Urteil des OLG Oldenburg vom 09.01.1990

OLG Oldenburg: rind, sorgfalt, entlastungsbeweis, anhörung, vorsicht, verkehrsunfall, bauernhof, schmerzensgeld, tierhalterhaftung, marke

Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 5 U 71/89
Datum:
09.01.1990
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 144 ABS 1, ZPO § 144 ABS 2, ZPO § 411
Leitsatz:
Tierhalterhaftung: Führen eines Rindes bei Glätte Keine erneute Anhörung eines Sachverständigen
Volltext:
Der KLäger erhebt gegen den Beklagten Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines
Verkehrsunfalles.
Der Kläger befuhr am 18. Januar 1987 mit dem Pkw Marke Mitsubishi seines Vaters bei einer Geschwindigkeit
zwischen 120 und 130 km/h die Bundes-
autobahn A 1 aus Richtung Vechta kommend in Richtung Osnabrück. In Höhe des Rastplatzes Bramsche stieß der
Kläger auf der Überholspur mit einem Rind zusammen, dessen Halter der Beklagte ist.
Das Rind war von dem in Luftlinie etwa 1,7 km entfernt liegenden Bauernhof des Beklagten gegen 17.00 Uhr
entlaufen, als der Beklagte es umstallen wollte. Das Rind wurde von dem Beklagten in Begleitung seines
Auszubildenden Schacht zu diesem Zweck über den mit einer ca. 2 cm starken Schneeschicht bedeckten Hofplatz
geführt. Mitten auf dem Hofplatz stürzte das Rind zweimal und wurde unruhig. Die beiden Hoftore wurden
geschlossen, um zu verhindern, daß das Rind entweichen konnte. Das Rind sprang jedoch über die ca. 1,25 m hohe
Umzäunung ins Freie und lief nach Überwindung mehrerer Hindernisse bis zur ca. 1,7 km entfernten Autobahn. Der
Beklagte versuchte vergeblich bis ca. 20.00 Uhr, teilweise unter Mithilfe von zwei Auszubildenden und seiner
Familienangehörigen, das entlaufene Tier wieder einzufangen. Er hatte auch die Polizeidienststelle in Bramsche
benachrichtigt.
Der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger nach § 833 BGB den ihm aus dem Verkehrsunfall entstandenen und noch
entstehenden Schaden zu ersetzen, da er den Entlastungsbeweis nach § 833 Satz 2 BGB nicht geführt hat. Es
steht nicht fest, daß der Beklagte beim Umstallen des Rindes die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat
und daß der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre. Es mag sein, daß es - wie der
Sachverständige ausgeführt hat, allgemein üblich ist und regelmäßig der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt
entspricht, ein Rind beim Umstallen an einem normalen Halfter zu führen. Hier lagen indessen besondere Umstände
vor, die Anlaß zu besonderer Vorsicht hätten geben müssen.
Unstreitig hatte es vor dem Unfall geschneit. Es herrschten minus 20 ° C. Unter diesen Umständen mußte der
Beklagte damit rechnen, daß sich auf dem Hof Glätte gebildet hatte. Selbst wenn dies nicht ohne weiteres sichtbar
gewesen sein sollte, was im übrigen offen ist, mußte mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß sich unter der
dünnen Schneedecke auch Eis befand oder daß aufgrund von Schneeglätte Menschen und Tiere auf dem Hof keinen
sicheren Halt hatten. Das galt hier umsomehr, als der Hof mit Kopfsteinpflaster versehen war. Daß es tatsächlich
glatt war, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest. Der Zeuge Schacht hat ausgesagt, daß das Tier
zweimal ausgerutscht ist. Dem Tier waren die Beine weggerutscht, so daß es hart auf den Boden fiel. Außerdem
habe der Beklagte den Halfterstrick losgelassen, weil er sich bei der Glätte selbst nicht mehr auf den Beinen halten
konnte. Demnach herrschte auf dem Hof mindestens stellenweise eine derartige Glätte, daß man dort nicht gefahrlos
gehenkonnte. Der Beklagte hätte deshalb zusätzliche Maßnahmen ergreifen müssen, indem er beispielsweise den
Hof räumte oder abstreute oder aber notfalls auch auf das Umstallen unter diesen Umständen verzichtete.
Besondere Vorsicht war hier unbedingt geboten, da es durchaus, wie auch aus der Rechtsprechung bekannt ist,
vorkommt, daß Rinder jedenfalls dann, wenn sie in Panik geraten, Hindernisse der hier gegebenen Höhe
überspringen. Es mag sein, daß es auf einem Hof normalerweise nicht üblich ist zu streuen und daß dies zum
Schutz von Tieren im allgemeinen auch nicht nötig ist, wie der Sachverständige ausgeführt hat. Aus seinem
Gutachten ergibt sich aber auch, daß das Rind beim Umstallen entweder von mehreren Personen getrieben oder von
einer Person am Halfter geführt werden muß. Letzteres konnte aber überhaupt nur dann sinnvoll sein, wenn die
Person, die das Tier führte, selbst festen Boden unter den Füssen hatte. Hier konnte sich aber der Beklagte, als die
Situation gefährlich wurde, wegen der starken Glätte selbst nicht auf den Beinen halten. Danach ist der
Entlastungsbeweis nach § 833 Satz 2 BGB nicht geführt.
Einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen oder der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens
bedurfte es nicht, weil der Senat aufgrund der allgemein gehaltenen Ausführungen des Sachverständigen selbst in
der Lage war zu beurteilen, daß die getroffenen Maßnahmen unter den hier gegebenen besonderen Bedingungen
nicht der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entsprachen.
Abgesehen davon, daß die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt beim Vorgang des Umstallens nicht festgestellt
werden kann, spricht auch einiges dafür, daß der Beklagte beim Einfangen des Tieres nicht entsprechend der im
Verkehr erforderlichen Sorgfalt gehandelt hat. Das Rind ist bereits gegen 17.00 Uhr entwichen und näherte sich der
Autobahn. Mit Rücksicht darauf, daß dadurch ganz erhebliche Gefahren für die Verkehrsteilnehmer
heraufbeschworen wurden, stellt sich die Frage, ob der Beklagte nicht hätte versuchen müssen, mit Hilfe sämtlicher
Hausgenossen, Nachbarn und notfalls auch unter Einbeziehung von Polizeibeamten das Rind von der Autobahn
kommend in die Richtung seines Hofes zurückzutreiben, nachdem die ersten Hilfsmaßnahmen erfolglos geblieben
waren. Das erscheint jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, da der Unfall sich erst gegen 20.00 Uhr
ereignete, nachdem das Rind sich schon etwa drei Stunden außerhalb des Geländes des Beklagten befand. Die
Frage brauchte jedoch nicht entschieden zu werden, da der Beklagte - wie oben ausgeführt - den Entlastungsbeweis
ohnehin nicht hat führen können.