsrechts im Gemeinderat
der Antragsgegnerin in nichtöffentlicher Sitzung rechtmäßig war sowie ob der
Bürgermeister das Vorkaufsrecht als Geschäft der laufenden Verwaltung ausgeübt hat.
Bezüglich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes I. Instanz wird auf den Tatbestand
des angefochtenen Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 30.01.2013, Az. 50 O 9/12
Baul., verwiesen.
3 Mit diesem Urteil hat das Landgericht Stuttgart dem Antrag auf Aufhebung des Bescheids
der Antragsgegnerin über die Ausübung des Vorkaufsrechts stattgegeben. Es könne
dahingestellt bleiben, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts fristgemäß zugestellt wurde.
Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei rechtswidrig, weil darüber vom Gemeinderat der
Antragsgegnerin in nichtöffentlicher Sitzung beraten und beschlossen worden sei, obwohl
nach § 35 Abs. 1 S. 1 GemO die Sitzungen des Gemeinderats grundsätzlich öffentlich
seien. Die berechtigten Interessen der Vertragsparteien hätten eine nichtöffentliche
Sitzung nicht erfordert. Insbesondere hätten solche Interessen der Vertragsparteien an
einem Ausschluss der Öffentlichkeit nicht unterstellt werden dürfen.
4 Die Antragsgegnerin könne sich nicht darauf berufen, der Bürgermeister habe die
Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts selbst treffen können. Die
Entscheidung sei hier dem Gemeinderat überlassen worden, weshalb dieser die
Formvorschriften der Gemeindeordnung habe einhalten müssen. Der Bürgermeister habe
dessen Entscheidung nur exekutiert. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
5 Dagegen wendet sich die Berufung der Antragsgegnerin. Der Bescheid der
Antragsgegnerin über die Ausübung des Vorkaufsrechts sei dem Antragsteller innerhalb
der 2-Monats-Frist des § 28 Abs. 2 BauGB ordnungsgemäß zugestellt worden. Durch die
Angabe einer Postadresse, welche über keinen Briefkasten verfüge, habe er den Zugang
vereitelt und könne sich nicht darauf berufen, dass ihm der streitgegenständliche Bescheid
nicht innerhalb der Ausübungsfrist bekanntgegeben worden sei.
6 Der Gemeinderat habe angesichts der vielfältigen Einzelheiten des Kaufvertrags, die
einen erheblichen Einblick in die persönliche Sphäre der Vertragsbeteiligten gäben, wie
künftige Nutzungsabsicht, Preis- und Zahlungsmodalitäten, in nichtöffentlicher Sitzung
über die Ausübung des Vorkaufsrechts verhandeln dürfen. Der Bürgermeister habe vorab
bei den Verfahrensbeteiligten ihr Interesse an einer Geheimhaltung der
Vertragsmodalitäten abfragen können, aber nicht müssen. So habe das
Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Kaufverträge über Grundstücke jedenfalls
zu den Angelegenheiten gehören, deren vertrauliche Behandlung im Interesse der
Vertragspartner in Frage komme.
7 Im Übrigen komme es auf die Wirksamkeit der Beschlussfassung des Gemeinderats nicht
an, weil der Bürgermeister persönlich berechtigt gewesen sei, über die Ausübung des
Vorkaufsrechts im Rahmen der laufenden Verwaltung zu entscheiden. Der Bürgermeister
sei ausweislich der Hauptsatzung berechtigt, alleine über die Ausübung von
Vorkaufsrechten im Wert bis zu 30.000,00 DM zu entscheiden. Als neues unstreitiges
Vorbringen nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung I. Instanz sei dieser
Vortrag auch in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen. Da es sich um ein Geschäft der
laufenden Verwaltung gehandelt habe, sei der Beschluss des Gemeinderats angesichts
der Kompetenzverteilung in der Hauptsatzung rechtswidrig. Nachdem der Bürgermeister
jedoch diesem Beschluss nicht widersprochen habe, habe er sich den Beschluss des
Gemeinderats zu eigen gemacht. Das Landgericht nehme daher zu Unrecht an, dass der
Bürgermeister die Entscheidung nicht selber habe treffen wollen. Nachdem im Rahmen
des auszuübenden Vorkaufsrechts für das zu erwerbende Grundstück ein Kaufpreis in
Höhe von 9.000,00 EUR angesetzt worden sei, liege eine rechnerische durchschnittliche
Kostenverteilung von 1,00 EUR pro Einwohner der Antragsgegnerin vor, weshalb von
einem Geschäft der laufenden Verwaltung auszugehen sei.
8 Die Antragsgegnerin beantragt,
9
unter Abänderung des am 30.01.2013 verkündeten Urteils des Landgerichts Stuttgart
(Az.: 50 O 9/12), den Antrag auf Aufhebung des Bescheids der Antragsgegnerin vom
01.09.2011 über die Ausübung des Vorkaufsrechts zum Kaufvertrag vom 29.06.2011
(UR. Nr. X/X beim Notariat G.) zurückzuweisen.
10 Der Antragsteller beantragt,
11 die Berufung zurückzuweisen.
12 Die Ausübung eines städtebaulichen Vorkaufsrechts habe hier eine Beratung und
Entscheidung in öffentlicher Sitzung erfordert. Berechtigte Interessen Einzelner seien dem
nicht entgegengestanden. Allein der Kaufpreis habe keine Rückschlüsse auf
Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Vertragsparteien zugelassen. Zu der
geplanten Nutzung des Grundstücks fänden sich im Kaufvertrag keine Angaben. Da nicht
unterstellt werden dürfe, berechtigte Interessen des Verkäufers oder Käufers erforderten
den Ausschluss der Öffentlichkeit, habe bei den Vertragsbeteiligten angefragt werden
müssen, ob berechtigte Interessen den Ausschluss der Öffentlichkeit erforderten. Dies sei
unterblieben. Es habe daher beim Grundsatz der Öffentlichkeit der Sitzung des
Gemeinderats verbleiben müssen. Die Frage des Ausschlusses der Öffentlichkeit der
Gemeinderatssitzung richte sich ausschließlich nach § 35 Abs. 1 S. 2 GemO und nicht
nach § 24 BauGB, der dazu keine Regelung enthalte.
13 Die Ausübung des Vorkaufsrechts falle nicht in die Zuständigkeit des Bürgermeisters nach
§ 44 GemO. Es gehöre nicht zu den Geschäften der laufenden Verwaltung. Unabhängig
von der finanziellen Bedeutung des Vorkaufsrechts habe es nach Art und Inhalt eine
grundsätzliche Bedeutung, weil es dabei gerade im Geltungsbereich einer
Vorkaufsrechtssatzung um grundlegende Fragen der städtebaulichen Entwicklung gehe.
Die Ausübung gesetzlicher Vorkaufsrechte komme selten vor; es handle sich um
außerordentliche Geschäfte. Die Begründung der Ausübung des Vorkaufsrechts, wonach
dadurch die Beseitigung der vorhandenen Gemengelage mitten im Ortskern und eine
geordnete städtebauliche Entwicklung hin zu Dienstleistung, Nahversorgung und Wohnen
erreicht werden solle, zeige, dass es sich hier um eine zentrale und grundlegende Frage
der städtebaulichen Entwicklung handle, die nicht zu den Geschäften der laufenden
Verwaltung zähle. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei dem Bürgermeister auch nicht
nach § 44 Abs. 2 S. 2 GemO übertragen. Die Übertragung beziehe sich nur auf
vertragliche Vorkaufsrechte. Die Wertgrenze von 15.000,00 EUR sei überschritten,
nachdem im Kaufvertrag ein Kaufpreis von 48.000,00 EUR vereinbart worden sei.
Maßgebend sei nicht der von der Antragsgegnerin festgelegte Kaufpreis von 9.000,00
EUR, sondern der vertraglich vereinbarte Kaufpreis. Bei einem Verfehlen des
Verkehrswerts bestehe für die Gemeinde bei Ausübung des preislimitierten Vorkaufsrechts
von vornherein die Gefahr, dass der Kaufpreis auf den vertraglich vereinbarten Wert
heraufgesetzt werde. Der Gemeinderat habe über die Ausübung des Vorkaufsrechts und
die Preislimitierung in zwei gesonderten Beschlüssen entschieden. Damit sei über die
grundsätzliche erste Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts die Wertgrenze
aus § 5 Abs. 2 Nr. 2.8 der Hauptsatzung in jedem Fall überschritten worden.
14 Selbst wenn die Ausübung des Vorkaufsrechts auf den Bürgermeister übertragen worden
sei, habe der Gemeinderat die Angelegenheit mit seinem Beschluss vom 18.08.2011
wieder an sich gezogen. Da kein Geschäft der laufenden Verwaltung vorliege, habe die
Übertragung jederzeit widerrufen werden können.
15 Bereits mit der Antragsschrift sei vorgetragen, dass die Gemeinde keine ausreichenden
Planungsvorstellungen gehabt habe, sondern in ihrem Satzungsbeschluss über die
Vorkaufsrechtssatzung vom 28.07.2009 nur einen städtebaulichen Konflikt bezeichnet
habe. Auch im Aufstellungsbeschluss für das Plangebiet vom 20.07.2007 heiße es nur
lapidar, Art und Maß der baulichen Nutzung würden im weiteren Bebauungsplanverfahren
konkretisiert werden, was für die Konkretisierung positiver Planungsziele nicht ausreiche.
Die nicht konkretisierte Planung habe eine Veränderungssperre und auch eine
Vorkaufsrechtssatzung nicht gerechtfertigt.
16 Das Vorkaufsrecht sei nicht innerhalb der 2-Monats-Frist ausgeübt worden, da der
Ausübungsbescheid dem Antragsteller erst am 12.09.2011 zugegangen sei. Die
Antragsgegnerin habe die für die Zustellung im Ausland maßgeblichen Regelungen des §
10 LVwZG außer Acht gelassen. Der Einwand, der Antragsteller habe den Zugang
vereitelt, weil er an seiner Postadresse über keinen Briefkasten verfüge, greife nicht durch,
weil die Antragsgegnerin keine zulässige Form der Zustellung veranlasst habe.
17 Der Käufer habe das Vorkaufsrecht nach § 27 Abs. 1 BauGB dadurch abgewendet, dass
er sich verpflichtet habe, das Grundstück für Wohnzwecke zu nutzen und dabei die
vorhandenen Parkflächen zu erhalten.
18 Die Herabsetzung des Kaufpreises nach § 28 Abs. 3 S. 1 BauGB auf 9.000,00 EUR sei
rechtswidrig, weil nach dem Entwurf des Bebauungsplans der Antragsgegnerin eine
Festsetzung als Kerngebiet nach § 7 BauNVO vorgesehen sei und dies angesichts der
Bodenrichtwerttabelle des Gutachterausschusses mindestens einen Wert von 60,00 EUR
pro m² bis 90,00 EUR pro m² rechtfertige, während die Antragsgegnerin nur einen Wert
von 30,00 EUR pro m² angesetzt habe. Da auf dem Grundstück eine Wohnnutzung
zulässig sei, müsse ein Bodenrichtwert von 65,00 EUR pro m² bis 130,00 EUR pro m²
angesetzt werden. Zuzüglich eines Restwerts des Gebäudes und abzüglich der
geschätzten Entsorgungskosten verbleibe ein Wert von 39.000,00 EUR.
19 Der Käufer beantragt,
20 die Berufung zurückzuweisen.
21 Das Landgericht habe zu Recht den nach der letzten mündlichen Verhandlung gehaltenen
Vortrag zum Handeln des Bürgermeisters in eigener Verantwortung nicht berücksichtigt
und die mündliche Verhandlung nicht wieder eröffnet. Der Bürgermeister habe sich zu
keinem Zeitpunkt auf eine Entscheidung in eigener Kompetenz berufen. Der Gemeinderat
sei mit der Sache aufgrund eigener Zuständigkeit befasst gewesen. Für die Ausübung des
Vorkaufsrechts sei bei kleinen und mittleren Gemeinden immer der Gemeinderat wegen
der Bedeutung der Sache, der Häufigkeit des Auftretens und des Zusammenhangs mit der
städtebaulichen Gemeindeentwicklung zuständig. Im Hinblick auf die Haushaltsrelevanz
sei bei der Ausübung des Vorkaufsrechts vom Kaufpreisbetrag von 48.000,00 EUR und
damit nicht vom vermeintlichen Verkehrswert von 9.000,00 EUR, sondern vom möglichen
tatsächlichen Wert des Erwerbsobjekts, der durch den Kaufpreis bestimmt und begrenzt
werde, auszugehen. Wenn der Bürgermeister dennoch habe selbst handeln wollen, liege
ein Verstoß gegen die sachliche Zuständigkeit vor. Gemäß der Rechtsprechung des
Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs sei der Verstoß gegen die
erforderliche Öffentlichkeit der Entscheidung des Gemeinderats eindeutig. Die
detektivischen Bemühungen der Mitarbeiter der Antragsgegnerin könnten nur dann von
Belang sein, wenn die Zustellung im Ausland auf dem dafür vorgesehenen und dann
eingeschlagenen Weg nicht funktioniert habe.
II.
22 Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist aus den zutreffenden Erwägungen des
Landgerichts im Urteil vom 30.01.2013 unbegründet.
1.
23 Die Antragsgegnerin hat in den Gemeinderatsbeschlüssen vom 16.08.2011 nicht nur von
ihrem gemeindlichen Vorkaufsrecht nach § 28 Abs. 2 BauGB Gebrauch gemacht, sondern
auch die Ausübung des Vorkaufsrechts zum ortüblichen Verkehrswert nach § 28 Abs. 3
BauGB beschlossen. Über die Ausübung des Vorkaufsrechts und die Ausübung des
Vorkaufsrechts zu einem ortsüblichen Verkehrswert von 9.000,- EUR wurde getrennt
abgestimmt. Ob die Baulandgerichte nach § 217 Abs. 1 S. 1 BauGB iVm § 28 Abs. 3
BauGB nur die Festsetzung des zu zahlenden Betrags zu überprüfen haben oder sie als
Annex zur Entscheidung über die Höhe des Vorkaufsrechts auch zur Entscheidung über
die Wirksamkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 28 Abs. 2 BauGB zuständig
sind, ist im Berufungsverfahren gemäß § 17a Abs. 5 GVG nicht mehr von Belang.
2.
24 Zutreffend hat das Landgericht die Ausübung des Vorkaufsrechts (§ 28 Abs. 2 BauGB)
durch die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 1.09.2011 als rechtswidrig angesehen, weil
entgegen dem Grundsatz des § 35 Abs. 1 S. 1 GemO über die Ausübung des
Vorkaufsrechts durch den Gemeinderat in nichtöffentlicher Sitzung verhandelt und
entschieden wurde.
a)
25 Auch wenn das Vorkaufsrecht nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB durch Verwaltungsakt
auszuüben ist, war der Gemeinderat das für die Entscheidung über die Ausübung des
Vorkaufsrechts zuständige Organ der Antragsgegnerin, weil die Ausübung des
Vorkaufsrechts und die Bestimmung des zu zahlenden Betrags keine Geschäfte der
laufenden Verwaltung waren, die gemäß § 44 Abs. 2 S. 1 GemO in die Zuständigkeit des
Bürgermeisters fallen.
26 Dem steht schon der Wert der Ausübung des Vorkaufsrechts entgegen. Der Antragsteller
und der Käufer hatten einen Kaufpreis in Höhe von 48.000,00 EUR vereinbart. Die
Ausübung des Vorkaufsrechts und die Herabsetzung des von der Antragsgegnerin zu
zahlenden Betrags auf 9.000,00 EUR brachten die Gefahr mit sich, dass die
Antragsgegnerin vom Antragsteller mit der Begründung, der Verkehrswert entspreche dem
vereinbarten Kaufpreis, auf Zahlung in Anspruch genommen werden würde. Welchen
Verkehrswert das streitgegenständliche Grundstück tatsächlich hat, hätte dann durch
Sachverständigengutachten in einem Gerichtsverfahren abgeklärt werden müssen, was für
die Antragsgegnerin ein Haftungsrisiko über die zugestandenen 9.000,00 EUR hinaus von
bis zu 39.000,00 EUR ergeben hätte. Nach der Hauptsatzung der Antragsgegnerin sind
dem Bürgermeister Grundstücksgeschäfte bis zu einem Wert von rund 15.000,00 EUR (=
30.000,00 DM) gestattet. Daraus ist zu schließen, dass für die Antragsgegnerin jedenfalls
Geschäfte mit einem darüber hinausgehenden Wert nicht zu den Geschäften der
laufenden Verwaltung gehören.
27 Neben der finanziellen Bedeutung spricht insbesondere die sachliche Bedeutung der
Ausübung des Vorkaufsrechts gegen ein Geschäft der laufenden Verwaltung. Die
Ausübung des Vorkaufsrechts bedarf einer sorgfältigen Abwägung der Interessen des
öffentlichen Wohls und der Interessen des Einzelnen im Rahmen der Planung und
Bodenpolitik. Dieses Ergebnis hebt eine solche Entscheidung aus den Geschäften der
laufenden Verwaltung heraus und zwingt mindestens bei kleinen und mittleren
Gemeinden in der Regel zu einer Beschlussfassung des unmittelbar willensbildenden
Organs (BGH, NJW 1960, 1805, 1806).
b)
28 Die Sitzungen des Gemeinderats sind grundsätzlich öffentlich (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GemO).
Die Öffentlichkeit der Sitzungen des Gemeinderats gehört zu den wesentlichsten
Grundsätzen der Gemeindeverwaltung. Sie hat die Funktion, dem Gemeindebürger
Einblick in die Tätigkeit der Vertretungskörperschaften und ihrer einzelnen Mitglieder zu
ermöglichen und dadurch eine auf eigener Kenntnis und Beurteilung beruhende
Grundlage für eine sachgerechte Kritik sowie die Willensbildung zu schaffen, den
Gemeinderat der allgemeinen Kontrolle der Öffentlichkeit zu unterziehen und dazu
beizutragen, der unzulässigen Einwirkung persönlicher Beziehungen, Einflüsse und
Interessen auf die Beschlussfassung des Gemeinderats vorzubeugen (VGH Baden-
Württemberg, Urteil vom 18.06.1980, II 503/79, zitiert nach juris Rn. 21 = Die Justiz 1981,
233). Der Grundsatz der Öffentlichkeit gilt namentlich auch für Sitzungen des
Gemeinderates, in denen über die Ausübung eines Vorkaufsrechts gemäß §§ 24 f. BauGB
zu verhandeln und zu beschließen und in denen u.a. auch die Frage zu prüfen ist, ob die
Ausübung durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (§ 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB,
der für Vorkaufsrechte nach § 25 BauGB entsprechend gilt; VGH Baden-Württemberg
aaO).
29 Vorliegend bestand objektiv kein Anlass, von dem Grundsatz der Öffentlichkeit der
Sitzungen des Gemeinderats eine Ausnahme zu machen. Nichtöffentlich darf nämlich nur
verhandelt werden, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner
erfordern; über Gegenstände, bei denen diese Voraussetzungen vorliegen, muss
nichtöffentlich verhandelt werden (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GemO).
30 Berechtigte Interessen Einzelner im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 2 GemO können rechtlich
geschützte oder sonstige schutzwürdige Interessen sein. Sie erfordern den Ausschluss der
Öffentlichkeit in der Gemeinderatssitzung, wenn im Verlauf der Sitzung persönliche oder
wirtschaftliche Verhältnisse zur Sprache kommen können, an deren Kenntnisnahme
schlechthin kein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit bestehen kann und deren
Bekanntgabe dem Einzelnen nachteilig sein könnte (VGH Baden-Württemberg aaO Rn.
21 bis 24; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.08.1990, 3 S 132/90, zitiert nach
juris Rn. 27 ff. = NVwZ 1991, 284).
aa)
31 Eine generelle Regelung, wonach Grundstücksangelegenheiten in nichtöffentlicher
Sitzung des Gemeinderats zu behandeln sind, besteht für Baden-Württemberg und die
Antragsgegnerin nicht (insoweit abweichend für Rheinland-Pfalz BVerwG, Beschluss vom
15.03.1995, 4 B 33/95, zitiert nach juris Rn. 6 = NVwZ 1995, 897). Kaufverträge über
Grundstücke und damit auch die Ausübung von Vorkaufsrechten im Hinblick auf
Grundstücke gehören zu den Angelegenheiten, deren vertrauliche Behandlung im
Interesse der Vertragspartner in Frage kommt (BVerwG aaO). Nachdem eine generelle
Regelung für Baden-Württemberg fehlt, ist nach den Umständen des Einzelfalls
festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 S. 2 GemO vorliegen und eine
Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung rechtfertigen.
bb)
32 Die Offenlegung des Kaufpreises des Kaufvertrags zwischen dem Antragsteller und dem
Käufer begründet kein berechtigtes Interesse an einer Verhandlung und Beschlussfassung
des Gemeinderats über die Ausübung eines Vorkaufsrechts in nichtöffentlicher Sitzung
(vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.06.1981, Az. 3 S 271/81, zitiert nach juris).
Der notarielle Kaufvertrag vom 29.06.2011 enthält nichts, was im Interesse der
Vertragsparteien vor der Öffentlichkeit geheim zu halten gewesen wäre und was zu einer
nachteiligen Offenlegung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse hätte
führen können. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Höhe des Kaufpreises von
48.000,00 EUR (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.08.1990, 3 S 132/90,
zitiert nach juris Rn. 29 = NVwZ 1991, 284) oder Belastungen des Grundstücks, die aus
dem Grundbuch und Kaufvertrag ersichtlich waren. Nachdem der Bürgermeister der
Antragsgegnerin im Rahmen der Vorbereitung der Gemeinderatssitzung nicht bei den
Kaufvertragsparteien nachgefragt hat, ob deren berechtigte Interessen die Ausübung des
Vorkaufsrechts in nichtöffentlicher Sitzung erfordern, sind auch außerhalb der
Kaufvertragsurkunde keinerlei Umstände ersichtlich, die eine Behandlung des
Vorkaufsrechts der Antragsgegnerin in nichtöffentlicher Sitzung nach § 35 Abs. 1 S. 2
GemO gerechtfertigt hätte.
c)
33 Der Verstoß gegen das Gebot der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzungen begründet
regelmäßig eine schwerwiegende Verfahrensrechtsverletzung (VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 25.2.2013, Az. 1 S 2155/12, VBlBW 2013, 269 juris Rn. 8).Die sich aus
dem Verstoß gegen § 35 Abs. 1 S. 1 GemO ergebende Rechtswidrigkeit der
Gemeinderatsbeschlüsse über die Ausübung des besonderen Vorkaufsrechts und die
Festsetzung des Verkehrswerts abweichend vom vereinbarten Kaufpreis führen zur
Rechtswidrigkeit des Bescheids der Antragsgegnerin vom 01.09.2011. Dieser Bescheid
stellt nämlich den Vollzug der Beschlüsse des Gemeinderats dar und hätte nicht ergehen
dürfen, weil der Bürgermeister nur gesetzmäßig gefasste Beschlüsse vollziehen darf (§ 43
Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 GemO; vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.08.1990,
3 S 132/90, zitiert nach juris Rn. 31 = NVwZ 1991, 284).
34 Zwar kann nach § 46 LVwVfG die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 44
LVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von
Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande
gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden
können. Diese Voraussetzungen sind hier aber offensichtlich nicht erfüllt, denn die
Entscheidung des Gemeinderats darüber, ob die Gemeinde von ihrem Vorkaufsrecht
Gebrauch machen soll, stellte eine Ermessensentscheidung dar und hätte auch in
verneinendem Sinne ergehen können (vgl. VGH Baden-Württemberg aaO). Es ist daher
nicht offensichtlich, dass die Verletzung des Prinzips der Öffentlichkeit der
Gemeinderatssitzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (§ 46 LVwVfG).
3.
35 Der Bescheid vom 01.09.2011 wird nicht dadurch rechtmäßig, dass der Bürgermeister
diesen in eigener Zuständigkeit erlassen hätte.
36 Zwar nimmt dieser Bescheid auf die Gemeinderatsbeschlüsse vom 16.08.2011 nicht
Bezug und kann so vom Inhalt her als Verwaltungsakt, den der Bürgermeister in eigener
Zuständigkeit erlassen hat, verstanden werden. Jedoch fehlt ihm hierfür die Zuständigkeit
nach § 44 Abs. 2 S. 1 GemO. Es handelt sich bei der Ausübung des Vorkaufsrechts
angesichts der Größe der Gemeinde und der in die Abwägung einzufließenden
unterschiedlichen Interessen an der beabsichtigten städtebaulichen Neuordnung des „M.-
Areals“ um die originäre gesetzlich eingeräumte Kompetenz des Gemeinderats.
4.
37 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 228 Abs. 1 BauGB, 97 Abs. 1 ZPO. Die
Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 221 Abs. 1 BauGB, 708
Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.
38 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach den §§ 221 Abs. 1 BauGB, 543
Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO liegen nicht vor.
39 Die Höhe des Streitwerts richtet sich nach dem Interesse des Antragstellers, hier also des
Verkäufers. Nachdem er das streitgegenständliche Grundstück für 48.000,00 EUR verkauft
und die Antragsgegnerin den Kaufpreis auf lediglich 9.000,00 EUR festgesetzt hat, besteht
sein wirtschaftliches Interesse an dem Rechtsstreit in der Höhe der Differenz, also
39.000,00 EUR.