Urteil des OLG Saarbrücken vom 04.09.2009

OLG Saarbrücken: anwendungsbereich, anfechtung, reform, beschwerdeschrift, anerkennung, bindungswirkung, entlastung, ausschluss, ergänzung, erlass

OLG Saarbrücken Beschluß vom 4.9.2009, 4 W 220/09 - 36
Urteilsberichtigung: Rechtsmittel gegen einen den Antrag auf Berichtigung des Urteils
zurückweisenden Beschluss
Leitsätze
Gegen einen den Antrag auf Berichtigung des Urteils zurückweisenden Beschluss, ist das
Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nur dann eröffnet, wenn der Berichtigungsantrag
sachlich nicht beschieden wurde (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Darüber hinaus ist - ebenso wie
im Anwendungsbereich des § 320 ZPO - ein außerordentliches Rechtsmittel nicht eröffnet.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts
Saarbrücken vom 25.5.2009 – 4 O 150/02 –, in dem der Antrag der Klägerin vom
16.3.2007 beschieden worden ist, wird als unzulässig verworfen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde.
3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 8.2.2007 einen
Antrag auf Berichtigung des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 25.1.2007 (GA IV
Bl. 862 ff.) und nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils vom 1.3.2007 (GA IV Bl. 900 ff.)
am 16.3.2007 einen Schriftsatz eingereicht, der als «Antrag auf Protokollberichtigung und
Protokollergänzung, Antrag auf Tatbestandsberichtigung und Tatbestandsergänzung,
Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, Antrag auf Urteilsberichtigung»
überschrieben war (GA IV Bl. 939 ff.).
Das Landgericht hat auf den 25.5.2009 mündliche Verhandlung über die Anträge vom
25.1. und 16.3.2007 anberaumt und mit Beschluss vom 25.5.2009 (GA VII Bl. 1485 ff.)
den Antrag auf Berichtigung des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 25.1.2007
zurückgewiesen. In einem weiteren Beschluss vom 25.5.2009 (GA VII Bl. 1487 ff.) hat das
Landgericht den Antrag vom 16.3.2007 im Wesentlichen zurückgewiesen.
Beide Beschlüsse wurden der Klägerin am 28.5.2009 zugestellt.
Mit ihrer am 8.6.2009 eingereichten sofortigen Beschwerde beantragt die Klägerin «unter
Aufhebung des Beschlusses erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten». Sie vertritt
die Auffassung, die sofortige Beschwerde sei zulässig, da das Landgericht in der falschen
Entscheidungsform über die beantragte Urteilsergänzung entschieden habe und unter
Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots auf Gewährung rechtlichen Gehörs der
Klägerin keine Gelegenheit gegeben habe, um in angemessener Frist zu den in der
mündlichen Verhandlung erteilten Hinweisen Stellung zu nehmen.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 7.7.2009 (GA VII Bl.
1522 f.) nicht abgeholfen und die sofortige Beschwerde dem Saarländischen
Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
A. Die form und fristgerecht eingereichte (§ 569 Abs. 1, 2 ZPO) sofortige Beschwerde ist
unzulässig:
1. Allerdings steht es der Zulässigkeit der Beschwerde nicht bereits entgegen, dass die
Beschwerde nicht erkennen lässt, gegen welchen der beiden am 25.5.2009 verkündeten
Beschlüsse des Landgerichts sich die Beschwerde richtet:
Die Beschwerdeschrift enthält keinen Angriff gegen die Zurückweisung der
Protokollberichtigung, die die Klägerin im Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom
8.2.2007 (GA IV Bl. 862 ff.) beantragt hat. Stattdessen wendet sich die Beschwerdeschrift
alleine gegen die Zurückweisung der im Schriftsatz der Klägervertreter vom 16.3.2007
gestellten Anträge. Mithin ist lediglich der Beschluss über den Antrag vom 16.3.2007 (GA
VII Bl. 1487 ff.) Gegenstand der sofortigen Beschwerde.
2. Durch eine unterbliebene Entscheidung nach § 321 ZPO ist die Klägerin nicht beschwert,
da die Klägerin eine Entscheidung nach § 321 Abs. 1 ZPO nicht beantragt hat:
Soweit die Beschwerde rügt, das Landgericht habe fehlerhaft nicht über eine beantragte
Urteilsergänzung entschieden, verkennt die Beschwerde den Regelungszusammenhang der
§§ 320, 321 ZPO: Die Vorschrift des § 321 ZPO regelt den Fall, dass das Gericht
versehentlich einen Haupt-, Nebenanspruch oder die Kostenentscheidung übergangen hat.
In einer solchen prozessualen Situation hat das Gericht in einer Sache durch Teilurteil
entschieden, dem zur vollständigen Streitentscheidung ein weiteres Urteil folgen muss
(Musielak/Musielak, ZPO, 6. Aufl., § 321 Rdnr. 1). Das Verfahren der nachträglichen
Sachentscheidung über den übergangenen Antrag eröffnet die Vorschrift des § 321 ZPO.
Demgegenüber will § 321 ZPO nicht etwa durch eine Ergänzung des Tatbestandes der
Unvollständigkeit des Urteils dergestalt Ausdruck verleihen, dass der übergangene
Anspruch im Tatbestand aufgenommen wird. Vielmehr bildet die Unvollständigkeit des
Urteils eine Tatbestandsvoraussetzung für eine sachliche Entscheidung nach § 321 ZPO.
Nach diesem Verständnis stellen die Vorschriften der §§ 319, 320 ZPO ein Verfahren
bereit, das der Unvollständigkeit des Urteils Ausdruck verleiht, falls der übergangene
Anspruch im Urteil keine Erwähnung gefunden hat.
Die Antragsschrift vom 16.3.2007 belegt mit Klarheit, dass die Klägerin keine Entscheidung
nach Maßgabe des § 321 ZPO über einen übergangenen Anspruch begehrt. Mithin wird die
Klägerin durch eine unterbliebene Entscheidung des Landgerichts nach Maßgabe des § 321
ZPO nicht beschwert.
3. Soweit das Landgericht die Urteilsberichtigung nach Maßgabe der §§ 319, 320 ZPO nur
eingeschränkt vollzogen hat, ist das Rechtsmittel gegen die Zurückweisung des
weitergehenden Antrags nicht eröffnet:
a) Gemäß § 319 Abs. 3 ZPO findet gegen einen Beschluss, der den Antrag auf
Berichtigung des Urteils zurückweist, kein Rechtsmittel statt. Gemäß § 320 Abs. 4 ZPO ist
die Anfechtung einer Entscheidung über die Berichtigung des Tatbestandes
ausgeschlossen. Eine Anfechtung ist nur dann eröffnet, wenn der Berichtigungsantrag im
Anwendungsbereich des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO sachlich nicht beschieden wurde
(Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 321 Rdnr. 14). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
b) Zwar hat die Rechtsprechung vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des
Zivilprozesses in gewissem Umfange Ausnahmen vom Grundsatz der Unanfechtbarkeit
zugelassen. So wurde die Anfechtung insbesondere bei greifbarer Gesetzwidrigkeit der
ergangenen Entscheidung eröffnet. Auf der Grundlage des geltenden Rechts ist jedoch für
außerordentliche Rechtsmittel kein Raum, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke
fehlt (BGHZ 150, 133, 135 ff.; Beschl. v. 14.7.2004 – XII ZB 268/03, NJW-RR 2005, 214):
aa) Der Gesetzgeber des Zivilprozessreformgesetzes hat die Problematik der Verletzung
von Verfahrensgrundrechten gesehen. Er hat mit § 321a ZPO erstmals eine
Abhilfemöglichkeit für Verfahren vorgesehen, in denen eine Überprüfung des
erstinstanzlichen Urteils bislang nicht möglich war. Ferner hat er für das Revisionsrecht mit
§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO einen Grund für die Zulassung der Revision eingeführt, der nach
der Gesetzesbegründung auch die Verletzung von Verfahrensgrundrechten umfassen soll
(BT-Drucks. 14/4722 S. 104). Für das Verfahren der Rechtsbeschwerde hat der
Gesetzgeber demgegenüber unter Hinweis auf die regelmäßig geringere Bedeutung des
Beschwerdeverfahrens für die Parteien und aus Gründen der Entlastung des
Bundesgerichtshofs (BT-Drucks. 14/4722, S. 116 re. Sp.) bewusst davon abgesehen, eine
dem Revisionsrecht vergleichbare Regelung zur Korrektur auch der Verletzung von
Verfahrensgrundrechten zu schaffen, obwohl die Zulassungsgründe sich bei Revision und
Rechtsbeschwerde nicht unterscheiden. Auch das Verfahren der Beschwerde sieht eine
Korrektur verfahrensgrundrechtswidriger Entscheidungen nicht vor. Diese
Grundentscheidung des Gesetzgebers ist von den Gerichten zu beachten (BVerfG, Beschl.
v. 30.04.2003 –1 PBvU 1/02 – NJW 2003, 1924, 1928).
bb) Der Ausschluss außerordentlicher Rechtsmittel führt im Anwendungsbereich des § 320
ZPO aus einer weiteren Erwägung nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des
Rechtsmittelführers. Denn es ist der benachteiligten Partei im Rahmen der § 513 Abs. 1
und § 546 ZPO eröffneten Rechtsmittel unbenommen, die fehlerhafte Erfassung des Sach-
und Streitstandes im Wege der Verfahrensrüge anzugreifen. Auch die erfolgreiche
Verfahrensrüge suspendiert die Bindungswirkung der tatbestandlichen Feststellungen
(Zöller/Vollkommer, aaO., § 320 Rdnr. 3; Gaier, NJW 2004, 110). Zusammenfassend
bleibt im Anwendungsbereich der §§ 319, 320 ZPO für die Anerkennung außerordentlicher
Rechtsmittel kein Raum (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 320 Rdnr. 30;
Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 28. Aufl., § 320 Rdnr. 6; Musielak/Musielak, ZPO, 6. Aufl., §
319 Rdnr. 21; OLGR Stuttgart 2005, 485; aA. OLGR Frankfurt 2007, 216, das – freilich
ohne auf die durchgreifenden Bedenken gegen die Zulassung außerordentlicher
Rechtsmittel nach der Reform des Zivilprozesses einzugehen – den außerordentlichen
Rechtsbehelf auch bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten eröffnen will).
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Nr. 1 ZPO.