Urteil des OLG Oldenburg vom 26.09.2011

OLG Oldenburg: unterbringung, wohl des kindes, ärztliches zeugnis, absolutes recht, medizinische indikation, auflage, begriff, genehmigungsverfahren, trennung, gleichstellung

Gericht:
OLG Oldenburg, 14. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 14 UF 66/11
Datum:
26.09.2011
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 1631 b, BGB § 1906
Leitsatz:
Befindet sich ein minderjähriges Kind in einer offenen heilpädagogischen Einrichtung bedarf eine
Fixierung in der Nachtzeit durch Bauch- oder Fußgurt (unterbringungsähnliche Maßnahme) keiner
familiengerichtlichen Genehmigung. § 1906 Abs. 4 BGB ist nicht analog anzuwenden.
Volltext:
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG
14 UF 66/11
2 F 338/10 UB Amtsgericht Varel Erlassen am: 26. September 2011
B e s c h l u s s
In der Familiensache
Beteiligte:
1. E… I…, geboren …1999, B…,
2. A… R…, V…,
Verfahrensbeiständin und Beschwerdeführerin,
3. M… I…, K…,
Antragstellerin,
4. E… I…, K…,
Antragsteller,
5. Landkreis Aurich, S…,
hat der 14. Zivilsenat - 5. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden
Richter am Oberlandesgericht …, die Richterin am Oberlandesgericht … und den Richter am Oberlandesgericht …
aufgrund Beratung vom 23. September 2011 beschlossen:
Die Beschwerde der Verfahrensbeiständin gegen den am 21. April 2011 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Varel vom 18. April 2011 wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Wert des Beschwerdeverfahrens: 3.000,00 €.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind als Eltern Inhaber des gemeinsamen Sorgerechts für das am 1. April 1999 geborene Kind E…,
den Beteiligten zu 1). Das Kind leidet unter einem frühkindlichen Autismus mit geistiger Behinderung sowie einem
Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätssyndrom. Im Jahre 2008 wechselte es von dem elterlichen Haushalt in
eine heilpädagogische Heimeinrichtung. Seitdem befindet es sich morgens in einer Tagungsbildungsstätte und erhält
aufgrund seiner Umtriebigkeit auch in der der übrigen Zeit eine Einzelbetreuung. Alle vierzehn Tage besucht das
Kind die Eltern über das Wochenende.
Nach der Aufnahme des Kindes in die Einrichtung beantragten die Eltern bei dem Vormundschaftsgericht die
Genehmigung der nächtlichen Fixierung mit Hilfe eines Bettgurtes, welche das Amtsgericht nach Anhörung des
Kindes mit Beschluss vom 29. Januar 2009 in entsprechender Anwendung des § 1906 Abs. 4 BGB für die Dauer von
längstens zwei Jahren erteilte. Ausweislich einer von dem Gericht eingeholten fachärztlichen kinder und
jugendpsychiatrischen Stellungnahme vom 5. März 2009 war es zum Schutz des Kindes und der Mitbewohner
indiziert, ein nächtliches Herumstreunen des Kindes durch eine Fixierung mittels eines Bauch oder Fußgurtes zu
verhindern. Aus therapeutischer Sicht wurde die Fixierung auch in Zeiten der Einschlafphase empfohlen, weil das
Kind auf diese Weise besser zur Ruhe komme.
Auf Nachfrage des Familiengerichts haben die Eltern am 19. Januar 2011 die vormundschaftsgerichtliche
Verlängerung der Genehmigung der nächtlichen Fixierung des Kindes beantragt. Nach Einrichtung einer
Verfahrensbeistandschaft, der Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme und des zuständigen Jugendamtes
sowie der Anhörung des Kindes hat das Amtsgericht den Antrag mit dem am 21. April 2011 erlassenen Beschluss
zurückgewiesen, da die beantragte Maßnahme weder nach § 1631 b BGB noch in entsprechender Anwendung des §
1906 Abs. 4 BGB genehmigungsbedürftig sei.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Verfahrensbeiständin mit der form und fristgerecht eingelegten
Beschwerde. Sie macht geltend, im Interesse des Kindes sei die regelmäßige gerichtliche Überprüfung der
Genehmigung der Zustimmung der Eltern zu der Maßnahme erforderlich, auch wenn in der Sache der Erteilung einer
erneuten Genehmigung angesichts der nach wie vor ärztlich bescheinigten medizinischen Indikation der
Fixierungsmaßnahmen keine inhaltlichen Bedenken entgegenstünden.
II.
Die zulässige Beschwerde der Verfahrensbeiständin hat in der Sache keinen Erfolg.
Gemäß § 68 Absatz 3 Satz FamFG konnte von der Durchführung eines Erörterungstermins abgesehen werden, da
lediglich Rechtsfragen zu beantworten waren.
1. Die gemäß § 58 FamFG statthafte und form und fristgerecht eingelegt Beschwerde ist zulässig. Die
Verfahrensbeiständin ist gemäß § 59 FamFG beschwerdebefugt, da sie die Beschwerde gemäß § 158 Abs. 4 Satz 5
FamFG im Interesse des Kindes eingelegt hat. Zwar erhebt sie in der Sache keine Einwände gegen die von den
Eltern befürwortete nächtliche Fixierung des Kindes. Gleichwohl berührt die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit
der Zustimmung der Eltern unmittelbar dessen Interesse an einem wirkungsvollen Schutz seines Rechts auf freie
Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere seiner Willensfreiheit und körperlichen Bewegungsfreiheit.
2. In der Sache erweist sich die Beschwerde jedoch als nicht begründet. Wie das Amtsgericht zu Recht entschieden
hat, unterliegt die Zustimmung der Eltern zur nächtlichen Fixierung ihres Kindes in der offenen heilpädagogischen
Einrichtung keinem familiengerichtlichen förmlichen Genehmigungsverfahren, wie es § 1631 b BGB für die
freiheitsentziehende Unterbringung eines Minderjährigen vorsieht. Denn die Zulässigkeit und Erforderlichkeit eines
derartigen Verfahrens lässt sich weder unmittelbar aus § 1631 b BGB herleiten, noch ergibt sie sich aus einer
entsprechenden Anwendung des § 1906 Abs. 4 BGB.
Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
a) Gemäß § 1631 b BGB bedarf eine Unterbringung, die mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist, der
Genehmigung des Familiengerichts. Die Unterbringung ist nur zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes,
insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst oder Fremdgefährdung erforderlich ist und der Gefahr nicht
auf anderer Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen begegnet werden kann. Ohne die Genehmigung ist die
Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. die Genehmigung ist dann unverzüglich
nachzuholen. Das Genehmigungsverfahren richtet sich gemäß §§ 167 Absatz 1, 151 Nr.1 FamFG nach den
Vorschriften über die Unterbringung in Betreuungssachen nach § 312 Nr.1 FamFG. Das Familiengericht hat folglich
zur Vorbereitung seiner Entscheidung in der Regel einen Verfahrensbeistand zu bestellen, ein
Sachverständigengutachten einzuholen und das Kind und die Eltern persönlich anzuhören, §§ 317, 319, 321, 312
Nr.1, 167 Absatz 1 FamFG. Die Genehmigung ist für die Dauer eines Jahres, höchstens für zwei Jahre zu erteilen,
§§ 329 Absatz 1, 312 Nr.1, 167 Absatz 1 FamFG. Für das Verlängerungsverfahren gelten dieselben Vorschriften wie
für das Erstverfahren.
Das Betreuungsrecht enthält in § 1906 Absatz 1, 2 BGB eine gleichlautende Vorschrift für die freiheitsentziehende
betreuungsrechtliche Unterbringung. Anders als in § 1631 b BGB trifft § 1906 Absatz 4 BGB aber die zusätzliche
Regelung, dass auch dann eine gerichtliche Genehmigung erforderlich ist, wenn dem Betreuten, der sich in einer
Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische
Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise für einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit
entzogen werden soll. Für das Genehmigungsverfahren gelten im Betreuungsrecht gemäß § 312 Nr.2 FamFG
dieselben Vorschriften wie für die Unterbringung. gemäß § 321 Absatz 2 FamFG genügt aber statt eines
Sachverständigengutachtens ein ärztliches Zeugnis.
b) Vor diesem Hintergrund wird kontrovers diskutiert, ob und inwieweit unterbringungsähnliche freiheitsentziehende
Maßnahmen wie die regelmäßige Fixierung mittels eines Bettgurtes der Genehmigung durch das Familiengericht
bedürfen, soweit sie nicht einen gesetzliche betreuten Volljährigen, sondern ein minderjähriges Kind betreffen.
aa) Teilweise wird angenommen, auch für solche Maßnahmen sei ein familiengerichtliches Genehmigungsverfahren
durchzuführen, soweit das Kind in einer Heimeinrichtung untergebracht sei. Zwar greife § 1631 b BGB nicht
unmittelbar ein, weil dieser nur die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung selbst, hingegen nicht
unterbringungsähnliche Maßnahmen erfasse. Denn es fehle in § 1631 b BGB an einer ausdrücklichen Gleichstellung
der Unterbringung mit unterbringungsähnlichen Maßnahmen, wie sie das Betreuungsrecht in § 1906 Absatz 4 BGB
kenne. Jedoch sei ein Kind nicht weniger schutzbedürftig als ein Volljähriger, wenn seine körperliche
Bewegungsfreiheit in einer Einrichtung außerhalb des Elternhauses auf andere Weise nachhaltig und dauerhaft,
insbesondere mittels mechanischer Vorrichtungen oder dem Einsatz von Medikamenten eingeschränkt werde.
Deshalb sei die betreuungsrechtliche Gleichstellung der unterbringungsähnlichen Maßnahmen mit der Unterbringung
auch im Kindschaftsrecht geboten und § 1906 Absatz 4 BGB entsprechend anzuwenden (so Salgo in: Staudinger,
Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2007, § 1631 b BGB, Rn. 14. Huber in Münchener Kommentar zum
Bürgerlichen Gesetzbuch, 5. Auflage 2008, § 1631 b BGB Rn. 8. Ziegler in Weinreich/Klein, Fachanwaltskommentar
Familienrecht, 4. Auflage 2011, Rn.2. van Els in Hoppenz, Familiensachen, 9. Auflage 2009, § 1631 b Rn.2. Veit in
Bamberger/Roth, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Auflage 2008, § 1631 b Rn. 4. Diedrichsen in
Palandt, BGB, 70. Auflage 2011, § 1631 BGB, Rn. 4, anders aber bei § 1906 BGB, Rn. 33. im Ergebnis ebenso
Dodegge, FamRZ 1993,1348 f aufgrund unmittelbarer Anwendung des § 1631 b BGB).
bb) Nach anderer Ansicht unterliegt die Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern zur Durchführung
freiheitsentziehender Maßnahmen in offenen Heimeinrichtungen gegenüber Minderjährigen keinem besonderen
gesetzlichen Genehmigungsvorbehalt, da dieser nur für volljährige Betreute vorgesehen sei (LG Essen FamRZ
1993,1347,1348. AG HamburgBarmbek, FamRZ 2009, 792 mit zustimmender Anmerkung Kieninger in: Juris
PRFamR 1/2009 Anmerkung 3. Engelhardt in Keidel, FamFG, 17. Auflage 2011, § 151, Rn. 14. Hamdam, ZFE 2010,
414, 415. siehe auch das DIJUFRechtsgutachten vom 07. Mai 2010, Jugendamt 2010, Seite 236 ff.).
c) Der Senat folgt der letzteren Auffassung.
Wie allgemein anerkannt ist, ist der Begriff der Unterbringung in § 1631 b BGB eng zu verstehen und umfasst
lediglich die Verbringung eines Kindes in den nicht jedermann zugänglichen räumlich abgegrenzten Teil einer
Einrichtung, den es nur mit Genehmigung Dritter verlassen kann, in dem es ständiger Aufsicht unterliegt und eine
Kontaktaufnahme nach außen auch gegen seinen Willen unterbunden werden kann. Zwar wurde vor der Einführung
des Betreuungsrechts im Jahre 1992 diskutiert, ob und inwieweit auch solche Maßnahmen einer gerichtlichen
Vorabkontrolle zu unterziehen seien, die - wie die Anbringung von Bettgittern und Bauchgurten - eine erhebliche
freiheitsentziehende Wirkung entfalten können. Mit der Einführung des Betreuungsrechts hat der Gesetzgeber
hingegen ausdrücklich eine klare Trennung zwischen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen im weiten Sinne und dem
gesetzestechnischen Begriff der freiheitsbeschränkenden Unterbringung vorgenommen. Nach der
Gesetzesbegründung zum Entwurfs des Betreuungsgesetzes verwendet § 1906 Absatz 1 BGB den Begriff der
Unterbringung im oben beschriebenen engen Sinne und stellt diesem die in § 1906 Absatz 4 BGB genannten
unterbringungsähnlichen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen lediglich gleich, ohne dadurch den
Unterbringungsbegriff zu erweitern (BTDrucksache 11/4528, Seite 146). Zugleich wird in der Gesetzesbegründung
unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 1631 b BGB darauf hingewiesen, dass das Kindschaftsrecht und das
Betreuungsrecht einen einheitlichen Unterbringungsbegriff verwenden. Diese scharfe Trennung zwischen
Unterbringung und unterbringungsähnlicher Maßnahme hat das FamFG nachvollzogen, welches zwischen der
Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung - § 312 Nr. 1 FamFG - und einer freiheitsentziehenden
Maßnahme nach § 1906 Absatz 4 BGB - § 312 Nr. 2 FamFG - trennt. § 167 Absatz 1 FamFG verweist für die nach §
1631 b BGB zu führenden Verfahren allein auf § 312 Nr. 1 FamFG. Angesichts dieser Umstände spricht nichts dafür,
dem Begriff der Unterbringung in § 1631 b BGB eine weitergehende Bedeutung beizumessen, als ihm nach § 1906
Absatz 1 BGB zukommt.
Vor diesem Hintergrund verbietet sich auch eine analoge Anwendung des § 1906 Absatz 4 BGB im
Kindschaftsrecht.
Die analoge Anwendung einer Vorschrift kommt dann in Betracht, wenn es an einer Regelung betreffend den in Frage
stehenden Sachverhalt fehlt. Diese Lücke darf die Rechtsprechung nur schließen, wenn dies dem tatsächlichen oder
mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers entspricht. Hat dieser einen Sachverhalt bewusst nicht geregelt, verstößt es
gegen die Bindung des Gerichts an Recht und Gesetz, die vermeintliche Lücke entgegen dem gesetzgeberischen
Willen durch entsprechende Anwendung anderer Regelungen auszufüllen. Etwas anderes kann nur dann gelten,
wenn der Gesetzgeber die Schließung der Lücke ausdrücklich der Fortentwicklung des Rechts durch die
Rechtsprechung überantwortet hat oder die zu übertragene Regelung aufgrund gewandelter rechtlicher oder
tatsächlicher Verhältnisse nunmehr dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers entspricht. Möglich ist eine
Analogie mithin nur dann, wenn das Gesetz eine mit dem Recht und dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers
nicht in Einklang zu bringende planwidrige Auslassung aufweist. Überdies darf die einer anderen Vorschrift
entnommene Regelung nur dann auf den ungeregelten Sachverhalt angewandt werden, wenn sich dieser in den für
die rechtliche Bewertung maßgeblichen Umständen mit dem geregelten Sachverhalt deckt, so dass die Übertragung
der angeordneten Rechtsfolge dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers folgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.
Mai 2006 - 2 BvR 1673/04 und 2 BvR 2402/04, BVerfGE 116, 69 ff = NJW 2006, 2093 ff. Beschluss vom 3. April
1990 - 1 BvR 1186/89, BVerfGE 82, 6 ff = FamRZ 1990, 727 ff. Beschluss vom 4. April 2011, 1 BvR 1803/08, NZM
2011, 479 ff. OLG Brandenburg NJW 2000, 2361 ff).
Für die hier zu beurteilenden Frage fehlt es sowohl an der einen als auch der anderen Voraussetzung.
Es ist nicht festzustellen, dass § 1631 b BGB eine planwidrig unvollständige Regelung enthält. Dies ergibt sich
bereits aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und der nachfolgenden Entwicklung des Kindschafts und
Betreuungsrechts. Bis zur Einführung dieser Norm unterlag allein die mit einer Freiheitsentziehung verbundene
Unterbringung eines Volljährigen durch den Vormund oder Pfleger gemäß § 1800 Absatz 2 BGB in der damals
geltenden Fassung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Darunter verstand die damalige Rechtsprechung
und Literatur allein die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung. Durch die Schaffung des § 1631 b BGB
wollte der Gesetzgeber auch die mit einer psychischen Erkrankung oder Behinderung eines Kindes begründete
Unterbringung in einer geschlossenen Heil oder Pflegeanstalt staatlicher Kontrolle unterwerfen und sicherstellen,
dass kein Minderjähriger unbemerkt in einer staatlichen Anstalt verschwindet (vgl. Salgo in Staudinger, Kommentar
zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2007, § 1631b BGB Rn. 4). Zugleich sollte gewährleistet werden, dass Kinder nicht
bereits dann in geschlossenen Einrichtungen untergebracht werden, wenn einer Eigen oder Fremdgefährdung bereits
durch weniger einschneidende Maßnahmen entgegengewirkt werden kann (vgl. die Begründung der Bundesregierung
zur Änderung des § 1631b BGB durch das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei
Gefährdung des Kindeswohls, BTDrs. 16/6815 S. 8). Angesichts der besonders einschneidenden Tragweite einer
freiheitsbeschränkenden Unterbringung erschien die Mitwirkung des Vormundschaftsgerichts auch in Ansehung des
damit verbunden Eingriffs in das Sorgerecht der Eltern als geboten und verfassungsrechtlich zulässig (vgl.
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 27. April 1979, BTDrs
8/2788, Seiten 38 und 50 f). Für die Auslegung des § 1631 b BGB sollten die zu § 1800 Absatz 2 BGB entwickelten
Grundsätze gelten, der nun in seiner abgeänderten Fassung Bezug auf den neu eingeführten § 1631 b BGB nahm.
Nachdem in der Folgezeit Literatur und Rechtsprechung die Frage vertiefen, ob und inwieweit freiheitsbeschränkende
Maßnahmen wie eine Unterbringung zu behandeln seien, hat der Gesetzgeber das bis dahin gleichlaufende
Unterbringungsrecht für Kinder und Volljährige in der bis heute gültigen Weise ausgestaltet, indem er sowohl in §
1631 b BGB als auch § 1906 Absatz 1 BGB einen engen Unterbringungsbegriff verwendet und
unterbringungsähnliche Maßnahmen nur im Betreuungsrecht einer Unterbringung gleichstellt. Letzteres hat der
Gesetzgeber mit den besonderen praktischen Lebensumständen älterer Betroffener in offenen Senioreneinrichtungen
begründet, deren Aufenthalt nicht selten mit Freiheitsbeschränkungen verbunden sei, die einer Freiheitsentziehung
gleichkommen (vgl. BTDrucksache 11/4528, 146) - ein Grund, der die Einführung der Genehmigungsbedürftigkeit
unterbringungsähnlicher Maßnahmen im Kindschaftsrecht nicht gerechtfertigt hätte. Dies zwingt zu dem
Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber noch 1992 im Kindschaftsrecht keinen Anlass für die Gleichstellung
unterbringungsähnlicher Maßnahmen mit einer Unterbringung gesehen hat, die entstandene Regelungslücke mithin
auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers beruhte (so zu § 1904 BGB auch OLG Brandenburg NJW
2000,2361 ff für den Fall der beantragten Genehmigung der Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen für ein Kind
und OLG Karlsruhe JAmt 2002,418 für die Medikamentenvergabe an einen untergebrachten Minderjährigen).
Es besteht auch kein Grund für die Annahme, dass die Ausfüllung dieser Lücke durch eine entsprechende
Anwendung des § 1906 Absatz 4 BGB wegen gewandelter Verhältnisse in heutiger Zeit dem mutmaßlichen Willen
des Gesetzgebers entspricht. Seit langem ist die Forderung bekannt, auch unterbringungsähnliche Maßnahmen
gegenüber Kindern einer gerichtlichen Genehmigung zu unterwerfen. Statt dieser nachzukommen, hat der
Gesetzgeber hingegen wiederholt bei der Vornahme von Änderungen des Kindschaftsrechts davon abgesehen, den
Schutz von Kindern insoweit zu erweitern. Zuletzt hat er sich ausführlich im Jahre 2008 mit der
verfahrensrechtlichen Verbesserung des Schutzes des Kindes bei geschlossenen Unterbringungen befasst, ohne
eine entsprechende Regelung zu treffen (vgl. die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur
Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls, Bundestagsdrucksache 16/6815,
Seiten 8f, 12, 13f). Schließlich hat er in den Regelungen der §§ 312 Nr.1, Nr.2, 167 Abs 1 FamFG zum Ausdruck
gebracht, dass er an der klaren Trennung der Unterbringung von der unterbringungsähnlichen Maßnahme nicht nur in
materieller, sondern auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht festhalten will. Mithin scheitert eine analoge Anwendung
des § 1906 Absatz 4 BGB schon daran, dass es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt.
Überdies beruht die Regelung des § 1906 Absatz 4 BGB im Betreuungsrecht auf einer rechtlichen und tatsächlichen
Ausgangslage, die in ihren wesentlichen Merkmalen mit der Situation im Kindschaftsrecht nicht vergleichbar ist.
Auch aus diesem Grund verbietet sich eine analoge Anwendung der Vorschrift.
Die rechtliche Verantwortung des Betreuten für den Betroffenen ergibt sich allein aus der mit der gerichtlichen
Einrichtung der Betreuung verliehenen Vertretungsberechtigung im übertragenen Aufgabenkreis, welche die
Eigenverantwortung des Betroffenen im Grundsatz unberührt lässt. Soweit Rechtshandlungen des Betreuers der
Genehmigung des Betreuungsgerichts bedürfen, dient dies allein dem Schutz des Betroffenen, ohne dass dadurch in
Rechte des Betreuers eingegriffen wird. Im Kindschaftsrecht verhält es sich im Grundsatz anders. Die Betreuung,
Pflege und Erziehung eines Kindes obliegt der Natur nach seinen Eltern, die für das Kind umfänglich Verantwortung
tragen (§§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB). Diese in Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz verbürgte natürliche
Elternverantwortung ist ein umfassendes, absolutes Recht der Eltern, welches diese im Interesse des Kindes
wahrzunehmen haben. Die Eltern können insoweit grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen nach eigenen
Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer
Elternverantwortung gerecht werden (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2010 - 1 BvR 374/09, FamRZ
2010,713). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Eltern aufgrund ihrer engen persönlichen Bindung zum Kind
naturgemäß diejenigen sind, die zu seinem Besten handeln. Um dies zu gewährleisten, unterliegt die tatsächliche
Ausübung der elterlichen Sorge zwar gemäß Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz der Überwachung durch die
staatliche Gemeinschaft. Will der Staat in Ausübung seines Wächteramtes in das Elternrecht eingreifen, bedarf es
aber einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage und einer sorgfältigen Abwägung der Interessen des Schutzes des
Wohls des Kindes mit dem Recht der Eltern auf Ausübung der elterlichen Sorge. Einschränkungen dieses Rechts
sind nur dann zulässig, wenn dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist, keine gleich wirksamen weniger
einschneidenden Maßnahmen getroffen werden können und das Elternrecht nicht in unverhältnismäßiger Weise
beschnitten wird. Solchen Beschränkungen unterliegt das Betreuungsrecht nicht, welches weitere
Genehmigungsvorbehalte - wie etwa in § 1904 BGB für ärztliche Behandlungen und § 1907 für die Aufgabe der
Mietwohnung - kennt, die dem Kindschaftsrecht fremd sind.
Auch in tatsächlicher Hinsicht unterscheidet sich die Situation des volljährigen Betroffenen ganz wesentlich von der
eines minderjährigen Kindes, soweit es um die Frage der Einführung einer Genehmigungspflicht für
unterbringungsähnliche Maßnahmen geht. Die Einführung des § 1906 Absatz 4 BGB beruhte auf der Annahme, dass
solche Maßnahmen in Altenheimeinrichtungen in erheblichem Umfang zum Tragen kommen können und der Gefahr
zu begegnen sei, dass diese in sachfremder Weise ohne medizinische Indikation zur bloßen Ruhigstellung der
Betroffenen eingesetzt werden. Zudem war dem Umstand Rechnung zu tragen, dass dem gesetzlich bestellten
Betreuer, dem nach dem Gesetz nur die rechtliche, nicht aber die persönliche Betreuung des Betroffenen übertragen
ist, nur begrenzte persönliche Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Es ist bereits zweifelhaft, inwieweit die
Situation eines pflegebedürftigen Volljährigen in einer Senioreneinrichtung mit dem Aufenthalt eines Kindes in einer
heilpädagogischen Einrichtung verglichen werden kann, soweit es um die Gefahren des missbräuchlichen Einsatzes
freiheitsentziehender Mittel geht. Jedenfalls ist das Verhältnis zwischen Kind und Eltern typischerweise - anders als
im Regelfall das Betreuungsverhältnis - durch eine enge persönliche Nähe gekennzeichnet. Die damit verbundene
Elternverantwortung ist nicht eine rechtlich verliehene Zuständigkeit, sondern natürlicher Bestandteil der Elternschaft
selbst und rechtfertigt die Annahme, dass sich Eltern - wie im vorliegenden Fall - auch dann persönlich um die
Belange ihres Kindes kümmern und die richtigen Entscheidungen zu dessen Wohle treffen, wenn dies in einer
offenen Heimeinrichtung untergebracht ist. Ob vor diesem Hintergrund die Einführung eines
Genehmigungsvorbehalts in Ansehung der mit der Durchführung des Genehmigungsverfahrens verbundenen
erheblichen Belastungen der Eltern geboten ist, ergibt sich aus der Wertung des § 1906 Absatz 4 BGB folglich nicht.
Deshalb muss allein dem Gesetzgeber die Entscheidung überlassen bleiben, ob die Anordnung eines
Genehmigungsvorbehalts das geeignete, vor allem aber erforderliche und verhältnismäßige Mittel ist, um Kinder vor
ungerechtfertigten unterbringungsähnlichen freiheitsentziehenden Maßnahmen zu schützen. Auch aus diesem Grund
scheidet eine analoge Anwendung der Norm mithin aus.
III.
Gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 war anzuordnen, dass von der Erhebung von Kosten abzusehen ist. Es bestand auch
kein Anlass, die Kosten des Verfahrens einem der Beteiligten ganz oder zum Teil aufzuerlegen.
Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Es handelt sich um eine
klärungsbedürftige, höchstrichterlich bislang nicht entschiedene Frage von grundsätzlicher Bedeutung.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Dieser Beschluss kann mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden. Diese ist innerhalb einer Frist von einem
Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133
Karlsruhe, einzulegen. Dies kann nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt geschehen.
Die Rechtsbeschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses und die Erklärung enthalten, dass
gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt wird. Sie ist innerhalb eines Monats nach der schriftlichen
Bekanntgabe des Beschlusses zu begründen.
… … …